Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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56. Novelle
Die Falle

Es lebte jüngst in einer Stadt dieses Königreichs, im Herzogtum Auvergne, ein Edelmann, der zu seinem Unglück eine schöne, junge Frau geheiratet hatte. Was sie wert war, soll diese Geschichte berichten. Diese gute Demoiselle freundete sich mit einem Pfarrer an, der eine halbe Meile von ihr wohnte, und sie wurden so bekannt und vertraut miteinander, daß der gute Pfarrer stets die Stelle des Edelmanns einnahm, wenn dieser auswärts weilte. Die Demoiselle hatte ein Kammermädchen in ihr Geheimnis eingeweiht und schickte durch dasselbe oft Briefe an den Pfarrer und nannte ihm Ort und Stunde, zu der er sicher bei seiner Geliebten erscheinen könne.

Die Sache ward schließlich nicht so geheimgehalten, wie es für die Gesellschaft nötig gewesen wäre; denn ein Edelmann, ein naher Verwandter dessen, dem diese Schande angetan ward, erfuhr davon und setzte den, den es am meisten anging, so gut er wußte und konnte, davon in Kenntnis. Ihr könnt euch denken, daß der gute Ehemann, als er vernahm, daß sich seine Frau während seiner Abwesenheit von dem Pfarrer bedienen ließ, nicht sehr erfreut war, und hätte sein Vetter ihn nicht zurückgehalten, so würde er sogleich, nachdem er es erfahren, schreckliche Rache genommen haben. Doch war er es zufrieden, seine Absicht so lange, bis er sie beide auf frischer Tat ertappt hätte, aufzuschieben. Und er und sein Vetter beschlossen, eine Wallfahrt von vier bis sechs Meilen anzutreten und die Frau und den Pfarrer mit sich zu führen, um besser beobachten zu können, wie sich die beiden gegeneinander benähmen. Auf der Heimkehr von dieser Wallfahrt, während der der Herr Pfarrer seine Liebe, so gut es ging, bekundete, das heißt, ihr verliebte Blicke zuwarf und sich andere kleine Liebesscherze gönnte, ließ sich der Mann von einem Boten, den er dazu bestellt hatte, aufsuchen und die Nachricht bringen, er solle sich bei einem Herrn des Landes einfinden. Er tat, als wäre er darüber sehr unzufrieden und ginge nur ungern; gleichwohl dürfe er, da der gute Herr nach ihm geschickt habe, sich ihm gegenüber nicht ungehorsam zeigen. Daher schied er und ging von dannen, und sein Vetter, der andere Edelmann, erklärte, er wolle ihn begleiten, denn sein Haus läge ziemlich auf diesem Wege.

Der Herr Pfarrer und Mademoiselle waren nie vergnügter, als da sie diese Nachricht hörten. Nun berieten sie und beschlossen, der Pfarrer solle das Haus verlassen und sich verabschieden, damit niemand Argwohn gegen ihn schöpfe, um Mitternacht aber zurückkommen und bei seiner Dame auf dem gewöhnlichen Wege sich einfinden. Und nicht lange nach diesem Entschluß sagte unser Pfarrer Lebewohl und verließ das Haus.

Nun müßt ihr wissen, daß der Mann und der andre Edelmann, sein Verwandter, sich an einem Ort, den der Pfarrer passieren mußte, versteckt hatten; er mußte hier durchkommen, er konnte nicht anders gehen, ohne vom rechten Wege allzu weit abzuweichen. Sie sahen unsern Pfarrer vorüberkommen, und das Herz sagte ihnen, er würde in der Nacht nach dem Ort, den er verlassen hatte, zurückkehren; und das war auch seine Absicht. Sie ließen ihn vorüberziehen, ohne ihn anzuhalten und ihm ein Wort zu sagen, und kamen auf den Gedanken, mit Hilfe einiger Bauern, die ihnen darin Beistand leisteten, eine feine Falle zu stellen. Diese Falle wurde schnell, schön und gut gemacht, und es währte nicht lange, da fing sich ein vorüberstreichender Wolf in ihr. Bald danach, seht, kommt der Herr Pfarrer in kurzem Kleid und den hübschen Sauspieß über die Schulter geworfen. Und als er an die Falle kam, fiel er hinein und fand sich bei dem Wolf, worüber er sehr erschrocken war. Und der Wolf, der zu entwischen versucht hatte, fürchtete sich nicht weniger vor dem Pfarrer als der Pfarrer vor ihm.

Als unsere beiden Edelleute den Pfarrer bei dem Wolf einquartiert sahen, freuten sie sich über alle Maßen, und es sagte der, den es am meisten anging, der Pfarrer solle nicht mehr lebend aus der Grube kommen, er würde ihn darin töten. Der andere tadelte ihn ob dieser Absicht und wollte nicht in des Pfarrers Tod willigen; doch wäre er sehr damit einverstanden gewesen, wenn man jenem seine Schamteile abgeschnitten hätte. Der Mann aber wollte ihn töten. Und sie stritten sich lange Zeit, während sie den Anbruch des hellen Morgens erwarteten.

Während sie seiner harrten, wußte Mademoiselle, die auf ihren Pfarrer lauerte, nicht, was sie von seinem langen Zögern denken sollte, und kam auf den Gedanken, ihr Kammermädchen ihm entgegenzuschicken, um ihn zur Eile anzutreiben. Als das Kammermädchen nach dem Hause des Priesters seines Weges zog, kam es an die Grube und fiel, wie der Wolf und der Pfarrer, hinein. Wer darüber erschrak, war das Kammermädchen, als es sich bei dem Wolf und dem Pfarrer in der Grube befand.

»Ach«, rief der Pfarrer, »ich bin verloren, und mein Handel ist entdeckt. Irgendein Mensch hat uns in diese Falle gejagt.«

Der Mann und der andre Edelmann, sein Vetter, hörten und sahen alles und freuten sich von ganzem Herzen darüber; und als hätte es der Heilige Geist ihnen offenbart, dachten sie sich, die Herrin würde wohl dem Kammermädchen folgen, zumal sie von ihm hörten, seine Gebieterin hätte es zu dem Pfarrer geschickt, um zu erkunden, weshalb er über die von ihnen beiden verabredete Stunde ausbliebe. Als die Frau den Pfarrer und das Kammermädchen nicht zurückkehren und den Tag nahen sah, argwöhnte sie, das Kammermädchen und der Pfarrer täten irgend etwas, was ihr nicht recht sein würde, sie könnten sich in einem kleinen Wäldchen (das gerade dort lag, wo die beiden Edelleute die Grube gemacht hatten) begegnet sein; und sie beschloß, nach ihnen Umschau zu halten und zu sehen, wo sie blieben. Und sie zieht nach der Wohnung des Pfarrers ihres Wegs und, wie sie an die Grube kommt, fällt sie wie die andern hinein.

Man braucht nicht zu fragen, wer von dieser Gesellschaft, die sich beisammen sah, am meisten erschrocken war; und jeder bemühte sich nach besten Kräften, aus der Falle zu kommen. Doch umsonst. Sie alle sahen Tod und Schande vor Augen. Die beiden, die die Falle gestellt hatten, nämlich der Mann der Demoiselle und der andere Edelmann, sein Vetter, kamen an den Rand der Grube, grüßten die Gesellschaft und sagten, sie sollten nur vergnügt sein und ihr Frühmahl halten. Der Mann, der darauf brannte, seine Rache zu nehmen, wußte seinen Vetter zu entfernen, indem er ihn nach ihren Pferden, die in einem ziemlich nahe gelegenen Hause untergebracht waren, zu sehen bat; und während er seiner ledig war, trug er eine Menge Stroh zusammen, warf es in die Grube und zündete es an. Und nun verbrannte die ganze Gesellschaft, Frau, Pfarrer, Kammermädchen und Wolf. Und er ging außer Landes, nachdem er den König um seine Entlassung gebeten und sie auch leicht erhalten hatte. Einige Leute erklärten, der König hätte sagen müssen, es sei nur schade um den armen Wolf gewesen, der mit verbrannte und doch für die Schuld der andern nichts konnte.

 


 


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