Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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7. Kapitel.

Es vergingen mehrere Tage. Der schwedische König blieb mit seinem Heere auf derselben Stelle; er sandte nach allen Richtungen Boten aus mit dem Befehle, ihm Verstärkung und Proviant zu bringen. Proviant wurde auf der Weichsel herbeigeschafft, aber er war nicht ausreichend. Nach einer Woche schon mußten die Pferde geschlachtet werden, und der König geriet bei dem Gedanken, daß seine Reiter und seine Kanonen bald ohne Pferde bleiben würden, in Verzweiflung. Von allen Seiten liefen sehr ungünstige Nachrichten ein. Das ganze Land brannte, als ob man es mit Teer begossen und dann angezündet hätte. Überall herrschte die Überzeugung, daß, wenn nicht schon in einer Woche, so spätestens doch in einem Monate das ganze schwedische Lager sich in einen Friedhof verwandelt haben würde, dem Volke zum Ruhme und allen denen, die in die Republik einfallen wollen, zur Lehre. Man behauptete, daß Karl-Gustav die einzige Rettung bliebe, der Republik eine schwedische Provinz als Lösegeld zu überlassen.

Aber plötzlich besserte sich die Lage der Schweden. Im März fiel Malborg, das bis dahin der Belagerung Steinbocks standgehalten hatte. Die bedeutende Armee der Belagerer konnte sich jetzt mit Karl-Gustav vereinigen. Andererseits eilte der Markgraf von Baden den Schweden mit einem starken Heere zu Hilfe.

In dem Kriegsrate der polnischen Anführer beschloß man daher, daß Pan Sapieha mit den litauischen Truppen die Schweden beobachten, Parni Czarniecki aber dem Markgrafen entgegeneilen und im Falle eines Sieges auf seinen alten Platz zurückkehren solle.

Niemals flogen die Tataren mit solcher Schnelligkeit über die Steppen wie Pan Czarniecki mit seinen leichten Kavallerieregimentern. Die Soldaten saßen, tranken und schliefen im Sattel, sie fütterten die Pferde aus ihren Händen und machten nur so viel Rast als unumgänglich nötig war, um den erschöpften Pferden Ruhe zu gönnen.

Nicht weit von Magnuszew entfernt, erhielt Czarniecki durch Spione die Nachricht, daß der Markgraf sich mit seinem Heere in Warka befinde.

Pan Wolodyjowski bekam den Befehl, nachts die Gegend auszukundschaften, um Näheres über die Lage in Erfahrung zu bringen.

Pan Michail brach sofort auf und verschwand bald mit seiner Abteilung in einem kleinen Wäldchen. Plötzlich erschienen auf dem vom Monde beleuchteten Waldwege gegen dreißig schwedische Reiter. Sie unterhielten sich laut und sangen fröhliche Lieder, nicht ahnend, daß der Feind in ihrer Nähe sei. Wolodyiowski wartete, bis die Schweden in der Ferne verschwanden und wandte sich dann zu Skrzetuski:

»Jetzt wollen wir sie wie Gänse direkt in das Lager des Kastellans treiben; kein einziger darf uns entrinnen!«

Gesagt, getan.

In Czarnieckis Lager waren alle munter; das ganze Heer stand in Bereitschaft. Der Kastellan kam Wolodyjowski entgegen und fragte ungeduldig:

»Nun, was gibt's?«

»Ich habe fünfundzwanzig Gefangene gebracht.«

»Ist einer entkommen?«

»Keiner.« »Das ist ja großartig! Lassen Sie sie zu mir kommen; ich werde sie selbst ausfragen.«

Die Gefangenen erzählten, was ihnen über das markgräfliche Heer bekannt war. Czarniecki versank in Gedanken. Die feindliche Armee war um mehrere hundert Mann stärker als die seine, und sie bestand zum großen Teile aus Soldaten, die schon in Gott weiß wie vielen Schlachten gekämpft hatten. Zum Glück aber hatte der Markgraf keine Ahnung, daß der Feind in der Nähe war. Er war fest überzeugt, daß die ganze polnische Armee Karl-Gustav bei Sandomier belagerte. Der Kastellan stand auf und rief:

»Witowski! Lassen Sie das Signal zum Aufsitzen geben!«

Nicht lange, und das ganze polnische Heer war wieder auf den Beinen. Hinter den Ruinen von Warka – die Stadt war sechs Jahre vorher total niedergebrannt – öffnete sich freies Feld. Die polnischen Truppen konnten sich nicht mehr den Blicken des Feindes entziehen; aber der Markgraf hielt sie für zusammengelaufene »Parteien«.

Als jedoch aus dem Walde immer mehr Regimenter herausgeritten kamen, gerieten die Schweden in Unruhe. Die polnische Infanterie stellte sich in die Mitte der Ebene, ein Regiment nach dem anderen reihte sich auf wie eine Schar roter Vögel. Über ihren Köpfen glänzten die Stiele der dicken Spieße, mit denen sich die Infanterie vor dem Anprall der Reiterei schützte. Endlich kamen auch die Regimenter der gepanzerten Reiterei und stellten sich an die beiden Flügel der Armee. Die Artillerie machte ihre Kanonen kampfbereit.

Die feindlichen Heere waren durch die Pilica getrennt. Pan Czarniecki sprengte auf das Banner Wansowicz' zu, das voran stand, und rief:

»Alter Freund! Geh' zur Brücke, laß absitzen und eröffne ein Musketenfeuer. Auf euch wird sich die ganze Macht des Feindes werfen. Vorwärts!«

Wansowicz wurde rot vor Freude und hob sich im Sattel. Das Banner stürzte mit Geschrei hinter ihm her, wie Staub, der vom Sturme getrieben wird.

Dreihundert Schritte vor der Brücke stiegen Wansowicz' Reiter ab und eilten im Laufschritt zur Brücke.

Von der anderen Seite taten die Schweden ein gleiches. Die Musketen begannen zu knattern, zuerst langsam, dann schneller und schneller, wie Tausende von Dreschflegeln auf der Tenne. Die Aufmerksamkeit beider Heere richtete sich auf die Brücke, eine schmale, hölzerne Brücke, die leicht zu verteidigen und schwer zu nehmen war. Aber der einzige Weg in das schwedische Lager führte über diese Brücke.

Nach einer Viertelstunde schickte Czarniecki Lubomirskis Dragoner Wansowicz zu Hilfe. Die Schweden eröffneten ein Geschützfeuer. Der Markgraf beobachtete den Kampf durch ein Fernrohr und rief mehrmals seinem Stabe zu:

»Der ist, wie es scheint, ganz von Sinnen! Mehrere Geschütze und zwei bis drei Regimenter können die Brücke mit Leichtigkeit gegen eine ganze Armee halten!«

Aber Wansowicz stürmte immer stärker und stärker gegen die Brücke an, und auch die Schweden mußten mehr Soldaten zur Verteidigung hinschicken. Die Brücke wurde zum Mittelpunkte des Kampfes, und nach und nach wandte sich die ganze schwedische Front ihr zu. Die Schweden überschütteten die Brücke mit einem dichten Hagel von Feuer und Blei; Wansowicz' Leute fielen zu Dutzenden. Czarnieckis Ordonnanzen aber überbrachten immer wieder den Befehl, weiter vorwärts zu dringen.

Jan Witkowski konnte sich nicht enthalten, er gab seinem Pferde die Sporen und ritt zu Czarniecki.

»Pan Kastellan!« rief er, »unser Blut fließt umsonst; die Brücke können wir nicht nehmen.«

»Ich will sie ja auch gar nicht nehmen!« entgegnete Czarniecki: »folgt mir zum Fluß!«

Die Augen des Feldherrn funkelten so, daß Witkowski ohne weiteres zurücksprengte. Unterdessen hatten die polnischen Regimenter den Fluß erreicht und blieben stehen. Die Offiziere sahen sich gegenseitig verständnislos an.

Da erschien Czarniecki vor der Front seiner Regimenter. Sein Gesicht glühte, die Augen brannten. Ein starker Wind hob die Schöße seines Filzmantels wie die Flügel eines Raubvogels. Er riß seine Mütze vom Kopf und rief so laut, wie seine Kräfte es ihm erlaubten:

»Panowie! Der Feind schützt sich vor uns durch diesen Fluß und macht sich über uns lustig! Übers Meer ist er gekommen, um unser Vaterland mit Schmach zu bedecken. Er denkt, daß wir es nicht wagen werden, dieses Flüßchen zu überschreiten und mit ihm zu kämpfen.«

Czarniecki warf seine Mütze zur Erde und wies mit dem Säbel auf das brausende Wasser. Er erhob sich im Steigbügel und rief noch lauter:

»Wem Gott, das Vaterland und sein Glaube teuer ist, der folge mir!«

Und seinem Pferde die Sporen gebend, warf er sich in den Fluß. Für einen Augenblick war er im Wasser verschwunden, bald aber tauchten Roß und Reiter wieder auf der Oberfläche auf.

»Folgt mir!« rief mit dünner Stimme Wolodyjowski.

»O Gott! Gott!« murrte Zagloba, aber er folgte dem Beispiel seiner Kameraden.

Hunderte von Reitern hatten bald das andere Ufer erreicht. Ein Regiment wollte das andere überholen. Das Geschrei der Soldaten übertönte die Kommandoworte; ein jeder aber verstand instinktiv, was er zu tun hatte.

Czarniecki, der als erster das andere Ufer erreicht hatte, gab mit seinem Stabe ein Zeichen und rief Wolodyjowski mit dem Laudaer Banner zu sich.

»Marsch auf den Feind! Schlagt los!«

Darauf langte das Banner Wisniowieckis an.

»Folgt ihnen!« kommandierte der Kastellan.

Nachdem er sämtliche Regimenter in die Schlacht geschickt hatte, stellte Czarniecki sich an die Spitze des letzten und stürzte sich in den Kampf.

Zwei sich in der Arrieregarde befindende schwedische Regimenter wurden das erste Opfer der anstürmenden Polen. Ihre Reihen gerieten bald in Verwirrung und flohen in Unordnung auf die Hauptarmee zu; die meisten wurden aber eingeholt und getötet.

Jetzt wurde es allen klar, warum Czarniecki den Sturm auf die Brücke befohlen hatte. Die ganze Aufmerksamkeit der schwedischen Armee hatte sich nach diesem Punkte gelenkt, niemand hatte an eine Überschreitung des Flusses durch Schwimmen gedacht. Alle Kanonen, die ganze Front war der Brücke zugewandt; jetzt mußte alles schnell umformiert werden, damit man den unerwarteten Überfall abweisen konnte. Deshalb begann in der schwedischen Armee ein fürchterlicher Wirrwarr zu herrschen. Vergebens machten die Offiziere übermenschliche Anstrengungen, vergebens ließ der Markgraf seine bisher untätigen Regimenter vorrücken: ehe sie ankamen, ehe noch die Artillerie ihre neuen Positionen einnehmen konnte, sprengte das Laudaer Banner in die Mitte des schwedischen Heeres hinein. Ihm folgte ein zweites, drittes, viertes Banner. Pulverdampf verhüllte wie eine Wolke das ganze Schlachtfeld. Von Zeit zu Zeit schimmerte in dieser Wolke die Fahne irgend eines Regimentes: aber bald verschwand sie wieder, von dichtem Rauche eingehüllt. Und der Lärm und das Geschrei der Kämpfenden wurde stärker und stärker. Plötzlich erschallte ein furchtbares Gepolter. Wansowicz hatte die Brücke erobert und überschritten. Jetzt eilte er mit seinen Soldaten dem Feinde entgegen.

Aus der Rauchwolke heraus begannen in der Richtung nach dem Walde zu kleinere und größere Menschenmengen aufzutauchen. In größter Unordnung, ohne Helm und ohne Waffen, ergoß sich bald ein ganzer Menschenstrom über die Ebene, der dem Walde zueilte. Die einen schrien aus Leibeskräften, die anderen schützten ihre Köpfe vor vermeintlichen Hieben, die dritten wieder hielten die Fliehenden zurück und kämpften miteinander. Und wie die Lava eines wütenden Vulkans verfolgten die polnischen Reiter die fliehenden Regimenter. Der größere Teil der Schweden verteidigte sich erst gar nicht; sie gingen ohne Murren unter das Messer. Die Schlacht verwandelte sich in eine rohe, erbarmungslose Metzelei. Und wieder harrten im Walde der Geflohenen die aus der Umgegend zusammengelaufenen Banden, aus deren Händen es kein Entrinnen gab, die kein Erbarmen kannten. Zweimal versuchte der junge Markgraf Adolf sein fliehendes Heer zum Stehen zu bringen, aber schließlich geriet er selbst in Gefangenschaft. Ehe die Sonne unterging, hatte die Armee Friedrichs, des Markgrafen von Baden, zu existieren aufgehört.

Erst gegen Abend kehrte die polnische Reiterei von ihrer Verfolgung zurück, fröhliche Lieder singend, aus den Pistolen schießend und die Gefangenen vor sich her treibend.

Pan Czarniecki kam als erster mit den königlichen Regimentern an. Er nahm mitten im Felde Aufstellung: die Truppen begrüßten ihn mit begeisterten Rufen. Alle lagen unter dem Banne des soeben erfochtenen. Sieges. Lubomirski allein war finster. Des Marschalls Seele war von Neid erfüllt.

Bald trafen auch die anderen Regimenter ein. Sie defilierten alle vor Czarniecki, und jeder Befehlshaber legte dem Kastellan feindliche Fahnen zu Füßen.

Endlich erschien auch das Laudaer Banner, das den Feind am längsten verfolgt hatte.

»Sind viele geflohen?« fragte der Pan Kastellan.

Wolodyjowski schüttelte verneinend mit dem Kopfe; er war so ermüdet, daß er nicht imstande war zu sprechen.

Da trat Zagloba pustend und zähneklappernd vor.

»Bei Gott,« begann er, »das ist der einfachste Weg, sich eine Erkältung zu holen! Reißt doch irgend einem Schweden die Kleider vom Leibe herunter, ich habe keinen trockenen Faden an mir. Das ist wahr, wir haben einen großen Sieg erfochten; aber zum zweiten Male werfe ich mich nicht mehr ins Wasser. Dazu bin ich zu alt geworden. Zum Himmelkreuzdonnerwetter, Schnaps her!«

Pan Czarniecki reichte ihm seine Feldflasche.

»Sie sollten sich wirklich umziehen,« sagte er.

»Ich suche Ihnen irgend einen dicken Schweden heraus,« fügte Pan Roch hinzu.

»Wozu soll ich mit Blut besudelte Kleider anziehen?« entgegnete Zagloba. »Zieh nur den General aus, den ich gefangen genommen habe.«

»Sie haben einen General gefangen genommen?« fragte Czarniecki lebhaft.

»Der Markgraf Adolf, Graf Falkenstein, General Wegier und viele andere Offiziere sind gefangen,« antwortete Wolodyjowski, der sich inzwischen etwas erholt hatte.

Es war schon Nacht, als Pan Czarniecki wieder in Warka einzog, vielleicht die glücklichste Nacht seines Lebens. Niemand hatte den Schweden seit Beginn des Krieges eine größere Niederlage beigebracht. Alle Kanonen waren genommen, alle Anführer, außer dem Markgrafen Friedrich selbst, waren gefangen worden. Die feindliche Armee war aufs Haupt geschlagen, und ihre Trümmer mußten ein Opfer der Bauernbanden werden. Die Hauptsache aber war, daß die Schweden, die bisher im offenen Felde als unbesiegbar galten, den regulären polnischen Truppen nicht stand gehalten hatten. Pan Czarniecki war sich bewußt, welchen Eindruck dieser Sieg deshalb in der ganzen Republik machen mußte. Triumphierend sah er Polen in nicht zu ferner Zeit befreit von allen feindlichen Truppen. Vielleicht auch träumte er von dem goldenen Stabe des Großhetmans, den er sich gerechterweise auch verdient hatte. Pan Czarniecki konnte kaum seine Freude zügeln und sagte zu dem an seiner Seite reitenden Lubomirski:

»Jetzt geht's nach Sandomier, möglichst schnell nach Sandomier! Uns werden weder die San noch die Weichsel Furcht einjagen. Unsere Truppen verstehen es, Flüsse zu durchschwimmen.«

Der Marschall antwortete kein Wort und blickte finster zur Erde.


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