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Edmund Wengraf (geb. 1860)

Immer neue Süßigkeiten

Küssen ist zu allen Zeiten,
Teils vergnüglich, teils gesund,
Immer neue Süßigkeiten
Bietet solch ein lieber Mund.

Ob er nun in Kampfesfreuden
Sich zur Kußattacke spitzt,
Oder wartet still bescheiden,
Bis des Gegners Klinge blitzt,

Ob die Lippen sich verschließen,
Oder frei entgegenblühn,
Ob die Zähnchen mitgenießen,
Oder scheu zurück sich ziehn,

Ob die Zunge mit im Spiele,
Oder nur soufflierend wirkt,
Ob der Aufruhr der Gefühle
Vorbricht oder sich verbirgt,

Ob der Kuß ein gern erlaubter,
Lang gedehnt und sorgenfrei,
Oder obs ein kurz geraubter,
Ängstlich nur erwidert sei –

Küssen bleibt zu allen Zeiten
Teils vergnüglich, teils gesund,
Immer neue Süßigkeiten
Bietet solch ein lieber Mund.

Gesellschaftsabend

Ich war gestern in Gesellschaft, mein Schatz,
Hatte neben der Hausfrau den Ehrenplatz,
Es war alles sehr nobel, alles sehr fein.
Vortreffliche Speisen und teuerster Wein.

Zur Rechten die Hausfrau – sehr voluminös!
Eine andre zur Linken – auch diese war bös.
Sehr breit war sie unten und oben sehr feist,
Und vollgestopft war sie mit Bildung und Geist.

Charybdis und Szylla, ist das nicht ein Pech?
Sehr anstrengend war das Tischgespräch,
Vor lauter Geist tat der Maqen mir weh,
Es war beinah schad um das schöne Souper.

Nach dem Essen setzten sie sich zum Spiel,
Du weißt, ich verstehe davon nicht viel.
Ich spielte nicht mit, ich kiebitzte nur
Und sah verstohlen sehr oft auf die Uhr.

Dann fuhren sie alle in Autos nach Haus,
Ich ging allein in den Schnee hinaus.
Es war eine prächtige Winternacht,
Auf dem Heimweg hab ich an dich gedacht.

Ich beneide die reichen Leute nicht.
Ich sehn mich in fremde Häute nicht.
In der eigenen Haut ist mein liebster Platz,
Besonders wenn deine Haut nah ist, mein Schatz.

Geständnisse

Drei Mädchen sprechen vertraulich
Von Liebesfreude und -gram
Und erzählen sich erbaulich,
Wies war und wie es kam.
Sie flüstern sich in die Ohren,
Was jede interessiert:
An wen hast du verloren,
Was man nur einmal verliert?

Errötend gesteht Adele:
»Er war sehr blond und schlank,
Ein Jüngling von zarter Seele,
Die Sehnsucht machte ihn krank.
Er lag zu meinen Füßen
Und sprach mit bebendem Mund:
Adele, mit deinen Küssen
Machst du mich wieder gesund.«

»Auch meiner sagte das gleiche,«
Bekannte Helene mit Schmerz,
»Wie drang die zitternde, weiche,
Betörende Stimme ins Herz.
Auch er war ein zarter Junge,
Auch er war schlank und blond.
Ich hätte, sprach er mit Schwunge,
Sein dunkles Leben durchsonnt.«

Mathilde ruft: »O Wunder!
Auch meiner war blond und schlank
Und wurde durch mich gesunder
Und sonniger, Gott sei Dank.
Wenn ihr ihn gesehen hättet,
Die zarte Jünglingsgestalt –
Ich hätt ihm das Leben gerettet.
So schwor mein Theobald!«

Adelen sowie Helenen
Entringt sich da mit Gewalt
Ein Ach, ein Oh, ein Stöhnen,
Ein Aufschrei: Theobald!
Und rot bis über die Ohren
Erkennen die drei chokiert:
Sie haben an Einen verloren.
Was man nur einmal verliert!

Diskretion

Sie kam – sehr blaß, erregt, nervös –
Nach einer kurzen Debatte
Verliefs aber dem Programm gemäß,
Das ich entworfen hatte.
Sie ließ es an kleinem Widerstand
Und großen Worten nicht fehlen –
Wie ich das alles überwand,
Das werd ich euch nicht erzählen.

Man siegt nicht gleich im Anlauf schon,
Doch siegt man schließlich und endlich,
Das war nach der ganzen Situation
Doch eben nur selbstverständlich.
Sie kam zur Niederlage bereit,
Und mußte es doch verhehlen –
Die nähern Details – es tut mir leid –
Die werd ich euch nicht erzählen.

Ihr Abendkleid war von Geschmack,
Doch nicht von starrer Strenge,
Sie kam, auch ohne heiße Attack,
Von selber ins Gedränge.
Sie ließ sich nun, auf bessere Art
Ein Stück nach dem andern stehlen –
Was Hübsches dabei sichtbar ward,
Das werd ich euch nicht erzählen.

Wir sprachen zart, wir sprachen fein
Von Liebe und Glückverlangen,
Doch alles, was sinnlich und gemein,
Das wurde übergangen.
Es war, ich hoffe, es ist euch klar –
Ein Rendezvous der Seelen –
Und was dabei mehr leiblich war,
Das werd ich euch nicht erzählen.

Was sie uns verbieten wollen

Sei deines Lebens kluger Verwalter,
Ist doch das Leben dein bestes Gut!
Der erreicht ein fröhliches Alter,
Der, was die Ärzte verbieten, tut.

Sagen sie dir: du sollst nicht trinken,
Trinke nur alles, was dir schmeckt,
Wenn dionysische Freuden winken,
Mundet der Grinzinger gut wie Sekt.

Sagen sie dir: du sollst nicht rauchen,
Hülle dich wie ein Schlot in Rauch,
Kannst du keine Havanna schmauchen,
Tuts ein mindrer Glimmstengel auch.

Sagen sie dir: du sollst nicht lieben,
Freue dich munter am Minnespiel,
Venus ist keine böse Sieben,
Sieben zugleich ist nicht zuviel.

Thermometriere nicht deine Genüsse,
Leb nicht Rezepte, leb ein Gedicht!
Becher und Zigaretten und Küsse
Nimmt man, aber man zählt sie nicht.

Taktik

Wenns nur bei heißen Erklärungen bliebe,
Das wär vergebliche Liebesmüh –
Als ich ihr sagte, daß ich sie liebe.
Da lachte sie.

Als ich ihr sagte, das alles wäre
Natürlich nichts als ein schlechter Spaß,
Und daß mein Herz einer andern gehöre –
Da wurde sie blaß.

Als ich ihr sagte, sein Herz zu verlieren,
Sei überhaupt schon lang aus der Mod,
Ich hielte es immer mit drein oder vieren –
Da wurde sie rot.

Als ich ihr sagte, und wenn ich auch brennte,
So wäre doch sie es keinesfalls,
Die meine Sinne entflammen könnte –
Da fiel sie mir um den Hals.

Wie er sein soll

Ich weiß es: jede hat ihn, jede zeigt ihn,
Ihn zu verbergen ist auch gar kein Grund,
Die eine hebt ihn mehr, die andre neigt ihn,
Und jede wuchert gern mit ihrem Pfund.
Auch du hast einen, meine liebe Kleine,
Wie jede jüngre Dame einen hat –
Halt ihn nur fest, laß ihn nicht von der Leine,
Laß ihn nicht lose flattern durch die Stadt!

Es ist nicht hübsch, wenn er nach beiden Seiten
So hin und her schlappt ohne Rand und Band,
Man muß ihm einen festen Halt bereiten,
Man muß ihn kultivieren mit Verstand.
Bei mancher Dame geht er aus den Fugen,
Die andre aber hält ihn glatt und fest,
Man sieht daraus, daß er von einer klugen
Besitzerin sich leicht bezähmen läßt.

Natur ist freilich nicht zu unterjochen,
Bald ist er groß geformt, bald ist er klein,
Umkleidet er zum Beispiel breite Knochen,
Kann seine Biegung keine schmale sein.
Doch kommt es sehr drauf an, wie man ihn zügelt,
Ob Derbheit ihn regiert, ob zarter Sinn,
In seiner Form, in seiner Haltung spiegelt
Sich die Korrektheit der Besitzerin.

Wenn er bei jedem Schritte fliegt und wackelt,
So sprichts für Lässigkeit und wenig Schliff,
Er darf nicht protzen und nicht aufgetakelt
Hersegeln wie ein schwer beladnes Schiff.
Nicht zu viel Wellen! Nicht zu aufgeblasen!
Er braucht nicht majestätisch auszusehn –
Ich seh nicht gern in breitgeschweiften Vasen
Den schlanken Blütenstrauß des Frühlings stehn.

Ob er nun stillhält oder ob er flüchtig
Dahineilt, ruhig sei sein Linienspiel!
Wie du ihn trägst, mein Kind, so ist es richtig,
Gerundet, nicht zu wenig, nicht zu viel;
So hübsch oval, und mehr ist nicht vonnöten,
Er muß nicht breit sein wie ein Henkeltopf –
Was hast du, Kind? Du brauchst nicht zu erröten.
Ich sprech ja nur von deinem Bubikopf.

Das Jüngste Gericht

Der Tag des Jüngsten Gerichtes war,
Da stand er als armer Sünder,
Und gegen ihn stand eine ganze Schar
Verlassener schöner Kinder;
Und alle zeugten sie wider ihn
Und seine ruchlosen Taten.
Und alle zeterten, alle schrien:
Er hat uns treulos verraten!

Da sprach ein blondes, niedliches Ding:
»Er hat mir die Ehe versprochen,
Und kaum ein halbes Jahr verging,
Hat er den Schwur gebrochen.«
Und eine schlanke Brünette rief:
»Er liebte mich, bis ich verführt war,
Dann schickte er mir den Abschiedsbrief,
Der nicht einmal rekommandiert war!«

Und eine Dritte und Vierte kam
Und eine Fünfte und Sechste
Und jede erzählt, wie er ohne Scham
Sie köderte und behexte.
Die Zehnte, die Zwölfte – ich weiß nicht genau
War auch schon einvernommen –
Zuletzt ist eine energische Frau
Mit gelblichem Teint gekommen.

Sie sagte: »Er ward in Sünden grau –
Ich aber, ich habe diesen
Entgleisten als seine Ehefrau
Auf den Pfad der Tugend verwiesen.
Bei mir verlor er den letzten Rest
Seines lästerlichen Humores,
Ich machte ihn klein, ich hielt ihn fest,
Den Kerl, ich lehrte ihn Mores!«

Da scholl die Posaune des Jüngsten Gerichts,
Eine Stimme sprach von oben:
»Die Laufbahn dieses Bösewichts
Zeigt reichliche Lasterproben.
Er war für die Liebe sehr begabt,
Doch auch für das Eheleben –
Und weil er diese Frau gehabt,
Sei ihm alles andre vergeben!«

Das Wundertier

Wer – von allem, was da wandelt
Mühbeladen, sorgenalt,
Wird am schlechtesten behandelt,
Wird am schlechtesten bezahlt?
Wessen Arbeit ist die größte?
Wessen Lohn bleibt immer klein?
Wer schleppt eine nie gelöste
Kette friedlos und allein?

Wer darf nimmer ruhn und rasten?
Wer muß wie ein Uhrwerk gehn?
Wer verurteilt sich zum Fasten,
Um die andern satt zu sehn?
Wer als Erster grüßt den Morgen?
Wer als Letzter löscht das Licht?
Wer trägt still die leichten Sorgen
Und entrinnt den schwersten nicht?

Wer hat, um sich selbst zu pflegen.
Niemals Zeit, ist niemals krank?
Wer hat für sein emsig Regen,
Für sein Mühen niemals Dank?
Wer sieht brummige Gesichter,
Wenn er weidlich sich geplagt,
Und läuft dennoch nie zum Richter,
Wenn man ihm den Lohn versagt?

Wer darf niemals Urlaub nehmen,
Wenn der müde Leib auch wankt?
Wer muß jeden Trieb bezähmen,
Der nach Eigenlust verlangt?
Wem ist Opfern und Verzichten
Eine Freude tief und echt?
Wer tut schweigend seine Pflichten
Und fragt nie nach seinem Recht?

Wer ist Koch und Stubenfeger,
Hart für sich, für andre weich,
Stiefelputzer, Krankenpfleger,
Leib- und Seelenarzt zugleich?
Wer ist Schneider, wer ist Flicker?
Rechnungsführer und Kassier?
Pädagog und Strümpfestricker?
Tausendkünstler, Wundertier?

Wer kann alles? Wer tut alles?
Wer robottet, schleppt und zieht
Gleich dem Haustier deines Stalles,
Doch mit mindrem Appetit?
Frag sie doch, die früh Ergraute,
Frag sie, guter Mann und Christ,
Obs nicht deine angetraute,
Deine brave Hausfrau ist!


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