Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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13. Kapitel.

Nachdem Sakowicz den Kommandanten Braun so unmenschlich bestraft hatte, trat er mit dem schwedischen Kommandanten in Poniewiez in Unterhandlungen ein, und bestimmte ihn, gemeinsam auf Billewicz' Partei loszuschlagen.

In den letzten Tagen hatte Sakowicz von Babinicz nichts mehr gehört, dem gegenüber er, trotz seiner Tapferkeit, von einem instinktiven Angstgefühl beherrscht wurde. Augenblicklich jedoch war Sakowicz auch bereit, sein Leben zu lassen, denn er wollte sich rächen. Seit Annas Flucht beherrschte ihn eine maßlose Wut, die seine Seele völlig zermarterte. Die vereitelten Hoffnungen und seine verschmähte Liebe hatten ihn zur Verzweiflung gebracht. Zuerst war es nur die reiche Erbin gewesen, die ihn lockte, Anna zu heiraten; dann aber hatte er sich in das Mädchen so sinnlos und blindlings verliebt, wie es nur ein Mensch seines Schlages tun konnte. Es war soweit gekommen, daß er, vor dessen Blick sich selbst mutige Menschen fürchteten, bemüht war, wie ein folgsamer Hund dem Mädchen in die Augen zu sehen. Er gehorchte ihr, er ertrug jeden Spott und gab sich die größte Mühe, ihre Gedanken zu erraten. Und sie hatte ihre Gewalt über ihn gemißbraucht, sie hatte ihn jetzt betrogen!

Sakowicz gehörte zu jenen Leuten, die alles, was ihnen nützlich ist, auch für gut und richtig halten; – schlecht – ist alles, was ihnen Schaden bringt. In seinen Augen war Anna die größte Verbrecherin, die die schwerste Strafe verdiente. Über jeden anderen, den so etwas betroffen, hätte Sakowicz gelacht; er selbst aber gebürdete sich wie ein verwundetes Tier. Er dachte nur an Rache. Lebend oder tot, die Schuldige mußte in seine Hände fallen.

Um ganz sicher zu gehen, schickte Sakowicz zu dem Miecznik einen Boten mit einem Briefe, in dem er im Namen Babinicz' versprach, im Laufe der Woche nach Wolmontowicze zu kommen.

Der Miecznik, der von der Unbesiegbarkeit Babinicz' überzeugt war, glaubte dieser Nachricht und siedelte nach Wolmontowicze über. Währenddessen rückten die Schweden, die in Poniewiez standen, nach Wolmontowicze vor, und Sakowicz schlich sich nach Wolfsart eben dahin, ohne zu ahnen, daß ihm ebenfalls auf Wolfsart nur wenig entfernt ein dritter nachschlich.

Kmicic wußte nicht, daß sich Alexandra bei der Partei des Pan Billewicz befand.

Nachdem er Tauroggen durch Feuer und Schwert verwüstet hatte, erfuhr er, daß Alexandra und Panna Anna Borzobohata aus der Gefangenschaft geflohen waren. Wohin? – Natürlich in die Bialowiczer Heide, wo sich Pani Skizetuski und viele andere Frauen aufhielten. Wenigstens hatte der Miecznik schon vor langer Zeit die Absicht geäußert, sich dort während des Krieges niederzulassen.

Pan Andreas war sehr betrübt, Alexandra wiederum nicht zu treffen, aber da es für ihn unmöglich war, sich nach der Heide zu begeben, so beschloß er, Smudien ganz vom Feinde zu säubern. Das Glück war ihm dabei günstig. Er hatte schon aus dem westlichen Teile von Smudien alle Schweden vertrieben, als er von Sakowicz erfuhr. Und um mit diesem abzurechnen, folgte er seinen Spuren.

So geschah es, daß beide vor Wolmontowicze erschienen.

Eines Abends meldete man dem Miecznik, daß eine unbekannte Truppenabteilung von Süden her heranrücke. Pan Billewicz, als alter und erfahrener Soldat, traf sofort Vorsichtsmaßregeln. Er postierte seine Infanterie, die jetzt schon mit Gewehren bewaffnet war, in die neu erbauten Häuser und an die Tore. Er selbst nahm mit der Kavallerie Aufstellung auf einer Wiese, die sich bis an ein kleines Flüßchen erstreckte.

Plötzlich ertönten aus dem Walde her Schüsse, und die von dem Miecznik ausgesandte Patrouille kam in höchster Unordnung zurückgesprengt, gefolgt von dem Feinde, der fortwährend auf sie schoß.

Die Schweden wollten mit dem ersten Anprall das Tor nehmen und in den Hof eindringen, aber sie wurden von der Infanterie zurückgewiesen. Es begann ein reges Gewehrfeuer. Die Schweden sahen bald ein, daß sie mit ihrer Reiterei allein nichts ausrichten konnten. Alle ihre Angriffe wurden abgeschlagen, die Tore standen unerschütterlich. Da versuchten sie eine Umgehung von links; jedoch der Miecznik bemerkte das zu rechter Zeit, und so begann links ein neues Gefecht.

Pan Billewicz begann sich zu beunruhigen.

Seine rechte Flanke war geschützt, – dort zog sich die Wiese hin, die von dem breiten und tiefen Flüßchen, das rasch und unbemerkt zu überschreiten unmöglich war, begrenzt wurde.

Plötzlich kam Pan Chrzonstowski, der die Reiterei befehligte, zum Miecznik herangeritten und meldete:

»Von der Flußseite her kommt schwedische Infanterie!«

»Das ist Verrat!« schrie der Miecznik. »Um Gottes willen, reiten Sie mit Ihrer Schwadron hin und halten Sie die Infanterie wenigstens eine Stunde auf. Inzwischen werden wir versuchen, in den Wald zu fliehen!«

Der Miecznik zweifelte nicht allein an dem Siege, sondern auch an der Möglichkeit, seine Infanterie zu retten. Freilich konnte er mit den beiden jungen Mädchen und den Resten der Reiterei in dem naheliegenden Wald Rettung suchen. Aber dann mußte unvermeidlich die ganze Laudaer Bevölkerung, die sich bei der ersten Nachricht von der bevorstehenden Ankunft Babinicz' in Wolmontowicze versammelt hatte, untergehen.

Es blieb nur die eine Hoffnung übrig, daß Pan Chrzonstowski die schwedische Infanterie vernichten werde.

Mittlerweile brach die Nacht herein; doch im Dorfe wurde es immer heller, die Wirtschaftsgebäude hatten Feuer gefangen. In dem blutigen Wiederschein der Feuersbrunst, der alles ringsum hell beleuchtete, erblickte der Miecznik die in Unordnung zurückkehrenden Reiter Chrzonstowskis, hinter ihnen kam in dichten Reihen die schwedische Infanterie. Jetzt blieb nur noch die Flucht auf dem allein noch freien Wege zum Walde.

Der Miecznik kommandierte schon den Resten seiner Reiter: »Zurück!« als plötzlich auch in seinem Rücken Schüsse fielen, und man das Gestöhn von Verwundeten vernahm.

Der Miecznik war von allen Seiten umzingelt; sie gerieten in eine Falle, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Als Pan Billewicz das sah, ritt er voraus, hob seinen Säbel hoch in die Luft und rief:

»Panowie! Fallen wir einer nach dem anderen! Schonen wir nicht unser Blut! Es geht ums Vaterland und um den Glauben!«

Das Feuer seines Fußvolkes, das die Tore und die linke Seite des Dorfes verteidigte, wurde immer schwächer und die triumphierenden Rufe des Feindes immer lauter.

Aber was bedeuten die durchdringenden Töne einer Signaltrompete in den Reihen Sakowicz'? Was bedeutet der Wiederhall dieses Signals bei den Schweden? Die Trompetensignale erklingen immer stärker, und zeitweise scheint es, daß sie nicht Triumph, sondern nahendes Unheil verkünden.

Das Schießen am Tore hört jäh auf, wie abgeschnitten. Sakowicz' Reiter sprengen Hals über Kopf der Hauptstraße zu, und die Infanterie beginnt anstatt vorwärts zu stürmen, sich zurückzuziehen.

»Was soll das bedeuten? – Um Gottes willen, was soll das bedeuten?« ruft der Miecznik aus.

Und die Antwort kommt aus dem Walde, von derselben Seite her, von der soeben erst Sakowicz' Leute gekommen waren. Jetzt nahen von dort Leute, Pferde, ganze Banner. Sie kommen herangebraust wie ein Orkan. Es sind ihrer Tausende; beim Lichte der Feuersbrunst ist es deutlich zu sehen. Einem Ungeheuer gleich kriechen sie aus dem Walde heraus und scheinen das ganze Dorf verschlingen zu wollen. – Da sind sie, näher und immer näher! – das Ende Sakowicz' bricht herein.

»Mein Gott!« schreit der Miecznik wie wahnsinnig. »Das sind die unsrigen! Das ist Babinicz!«

»Babinicz!« wiederholten erschrockene Stimmen in Sakowicz' Truppe. Und gleich darauf macht sie nach rechts kehrt, um sich mit der Infanterie zu vereinigen.

Bald füllt sich die Wiese mit Fliehenden, denen die Verfolger auf den Fersen sind, und die ohne Barmherzigkeit niedergemetzelt werden. Endlich verschwindet alles in der Dunkelheit.

»Panowie!« ruft der Miecznik, »wollen wir hier still sitzen, ohne unserem Feinde den Rückzug abzuschneiden!«

Einige Minuten später blieben in Wolmontowicze nur Greise, Frauen, Kinder und Panna Alexandra mit ihrer Freundin zurück. Die Frauen erhoben ihre Arme schluchzend gen Himmel und riefen wiederholt nach der Richtung zu, in der Babinicz verschwand:

»Möge Gott dich segnen! Ohne dich würde von Wolmontowicze nichts übrig geblieben sein!«

Alexandra widmete sich schnell den Verwundeten, die bald alle verbunden und untergebracht waren.

Niemand in Wolmontowicze schloß in dieser Nacht die Augen; alle erwarteten die Rückkehr des Miecznik und des Pan Babinicz.

Gegen Morgen kehrte Pan Villewicz siegestrunken, mit Blut bespritzt, zurück. Aber Pan Babinicz war nicht bei ihm.

Der Mittag kam, – die Sonne begann zu sinken, jedoch Pan Babinicz war noch immer nicht zu sehen.

»War es ihm wirklich nur um die Schweden zu tun?« fragte sich leise Panna Anna, »Er mußte doch meinen Brief erhalten haben, wenn er hierher kam?«

Es verging wieder ein Tag, da schickte Pan Villewicz mehrere Mann auf Erkundigung aus. Die Boten kehrten bald wieder und meldeten, daß Pan Babinicz Poniewiez genommen und sämtliche Schweden vertrieben habe. Dann habe er sich entfernt, – niemand wußte, wohin.

»Nun, und jetzt wird man ihn nirgend finden, bis er von selbst irgendwo auftaucht!« entschied der Miecznik.

Anna war außer sich. Sie ließ niemand von den Schlachtschitzen und Offizieren in Ruhe.

Fünf Tage später sagte sie zu Alexandra:

»Pan Wolodyjowski ist ein ebenso berühmter Soldat wie er, aber kein solcher Grobian.«

»Mag sein,« entgegnete Alexandra in Gedanken, »daß Pan Babinicz der treu geblieben ist, von der er zu dir gesprochen.«

»Nun ja, mir ist das auch sicherlich ganz egal!« lachte Panna Anna gezwungen.


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