Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Die Jerichorose

(Anastatica)

           

Die Ruh' ist wohl ein seltnes Blümchen,
Ein Blümchen unsres Suchens wert;
Verkannt von manchem, der's gefunden,
Ersehnt von jedem, der's entbehrt.

Vielleicht ist sie dem Veilchen ähnlich,
Das still am Bachesrande blüht,
Und kindlich mit den blauen Augen
Im klaren Spiegel sich besieht?

Ich ging hinaus, ich fand am Bache
Den jungen Blumengärtner »Mai«,
Und Veilchen blühten, wo er winkte,
Doch Veilchen »Ruh'« war nicht dabei.

Vielleicht ist Ruhe, wie die Tulpe,
Die bunt auf stolzem Beet sich bläht,
Und wie um Sonnentropfen buhlend
Den Kelch empor zum Himmel dreht?

Ich ging hinaus, ich fand die Tulpen,
Gefüllt von Tropfen rein und licht;
Sie blitzten flimmernd mir entgegen,
Die rechten aber waren's nicht.

Vielleicht ist Ruh' ein Alpenblümchen,
Das einsam blüht, wie Edelweiß,
Hoch über dieses Tales Nebeln,
Vergessen zwischen Stein und Eis?

Ich klomm empor, – ich pflückte schwindelnd
Das Edelweiß aus schwarzer Kluft:
Doch schien die Ruh' auch dran zu blühen,
Bald ward sie welk in unsrer Luft.

Und wie die Blumen alle heißen,
Und wo die Blumen alle blühn,
Ein wahres Bild der Ruh' ist keine,
Und keine lohnte mein Bemühn.

Ein seltnes Blümchen ist die Ruhe,
Der Rose gleich von Jericho;
Sie wächst nur im gelobten Lande, –
Gelobtes Land, wo bist du? – wo? –

 


 


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