Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die große Beterin

        Wer betet denn in deinem Haus,
Daß du so still, o Nacht,
Und dich vor jedem Lärm und Braus
So sorglich hast bewacht?
Man hört ja kaum des Schlafes Fuß
Von Haus zu Hause gehn
Und ihn durchs Fenster seinen Gruß
In Saal und Stube wehn.

Die Ruhe wandelt feierlich
Die Straßen kreuz und quer,
Und wiegt auf stummen Lüftchen sich
Geräuschlos hin und her.
Ja, ja, – man sage, was man will, –
Es betet wer im Frein,
Sonst hieltst du ja nicht gar so still,
O Nacht, den Atem ein!

Und seh' ich recht, so seh' ich auch
Die große Beterin,
Die ihres Herzens reinsten Hauch
Schickt zu den Sternen hin;
Ein unermeßlich Faltenkleid
Umwogt sie silbergrau,
Und küßt in milder Herrlichkeit
Der Glieder Riesenbau.

Die Mutterarme streckt sie aus
In himmelweitem Kreis,
Und füllt der Nacht geheiligt Haus
Mit ihrem stummen Preis.
Ei, Beterin, verbirg dich nur,
Mich machst du nicht zum Spott;
Du bist – ich kenne dich – Natur,
Und dein Gebet ist – Gott!

 


 


 << zurück weiter >>