Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Das Blumenmädchen

        »Maiblumen!« ruft ein schönes Kind,
Selbst Blume noch im Mai,
»Maiblumen kauft, – noch sind sie frisch,
Bald ist's damit vorbei;
Wie schön sie sind, und über Nacht
Ist all ihr Glanz verglüht,
Und niemand sieht es ihnen an,
Wie schön sie erst geblüht!« –

Ihr hört ihr wohlberechnet Wort
Und blickt ihr ins Gesicht,
Und denkt, ob der Verkäuferin,
Fast an die Ware nicht.
Und unwillkürlich sprecht ihr's nach;
»Ja, Blumenreiz verglüht,
Und niemand sieht es ihnen an,
Wie schön sie erst geblüht!« –

»Schön Dank!« darauf, dann hüpft sie fort,
Das liebe, holde Kind,
Noch ist ihr Auge rein und hell
Und ihre Wange lind;
Doch Schönheit ist der Blume gleich,
Ein Hauch, – und sie versprüht,
Und niemand, – niemand sieht ihr's an,
Wie schön sie erst geblüht.

Wie schade, daß solch schönem Bild
Kein schönrer Rahmen ward,
Daß solchen edlen Flor nicht pflegt
Ein Gärtner bessrer Art!
Ein Frost vielleicht zerstört die Form,
Ein Mehltau dies Gemüt,
Und niemand, – niemand sieht ihr's an,
Wie schön sie erst geblüht. –

Und Jahre kommen, Jahre gehn,
Ach! Jahre gehn so schnell,
Und wo ihr rasch einst hingetanzt,
Da schleicht ihr matt zur Stell';
Und euer Haar ist schon bereift
Und euer Aug' verglüht,
Und niemand, – niemand sieht euch an,
Wie frisch ihr einst geblüht.

Da wankt mit einem Blumenkorb
Ein Mütterchen und ruft:
»Maiblumen kauft, noch sind sie frisch,
Doch bald verraucht ihr Duft;
Wie schön sie sind, und über Nacht
Ist all ihr Glanz verglüht,
Und niemand sieht es ihnen an,
Wie schön sie einst geblüht!« –

Ihr horcht, ihr kennt das Sprüchlein noch,
Das einst ein Mädchen sprach;
Ihr kauft und überhört den Dank
Und blickt ihr sinnend nach.
Welch Maß für euch: sie – einst so frisch –
Und jetzt so altersmüd',
Und niemand – niemand sieht ihr's an,
Wie schön sie einst geblüht! –

 


 


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