Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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8. Kapitel.

Solche Gedanken ließen Wolodyjowski die ganze Nacht nicht schlafen. Mehrere Tage dachte er nur an Panna Alexandra, und er begriff, daß er sie tief in sein Herz geschlossen hatte. Und die Laudaer Edelleute wollten sie doch gern mit ihm vermählen. Es ist wahr, sie hatte ihn entschieden ausgeschlagen; aber damals kannte sie ihn noch nicht. Jetzt stand die Sache doch anders. Er hatte sie ritterlich aus den Händen des Entführers befreit. – Ihretwegen setzte er sich einer Lebensgefahr aus; hatte er sie nicht erobert wie eine Festung? – Wem gehörte sie sonst, wenn nicht ihm? – Darf sie ihm ihre Hand verweigern? Konnte sich das Gefühl der Dankbarkeit nicht plötzlich in Liebe gewandelt haben? Wie oft kommt es im Leben vor, daß ein gerettetes Mädchen ihrem Erretter Herz und Hand schenkt! – »Was aber, wenn sie doch jenen liebt? Kann nicht sein!« so redete zu sich selbst Wolodyjowski. »Wenn sie ihn nicht von sich gewiesen, so hätte er sie nicht mit Gewalt entführen dürfen. – Freilich, sie stützte ihm so liebevoll seinen Kopf; aber gute Frauen haben stets Mitleid mit Verwundeten, auch mit ihren Feinden. – Was also soll ich zögern?« dachte er weiter. »Eine bessere Gelegenheit kann ich nicht abwarten. – Ich muß mein Glück versuchen.«

Für langes Courmachen war jetzt nicht die Zeit; es mußte schnell gehandelt werden. Hinfahren, sich erklären und entweder schnell Hochzeit machen oder den Korb herunterschlucken.

»Ist nicht zum erstenmal,« brummte Wolodyjowski, »und wenn schon, ist auch kein Unglück.«

Nur eins quälte Pan Wolodyjowski. War es ritterlich, für geleistete Dienste so schnell den Lohn einzufordern? Hatte er aber nicht eine genügende Entschuldigung, wenn er ihr antwortete: »Panna, ein ganzes Jahr würde ich um Sie geworben haben, aber ich bin Soldat, und jeden Augenblick kann mich die Kriegstrompete ins Feld rufen.«

Alle diese Gedanken quälten Pan Wolodyjowski unablässig; schließlich wußte er gar nicht, was er tun sollte. In den vier Wänden des Hauses wurde es ihm zu enge; er nahm seine Mütze und ging ins Freie, um frische Luft zu schöpfen.

Unterwegs sah er über sich eine Schar wilder Enten fliegen. Er begann zu zählen: »Gerade oder ungerade. Fahren oder nicht fahren.« Es kam »fahren« heraus.

»Ich fahre, es geht gar nicht anders!«

Er kehrte um und trat unterwegs in den Pferdestall ein. Zwei seiner Diener spielten am Eingang des Stalles Würfel.

»Ist die Mähne meines Pferdes geflochten?« fragte Pan Wolodyjowski.

»Ja, Herr Oberst.«

Wolodyjowski ging in den Stall. Sein Pferd begrüßte ihn mit frohem Wiehern. Der Ritter streichelte ihm den Rücken und begann die Haarwickel an seiner Mähne zu zählen.

»Fahren, – nicht fahren, – fahren.«

Auch hier war das Orakel günstig.

»Sattelt die Pferde und kleidet euch auf das Beste an,« befahl Wolodyjowski.

Er eilte ins Haus und begann, Toilette zu machen. Er zog hohe, gelbe Stiefel mit vergoldeten Sporen und einen neuen, roten Waffenrock an. Seinen Degen steckte er in eine blinkende Stahlscheide. Seine Brust bedeckte ein Halbpanzer, und auf seinem Kopfe trug er einen schwedischen Helm.

So bekleidet stieg Pan Wolodyjowski zu Pferde und ritt mit seinen Dienern nach Wodokty. Es war ein schöner Tag; die Sonnenstrahlen spielten auf Pan Wolodyjowskis Helm und Panzer, so daß es aus der Ferne hinter den Weiden schien, als ob eine zweite Sonne des Weges daherzog.

Bei seiner Ankunft erkannte ihn Panna Alexandra nicht gleich, er mußte erst seinen Namen nennen. Dann empfing sie ihn höflich, aber sehr förmlich und kühl.

Wolodyjowski, der schon viel in der Welt herumgekommen war, verneigte sich mit größter Ehrfurcht, legte die Hand aufs Herz und begann:

»Panna, ich komme, um mich nach Ihrer Gesundheit zu erkundigen. Ich fürchtete, daß das letzte, traurige Ereignis ungünstig auf Sie eingewirkt hätte?«

»Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie noch an mich gedacht, nachdem Sie mich aus einer solchen Gefahr befreit haben. – Doch, bitte, setzen Sie sich! Seien Sie willkommen!«

»Oh, Panna!« erwiderte Pan Michail, – »wenn ich Sie je vergessen könnte, so wäre ich Ihrer freundlichen Aufmerksamkeit nicht wert. Ich muß Gott danken, der mir erlaubt hat, Ihnen einen Dienst zu erweisen.«

»Dafür muß ich Gott danken, – denn Ihnen –«

»Wenn Sie so tun, so wollen wir beide danken. – Denn ich weiß nichts Schöneres, als Ihnen jeder Zeit nützlich zu sein.«

Pan Wolodyjowski war mit sich zufrieden. Er war gleich in das richtige Fahrwasser gekommen, er legte der Panna seine Gefühle sozusagen offen auf den Tisch. Sie saß verlegen und schweigend da und war reizend anzusehen. Auf ihren Wangen lag ein schwaches Rot, und ihre dichten Wimpern verdeckten fast ganz ihre Augen.

»Sie errötet, das ist ein gutes Zeichen,« dachte Wolodyjowski. Er räusperte sich und fuhr fort:

»Es ist Ihnen wohl bekannt, daß an Stelle Ihres Großvaters ich die Laudaer in den Kampf führte?«

»Ja, ich weiß. – Großvater war zu alt; er konnte an dem letzten Kriege nicht teilnehmen; aber er freute sich sehr, als er hörte, wem der Wilnaer Wojewod die Führung seines Banners anvertraut hatte. Er kannte Ihren Ruf als tüchtigen Krieger.

»So sprach er also von mir?«

»Ja, er sprach oft und stets sehr gut von Ihnen. Nach dem Feldzuge lobten Sie auch alle Laudaer Edelleute.«

»O, ich bin nur ein einfacher Soldat, ich verdiene es nicht, daß man mich höher als die anderen achtet. Aber in diesem Augenblicke freut es mich doch; so bin ich für Sie nicht der erste beste.«

»Ihr Name ist auch ohnehin hier bekannt. In Lubicz gibt es eine Adelsfamilie, die Ihren Namen führt.«

»Das ist eine ganz andere Familie. – Ich heiße Korczak Wolodyjowski – und stamme aus einem ungarischen Adelsgeschlecht.«

»Sie sind also nicht hier gebürtig?«

»Nein, Panna. – Ich stamme aus der Ukraina und besitze dort ein kleines Gut, das aber jetzt vom Feinde besetzt ist. Von Kind auf, kann ich behaupten, diene ich dem Heere. Meine eigenen Angelegenheiten interessieren mich bei weitem nicht so als die öffentlichen.«

»Ach, wenn doch alle Ihnen glichen!« seufzte die Panna.

»Sie denken wohl an jenen Elenden, der es wagte, Hand an Sie zu legen, Panna?«

Panna Alexandra senkte die Augen und antwortete mit keiner Silbe.

»Nun, er hat seinen Lohn erhalten,« fuhr Wolodyjowski fort. – »Man erzählt zwar, es ginge ihm besser, aber der gerechten Strafe wird er nicht entgehen. – Man sagt auch, er sei zum Feinde übergetreten, um von ihm Hilfe für seine Sache zu holen; doch das ist Unsinn, barer Unsinn. Die Leute, mit denen er Sie überfiel, hat er einfach von der Straße aufgelesen.«

»Woher wissen Sie das?« fragte Alexandra lebhaft und sah mit ihren blauen Augen Wolodyjowski an.

»Einer seiner Leute, die damals in die Gefangenschaft abgeführt worden sind, hat es mir erzählt. Ein merkwürdiger Mensch ist er doch, dieser Kmicic! – Und was für einen unbändigen Stolz er besitzt, Er hielt es unter seiner Würde, sich auf mein Wort »Verräter« zu verteidigen.«

»Und haben Sie auch den anderen erzählt, daß er kein Verräter ist?«

»Nein, das tat ich nicht, weil ich es bisher selbst nicht wußte. Aber ich werde es jetzt tun; auch dem schlimmsten Feinde darf man ungerecht solchen Schimpf nicht antun!«

Alexandras Augen sahen zum zweitenmal auf den kleinen Ritter mit einem unverkennbaren Ausdruck der Sympathie und Dankbarkeit.

»Was für ein ehrlicher, guter Mensch Sie sind!«

Pan Wolodyjowski wurde dadurch von neuem ermuntert. »Zur Sache, Michail,« sagte er zu sich selbst, und dann begann er laut:

»Ich muß Ihnen noch mehr gestehen, Panna. – Ich zolle Kmicic' Handlungsweise keinen Beifall: aber ich finde es begreiflich, daß er so danach strebte, Sie zu besitzen, Sie, in deren Gegenwart alle Reize der Welt verblassen. Die Verzweiflung trieb ihn zu dieser Tat, und sie wird ihn wieder dazu bringen, wenn die Verhältnisse günstiger liegen. – Und dann – wie können Sie mit Ihrer Schönheit einsam und ohne Schutz bleiben? – In der Welt gibt es viele Kmicic'. Sie, Panna, werden viele Herzen entzünden, Sie werden vielen Gefahren ausgesetzt sein. Gott helfe mir, Sie vor diesen Gefahren zu retten. Aber die Kriegstrompete kann mich stündlich ins Feld rufen, und wer will Sie dann hüten? O, Panna! Man sagt uns Soldaten nach, daß wir unbeständig sind; aber es ist nicht wahr, Panna. – Mein Herz ist nicht von Stein; es konnte nicht still bleiben beim Anblick all Ihrer Schönheit!«

Pan Wolodyjowski fiel vor Alexandra in die Knie.

»O, Panna!« rief er, »ich habe das Banner nach Ihres Großvaters Tode geerbt, lassen Sie mich auch seine Enkelin besitzen. Schenken Sie mir die schöne Pflicht, Sie zu behüten und zu beschützen, und Sie werden unbesorgt und glücklich leben. Selbst wenn ich in den Krieg ziehe, so wird Ihnen mein Name schon genügend Schutz geben.«

Alexandra sprang von ihrem Platze auf und hörte verständnislos der Rede Pan Wolodyjowskis zu. Er aber fuhr fort:

»Ich bin nur ein armer Soldat; aber ein Edelmann. Und ich schwöre Ihnen, Sie werden weder in meinem Wappen noch auf meinem Namen je einen Fleck finden. Es ist vielleicht nicht recht, daß ich Sie jetzt schon bestürme; – aber Sie wissen, mich ruft das Vaterland, und ich darf es selbst Ihretwegen nicht im Stiche lassen. Geben Sie mir nur eine kleine Hoffnung; – sagen Sie mir wenigstens ein gutes Wort!«

»Sie fordern Unmögliches von mir! – Mein Gott! – Niemals, – niemals kann das geschehen!« antwortete die ganz verwirrt gewordene Panna.

»Von Ihnen allein hängt doch alles ab!«

»Und deshalb sage ich Ihnen auch: »Nein!«

Alexandra runzelte die Brauen und fuhr fort:

»Pan Wolodyjowski, ich weiß, ich bin Ihnen sehr verpflichtet – ich verstehe das wohl. – Verlangen Sie von mir alles, was Sie wollen, – nur nicht meine Hand!«

Wolodyjowski stand auf.

»Sie wollen also meinen Antrag nicht annehmen?«

»Ich kann nicht.«

»Panna, ist das Ihr letztes Wort?«

»So ist es; mein letztes, entschiedenes Wort.«

»Vielleicht mißfällt es Ihnen, daß ich mir meinen Lohn so schnell einfordere? – Lassen Sie mir doch eine Hoffnung!«

»Pan Wolodyjowski, – ich kann nicht, – kann wirklich nicht!«

»So habe ich wirklich kein Glück hier, wie nirgend auf der Welt! – Gebe Gott, daß Sie keinem schlechteren als ich es bin, in die Hände fallen. Ich werde Sie natürlich nie wieder belästigen. – Werden Sie glücklich! – Meinetwegen auch mit jenem Kmicic. – Es scheint mir fast, als zürnten Sie mir, daß ich ihn verwundete.«

Alexandra preßte ihre Hände gegen die Schläfen und rief mehrmals: »Gott! Gott! Gott!«

Aber ihr Schmerzensruf besänftigte Pan Wolodyjowski nicht. Er verbeugte sich schweigend, ging böse und zornig hinaus, bestieg sogleich sein Pferd und ritt fort.

»Mein Fuß wird nie wieder diese Schwelle betreten. – So werde ich bis an mein Lebensende Soldat bleiben müssen. Zum Teufel mit solch einem Schicksal! Was konnte sie an mir Schlechtes finden?« Pan Wolodyjowski zog die Brauen zusammen und strengte seinen ganzen Verstand an: »Ich hab' es!« schrie er plötzlich auf. »Sie liebt noch immer jenen, – natürlich, natürlich! Desto schlimmer für mich! Sie wird nie aufhören, ihn zu lieben.«

Bald störte ein Ausruf eines Dieners Pan Wolodyjowski in seinen Grübeleien.

»Dort auf der Anhöhe kommt Pan Charlamp mit noch jemandem!«

In der Tat kamen dort zwei angeritten, und Wolodyjowski überzeugte sich bald, daß es wirklich Pan Charlamp war.

Dieser war ein Kavallerieleutnant des litauischen Heeres und ein alter Bekannter Wolodyjowskis.

Wolodyjowski sprengte ihm mit den Worten: »Wie geht es, Nazo? – Woher kommst du?« entgegen.

»Mich schickt der Fürst-Wojewod, unser Hetman, zu dir mit Geld und mit einem Auftrage. Er befiehlt dir, die Landwehr zu sammeln. Und dann habe ich noch einen Brief für Pan Kmicic, der sich doch irgendwo hier aufhalten soll.«

Pan Charlamp gab Wolodyjowski einen Brief mit dem kleinen Siegel des Fürsten Radziwill. Wolodyjowski las:

»Da ich Ihre heiße Liebe zum Vaterland kenne, schicke ich Ihnen den Befehl, die Landwehrtruppen einzuberufen, aber mit der allergrößten Sorgfalt; denn periculum in mora. Es ist von größter Wichtigkeit, daß das Banner Ende Juli kriegsbereit und mit guten Pferden versehen ist, was um so schwieriger sein wird, als wir Ihnen nicht viel Geld schicken können. – Die Hälfte des Geldes geben Sie dem Pan Kmicic ab, dem ich gleichzeitig durch Pan Charlamp meinen Befehl zugehen lasse. Wir hoffen, daß seine Dienste uns jetzt recht nützlich sein können. Da aber inzwischen Gerüchte über Kmicic' Missetaten in Upita uns zu Ohren gekommen sind, so stelle ich es Ihnen anheim, ob Sie es für gut halten, dem Pan Kmicic den Brief auszuhändigen. Wenn Sie finden, daß er durch seine Taten seine Ritterehre befleckt hat, so halten Sie den Brief zurück; wenn dies nicht der Fall ist, so übergeben Sie ihm mein Schreiben. Er mag sich bemühen, seine Vergehen gut zu machen. Sagen Sie ihm, daß er keine Strafverfolgungen zu befürchten hat; denn nur wir sind seine Richter, und wir allein werden ihn vor Gericht stellen. Nehmen Sie diesen Brief als ein Zeichen unseres Vertrauens, das wir zu Ihrer Treue und zu Ihren Fähigkeiten hegen.

Janusz Radziwill,
Der Fürst zu Birze und Dubno und Wojewod zu Wilna.«

»Pan Hetmann ist sehr besorgt darüber, ob Sie die nötigen Pferde beschaffen können,« sagte Pan Charlamp, als der kleine Oberst den Brief zu Ende gelesen hatte.

»Ja, das wird auch schwer halten,« erwiderte Wolodyjowski. »Ich werde mich gleich ans Werk machen. Gebt mir den Brief an Kmicic, ich werde ihn ihm selbst übergeben.«

Die ihm bevorstehende Aufgabe erleichterte Wolodyjowskis Herz so, daß, als er sich Pacunele näherte, er schon völlig seine mißglückte Werbung vergessen hatte. Bald verbreiteten sich im ganzen Dorfe Gerüchte von den Befehlen des Hetmans, und die Edelleute erschienen vor Wolodyjowski, um sich nach allem zu erkundigen. Alle versicherten ihm, daß sie selbst, wenn es auch vor der Ernte sein müßte, gern in den Krieg ziehen würden. Der Oberst sandte nach allen Gegenden Boten aus. Überall, wohin die Kunde drang, wurde reichlich auf den Feind geflucht; aber man schöpfte frischen Mut und sah glänzenden Siegen entgegen.


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