Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Meinem Freunde Franz Schubert

am Vortage seines Begräbnisses (den 20. November 1828)

     

Verklungen war der milde Klang,
Der Flügel ruhte wieder;
Nur in der Seele wehte lang'
Noch sehnsuchtsbang
Der Nachhall süßer Lieder.
Vom Traum erwacht, nun jauchzt die Brust,
Des neuen Reichtums froh bewußt.
»Der uns erquickt im Liede,
Mit dem sei Gottes Friede!«

Und weil ich ihnen schien ein Mann,
Der, oft erträglich eben,
Was ihn und andere gewann,
Aussprechen kann,
Und offen wiedergeben,
So schütteten sie Lust und Schmerz
Zusammen gleichsam in mein Herz,
Damit ich ihr Empfinden
Alljedem möchte künden.

»Dir,« sprachen sie, »gehorcht das Wort,
Du kannst es besser nennen!
Geh, sprich für uns, daß sie hinfort,
So hier als dort,
Nach Würd' und Wert ihn kennen!
Nicht unser Schubert soll er sein.
Ein Lied, wie seins, ist allgemein!
Soll jetzt ihr was behagen,
Muß man's der Welt erst sagen.

Sonst fand sie wohl ein Veilchen auch
Am duft'gen Heckenzaune!
Jetzt lockt sie nur im bunten Strauch
Ein Bisamhauch
Und ihr Gesetz – ist Laune!
Sie hat wohl Augen noch wie sonst,
Doch, wenn du sie zu öffnen schonst,
So wird sie vor Erblinden
Das Wahre doch nicht finden.

Drum singe kühn! Hier ist's am Platz!
Erheb ihn preisbeflissen!
Entfalte seinen Künstlerschatz!
Sag stolz: »Er hat's,
Was tausend Jünger missen,
Des Jünglings Glut, des Mannes Kraft,
Die Sehnsucht und die Leidenschaft,
Das Lispeln und den Schauer,
Den Jubel und die Trauer!

Den Dichter dichtet er zurück;
Als heil'ge Doppelgänger
Stehn Wort und Sang, ein Leib, ein Stück
Von unserm Blick
Und Dichter wird der Sänger!
Da ist kein Gang im Flug erhascht,
Kein Honig lüstern weggenascht,
Die Noten seines Spieles
Sind Tropfen des Gefühles.

Wenn in dem Dome, gottgeweiht,
Die Orgeln brausend dröhnen,
Dann weiß er im Choral mit Zeit
Und Ewigkeit
Die Herzen auszusöhnen!
Der Flügel ist ihm nicht ein Feld,
Wo nur die Hand sich müde quält.
Er läßt durch seine Saiten
Die eigne Seele gleiten.

Kaum nur sechs Lustren reichten hin,
Um, blühend, das zu geben!
Dem Tücht'gen ist der Tag Gewinn:
Was wird der Sinn
Des Reifen erst erstreben?
Und wär's auch nicht, – das deutsche Lied
Bleibt unbestritten sein Gebiet,
Und wer genügt in einem,
Der weicht der Besten keinem.«

So weckten sie in mir die Glut,
Der Brust bescheidne Funken!
Mir in die Wangen stieg das Blut;
Von frohem Mut
Fühlt' ich die Seele trunken.
Heim stürzt' ich, ging voll Ungestüm
Ans Werk; gestehen wollt' ich's ihm,
Mein schönstes Lied ihm singen,
Mein bestes Opfer bringen.

Da seh' ich auf dem Pult vor mir
Ein Blatt von Freundeshänden.
Ich nehm' es, – les' –, erblinde schier;
So muß denn hier
Das Best' am frühsten enden?
Doch nein, – es ist nicht, – kann nicht sein!
Mein Schubert lebt! – Er starb nicht! – nein!
Er lebt! – Dies Blatt ist Lüge, –
Lebt noch für schönre Siege!

Er lebt! – Und doch! – Er ist nicht mehr! –
Ich les' es nun und wieder.
Ein Sturm fuhr über ihn daher,
Er ist nicht mehr! –
Entblättert sank er nieder.
Fort eil' ich, nochmals ihn zu sehn. –
Er liegt im Sarg – und Freunde stehn
Mit schauerndem Gemüte
Um die geknickte Blüte!

Und, selbst es sehend, glaub' ich's kaum;
Klopf an die Brust, die junge;
Der Ruf: »Was ist das Leben? Traum?
Und hohler Schaum!«
Entzittert meiner Zunge.
Und was ich erst, so fromm und heiß
Erdacht dem Lebenden zum Preis,
Leg' ich in heil'ger Ruhe
Dem Toten in die Truhe.

 


 


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