Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
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70. Novelle
Das Horn des Teufels

Ein edler, weitgereister, in den Waffen erprobter, höflicher und mit allen löblichen Tugenden reich bedachter deutscher Ritter ward nach der Rückkehr von einer weiten Reise, als er in einem seiner Schlösser weilte, von einem seiner Untertanen, der in seiner Stadt wohnte, angegangen, als Pate sein Kind über das Taufbecken zu halten; dessen Mutter war gerade während der Rückkehr des Ritters niedergekommen. Die Erfüllung dieser Bitte ward dem Bürger bereitwillig zugesagt, und obwohl der Ritter in seinem Leben viele Kinder über das Taufbecken gehalten, hatte er doch niemals so wie jetzt auf die heiligen, vom Priester bei dem Mysterium dieses heiligen und würdigen Sakramentes gesprochenen Worte geachtet; sie schienen ihm, wie sie es auch in Wahrheit sind, von hohen göttlichen Geheimnissen durchdrungen. Nach der Taufe weilte er, da er ein höflicher und leutseliger Mann war, ohne im Schloß abzusteigen, damit ihn seine Untertanen sehen könnten, zum Essen in der Stadt, und der Pfarrer, sein Gevatter, und noch mehrere achtbare Leute leisteten ihm Gesellschaft; sie sprachen von allen möglichen Dingen, kamen von einem aufs andere, und schließlich begann der gnädige Herr das würdige Sakrament der Taufe höchlich zu preisen und erklärte, so daß es alle hören konnten, laut und deutlich: »Wenn ich wirklich wüßte, daß bei meiner Taufe die würdigen und heiligen Worte, die ich heute bei der Taufe meines jüngsten Täuflings hörte, gesprochen worden sind, würde ich niemals fürchten, daß der Teufel über mich Kraft und Macht gewänne, ja nicht einmal, daß er mich in Versuchung führen könnte, und ich würde mich enthalten, das Kreuzeszeichen zu machen; ihr müßt mich nur richtig verstehen, ich weiß sehr wohl, daß dies Zeichen genügt, den Teufel zu vertreiben, doch ich glaube, daß die bei der Taufe eines jeden Christen gesprochenen Worte, wenn sie so sind wie die, die ich heute hörte, alle Teufel aus der Hölle, und gäbe es ihrer noch so viele, zu verjagen imstande wären.«

»Gnädiger Herr«, antwortete darauf der Pfarrer, »ich versichere Euch bei meinem priesterlichen Wort, daß die nämlichen Worte, die heute bei der Taufe Eures Täuflings gesprochen wurden, auch bei Eurer Taufe gesagt worden sind. Ich weiß es genau, denn ich selbst taufte Euch und erinnere mich noch so genau daran, als wäre es gestern gewesen. Gott schenke Eurem Herrn Vater seine Gnade, er fragte mich am Morgen Eurer Taufe, was ich von seinem Jüngsten hielte. Die und die Leute sind Eure Paten, und die und die wohnten der Taufe bei.« Und er erzählte ihm ganz genau, wie es bei der Taufe zugegangen sei; und daß kein Wörtlein mehr oder weniger bei seiner Taufe als bei der seines Täuflings gefallen sei, versicherte er ihm auf das bestimmteste.

»Da dem so ist«, versetzte darauf der edle Ritter, »verspreche ich Gott, meinem Schöpfer, so fest wie nur je an dem heiligen Sakrament der Taufe festzuhalten. In keiner Gefahr, bei keiner Begegnung oder bei keinem Sturm, den der Teufel über mich bringt, werde ich das Kreuzeszeichen machen, sondern will ihn von mir treiben einzig und allein dadurch, daß ich an das Sakrament der Taufe denke, an dessen göttliches Geheimnis ich so fest glaube. Meiner Meinung nach ist es ganz unmöglich, daß der Teufel einem mit solchem Schilde bewehrten Mann schaden könnte, der, sofern er nur den wahren Glauben hat, keiner andern Hilfe bedarf, um sich seiner zu erwehren.«

Das Mahl ging vorüber, und nach ich weiß nicht wieviel Jahren weilte der wackere Ritter in einer guten deutschen Stadt, in die ihn einige Geschäfte geführt hatten, und quartierte sich im Wirtshause ein. Als er eines Abends nach dem Nachtmahl mit seinen Leuten plaudernd und scherzend beisammensaß, kam ihn das Bedürfnis an, zum Abtritt zu gehen; da seine Leute miteinander schwatzten, wollte er keinen der Unterhaltung entziehen, nahm eine Kerze und ging allein zum Abtritt.

Als er ihn betrat, sah er vor sich ein großes, schreckliches, scheußliches Ungetüm mit großen, langen Hörnern, die Augen leuchtender als Feuerscheite, die Arme dick und lang, die Klauen spitz und scharf - kurz gesagt, es war ein grauenerregendes Ungetüm und, wie ich glaube, ein Teufel. Und für einen solchen hielt ihn auch der gute Ritter, der anfangs über eine solche Begegnung recht erschrocken war. Trotzdem faßte er sich ein Herz und war entschlossen, sich tapfer zu verteidigen, falls er angegriffen würde. Und er erinnerte sich seines Gelübdes und des heiligen, göttlichen Mysteriums der Taufe.

Und in diesem Glauben ging er auf dies Ungetüm, das ich Teufel nenne, los, fragte es, was es sei und was es hier suche. Ohne ein Wort zu sagen, begann der Teufel ihn anzufallen und der gute Ritter sich zu verteidigen, dessen ganze Waffen, da er nur im Wams war, als wollte er zur Ruhe gehen, einzig seine Hände waren und der gute Schild, den ihm der feste Glaube an das heilige Geheimnis der Taufe gewährte. Der Kampf dauerte lange, und der gute Ritter ward von diesem harten Ansturm aufs äußerste ermüdet, doch deckte ihn sein Glaubensschild so gut, daß die Schläge seines Feindes ihm nur wenig schadeten. Als diese Schlacht wohl eine gute Stunde gedauert hatte, packte der gute Ritter den Teufel an den Hörnern, brach ihm eins ab und verprügelte ihn damit, obwohl er sich zur Wehr setzte, recht kräftig. Er gewann einen völligen Sieg über ihn und ließ ihn geschlagen zurück; dann ging er zu seinen Leuten, die sich noch wie vorher unterhielten und sehr erschraken, als sie ihren Herrn in diesem aufgeregten Zustande, Gesicht, Wams, Hemd, Hosen und was er sonst noch anhatte, zerkratzt, zerrissen, in Unordnung und ganz außer Atem sahen.

»Ach, gnädiger Herr«, riefen sie, »woher kommt Ihr nur, und wer hat Euch so zugerichtet?«

»Wer?« entgegnete er. »Der Teufel ist's gewesen, mit dem ich mich so lange geschlagen habe, daß ich ganz außer Atem und in diesen Zustand gekommen bin. Und ich versichere euch bei meiner Seele, er hätte mich wahr und wahrhaftig erdrosselt und verschlungen, hätte ich mich nicht meiner Taufe und des großen Geheimnisses dieses heiligen Sakramentes und meines ich weiß nicht vor wieviel Jahren abgelegten Gelübdes erinnert. Niemals, ihr dürft's glauben, habe ich dagegen gefehlt, denn in jeglicher Gefahr machte ich niemals das Kreuzeszeichen, sondern gedachte des obenerwähnten heiligen Sakramentes, verteidigte mich tapfer und kam mit heiler Haut davon, wofür ich unsern Herrn, der durch diesen trefflichen Schild des heiligen Glaubens mich so sorgsam behütet hat, lobe und preise. Wenn auch alle Teufel, soviel in der Hölle sind, kommen, ich fürchte sie nicht. Gelobt, gelobt sei unser gütiger Gott, der seine Ritter mit solchen Waffen auszurüsten weiß.«

Als die Leute dieses guten Herrn ihren Gebieter diese Geschichte erzählen hörten, waren sie sehr erfreut darüber, ihn wohlauf zu sehen, aber erstaunt über das Horn, das er dem Teufel aus dem Kopf gerissen hatte und ihnen zeigte. Und sie wußten nicht, was sie dazu sagen sollten, und kein Mensch später, der es sah, wußte, woraus es bestand, ob aus Knochen oder Horn wie andere Hörner, oder woraus sonst.

Nun erklärte einer der Leute des Ritters, er wolle sehen, ob dieser Teufel noch an derselben Stelle, auf der ihn sein Herr gelassen, weile, und wenn er ihn dort träfe, wolle er mit ihm kämpfen und ihm das andere Horn zu entreißen suchen. Sein Herr sagte ihm, er solle nicht dorthin gehen; der andere erklärte, er werde es doch tun. »Tue es nicht«, versetzte sein Gebieter, »die Gefahr ist allzu groß.«

»Das lasse ich mich nicht kümmern«, meinte der andere, »ich will hingehen.«

»Wenn du auf mich hörst«, entgegnete sein Herr, »gehst du nicht dorthin.«

Was man ihm auch sagte, er bestand auf seinem Willen und trotzte seinem Herrn. Er nahm eine Fackel und eine große Axt und ging an den Ort, wo sein Herr den Kampf bestanden hatte.

Was dort geschah, weiß man nicht, doch sein Herr, der um ihn besorgt war und ihm bald nachging, fand weder ihn noch den Teufel, und niemals mehr hörte man etwas von ihm. So wie ihr es gehört habt, kämpfte der gute Ritter mit dem Teufel und überwand ihn durch das heilige Sakrament der Taufe.

 


 


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