Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Die Nachtfahrt des Verbannten

        Durch ferne Meere steuert
Ein einsam Schiff daher,
Ein Mann sitzt auf dem Verdecke,
Und schaut hinaus aufs Meer.

Der Mann ist ein Verbannter,
Doch sitzt er ruhig und sinnt,
Und schaut, wie die Wolken ziehen,
Und schaut, wie der Schaum zerrinnt.

Hier grüßt er weiße Klippen,
Ein grünes Eiland dort;
Jetzt kreist eine Möw' um den Wimpel.
Jetzt lauert ein Hai um den Bord.

Dort taucht es aus fernem Süden
Wie schneeige Gipfel empor,
Dort rudert ein Fischerkanot
Aus felsichter Bucht hervor. –

Das alles sieht der Verbannte,
Das alles spricht ihn so an,
Daß er darüber die Heimat
Bei Tag wohl vergessen kann.

Doch wenn die Nacht gesunken,
Und wenn er allein so sitzt,
Und sternenbesäet der Himmel
Auf ihn herunterblitzt;

Und wenn er sie sucht am Himmel,
Die Sterne, so wohlbekannt,
Die einst ihm als Kind geleuchtet
Im lieben Vaterland;

Und wenn ihm so fremd ist alles,
Was droben flimmert und zieht,
Und wenn er in anderem Rahmen
Ganz andere Bilder sieht; –

Da faßt ihm die zitternde Seele
Ein Sehnen riesengroß,
Da fühlt er so ganz sich einsam,
So ganz sich heimatlos.

Da starrt er so tränenschauernd
Aufs schlummernde Meer hinaus,
Und seufzt; »Ach wär' ich da unten,
So wär' ich doch wieder zu Haus!«

 


 


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