Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Mein Frühlingslied

Im Mai 1823

              Mein Herz ist froh, mein Aug' ist licht,
    Und wen'ge sind mir gleich;
Drum ruf ich's laut, und rief ich's nicht:
    Mein Aug' verriet es euch;
Und daß ich sing von meiner Lust,
    Das hat der Lenz getan:
Da wird sich seiner recht bewußt,
    Was blühn und singen kann.

Noch hab' ich frisch mein Elternpaar
    In stillem Haus daheim:
Das mir behütet vor Gefahr
    So manchen Blütenkeim;
Noch seh ich heiter hin und her
    All' meine Lieben gehn,
Weiß keinen Stuhl im Kreise leer;
    Brauch' keinem nachzusehn!

Ich hab', was mancher nicht erstritt
    Manch' Herz, das meiner denkt:
Nicht Freunde nach dem Modeschnitt,
    Nein, wie sie Gott nur schenkt.
Ich weiß, man heißt die Freundschaft jetzt
    Ein Märchen, schön doch leer:
Ich habe viel auf sie gesetzt,
    Und halte sie für mehr.

Die Liebe, – was man Liebe nennt,
    Blieb noch aus meinem Spiel;
Doch glaub ich, wer die Freundschaft kennt
    Wiss' auch von Liebe viel.
Und seht, das bringt mir neuen Scherz,
    Und neue Lust ins Haus;
Hat man fürs Lieben nur ein Herz,
    Das Mädchen bleibt nicht aus!

Und solch ein Herz – dem Herrgott Dank!
    Das, mein' ich, wäre mein:
Wo es gesund sein soll, nicht krank,
    Und nicht von Stein und Bein;
Das gern schlägt, wo es Freude gilt,
    Sie gern empfängt und gibt:
Und trotz der Mängel, die's erhielt,
    Beständig lebt und liebt!

Und drum ist mir das Aug' erhellt,
    Drum sind mir wen'ge gleich,
Drum fühl' ich mich so wohlbestellt,
    Zumal im Frühlingsreich.
Wer nie, was er geliebt, verlor,
    Und noch was drüber kennt,
Der scheint ein Schalk mir oder Tor,
    Wenn er nicht reich sich nennt!

 


 


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