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Julius Stettenheim (1831–1916)

Eva

Die Erde war nun fix im Rollen,
Und alles stand an seinem Platz,
Geschaffen eben aus dem Vollen;
Vom Aar herunter bis zum Spatz,
Vom Mastodon bis zu den Sporen,
Vom Elefanten bis zur Maus
Fühlt alles sich wie neugeboren
Und sah recht frisch und munter aus.
So tummelte sich denn im Grünen,
Was in dem Brehm beschrieben steht,
Nur Eva war noch nicht erschienen,
Sonst war die Schöpfung ganz komplett.
Und um von Adam auch zu reden:
Längst auf der Erde war auch er –
Da ging er nun im Garten Eden
Wie eine Schildwach hin und her.
Was hat er nur? Sollt ihm was fehlen?

Ihm fehlte was, man sahs ihm an;
Es schien ihn etwas sehr zu quälen,
Und hörbar seufzt er dann und wann.
Auch lacht er wohl zuweilen bitter,
Kein Zweifel, ihn macht was nervos,
Auf seiner Stirn lag ein Gewitter,
Und das brach endlich also los:

»Wo bleibt sie nur? Mir wird ganz bange.
Was hält sie auf? Es ist doch toll!
Neugierig bin ich nur, wie lange
Ich hier umsonst noch warten soll.
Sie ist nicht fertig augenscheinlich.
Warum nicht fertig? da ich doch
Längst auf dem Posten bin. Wie peinlich!
Es bringt mich zur Verzweiflung noch!
Die Zeit will gar nicht von der Stelle
Und fließt doch sonst so eilig hin,
Das Paradies wird mir zur Hölle,
So wahr der erste Mensch ich bin!«

Wie nun der Arme, schon verzagend,
Vor Zorn kaum noch sich ärgern kann,
Da kommt sie endlich, freundlich fragend:
»Bin ich nicht pünktlich, lieber Mann?«

So Eva in des Edens Garten –
Seit jener Stunde aber ließ
Gar manches Weib den Gatten warten
Und meint, sie käme sehr präzis.


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