Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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25. Novelle
Gern gelittene Notzucht

Die Geschichte, von der meine Novelle handeln soll, ist so frisch und neu, daß ich davon nichts abschneiden noch daran anflicken, nichts zusetzen noch wegnehmen kann.

Jüngst kam nämlich zu Quesnoy ein schönes Mädchen zum Schultheißen und beklagte sich, ein junger Gesell sei mit Gewalt und Zwang auf es eingedrungen und habe es seinem zuchtlosen Willen unterworfen.

Sobald diese Klage beim Schultheißen erhoben war, ward der dieses Verbrechens beschuldigte Gesell zur Stunde ergriffen und festgenommen. Und nach der Ansicht des gemeinen Volks hing er schon so gut wie am Galgen oder schreckte ohne Kopf, hoch auf ein Rad geflochten, die Leute auf den Feldern.

Als das Mädchen sah und hörte, daß der, über den es sich beklagte, im Gefängnis sitze, drang es kräftig in den Schultheißen, er solle ihm den Prozeß machen, weil er es wider seinen Wunsch und Willen gewaltsam und durch Zwang entehrt habe. Und der Schultheiß, ein bedachter und kluger und in Justizsachen wohlerfahrener Mann, ließ die Leute zusammenrufen und sandte dann nach dem Gefangenen. Und als er ihn so vor die Leute hatte kommen lassen, die schon völlig bereit waren, das Urteil zu fällen, falls er auf der Folter oder anders das schreckliche Verbrechen, dessen er beschuldigt war, beichtete, sprach er zu ihm unter vier Augen und beschwor ihn, die Wahrheit zu sagen.

»Seht da, diese Frau«, sagte er, »erhebt Klage darüber, daß sie von Euch vergewaltigt worden sei. Ist dem so? Habt Ihr sie genotzüchtigt? Gebt wohl acht, daß Ihr die Wahrheit sagt; tut Ihr's nicht, so müßt Ihr sterben. Doch wenn Ihr die Wahrheit sagt, dann wird man Euch Gnade angedeihen lassen!«

»Wahrhaftig, Herr Schultheiß«, erklärte der Gefangene, »ich will nicht leugnen und verhehlen, daß ich vormals sie um ihre Liebesgunst ersucht habe. Und wirklich warf ich sie vorgestern nach manchem Wort aufs Bett, um das zu machen, was Ihr wißt, und hob ihr Rock und Hemd auf, und mein Gesell, der niemals braches Land gepflügt hatte, konnte nicht den rechten Weg zu ihrem Acker finden, daher ging er bald hierhin, bald dorthin, doch sie wies ihm höflich den Weg und steckte ihn mit ihren eigenen Händen ganz hinein. Ich glaube wohl, daß er nicht ohne tüchtige Arbeit ihn verließ, doch daß er mit Gewalt eingedrungen sei, bei meinem Eid, das ist nicht der Fall!«

»Ist dem wirklich so?« fragte der Schultheiß.

»Ja, bei meinem Eid«, versetzte der gute Gesell.

»Nun,dann wollen wir's schon gutmachen!« meinte er.

Nach diesen Worten setzte sich der Schultheiß auf seinen Pontifikalstuhl zur Rechten, seine Leute um ihn herum, und der gute Gesell ward zu der kleinen Bank oder dem Parquet geführt und angesichts des ganzen Volks und seiner Anklägerin daraufgesetzt.

»Nun, liebe Freundin«, sagte der Schultheiß, »wessen beschuldigt Ihr diesen Gefangenen?«

»Herr Schultheiß«, entgegnete sie, »ich beklage mich bei Euch über die Gewalt, die er mir wider meinen Willen und Wunsch und trotz meinem Widerstreben angetan hat. Deshalb stehe ich vor Gericht.«

»Was erwidert Ihr darauf, mein Freund?« fragte der Schultheiß den Gefangenen.

»Herr«, erklärte er, »ich sagte Euch schon, wie es war, und glaube nicht, daß sie das Gegenteil sagt!«

»Liebe Freundin«, sprach der Schultheiß, »achtet wohl auf Eure Worte und darauf, daß Ihr eine Klage wegen Notzucht erhebt. Das ist eine große Sache. Seht, er sagt, er habe Euch nie Gewalt angetan, sondern Ihr hättet selbst zugestimmt und beinahe das verlangt, was er getan hat. Nämlich Ihr selbst hättet seinem Gesellen, der sich in der Umgebung des Weges zu Eurem Acker erlustigte, den Weg gewiesen und mit Euren beiden Händen, oder auch nur mit einer, ihm den rechten Pfad zu Eurem Feld gezeigt; das konnte nicht ohne diese Eure Hilfe geschehen. Wenn Ihr nur ganz wenig widerstrebt hättet, wäre er niemals zum Ziel gekommen. Dafür, daß sein Gesell in der Wohnung fouragiert hat, kann er nichts, denn sobald er über die Schwelle und durch die Tür war, konnte er ihm nicht mehr gebieten.«

»Ach, Herr Schultheiß«, sagte das Mädchen weinerlich, »wie versteht Ihr das? Es ist wahr, ich will nicht leugnen, daß ich wirklich seinen Gesellen nahm und ihn auf meinen Acker brachte. Doch weshalb tat ich's? Bei meinem Eid, Herr, er trug das Haupt so steif, und die Schnauze war so hart, daß ich wahr und wahrhaftig weiß, er hätte mir ein großes Loch oder zwei oder drei in den Bauch gemacht, wenn ich ihn nicht schnell in das gesteckt hätte, wo er besser aufgehoben war. Und seht, aus diesem Grunde nur tat ich's!«

Ihr könnt euch denken, daß nach dieser Beweisaufnahme die Gerichtsbeamten und alle Anwesenden herzlich laut lachten. Und der Geselle ward freigelassen und versprach, an dem Tag, da er dazu aufgefordert würde, zurückzukehren. Und das Mädchen ging sehr zornig von dannen, weil man den, der an ihren untern Gabeln gehangen, nicht sehr schnell und hoch aufgehängt hatte. Doch dieser Zorn und diese heftige Verfolgung dauerte nicht lange, denn nach dem, was man mir sagte, ward bald darauf durch gute Mittel der Friede zwischen ihnen geschlossen und dem guten Gesellen Acker, Weg und Pfad überlassen, sooft und solange er auf ihm zu pflügen wünschte.

 


 


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