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Der gnädige Herr Talbot, dem Gott vergebe, der so tapfere und heldenhafte und im Kriege, wie jedermann weiß, so glückliche englische Feldherr, tat in seinem Leben zwei Urteilssprüche, die wert sind, wiedergegeben, gehört und in ewigem Gedächtnis bewahrt zu werden. Und deshalb will ich dieser Urteilssprüche kurz in meiner ersten, in der Reihe der andern der fünften, Novelle gedenken und (mit dem ersten) beginnen.
Während der verwünschte und pestilenzialische Krieg zwischen Frankreich und England herrschte, der ja auch jetzt noch kein Ende genommen hat, ward, wie oft, ein französischer Krieger der Gefangene eines Engländers. Und als er sich auslösen sollte, begab er sich mit einem Geleitbrief des gnädigen Herrn Talbot zu seinem Kapitän, um sich das Lösegeld zu verschaffen und es seinem Meister zu schicken oder zu bringen.
Und als er auf dem Wege war, traf er auf den Feldern einen Engländer, der den Franzosen sah und ihn alsbald fragte, woher er komme und wohin er gehe. Der andere antwortete der Wahrheit gemäß.
»Und wo ist Euer Geleitbrief?« fragte der Engländer.
»Er ist nicht weit«, erwiderte der Franzose. Nun zog er eine kleine, an seinem Gürtel hängende Kapsel hervor, in der sein Geleitbrief war, und reichte ihn dem Engländer, der ihn vom Anfang bis zum Ende las. Und da man in alle Geleitbriefe zu setzen pflegt: »Ausgenommen alle wirklichen Kriegsgewänder«, blickte der Engländer auf und sieht noch die Nestelbänder für die Waffen am Wams des Franzosen herabhängen.
Daher urteilte er bei sich, der Franzose habe seinen Geleitbrief verletzt und die Nestelbänder zählten zu den wahren Kriegsgewändern, und sagte ihm: »Ich nehme Euch gefangen, Freund, denn Ihr habt Euer Geleit gebrochen.«
»Ich habe es wahrhaftig nicht«, erwiderte der Franzose, »Eure Gnade unangetastet. Ihr seht ja, in welchem Zustande ich bin.«
»Nein, nein«, erklärte der Engländer, »bei St. Johann, Euer Geleitbrief ist verletzt, ergebt Euch, oder ich töte Euch.«
Der arme Franzose, der nur seinen Pagen bei sich hatte und völlig bloß und ohne seine Waffen war, ergab sich ihm, da er den andern von drei oder vier Büchsenschützen begleitet sah, die ihn hätten töten können. Der Engländer führte ihn an einen ziemlich nahe gelegenen Platz und setzte ihn gefangen.
Wie der Franzose sich so behandelt sah, schickte er sehr schnell seinem Hauptmann eine Botschaft, der, als er von dem Abenteuer seines Mannes vernahm, höchlich erstaunt war. Er ließ sogleich dem gnädigen Herrn Talbot einen Brief schreiben und schickte ihn ihm durch einen Herold, der genügend von dem Vorfall unterrichtet war, über den der gefangene Krieger ausführlich dem Hauptrnann geschrieben hatte: nämlich einer seiner Leute habe einen der Seinen unter seinem Geleitbrief gefangen genommen.
Der über seinen Auftrag wohlunterrichtete und belehrte Herold schied von seinem Herrn und brachte dem gnädigen Herrn Talbot den Brief. Dieser las ihn und ließ ihn von einem seiner Sekretäre vor vielen Rittern und Edlen und andern aus seiner Umgebung von neuem vorlesen.
Nun, müßt ihr wissen, stieg er gleich auf sein Pferd, denn der Kopf brannte und rauchte ihm, und es war ihm nicht recht, wenn man anders als nach seinem Willen und besonders in Kriegssachen tat; und daß man seinen Geleitbrief gebrochen, versetzte ihn in heftigen Zorn.
Um die Geschichte kurz zu machen: er ließ den Engländer und den Franzosen vor sich kommen und sagte dem Franzosen, er solle seine Geschichte erzählen.
Er erklärte, er sei von einem seiner Leute gefangengenommen und auf Lösegeld gesetzt worden: »Und unter Eurem Geleitbrief, gnädiger Herr, begab ich mich zu den Leuten unserer Partei, um mein Lösegeld zu beschaffen. Ich begegnete diesem Edelmann hier, auch einem von Euren Leuten; er fragte mich, wohin ich ginge und ob ich einen Geleitbrief hätte. Ich sagte ja und zeigte ihn ihm. Und als er ihn gelesen hatte, sagte er mir, ich hätte ihn verletzt, und ich erwiderte ihm, ich hätte es nicht und er würde es mir nicht beweisen können. Kurz, ich konnte kein Gehör finden und mußte mich, wollte ich nicht auf der Stelle getötet werden, ergeben. Und ich weiß keinen Grund, warum er mich hat zurückhalten lassen, deshalb rufe ich Eure Gerechtigkeit an.«
Als der gnädige Herr Talbot den Franzosen hörte, war er nicht sehr erfreut. Gleichwohl fragte er, nachdem jener geendet, den Engländer: »Was antwortest du hierauf?«
»Gnädiger Herr«, erklärte dieser, »es ist wahr, wie er gesagt hat, ich begegnete ihm und wollte seinen Geleitbrief sehen, den ich von Anfang bis Ende las, und bemerkte alsbald, daß er ihn gebrochen und verletzt hatte, sonst hätte ich ihn niemals angehalten!«
»Wieso hat er ihn verletzt?«, fragte der gnädige Herr Talbot. »Sag's gleich!«
»Gnädiger Herr, weil in seinem Geleitbrief steht und stand: 'Alle wahren Kriegsgewänder ausgenommen', und er hatte und hat noch seine Nestelbänder für die Waffen, die ein Kriegsgewand sind, denn ohne sie kann man sich nicht waffnen!«
»Sieh«, sagte Talbot, »Nestelbänder sind also wahre Kriegsgewänder? Und sonst weißt du nicht, wodurch er seinen Geleitbrief verletzt haben könnte?«
»Wahrhaftig, gnädiger Herr, ganz und gar nicht«, erwiderte der Engländer.
»So, Ihr Tölpel, beim Teufel«, rief der gnädige Herr Talbot, »Ihr habt einen Edelmann unter meinem Geleitbrief um seiner Nestelbänder willen zurückgehalten? Beim heiligen Georg, ich will Euch zeigen, ob das Kriegsgewänder sind.«
Darauf ging er, ganz erhitzt und vom Zorn heftig bewegt, zu dem Franzosen, riß von seinem Wams zwei Nestelbänder, gab sie dem Engländer, und dem Franzosen ward ein gutes Kriegsschwert in die Hand geliefert. Und dann zog er seinen schönen und guten Degen aus der Scheide und sagte zum Engländer: »Verteidigt Euch mit diesem Kriegsgewand, wie Ihr sagt, so gut Ihr könnt!«
Und dann rief er dem Franzosen zu: »Schlagt ein auf diesen Tölpel, der Euch ohne Grund und Recht zurückgehalten hat; man soll sehen, wie er sich mit Eurem Kriegsgewand verteidigen wird. Wenn Ihr ihn schont, werde ich Euch auf den Kopf schlagen, beim heiligen Georg!«
Nun ward der Franzose, ob er wollte oder nicht, gezwungen, auf den Englinder mit seinem nackten Schwert einzuschlagen, und der arme Engländer lief durchs Zimmer, so schnell er konnte, und Talbot ihm nach, der fortwährend durch den Franzosen auf den andern einhauen ließ und ihm sagte: »Verteidigt Euch, Ihr Tölpel, mit Eurem Kriegsgewand!«
Der Engländer ward in der Tat so lange geschlagen, daß er dem Tode nahe war, Talbot und den Franzosen um Gnade bat, der dadurch frei kam und dem vom gnädigen Herrn Talbot sein Lösegeld erlassen ward. Und damit ließ er ihm sein Pferd, seinen Harnisch und all sein Gepäck, das er am Tag seiner Gefangennahme hatte, wiedergeben und zustellen.
Seht, das war der erste Urteilsspruch, den der gnädige Herr Talbot fällte; nun will ich von dem andern erzählen, das war so:
Er wußte, einer seiner Leute hatte in einer Kirche das Tabernakel geraubt, in das man den Leib des Herrn birgt, und für gutes bares Geld verkauft, ich weiß nicht die genaue Summe, doch war es groß, schön, aus vergoldetem Silber und zierlich emailliert.
Obwohl der gnädige Herr Talbot schrecklich grausam war und im Kriege die schlimmsten Taten sich zuschulden kommen ließ, bezeigte er doch der Kirche stets große Achtung und duldete nicht, daß man in ein Kloster oder eine Kirche Feuer warf oder sie beraubte. Und wenn er erfuhr, daß man es getan habe, wandte er wunderbare Zucht bei denen an, die dadurch seinen Befehl verletzten.
Also ließ er den, der dies Tabernakel in der Kirche geraubt hatte, vor sich führen. Und als er ihn sah, Gott weiß, welchen Willkomm er ihm bot. Er wollte ihn durchaus töten, wenn ihn nicht seine Umgebung so lange gebeten hätte, bis ihm das Leben gerettet ward.
Aber er wollte ihn doch strafen und sagte zu ihm: »Verräterischer Schurke, wie habt Ihr es wagen können, die Kirche trotz meinem Befehl und meinem Verbot zu berauben?«
»Ach, gnädiger Herr, um Gottes willen Gnade!« erwiderte der arme Dieb, »ich bitte Euch um Gnade, es soll nie wieder geschehen!«
»Kommt vor, Ihr Schurke!« rief er.
Und der andere näherte sich dem gnädigen Herrn Talbot so gern, wie man auf die Wache geht. Und der gnädige Herr Talbot schlägt mit seiner großen schweren Faust diesen Pilgersmann auf den Kopf und sagt ihm: »Ha, Dieb, habt Ihr die Kirche beraubt?«
Und der andere schreit: »Gnädiger Herr, ich bitte Euch um Gnade, ich werde es nie wieder tun!«
»Werdet Ihr es tun?«
»Nein, nein, gnädiger Herr!«
»Also schwört jetzt, daß Ihr nie mehr eine Kirche, welche es auch sei, betreten wollt, schwört, Schurke!«
»Nun wohl, gnädiger Herr«, erwiderte der andere.
Darauf ließ er ihn schwören, daß er niemals in eine Kirche seinen Fuß setzen werde, worüber alle Anwesenden laut lachten, obwohl sie Mitleid mit dem Dieb hatten, weil der gnädige Herr Talbot ihm die Kirche für immer verbot und ihn beschwören ließ, niemals eine zu betreten. Und glaubt nur, er dachte es wohl zu machen und sagte es ihm in bester Absicht.
So habt ihr die beiden Urteilssprüche des gnädigen Herrn Talbot vernommen.