Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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46. Novelle
Die bezahlten Äpfel

Es ist nicht sonderbar, daß die Mönche gern mit den Nonnen verkehren; so geschah es auch jüngst, daß ein Meister Jakobiner ein gutes Nonnenkloster in diesem Königreich so lange und eifrig besuchte, bis er sein Ziel erreicht hatte, nämlich bei einer der Damen des Klosters zu schlafen. Und Gott weiß, ob er, als er dieses Gutes teilhaftig geworden war, sich fleißig und eifrig bei der, die er mehr als sonst etwas auf der Welt liebte, einfand. Und er setzte seine Besuche so lange fort, bis die Äbtissin des Klosters und mehrere Nonnen ihrer gewahr wurden, worüber sie sehr unzufrieden waren. Doch sagten sie, um Skandal zu vermeiden, kein Wort, auch nicht dem Mönch, sondern nahmen nur die fromme Nonne, die sich wohl zu entschuldigen wußte, gründlich ins Gebet. Die Äbtissin aber, die klar sah und sie durchschaute, erkannte alsbald an ihren Antworten und Entschuldigungen, an ihrem Benehmen und an gewissen Zeichen, daß sie schuldig war. Daher wollte sie Abhilfe schaffen und hielt um dieser Nonne willen alle andern kurz, ließ die Türen der Klostergebäude und anderer Räume fest verschließen, so daß der arme Jakobiner nicht mehr seine Dame sehen konnte. Ob er und sie auch darüber bekümmert waren, braucht man nicht zu fragen. Ich sage euch, sie dachten Tag und Nacht über Mittel und Wege nach, wie sie sich zusammenfinden könnten. Doch vermochten sie nichts zu finden, so wohl gab Madame, die Äbtissin, acht.

Nun geschah's eines Tages, daß eine der Nichten von Madame, der Äbtissin, sich verheiratete und ihr Hochzeitsfest in der Abtei gefeiert wurde. Es fanden sich dort viele Leute aus dem Lande ein, und Madame, die Äbtissin, war sehr damit beschäftigt, die ehrbaren Leute, die zum Fest gekommen waren, um ihrer Nichte Ehre zu erweisen, zu bewirten.

Da kam der gute Jakobiner auf den Gedanken, seine Dame aufzusuchen, vielleicht würde er so glücklich sein und sie treffen. Er kam, wie er sich's vorgenommen hatte, dorthin und fand wirklich, was er suchte; infolge der großen Menge Menschen und der Inanspruchnahme der Äbtissin und ihrer Wachen hatte er reichlich Zeit, seiner Dame sein Leid zu klagen und zu bedauern, daß ihre guten Tage vorüber waren; sie, die ihn sehr liebte, sah ihn gern, und hätte es in ihrer Macht gestanden, so hätte sie ihm einen andern Willkomm geboten.

Unter anderm sagte er zu ihr: »Ach, liebe Freundin, es ist schon lange her, wie Ihr wißt, daß wir nicht wie sonst miteinander gesprochen haben. Ich bitte Euch, wenn es möglich ist, mir Gelegenheit zu geben, Euch unter vier Augen zu sprechen, solange die Leute etwas anderes zu tun haben, als auf uns aufzupassen.«

»So wahr mir Gott helfe«, entgegnete sie, »ich wünsche es ebensosehr wie Ihr, lieber Freund. Doch weiß ich nicht Platz noch Ort, wo das sein könnte, denn alle Leute sind im Haus, und ich würde nicht in mein Zimmer kommen können, so viel Fremde, die zu diesem Fest kamen, sind im Kloster einquartiert. Ich will Euch aber sagen, was Ihr machen sollt. Ihr kennt doch den großen Klostergarten, nicht wahr?«

»Sankt Johann, ja«, entgegnete er.

»In der Ecke dieses Gartens«, erklärte sie, »liegt eine schöne Wiese, von starken, dichten Hecken umgeben, und in der Mitte steht ein großer Apfelbaum, der Schatten und Schutz gibt. Dorthin sollt Ihr gehen und mich erwarten. Und sobald ich entwischen kann, will ich mich beeilen und mich bei Euch so schnell als möglich einfinden.« Der Meister Jakobiner dankte ihr vielmals und erklärte, er werde geraden Weges dorthin gehen.

Nun müßt ihr wissen, daß ein junger, munterer Bursch, der auch zum Fest gekommen war, unfern von diesen beiden Liebenden stand und ihr ganzes Gespräch vernahm. Da kam ihm der Gedanke, da er die Wiese kannte, sich dort zu verstecken, um den Waffengang zu sehen, in dem sie sich messen würden. Er trat hervor und lief, so schnell ihn seine Füße tragen konnten, nach der Wiese, so daß er vor dem Jakobiner dort ankam. Sowie er dort war, kletterte er auf den schönen, breiten, astreichen, dicht mit Blättern und Früchten bedeckten Apfelbaum und verbarg sich da so gut, daß man ihn nicht leicht sehen konnte.

Es dauerte nicht lange, seht, da trottet der gute Jakobiner heran und sieht hinter sich, ob ihm wer folgt. Und Gott weiß, wie vergnügt er war, als er sich an diesem schönen Platz fand, und wie er sich hütete, die Augen zum Apfelbaum aufzuheben; denn daß dort oben jemand war, fürchtete er nicht im mindesten. Seine Augen gingen nur den Weg, den er gekommen war.

Er schaute so lange aus, bis er seine Dame eilig kommen sah. Sie war bald bei ihm, und sie bewillkommneten sich herzlich. Der gute Jakobiner legte seinen Mantel und sein Skapulier ab, küßte die schöne Nonne und drückte sie fest an sich. Nun wollten sie das tun, um deswillen sie zusammengekommen waren, und jeder machte sich bereit, und dabei sagte die Nonne: »Bei Gott, lieber Bruder Aubry, Ihr müßt wissen, daß Ihr heut mit einer Dame zu schaffen habt, die zu den schönsten unseres Ordens gehört. Ihr sollt selbst urteilen. Seht her, betrachtet diese Brüste, diesen Leib, diese Schenkel, und was es sonst noch gibt.«

»Wahrhaftig«, versetzte der Bruder Aubry, »liebe Schwester Johanna, ich sehe, es ist, wie Ihr sagt. Doch auch Ihr könnt sagen, daß Euer Liebhaber zu den schönsten Männern unseres ganzen Ordens gehört und so wohl wie kein anderer in diesem Königreich mit dem versehen ist, was ein Mann haben muß.« Und bei diesen Worten legte er die Hand an die Lanze, mit der er den Waffengang führen wollte, schüttelte sie, während er auf seine Dame sah, und sagte zu ihr: »Was sagt Ihr dazu? Was haltet Ihr davon? Ist er nicht schön? Ist er nicht ein schönes Mädchen wert.«

»Ganz gewiß«, entgegnete sie.

»Und nun sollt Ihr ihn haben.«

»Und ihr«, rief der über ihnen auf dem Apfelbaum, »sollt die schönsten Apfel haben.« Darauf packt er mit seinen beiden Händen die Äste des Baums und läßt auf die beiden und die Wiese viele Äpfel niederprasseln. Darüber erschrak Bruder Aubry in tiefstem Herzen und hatte kaum so viel Besinnung und Zeit, um die Kutte zu nehmen; dann aber lief er, ohne anzuhalten, aus Leibeskräften und hielt sich nicht eher für sicher, als bis er aus dem Kloster war. Und die Nonne, die ebenso oder vielleicht noch mehr als er erschrocken war, war kaum zu sich gekommen, als der Bursch vom Apfelbaum niedergestiegen war, sie bei der Hand nahm, am Fliehen hinderte und ihr sagte. »Liebe Freundin, so dürft Ihr nicht fort. Erst müßt Ihr den Obstpflücker bezahlen.« Da sie sich festgehalten und überrascht sah, erkannte sie, daß sie ihn nicht abweisen konnte, und war es zufrieden, daß der Obstpflücker tat, was Bruder Aubry kaum begonnen hatte.

 


 


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