Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Die Bardeninsel

            Auf Bardsey da ist es so tot und wüst:
Erst spät, wann der Abend die Insel begrüßt,
Und herangereift bis zur Mitternacht,
Scheint rings das Leben auferwacht.

Da steigt aus der Erden ein bläuliches Licht,
Und hinter dem Lichte wohl manches Gesicht,
Hier, – dort, – dort, hier von Nebeln umwallt,
Und gewinnet allmählich bestimmte Gestalt.

Gesichter zu Tausenden schauen hervor;
Das bläuliche Licht wogt höher empor,
Und hebt sich und webt sich zum lustigen Zelt,
Das der Mondschein als Knauf zusammenhält.

Schon sind die Gesichter zu Körpern gereift
In wallenden Kleidern, mit Silber gestreift;
Und über den Wolken des Bartes thront
Ein Auge so frisch und so mild wie der Mond.

Und in aller Hände sind Harfen gelegt,
Und in aller Harfen sind Töne bewegt:
Daß es rauschet, wie Stürme, doch lieblich und mild,
Daß es lispelt wie Weste, doch kräftig und wild.

Und in Mitte der riesigen Bardenschar,
Mit funkelnden Augen und flatterndem Haar,
Schwebt hoch in den Wolken der Geist des Merlin
Und rauschet im Sturm durch die Saiten dahin:

»Wir steigen allnächtig aus finsterer Gruft,
Und füllen mit Schauern der Vorwelt die Luft,
Und kehren ins Grab bei des Morgens Blick,
Und lassen die Schauer der Vorwelt zurück!«

So singt er, – und zweimal zehntausend mit ihm
Durchbrausen die Harfen mit Ungestüm; –
Da schimmert's im Osten, da fallen im Nu
Wohl zweimal zehntausend Gräber zu!

 


 


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