Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Epigrammatisches

1.
(1848.)

              Oft glaubt' unter hundert närrischen Leuten
Ich – der Gescheite ganz allein,
Oder unter hundert Gescheiten
Ich – der alleinige Narr zu sein.

 
2.
(1860.)

      Was ich fühlt' im jungen Busen,
Hüllt' ich lebhaft einst in Verse;
Treulos zeigen, ach, die Musen
Mir, dem Alten, jetzt die Ferse!

Vergangenheit – verschollen,
Die Gegenwart – verquollen!
Die Zukunft? – ach, wer sagt's?!
Wers Rechte will, der wagt's.

 
3.
(2. Februar 1870.)

        Das Herz wird kalt, der Kopf wird schwach,
Bald tut die Hand es beiden nach;
Und was sie sonst Selbeignes hatten,
Wird nach und nach zum schwachen Schatten.

 
4.
(1870.)

        Ich passe nicht mehr für die Zeit,
Drum, dacht' ich mir, sei es gescheit,
Zu gehen ohne Beschwerden,
Statt barsch – gegangen zu werden.

 
5.
(1870.)

        Drei Viertel grau, ein Viertel weiß,
So steht's mit meinen Haaren –
Drei Viertel flau, ein Viertel heiß,
So möcht' ich's lang' noch wahren.

 
6.
(1870?)

              Ich bin ein abgetakeltes Schiff,
Eine in Skat gelegte Karte,
Ein Stein mit matt gewordenem Schliff,
Weiß nicht, worauf weiter ich warte!

Hab' manches Gute gewollt, getan,
Manch Böses vermieden, verhütet,
Bald steh' ich nunmehr am Ende der Bahn:
Was hat mir den Schaden vergütet.

 
7.
(1870?)

        Du treibst dahin im Strome der Zeit;
Nimm dich in acht vorm Ertrinken;
Ich wat' im Schlamm der Vergangenheit,
Mir ist, als müßt' ich versinken.

 
8.
(1870?)

    Wer kein Original erschwingt,
Befriedigt sich mit Kopien,
Wer nicht zum Ideal es bringt,
Beguügt sich mit – Utopien.

 
9.
(19. August 1872.)

                  Was mich freut, das ist mein Schnurrbart;
Er ist noch das einz'ge Feld,
Das mein Fleiß mit Lust beurbart
Und im guten Stand erhält;
Er bewahrt mich vor Ekstase,
Vor der Eitelkeit der Welt,
Weil er stets mir vor die Nase
Seine graue Weisheit hält.

 
10.
(1872.)

        Urkatholik möcht ich mich nennen,
Nicht Neu, nicht Alt erkenn' ich an,
Als eins nur kann ich mich bekennen:
Als Gottes treuesten Untertan.

 
11.
(10. Jänner 1873.)

        Auf meiner langen Fahrt durchs Leben,
Hatt' ich so manches aufzugeben –
Doch einen Verlust verschmerz ich nie,
Abhanden kam mir die – Poesie!

 
12.
(15. Februar 1873.)

              Jetzt, wo dem Greis die Zeit so rasch entgleitet,
Das Jahr im Flug an mir vorüberschreitet,
Jetzt dank' ich's jedem ganz vergnügt,
Der um ein Stündchen mich betrügt.

 
13.
(5. März 1873.)

        Die wahre Herzenspoesie,
Sie ist erdrückt, verdorben;
Wer nur gelebt in ihr, durch sie,
Der ist mit ihr gestorben.

 
14.
(19. Juli 1874.)

        Das Dichten war' mir ganz angenehm,
Doch das Versmachen ist mir unbequem;
Könnt' ich so fertig hinaus es schütten,
Wie's steht in des Kopfs und des Herzens Mitten,
Das wär' mir, wie sonst, eine wahre Lust,
Erleichterung für die beengte Brust;
Will's aber nicht frisch aus der Quelle fließen,
Ist's besser, die Schleuse ganz zu verschließen.

 
15.
(23. August 1874.)

        Da ruhn sie, Pack an Pack gereiht,
Ergießungen der Seele,
Wie prüft' ich sorgsam Zeit für Zeit,
Ob ja kein Blättchen fehle,
Nun wächst die Last mir übern Kopf,
Sie drückt mich fast zusammen,
Und stöhnend werf' ich armer Tropf
Mein Liebstes – in die Flammen.

 


 


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