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Joseph Maria Lutz (geb. 1893)

Weib

Ich habe Augen, ein funkelndes Paar,
Und ein Herz, so pochend und heiß,
Hab rote Lippen und nachtlockig Haar
Und Arme so warm und so weiß.

Ich gebe Glück und nehme Glück:
Komm, Knabe, ich bin dir hold;
Heut sei ein lachender Augenblick
Des Lebens mit dir vertollt.

Doch morgen vergiß mich und sei einer treu,
Die dumm ist und Treue hält –
Ich liebe den Mai, einen sonnigen Mai,
Und liebe die lachende Welt.

Drum weine nimmer und denk nicht an mich:
Heut sind wir glücklich all beid
Und heute, heute lieb ich dich
Mit fiebernder Seligkeit...

Ich habe Augen, ein funkelndes Paar,
Und ein heißes Blut, und bald
Umschlingt dich in irrem Taumel mein Haar,
Und mein Herz ist so heiß und – so kalt.

(Originalbeitrag)

Sittlichkeit

Sie lassen wohl grabe noch Blümlein blühn
Und die Vöglein paarweis zum Neste ziehn
In der staatlich genehmigten Zeit im Mai.
Aber – wenn höhere Tiere sich galten
Oder die Menschen – –! Nein, Sie gestatten.
Das ist ja doch schon Schweinerei.

Sie sprechen von Liebe (selbstredend nur
In höherem Sinn und gebührlich),
»Errötend folgt er ihrer Spur« –
Alles andere ist schon »widernatürlich«.
Man tut das, was man nie bespricht,
Höchstens aus staatlicher Ehepflicht.

Sie schwärmen von Griechen- und Römertum
Wie man es hört im Gymnasium;
Von Schönheit haben sie keinen Dunst.
Und was man manchmal an Nacktem sieht –
Huch nein, man war ja so gerne prüd.
Aber leider ist es »alte Kunst«.

Wenn aber heute einer was malt
Oder läßt sich gar ein Wort entgehn
Von Sachen, die auch in der Bibel stehn,

Dann schreit die ganze Spießerbrut:
Huch, Deutschland ist verunmoralt –
Pfui, nein – (wenn mans auch selber tut).

Und so geht in Deutschland auf jedem Schritt
»Gesundes« Volksempfinden mit.
Das sich ins Gegenteil verkehrt,
Wenns niemand sieht und keiner hört.
Wer aber Wahrheit menschlich bekannt,
Der wird als Hexe und Ketzer verbrannt.
Dieweilen kriecht im Heiligtum
Schleimiges Muckerpack herum.

Und so ist der Weisheit letzter Schluß,
Der logisch gezogen werden muß:
Entweder ist all das Schmutz und Übel,
Dann aber auch alles: auch Blume und Bibel,
Dann weist das kein Pfaffenwort von der Hand,
Auch nicht im »heiligen« Ehestand;
Oder – all das ist Schönheit und Reine –
Dann sind nur jene dreckige Schweine,
Welche mit Lügen und Vermummen
Unser Volk verdummen.

(Originalbeitrag)


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