Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Vorsatz

          So oft der Lenz zurückgekommen
Mit Blütenduft und Sonnenschein,
Hab' ich mir immer vorgenommen,
Recht munter und recht froh zu sein.

»Du wußtest nie den Lenz zu schätzen« –
So warf ich jedesmal mir vor, –
»Doch diesmal will ich's ihm ersetzen,
Einbringen, was ich je verlor.

Und alle Berge, die da stehen
Im grünen, saft'gen Frühlingsgrün,
Sie sollen mich als Pilger sehen
Nach ihren goldnen Gipfeln ziehn.

Und alle Wiesen, die, bedecket
Von junger Halme Schmelz sich blähn,
Sie sollen mich dahingestrecket
Auf ihren samtnen Teppich sehn.

Und alle Quellen, die da rauschen,
Wie Lob des Mais aus Bergesbrust,
Sie sollen flüsternd mich belauschen
In meiner stillen Lebenslust.

Und alle Vögel, unverdrossen,
Die ihren Wettgesang erneun,
Sie sollen sich des Liedsgenossen,
Der's ihnen nachtun will, erfreun!«

Das hab' ich stets mir vorgenommen,
Ergriffen tief und wundersam,
Eh' noch der Lenz zurückgekommen,
Es kaum erwartend, bis er kam.

Und wenn er kam, die Berge glühten,
Die Vögel sangen um und um,
Die Quelle rann, die Wiesen blühten,
So saß ich in der Kammer stumm.

Und Stunden wechselten mit Stunden,
Die Wiesen wurden blumenarm,
Der liebe Lenz war längst entschwunden, –
Ich sah ihm nach mit stillem Harm.

 


 


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