Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Hans Euler

          »Horch, Marthe, draußen pocht es; geh, laß den Mann herein,
Es wird ein armer Pilger, der sich verirrte, sein!« –
»Grüß' Gott, du schmucker Krieger, nimm Platz an unsrem Tisch,
Das Brot ist weiß und locker, der Trank ist hell und frisch!«

»»Es ist nicht Trank, nicht Speise, wonach es not mir tut,
Doch, so Ihr seid Hans Euler, so will ich Euer Blut!
Wißt Ihr, vor Monden hab' ich Euch noch als Feind bedroht:
Dort hatt' ich einen Bruder, den Bruder schlugt Ihr tot.

Und als er rang am Boden, da schwor ich es ihm gleich,
Daß ich ihn wolle rächen, früh oder spät, an Euch!««
»Und hab' ich ihn erschlagen, so war's im rechten Streit,
Und kommt Ihr, ihn zu rächen, – wohlan, ich bin bereit!

Doch nicht im Hause kämpf' ich, nicht zwischen Tür und Wand;
Im Angesichte dessen, wofür ich stritt und stand! –
Den Säbel – Marthe, weißt du, womit ich ihn erschlug:
Und sollt' ich nimmer kommen: – Tirol ist groß genug!« –

Sie gehen miteinander den nahen Fels hinan; –
Sein gülden Tor hat eben der Morgen aufgetan; –
Der Hans voran, der Fremde recht rüstig hinterdrein
Und höher stets mit beiden der liebe Sonnenschein.

Nun stehn sie an der Spitze, – da liegt die Alpenwelt,
Die wunderbare, große vor ihnen aufgehellt;
Gesunkne Nebel zeigen der Täler reiche Lust,
Mit Hütten in den Armen, mit Herden an der Brust.

Dazwischen Riesenbäche, darunter Kluft an Kluft,
Daneben Wälderkronen, darüber freie Luft;
Und sichtbar nicht, doch fühlbar, von Gottes Ruh' umkreist,
In Hütten und in Herzen der alten Treue Geist.

Das sehn die beiden droben, – dem Fremden sinkt die Hand,
Hans aber zeigt hinunter aufs liebe Vaterland:
»Für das hab' ich gefochten, dein Bruder hat's bedroht,
Für das hab' ich gestritten, für das schlug ich ihn tot.«

Der Fremde sieht hinunter, sieht Hansen ins Gesicht,
Er will den Arm erheben, den Arm erhebt er nicht:
»»Und hast du ihn erschlagen, so war's im rechten Streit,
Und willst du mir verzeihen, komm, Hans, ich bin bereit!«« –

 


 


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