Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Totenklage

Übersetzung eines französischen Volksliedes aus dem Korsischen

        Seht, da liegt sie, meine Tochter,
Sechzehn Sommer alt,
Nach so vielen schweren Leiden,
Auf dem Brette, kalt.

Liegt in ihren schönsten Kleidern,
Reisefertig, still,
Weil der Herr uns hier nicht länger
Mehr sie lassen will.

Ach, wie wird um so viel schöner
Nun der Himmel sein!
Aber ach, wie groß auf Erden
Meine Herzenspein!

Sein wird mir ein Tag, was andern
Tausend Jahre sind,
Wenn ich täglich alle frage:
»Sagt, wo ist mein Kind?« –

Tod, warum die Tochter reißen
Von dem Schoße mir?
Tod, warum allein mich lassen,
Um zu weinen hier?

Sag, was soll ich tun hiernieden?
Was beginnen? Sag,
Wenn ich, ach, sie nimmer habe,
Die mich trösten mag?!

Unter Vettern, unter Nachbarn
Ohne Herz und Dank,
Sag, wer trocknet mir die Stirne,
Wenn ich schwach und krank?

Sag, wer ist, der auf die Zunge
Labend Naß mir preßt?
Wer, der, wenn der Tod sich meldet,
Mich nicht sterben läßt?

 


 


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