Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Mac-Gregors Nachtritt

        Mac-Gregor reitet durch Sturm und Nacht, –
Da bäumt sich des Reiters Rappe mit Macht:
»Hei, Rappe, willst weiter! Was steigst du empor?
Was sperrst du die Nüstern und spitzest das Ohr?« –

Das Roß steht auf einem Grabe wohl, –
Draus dröhnt es so zürnend und dröhnt es so hohl:
»»Halt, Reiter! – Kaum lag hier verscharrt mein Leib,
So hast du gewaltsam gefreit mein Weib!

Halt, Reiter! – Ich habe zu rechten mit dir,
Was schlägst du mein Weib, mein getreues, mir?
Was raufst du es wund, wenn es Tränen mir schenkt,
Und mein vorm Entschlummern allnächtig gedenkt?

Halt, Reiter! – Und hast du dein Herz nicht erweicht,
Und weint sie noch einmal das Polster sich feucht,
So such' ich zusammen mein schlotternd Gebein,
Und hol' dich zur nächtlichen Zwiesprach' ein!««

Der Tote schweigt; der Rappe reißt aus,
Und rennet durch Nacht und Sturm nach Haus:
Der Reiter aber steckt tief im Hut
Und nähret im Herzen die grollende Wut.

»Ei, Weibchen! – die Toten empörst du zum Streit;
Lass', Weibchen, – die Toten sind friedliche Leut':
Bad' immer in Tränen das Polster dein,
Heut sollen es blutige Tränen sein!

Dich freit' ich, so wähnest du, törichte Maid?
Dein frisches Gesichtchen, das hab' ich gefreit:
Und Weinen entstellt ein frisches Gesicht,
Und willst du nur weinen, so brauch' ich dich nicht!«

Vom Rappen springt er, – und pocht und pocht, –
Doch still ist's im Haus; – er schäumet und kocht; –
Und sprengt die Tür, und stürmt auf sein Weib,
Und furcht ihr mit Striemen den schlummernden Leib.

Sie ruhet aber und reget sich nicht,
Kein Weinen entstellt ihr das schöne Gesicht;
Und ihr langes goldiges Lockenhaar
Dient ihr zur goldig glänzenden Bahr.

Mac-Gregor sieht es und spottet und lacht
Und reitet hinaus in die finstere Nacht:
Da sammelt der Tote sein schlotternd Gebein,
Und holt den Mac-Gregor zur Zwiesprach' ein. –

 


 


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