Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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In meines Vaters Sterbestunde

(1824)

       

Nacht war's, und diese Stunde just,
Als seine Zeit verstrich,
Als seiner warmen Vaterbrust
Der letzte Hauch entwich.
Nacht war's und diese Stunde war's,
Als unsre Träne floß,
Als stumm vor Leid, gelösten Haars,
Die Mutter mich umschloß.

Vierhundert Tage rauschten kaum,
Wie Schleier drüber hin,
Und sanfter rührt bereits, als Traum,
Die Wirklichkeit den Sinn.
In andren Mauern sitz' ich nun,
In einem andren Licht,
In andren Kreisen, andrem Tun,
Betrübt, – doch trostlos nicht.

Allein des Zimmers Wölbung rückt
Urplötzlich weit hinaus,
Ein ganzer Wunderhimmel blickt
Hernieder mir ins Haus,
Und aus den Wolken tritt, ja tritt,
O Gott! mein Vater vor,
Nimmt alle meine Sinne mit,
Zieht sie zu sich empor.

Ich küss' ihm Hand und Stirn und Mund,
Und er vergilt den Kuß,
Und alles tu' ich drauf ihm kund,
Wie ich es will und muß;
Was ich getan, gelassen hab',
Wie ich die Mutter hielt,
Seit ihn sein frühes, kühles Grab
Mit düstrem Moos umspielt.

Und sieh, zufrieden scheint er hier; –
Sein sonst so strenger Blick,
Er lächelt mir, er lächelt mir,
Solch' Lächeln, es bringt Glück! –
Da scheidet er, – o flieh nicht fort: –
Dein Himmel fordert dich!
Doch komm recht oft, recht oft von dort,
Und prüf' und segne mich!

 


 


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