Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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18. Novelle
Die betrogene Dirne

Ein Edelmann aus Burgund ging jüngst in einigen Geschäften nach Paris und wohnte in einem recht hübschen Gasthaus, denn seine Gewohnheit war's stets, sich nach den besten Quartieren umzusehen. Er, der wohl wußte, wann eine Fliege in die Milch gefallen war, war noch nicht lange in seinem Quartier, da bemerkte er schon, daß das Kammermädchen dort für die Männer zu haben war. So verbarg er ihr nicht lange, was er auf dem Herzen hatte, und bat sie, ohne sich lange aufzuhalten, um das Liebesalmosen. Anfangs ward er recht kräftig in die Schranken gewiesen: »Wie«, sagte sie, »Ihr wagt an mich derartige Worte zu richten? Ihr sollt Euch überzeugen, daß ich nicht eine Person bin, die dem Haus, in dem ich bin, solche Schande macht!« Um es kurz zu machen, wer sie hörte, mußte denken, sie wolle es auch nicht für einen Berg Gold tun.

Der Edelmann erkannte sofort, daß alle ihre Worte nur leere Ausflüchte waren, und sagte zu ihr: »Liebe Freundin, wenn ich Zeit und Gelegenheit hätte, würde ich Euch so viel sagen, daß ihr wohl zufrieden sein solltet, und Ihr könnt glauben, es wäre nur zu Eurem großen Vorteil, liebe Freundin, doch vor den Leuten will ich nicht mehr mit Euch reden, damit Ihr nicht mit mir ins Gerede kommt. Mein Diener soll für mich mit Euch sprechen, und wenn ihr es tut, soll es ganz und gar nicht Euer Schaden sein!«

»Ich habe weder mit Euch noch mit ihm etwas zu sprechen!« erwiderte sie, und damit ging sie, und unser Edelmann rief seinen Kammerdiener, einen aufgeweckten, muntern Burschen, erzählte ihm die Geschichte und beauftragte ihn, seine Angelegenheit zu fördern, ohne Lügen und Versprechungen zu sparen. Der Kammerdiener, für derartige Händel wohl zu brauchen, erklärte, sein Bestes tun zu wollen. Er vergaß es auch nicht, denn sobald er das Mädchen fand, brauchte er, Gott weiß wie, sein Mundwerk gut. Und wäre sie nicht aus Paris gewesen und schlauer als viele andere, so hätten sie seine freundlichen Worte und die Versprechungen, die er ihr im Namen seines Herrn machte, recht schnell beschwatzt. Doch nun kam es anders, denn nach vielen zwischen ihm und ihr gewechselten Worten und Reden sagte sie ihm kurz und bestimmt: »Ich weiß wohl, was Euer Herr will, doch wird er's nicht bekommen, wenn er mir nicht zehn Dukaten gibt.«

Der Kammerdiener erstattete seinem Herrn Bericht, der nicht, wenigstens nicht in diesem Fall, so freigebig war, um zehn Dukaten für den Liebesgenuß eines solchen Mädchens zu geben.

»Wie dem auch sei, anders tut sie's nicht!« erklärt der Diener. »Auch ist es nicht leicht, in ihr Zimmer zu kommen, denn man muß durch das des Wirts gehen. Überlegt Euch, was Ihr machen wollt!«

»Beim Tode Gottes«, versetzte er, »es tut mir leid, daß meine zehn Dukaten diesen Weg gehen sollen. Doch ich habe so große Lust zu ihr und mich schon so weit in die Sache eingelassen, daß ich sie zu Ende bringen will. Zum Teufel mit der Knauserei, sie soll sie haben!«

»Ich kann ihr also sagen«, meint der Diener, »daß sie sie bekommen wird?«

»Ja, zum Teufel, ja«, erwidert er.

Der Diener suchte das gute Mädchen auf und erklärte ihm, es werde die zehn Dukaten erhalten und noch viel mehr.

Um es kurz zu machen, die Stunde, da der Edelherr bei ihr schlafen sollte, ward festgesetzt, doch sollte er ihr, bevor sie ihn durch das Zimmer ihres Herrn in das ihre führen würde, die zehn baren Dukaten geben.

Wer damit sehr unzufrieden war, das war unser Mann, der, als er durch das Zimmer und zur Hochzeit ging, sich dachte, daß sie ihn allzuviel koste und er ihr einen Streich spielen wolle.

Sie kamen so sacht in die Kammer, daß Herr und Frau nichts davon merkten, zogen sich aus, und unser Edelmann sagte, er werde sein Geld so gut wie nur möglich anwenden. Er machte sich ans Werk und tat Wunderdinge und wohl noch mehr, als ihm gut war.

lm Gespräch wie auch bei anderer Beschäftigung vergingen so viele Stunden, daß der Tag dem, der viel lieber geschlafen als etwas anderes getan hätte, immer näher rückte, und das treffliche Kammermädchen sagte zu ihm: »Wohlan, Herr, um des Wohlwollens, der Achtung und Höflichkeit, die Ihr mir entgegengebracht habt, bin ich's zufrieden gewesen, Euch zu Willen zu sein und der teuersten Sachen, die ich in der Welt besitze, Euch erfreuen zu lassen. Ich bitte und ersuche Euch, wollet Euch unverzüglich anziehen und fortgehen, denn es ist schon hohe Zeit, und wenn zufällig mein Herr oder meine Frau hierherkäme, wie sie öfters am Morgen zu tun pflegen, und Euch fänden, wäre ich verloren und um meinen guten Namen gebracht. Und auch Euch, glaube ich, wäre es nicht sehr angenehm!«

»Was heißt hier angenehm«, erwiderte der Edelherr, »oder unangenehm? Ich will mich ausruhen und nach meinem Wunsch und Belieben schlafen, ehe ich weggehe. Und damit ich keine Angst und Furcht habe, sollt Ihr mir Gesellschaft leisten!«

»Ach, Herr«, entgegnet sie, »das geht nicht; bei meinem Eide, Ihr müßt gehen, es ist ja sehr bald Tag. Und wenn man Euch hier fände, was würde dann mit mir? Ich wollte lieber sterben, als daß das geschähe. Und wenn Ihr Euch nicht beeilt, wird es, fürchte ich, auch so kommen!«

»Mir ist es gleich«, versetzte der Edelherr, »wie es wird. Wenn Ihr mir nicht meine zehn Dukaten zurückgebt, gehe ich nicht weg, komme was da wolle!«

»Eure zehn Dukaten?« fragte sie. »So seid Ihr also; erst habt Ihr Euch mir gegenüber freundlich und liebenswürdig gezeigt, und nun wollt Ihr sie mir nachträglich auf diese Weise wieder nehmen? Meiner Treu, da sieht man doch recht deutlich, was Ihr für ein feiner Mann seid!«

»Wie ich bin«, sagte er, »so bin ich, und ich gehe nicht von hier weg und Ihr auch nicht, solange Ihr mir nicht meine zehn Dukaten gegeben habt. Ihr hättet sie sonst allzu leicht gewonnen!«

»Ah«, spricht sie, »so wahr mir Gott helfe, wenn Ihr auch so sprecht, glaube ich doch nicht, daß Ihr so unfreundlich seid, zumal ich an Eure guten Eigenschaften und das Vergnügen, das ich Euch gegönnt habe, denke, und ich glaube nicht, daß Ihr so wenig höflich wäret, mir nicht meine Ehre hüten zu wollen. Und deshalb bitte ich Euch abermals, willigt in mein Begehren und Verlangen, und entfernt Euch von hier!«

Der Edelherr erklärte, er werde es nicht tun. Und um es kurz zu machen, das gute schmucke Weibchen wurde gezwungen, so leid es ihm auch, Gott weiß es, war, die zehn Dukaten aus dem Beutel zu holen, nur damit der Edelherr sich davonmache.

Als die zehn Dukaten in dieselbe Hand, aus der sie gegangen waren, zurückkamen, war die, die sie empfangen hatte, sehr unzufrieden und zornig und der, welcher sie erhielt, hocherfreut.

»Nun fort«, sagte sie zornig und mißvergnügt, da sie sich so behandelt sah, »da Ihr mir diesen Streich gespielt und mich so zum besten gehabt habt, macht wenigstens schnell, beeilt Euch, und laßt's Euch genug daran sein, daß Ihr meine Torheit erkannt habt und sie nicht durch Euer Zögern auch die erfahren, die mich, wenn ihnen Kunde davon käme, mit Schimpf und Schande davonjagen würden!«

»Um Eure Ehre kümmere ich mich nicht«, versetzte der Edelherr, »hütet sie nur so gut, wie sie Euch lieb ist. Ihr habt mich hierherkommen lassen, und so gehört sich's für Euch, mich an die Stelle, woher ich kam, wieder zurückzubringen, denn ich habe keine Lust, mich zweimal abzumühen mit dem Kommen und Gehen!«

Um ihn nicht aufzubringen und einen Skandal, den sie mehr als den Tod fürchtete, heraufzubeschwören, packte sie sich, zumal der Tag bereits zu erscheinen begann, zu all dem Mißvergnügen und der Furcht, die ihr Herz erfüllten und belasteten, den Edelherrn auf den Rücken. Und während sie diese Last, den feinen Edelmann, so sacht sie nur konnte, auf dem Rücken trug, wie sie ihn auf ihrem Bauch getragen hatte, öffnete er weit sein Hinterpförtlein, so daß der Schall und Lärm den Wirt aufweckte, der recht erschrocken fragte: »Wer ist da?«

»Euer Kammermädchen, Herr«, antwortete der Edelherr, »das mich dorthin zurückbringt, woher es mich geholt hat!«

Bei diesen Worten hatte das arme, schmucke Mädchen keine Kraft und Lust mehr, mit dieser unangenehmen Last sich noch länger abzuschleppen. Sie verließ auf der einen, der Edelherr auf der andern Seite das Zimmer. Und der Wirt, der wohl Bescheid wußte, sprach seiner verblüfften und ärgerlichen Gattin gut zu und verließ bald danach das Zimmer. Und der Edelherr kehrte nach Burgund zurück und erzählte vergnügt sein obenerwähntes Abenteuer muntern Burschen und Gefährten, die vom selben Schlage waren wie er.

 


 


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