Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Sinnentäuschung

            Hört ihr den Quell im Walde rauschen,
Hört ihr des Sprossers Lied im Hain?
Ich seh' gespannten Ohrs euch lauschen,
Und lächelnd sagt ihr endlich: Nein!

Seht ihr dort unter jenen Buchen
Die Rose glühn im Purpurschein?
Ich seh' mit klugem Aug' euch suchen,
Und wieder sagt ihr lächelnd: Nein!

Und seht ihr auch das Schloß nicht winken
Mit blankem Turm am Waldesrain?
Ihr schaut zur Rechten und zur Linken,
Und sagt schon fast unwillig: Nein!

O glaubt, was ich genannt, das alles,
So oft ich komme, steht's vor mir;
Den Laut des Quells, des Liederschalles,
Und Ros' und Waldschloß find' ich hier.

»Erinnrung« heißt der Quell, der leise
Durchs Waldgrün rauscht und murmelnd klagt,
Und auf geheimnisvolle Weise
Mir längst Verschollnes wiedersagt.

Und »Jugend« heißt das Lied im Haine,
Des trauten Sprossers Elegie,
Bald mild, als ob ein Engel weine,
Bald wild wie Wetterharmonie.

Und »Liebe« heißt die Purpurrose,
Die unter Buchen mir geglüht;
Entblättert ruht sie längst im Moose, –
Dem Herzen ist sie nicht verblüht.

Und »Leben« heißt das Schloß voll Schimmer,
Das kühn sich hob zum Wolkenlauf; –
Ein Luftschloß war's, es sank in Trümmer,
Und taucht nur mehr in Träumen auf.

Ich weiß, – was ich im Walde finde,
Bring' ich nur mit in meinem Sinn;
Blickt nochmal um in seine Gründe,
Nun findet ihr's wohl auch darin!

 


 


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