Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Sonette

Gleichgewicht.
          Du süßes Kind, an dessen Bild ich hange,
Der Biene gleich, an ihrer Blütendolde;
Von dem ich. wie die Welt vom Sonnengolde,
Des Lebens Licht, des Lebens Glut empfange,

Was quälst du mich nur oft zu solchem Drange,
Als hättest alle Schrecken du im Solde,
Als freutest du dich meines Leids, du Holde, –
Als schmerzte dich das Lächeln meiner Wange?

Ich seh' es wohl, es ist der Sterne Grollen!
Wie du mich oft erfreut, ohn' es zu wissen,
So hat dein Blick auch oft, ohn' es zu wollen,
Die Seele mir in wunder Brust zerrissen!

Wenn du nicht wärst, wo wären meine Leiden?
Wenn du nicht wärst, wo wären meine Freuden?

 
Zweifel
Bist du mir gut? Das eine möcht' ich wissen,
Und konnte doch dies eine nie erfahren.
Es mir zu zeigen, warst du zwar mit klaren,
Gutmüt'gen Augen oft, so schien's, beflissen;

Doch glaubt' ich stets ein Etwas zu vermissen,
Das immerdar mich zweifeln ließ am Wahren.
Oft schien mein Schmerz es mir zu offenbaren,
Wenn du ein Stern mir warst in Finsternissen.

So hab' ich viel gehofft, geahnt, gegrübelt,
Mich oft gebeugt gefühlt und oft erkräftigt,
Mit deinem Bilde stündlich mich beschäftigt,
Dich oft entschuldigt und dir viel verübelt;

Umsonst! – was ich gesucht, was ich gefunden,
Ob du mir gut seist, konnt' ich nicht erkunden!

 
Entfernung
Nicht Berge sind es, die dich von mir scheiden,
Nicht Ströme, die gleich blanken Schwerterklingen,
Daß Liebe nicht zu Liebe könne dringen,
Das Band der Straßen zwischen uns zerschneiden.

Wir sind uns nah', und müssen doch uns meiden,
Kaum will es uns, nicht uns zu sehn, gelingen!
Phantome sind's, die uns gespenstisch zwingen
Und uns das Glück der Näherung verleiden!

Mit meiner Hand könnt' ich das Haus erfassen,
Mit meinem Aug' ins Herz ihm forschend blicken,
Und sehn, wie du vielleicht gleich mir verlassen
Umsonst dich in die Trennung suchst zu schicken.

Schwer ist's getrennt, weil man sich fern ist, weilen;
Doch schwerer, nah', das Los der Trennung teilen!

 
Vorzug
Nennt mir kein Leben, was die Mehrzahl lebt!
Schlaftrunknes Taumeln ist's, bewußtlos Wanken,
Ein wirrer Kampf von Wünschen und Gedanken,
Ein Dämmergrau, von mattem Licht durchbebt.

Beglückt, wer freier seinen Blick erhebt,
Wer sich an Ernstrem weiß emporzuranken,
Und durch der Fluten ungewisses Schwanken
Auf sichrem Boot nach treuen Sternen strebt!

Dies Glück, – mir ist, als hält' ich es gefunden,
Des Lebens Blütenkern, – die Poesie;
Oft flüchtet' ich zu ihr, vergebens nie!
O laß, wenn gleiches Glück dein Herz empfunden,

An ihre Brust in Freud' und Leid uns fliehn:
Hinauf nur kann sie, nie hinab uns ziehn!

 


 


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