Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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30. Novelle
Das Gelübde

Es ist wahr wie das Evangelium, daß drei gute Kaufleute aus Savoyen mit ihren drei Frauen eine Wallfahrt zum heiligen Antonius von Vienne unternahmen. Und um dorthin in größerer Frömmigkeit zu ziehen und Gott und dem Herrn Sankt Antonius ihre Reise noch wohlgefälliger zu machen, beschlossen sie untereinander und mit ihren Frauen, während der ganzen Fahrt, vom Austritt aus ihren Häusern an, nicht mit ihnen zu schlafen, sondern die Hin- und Rückreise in Enthaltsamkeit zurückzulegen.

Eines Abends kamen sie nach der Stadt Chambery und quartierten sich in einem trefflichen Wirtshaus ein und waren beim Abendessen sehr wohlgemut, wie Leute, die ihren guten Grund dazu haben und sich's wohl sein zu lassen wissen. Und ich glaube steif und fest, hätten sie nicht das Gelübde bei ihrer Reise getan, so hätte jeder von ihnen mit seiner Frau geschlafen.

Es kam aber nicht so; denn als die Stunde nahte, da sie sich zurückziehen wollten, wünschten die Frauen ihren Männern gute Nacht, verließen sie und begaben sich in ein Zimmer dicht nebenan, wo sie sich ihre Betten hatten aufschlagen lassen.

Nun müßt ihr wissen, daß am selben Abend ins Haus drei Franziskaner gekommen waren, die nach Genf wanderten und in einer vom Zimmer der Kaufmannsfrauen nicht allzu weit gelegenen Kammer sich zur Ruhe legen sollten.

Als die Weiber unter sich waren, begannen sie von hunderttausend Dingen zu schwatzen, und wer den Lärm hörte, den sie machten, hätte nicht geglaubt, daß es drei wären, sondern ein Viertelhundert.

Als die guten Franziskaner den Lärm der Frauen hörten, gingen sie ganz sacht und leise aus ihrem Zimmer und schlichen, ohne gehört zu werden, so nah an die Tür, daß sie durch die Spalten die drei schönen Fräulein bemerkten, die jede für sich in einem schönen Bett, das groß und breit genug war, um noch einem zweiten auf der anderen Seite Raum zu geben, zur Ruhe gingen. Dann kehrten sie zurück und hörten ihre Männer sich im andern Zimmer zu Bett legen.

Nun gingen sie in ihr Zimmer zurück und sagten, Glück und Gunst komme zu dieser Stunde auf sie zugelaufen, und sie wären eines so günstigen Zufalles nicht wert, wenn sie sich das, worum sie sich nicht hatten zu bemühen brauchen, durch ihre Dummheit entgehen ließen.

»Wirklich«, meinte der eine, »es bedarf dabei für uns gar keiner anderen Überlegung. Wir sind drei und sie auch. Jeder nimmt bei einer Platz, wenn sie eingeschlafen sind!«

Gesagt, getan. Und solches Glück hatten die guten Brüder, daß sie den Schlüssel zum Zimmer der Frauen in der Tür fanden, daher öffneten sie sie sacht, daß sie von keiner Seele gehört wurden. Nachdem sie dies erste Fort gewonnen hatten, waren sie, um in größerer Sicherheit das zweite zu erobern, klug genug, den Schlüssel innen einzustecken und die Tür zu verschließen. Und danach suchte jeder ohne Zögern sein Quartier auf, und sie begannen mit aller Kraft an die Arbeit zu gehen.

Nun glaubte eine ihren Mann bei sich zu haben und sagte: »Was habt Ihr denn im Sinn, erinnert Ihr Euch nicht Eures Gelübdes?«

Der gute Franziskaner aber sagte kein Wort, sondern tat das, um dessentwillen er gekommen war, so freudig, daß sie sich nicht enthalten konnte, ihm zum glücklichen Gelingen zu helfen. Die beiden anderen waren ihrerseits auch nicht müßig, und die guten Frauen wußten sich nicht zu erklären, was ihre Männer bewog, so bald ihr Versprechen zu brechen und für ungültig zu erklären.

Gleichwohl nahmen sie es alle als gehorsame Frauen gern in Geduld und Schweigen hin, denn jede fürchtete von ihren Freundinnen gehört zu werden und dachte das Gute allein zu empfangen und davonzutragen.

Als die guten Franziskaner bis zur Erschöpfung ihrer Kräfte tätig gewesen waren, gingen sie still davon und in ihr Zimmer zurück; und jeder erzählte sein Abenteuer. Der eine hatte drei Lanzen, der zweite vier, der dritte sechs gebrochen, und niemals waren Menschen so glücklich wie sie. Sie erhoben sich morgens um ihrer Sicherheit willen zeitig und zogen ihres Weges.

Die guten Frauen, die die ganze Nacht nicht geschlafen hatten, standen nicht allzu früh auf, denn der Schlaf kam erst am Tag über sie, und sie erhoben sich spät. Andererseits schliefen ihre Männer, die abends ziemlich viel getrunken hatten und auf das Erscheinen ihrer Frauen warteten, länger als sonst bis zu einer Stunde, in der sie an andern Tagen schon zwei Meilen zurückgelegt hatten. Endlich standen die Frauen nach der Ruhe am Morgen auf und zogen sich so schnell als möglich unter Schwatzen an.

Und die zungenfertigste von ihnen fragte: »Unter uns gesagt, meine Demoiselles, wie habt ihr die Nacht verbracht? Haben euch eure Männer auch wie der meine aufgeweckt? Er hörte heute nacht nicht auf, das Geschäft zu besorgen!«

»Sankt Johann!« riefen sie, »wenn Euer Mann diese Nacht gut gearbeitet hat, so sind die unsrigen auch nicht müßig gewesen. Sie haben bald vergessen, was sie bei der Abreise versprochen hatten, und Ihr könnt mir glauben, wir werden es ihnen schon gehörig sagen.«

»Ich habe es meinem Mann schon recht gut gesteckt, als er begann«, erklärte die eine, »trotzdem ließ er nicht vom Werk ab. Als ob er in zwei Nächten, die er ohne mich geschlafen, ganz ausgehungert wäre, hat er's mit wahrer Wut gemacht!«

Als sie fertig waren, suchten sie ihre Männer auf, die schon ganz bereit und in ihren Kleidern waren. »Guten Tag, guten Tag, ihr habt ja ordentlich geschlafen«, sagten sie.

»Dank euch«, entgegneten sie, »die ihr uns so laut gerufen habt.«

»Wahrhaftig«, versetzte die eine, »wir hätten euch um so weniger gern heut früh gerufen, als ihr heute nacht euer Gelübde mit so gutem Gewissen gebrochen und gelöst habt.«

»Welch Gelübde?« fragte der eine.

»Das Gelübde, das Ihr bei der Abreise tatet«, erwiderte sie, »nicht bei Eurer Frau zu schlafen.«

»Und wer hat da geschlafen?« fragte er.

»Ihr wißt es sehr wohl«, antwortete sie, »und ich auch! «

»Und ich auch«, erklärte ihre Genossin. »Seht da meinen Mann, der vordem nie so kräftig war wie in der vergangenen Nacht. Und hätte er nicht so wohl seine Pflicht getan, dann wäre ich nicht so zufrieden mit dem Bruch seines Gelübdes. Doch schließlich will ich's ihm hingehen lassen, denn er hat's gemacht wie die kleinen Kinder, die, wenn sie die Strafe verdient haben, zu Kreuze kriechen und abbitten!«

»Sankt Johann, so hat's der meine auch gemacht«, rief die dritte, »doch will ich ihm dafür schließlich nicht den Prozeß machen; wenn es schlecht ausläuft, hat er die Schuld!«

»Und ich glaube wahrhaftig«, meinte der eine, »ihr faselt und seid noch schlaftrunken. Was mich betrifft, so habe ich hier ganz allein geschlafen und mich in dieser Nacht nicht von der Stelle gerührt!«

»Ich auch nicht«, fügte der zweite hinzu.

»Auch ich nicht, wahrhaftig«, sagte der dritte, »ich möchte um keinen Preis mein Gelübde gebrochen haben. Und in der Beziehung glaube ich meines Gevatters hier und meines Nachbars sicher zu sein, daß sie es nicht gelobt haben, um es so bald zu vergessen!«

Die Frauen begannen die Farbe zu wechseln und fürchteten einen Betrug, das bemerkte der eine der Männer sogleich, und das Herz sagte ihm, daß die Geschichte wahr sei. Daher zögerte er nicht mit der Antwort, sondern machte seinen Genossen ein Zeichen und sagte lächelnd: »Meiner Treu, meine Demoiselles, der gute Wein hier und das gute Mahl gestern abend haben uns unser Versprechen vergessen lassen. Seid deshalb nicht ungehalten! Wenn's Gott gefällt, haben wir mit eurer Hilfe vielleicht jeder diese Nacht ein schönes Kind gemacht, was so verdienstvoll ist, daß es das Vergehen, den Bruch des Gelübdes, ausreichend sühnt.«

»Gott gebe es!« entgegneten die Frauen. »Doch daß ihr so fest versichert habt, ihr wäret nicht bei uns gewesen, hat uns ein wenig argwöhnisch gemacht!«

»Wir haben es mit voller Absicht getan«, meinte der zweite, »um zu hören, was ihr sagen würdet!«

»Und habt doppelte Sünde begangen, erst euer Gelübde gebrochen, dann mit vollem Bewußtsein gelogen, und uns selbst habt ihr in große Unruhe versetzt!«

»Das muß euch nicht kümmern«, erwiderte er, »das hat wenig zu sagen, geht nur zur Messe, wir werden euch folgen!«

Sie machten sich auf den Weg zur Kirche, und ihre Männer verweilten noch ein wenig und folgten ihnen nicht allzu schnell, dann sagten sie allesamt, ohne ein Wort zu lügen: »Wir sind betrogen, diese Teufel von Franziskanern haben uns getäuscht. Sie haben sich an unsern Platz gelegt und uns unsere Dummheit gezeigt, denn wenn wir schon nicht mit unseren Frauen hätten zusammen schlafen wollen, so brauchten sie doch nicht außerhalb unseres Zimmers zu schlafen, und wenn Mangel an Betten war, so hätte ein schöner Strohsack doch auch seine Dienste getan!«

»Zum Teufel!« rief einer von ihnen, »Wir sind gestraft, und ein andermal soll uns das nicht passieren. Schließlich ist's auch besser, daß der Trug uns allein und nicht uns und ihnen bekannt ist, denn wenn er zu ihrer Kenntnis käme, wäre es sehr schlimm. Ihr habt doch ihr Geständnis gehört, daß diese Halunken von Mönchen wahre Wunderdinge getan und vielleicht besser und mehr sich betätigt haben, als wir es zu tun vermögen. Und wenn sie es wüßten, so würden sie es nicht bei diesem einen Mal bewenden lassen. Und daher ist es mein Rat, daß wir es hinunterschlucken, ohne uns zu verraten!«

»So wahr mir Gott helfe!« sagte der dritte, »mein Gevatter hat trefflich gesprochen. Was mich betrifft, so halte ich mich meines Gelübdes für entbunden; ich habe nicht die Absicht, mich dieser Gefahr weiterhin auszusetzen.«

»Da Ihr es so wollt«, erklärten die beiden anderen, »so werden wir Eurem Beispiel folgen!«

Daher schliefen die ganze Reise lang die Frauen und Männer zusammen, doch hüteten letztere sich sehr wohl, die Ursache, die sie dazu bewog, zu verraten. Und als die Frauen das sahen, fragten sie natürlich nach dem Grund dieser Sinnesänderung, und sie antworteten mit dem Vorwand, da sie nun einmal damit begonnen hätten, ihr Gelübde zu brechen, so bliebe ihnen nichts anderes übrig, als es völlig zu tun.

So wurden die drei Kaufleute von den drei wackern Franziskanern getäuscht, ohne daß es zur Kenntnis derer gekommen wäre, die wohl vor Kummer gestorben wären, hätten sie die Wahrheit erfahren, wie man alle Tage Leute aus unbedeutenderer Ursache und geringeren Gründen sterben sieht.

 


 


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