Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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39. Novelle
Die Stellvertreterin

Ein edler Ritter aus dem Lande Hennegau, reich, mächtig, tapfer und ein sehr schöner Gesell, war in hohem Maße und lange der Liebhaber einer sehr schönen Dame, stand so hoch in ihrer Gunst und ward so vertraut mit ihr, daß er stets, wenn er Lust hatte, sich an einem abgelegenen und einsamen Ort in ihrer Wohnung einfand, wo sie ihm Gesellschaft leisten kam; und dort plauderten sie völlig nach ihrem Wunsch und Belieben von ihrem freundlichen Liebeshandel. Und keine Seele wußte etwas von ihrem frohen Zeitvertreib außer einem Fräulein, das im Dienste dieser Dame stand und lange kein Wort davon verlauten ließ und ihnen so bereitwillig bei all ihren Angelegenheiten diente, daß es wohl einen großen Lohn dafür verdient hätte. Es hatte auch so viele gute Eigenschaften, daß es nicht nur seine Herrin durch seine Dienste, wie gesagt, und auch sonst gewonnen hatte, sondern der Gatte seiner Dame liebte es nicht weniger als seine Frau, so treu, gut und sorgsam fand er es.

Eines Tages geschah es, daß die Dame als sie ihren Liebhaber, den obengenannten Ritter, in ihrer Wohnung wußte, aber, weil ihr Gatte sie zu ihrem großen Ärger aufhielt, nicht so schnell, wie sie gewünscht hätte, zu ihm gehen konnte, auf den Gedanken kam, ihm durch das Fräulein sagen zu lassen, er möchte sich noch ein wenig gedulden, sie werde, sobald sie sich von ihrem Mann losmachen könne, sich bei ihm einfinden.

Das Fräulein kam zu dem Ritter, der seine Dame erwartete, und richtete seine Botschaft aus. Und freundlich, wie er war, dankte er ihr sehr für diese Kunde und ließ sie neben sich sitzen, dann küßte er sie zärtlich zwei- oder dreimal. Sie litt es gern, und das gab dem Ritter Mut, sich größere Freiheiten zu nehmen, die ihm ebenfalls gestattet wurden. Danach kam das Fräulein zu seiner Herrin zurück und sagte ihr, ihr Freund erwarte sie sehnlich. »Ach«, rief sie, »ich weiß wohl, daß das wahr ist, doch der Herr will sich nicht zur Ruhe begeben. Hier sind ich weiß nicht was für Leute, die ich nicht verlassen kann. Gott verwünsche sie! Ich will viel lieber bei ihm sein. Er langweilt sich wohl allein, nicht wahr!«

»Meiner Treu, das könnt Ihr wohl glauben«, entgegnete sie, »doch die Hoffnung auf Euer Kommen tröstet ihn und läßt ihn geduldiger ausharren!«

»Ich bin davon überzeugt, doch gleichwohl ist er allein und ohne Licht und schon mehr als zwei Stunden da. Er muß sich doch sehr langweilen. Daher bitte ich Euch, liebe Freundin, kehrt noch einmal zurück, entschuldigt mich bei ihm, und leistet ihm eine Weile Gesellschaft. Indessen, so Gott will, wird der Teufel diese Leute, die uns hier aufhalten, wegschaffen!«

»Ich will nach Eurem Wunsche tun, Madame, doch glaube ich, er hat Euch so gern, daß Ihr Euch nicht zu entschuldigen braucht; Ihr hättet auch, wenn ich dorthin ginge, keine Frau um Euch, und der Herr könnte nach mir fragen, und man wüßte nicht, wo ich bin.«

»Das laßt Euch nicht kümmern«, versetzte sie, »ich werde schon wissen, was ich zu sagen habe, wenn er nach Euch fragt; mir tut es leid, daß mein Freund allein ist. Geht und seht, was er macht, ich bitte Euch drum!«

»Ich gehe, da es Euch so beliebt«, erklärte sie. Ob sie über diese Gesellschaft recht froh war, braucht man nicht zu fragen, doch um ihre Bereitwilligkeit zu verdecken, fand sie allerlei Vorwände und weigerte sich, den Wunsch ihrer Herrin zu erfüllen. Sie war bald bei dem wartenden Ritter, der sie froh empfing, und sagte ihm: »Herr, Madame schickt mich noch einmal hierher, um sich bei Euch zu entschuldigen, weil sie Euch so lange warten läßt, und Ihr könnt glauben, daß sie darüber sehr ärgerlich ist.«

»Ihr müßt ihr sagen«, entgegnete er, »sie soll ganz nach ihrem Belieben tun und sich um keinen Preis meinetwegen beeilen, denn Ihr sollt ihren Platz einnehmen!« Darauf küßte und umhalste er sie von neuem und ließ sie nicht eher von sich, als bis er sich zweimal mit ihr vergnügt hatte, was ihm keine Mühe machte, denn er war frisch, jung und in diesem Punkt ein kräftiger Mensch.

Das Fräulein nahm in freundlicher Geduld sein gutes Abenteuer auf und hätte oft, ohne der Herrin in den Weg zu treten, eine derartige Begegnung zu haben gewünscht. Und da es von ihm ging, bat es den Ritter, seiner Herrin davon nichts zu sagen.

»Ihr könnt Euch darauf verlassen!« erklärte er.

»Ich bitte Euch darum«, sagte sie. Und dann begab sie sich zu ihrer Herrin, die sogleich fragte, was ihr Freund mache.

»Er ist da«, antwortete sie, »und erwartet Euch.«

»Ach«, rief sie, »und er ist wohl recht unzufrieden?«

»Ganz und gar nicht«, erklärte sie, »er hat ja Gesellschaft gehabt. Er weiß Euch vielen Dank dafür, daß Ihr mich zu ihm geschickt habt, und wenn das Warten noch lange dauern sollte, so wäre er zufrieden, wenn er mich bei sich hätte, um mit mir zu plaudern und sich die Zeit zu vertreiben. Und, meiner Treu, ich gehe gern dahin, denn er ist der lustigste Mensch, den ich jemals sah. Gott weiß, wie sehr er diese Leute, die Euch zurückgehalten, schmäht, den Herrn ausgenommen, dem er nichts Böses wünscht.«

»Sankt Johann«, rief sie, »ich wünschte, er und die Gesellschaft wären beim Teufel und ich dort, von wo Ihr kommt.«

Es verging eine lange Zeit, ehe der Herr, Gott sei Dank, sich entkleidete und zu Bett ging. Madame zog sich bis auf ihren einfachen Rock aus, machte sich für die Nacht fertig, nahm ihr Gebetbuch zur Hand und begann fromm, Gott weiß es, ihre sieben Psalmen und Paternoster herzusagen. Der Herr aber, der viel wacher als eine Ratte war, hatte große Lust zum Plaudern, daher wünschte er, Madame solle ihre Gebete bis auf den nächsten Tag lassen und mit ihm reden.

»Ach, Herr«, sagte sie, »verzeiht mir, verzeiht mir, ich kann Euch jetzt nicht unterhalten. Gott geht vor, wie Ihr wißt; ich würde heute und die ganze Woche keine Ruhe haben, würde ich ihm nicht den geringsten Dienst, den ich ihm erweisen kann, leisten; und ich würde meinen, es ginge mir schlecht, wenn ich das nicht täte.«

Darauf sagte der Herr: »Diese Frömmigkeit ist mir schon viel zuviel. Müßt Ihr denn so viel beten? Laßt das doch, laßt das doch, das ist Sache der Priester. Habe ich nicht recht, Jeanette?« fragte er das obengenannte Fräulein.

»Herr, ich weiß nur zu sagen«, versetzte dieses, »da Madame gewöhnt ist, Gott zu dienen, soll sie es auch weiterhin tun.«

»Teufel!« rief Madame, »ich sehe wohl, Herr, daß Ihr auf dem Weg zu plaudern seid, und habe die Absicht, meine Andacht zu halten. Daher sind wir also nicht recht einig. Ich will Euch Jeanette zur Unterhaltung hier lassen und in mein Kämmerchen ganz hinten gehen, um zu Gott zu beten.«

Der Herr war's zufrieden. Nun ging Madame eilig zu dem Ritter, ihrem Freund, der sie, Gott weiß, sehr vergnügt und mit hoher Achtung empfing, denn die Ehre, die er ihr erwies, ging so weit, daß er die Knie beugte und auf der Erde kniete. Nun müßt ihr wissen, daß, während Madarne ihre Gebetsstunden mit ihrem Freunde abhielt, der Herr, ihr Gatte, ich weiß nicht, wie es ihn ankam, Jeanette bat, sie solle ihm Gesellschaft leisten und ihn mit ihrer Gunst bedenken. Und um es kurz zu machen, er wußte so viel zu versprechen und so schön zu reden, daß sie es zufrieden war, ihm zu gehorchen. Das schlimmste aber war, daß Madame nach dem Abschied von ihrem Freund, der sie zweimal vor ihrem Gehen fröhlich genoß, den Herrn, ihren Gemahl, und Jeanette, ihre Kammerfrau, beim selben und nämlichen Werk fand, an dem sie eben tätig gewesen war, worüber sie sehr erstaunt war, und noch mehr der Herr und Jeanette, als sie sich so überrascht sahen.

Als Madame das sah, begrüßte sie, Gott weiß wie, die Gesellschaft, obwohl sie doch Ursache hatte, den Mund zu halten. Sie fiel über die arme Jeanette so zornig her, als hätte die den Teufel im Leibe, so heftig schalt und schmähte sie sie. Doch noch mehr und Ärgeres tat sie, denn sie nahm einen großen Stock und hieb sie tüchtig damit auf den Rücken. Als das der Herr sah, stand er unzufrieden und ärgerlich auf und schlug Madame so lange, daß sie sich nicht mehr rühren konnte. Und da sie bemerkte, daß sie nur mehr die Macht über ihre Zunge hatte, ließ sie ihr, Gott weiß wie, freien Lauf, doch schleuderte sie die meisten ihrer giftigen Worte gegen die arme Jeanette, die schließlich die Geduld verlor und dem Herrn erzählte, wie Madame sich aufführe und woher sie aus dieser Gebetsstunde komme und mit wem sie gebetet habe. Nun geriet die Gesellschaft erst recht in Aufregung, der Herr vor allem, der Grund genug zum Argwohn hatte, und Madame, da sie sich hart angefaßt, geschlagen und von ihrer Kammerfrau verklagt sah.

Wie es weiter in diesem aufgestörten Hause zuging, könnten die berichten, die davon wissen, doch sie werden sich hüten, daher braucht man nicht mehr danach zu forschen.

 


 


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