Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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7. Kapitel.

Einige Wochen später herrschte in Tauroggen eine fürchterliche Unruhe und viel Lärm. Eines Abends zogen Haufen früherer Boguslawscher Truppen ungeordnet ein; die Soldaten waren abgemagert, abgerissen und sahen kaum menschenähnlich aus. Boguslaw hatte in einem Kampfe mit Sapieha alles verloren: die Armee, die Geschütze, das Lager. Sechstausend Mann der auserlesensten Truppen waren mit dem Fürsten ausgezogen, zurück kehrten nur zweihundert Reiter. Außer Sakowicz kam von den Polen keiner lebend wieder. Alle, die nicht in der Schlacht gefallen waren, waren zu Sapieha übergetreten. Auch viele ausländische Offiziere hielten es für vorteilhafter, sich dem Wagen des Siegers anzuschließen. Kurz, niemals war ein Radziwill in solchem Zustande vom Kriegsplatze wiedergekommen. Und in dem Maße, wie früher die Schmeichelei der Höflinge keine Grenzen kannte, um Boguslaws Kriegstüchtigkeit zu preisen, in demselben Maße nahm die Unzufriedenheit mit Boguslaw in der zertrümmerten Armee zu. Der Fürst hielt es daher für ratsam, in der Arrieregarde zu bleiben.

Als Ketling den ganzen Sachverhalt erfuhr, ging er sofort zu Alexandra und teilte ihr alles, was er von den Zurückkehrenden erfahren hatte, mit.

»Doch ich wollte mit Ihnen über etwas anderes reden,« schloß er. »Der Fürst, krank und durch die letzten Mißerfolge gereizt, könnte Gott weiß was wagen. – Trennen Sie sich nie von Ihrer Tante und der Panna Borzobohata, insbesondere willigen Sie nicht darin ein, daß man den Miecznik nach Tylce schickt, wie man es unlängst getan hat.«

Alexandra antwortete nichts. Nach der letzten Begegnung mit dem Fürsten war der Miecznik sehr krank geworden, und Sakowicz hatte deshalb absichtlich das Gerücht verbreitet, daß man den Pan Billewicz nach Tylce geschickt habe. Alexandra wollte einem Fremden nicht eingestehen, daß man ihren Onkel wie einen Hofhund behandelt hatte, und sie erwiderte deshalb nichts. Ihr Herz war voll Bitterkeit gegen den jungen Offizier, in dessen Händen allein es lag, die ihr drohende Gefahr von ihr abzuwenden. Hätte er sich nicht geweigert, ihr beizustehen, so wäre sie längst außer dem Machtbereich Boguslaws.

»Ich danke Ihnen, Kavalier«, entgegnete sie endlich, »welch' Glück, daß diese Warnung Ihre Ehre nicht schädigt. – Der Fürst konnte Ihnen doch unter all den vielen anderen Befehlen auch verbieten, mich jemals vor irgend etwas zu warnen.« Ketling lächelte traurig.

»Alles, wozu mich mein Schwur und mein einmal gegebenes Wort verpflichtet, alles das halte ich heilig. Aber verbrecherischen Plänen zu helfen, dazu habe ich mich nicht verpflichtet. Und nun, jetzt, als ehrlicher Mann, überlasse ich Ihnen diese Pistole. Verteidigen Sie sich, – die Gefahr ist nahe. – Wenn es nötig ist, so töten Sie ihn! Dann ist meine Verpflichtung zu Ende, und ich werde Ihnen beistehen!«

Er verbeugte sich und wollte gehen, aber Alexandra hielt ihn zurück.

»Kavalier, verlassen Sie Ihren Dienst! Verteidigen Sie eine gerechte Sache! Treten Sie für ein unterdrücktes Volk ein. – Mit reinem Herzen und reiner Seele können Sie sich dieser Sache weihen!«

»Ich hätte schon längst um meinen Abschied gebeten«, antwortete Ketling, »wenn ich nicht gewußt hätte, daß Sie dann hier ohne jeden Schutz wären. Jetzt aber ist es dazu zu spät! – Kehrte der Fürst als Sieger zurück, so würde ich keine Minute schwanken, nun aber, wo er geschlagen und der Feind ihm vielleicht auf den Fersen folgt, wäre ich ein Feigling, wenn ich ihn verließe. – Leben Sie wohl! Diese Pistole durchdringt selbst den stärksten Panzer!«

An demselben Abend kam der Fürst mit Sakowicz in Tauroggen an, wo er zwei bis drei Tage zu verweilen gedachte. Dann wollte er nach Preußen zum Kurfürsten und zu Steinbock, die ihn mit frischen Truppen versehen konnten. Am folgenden Morgen trat Sakowicz beim Fürsten Boguslaw ein; der Fürst sah ihn an und sagte:

»Nun, alles ist zum Teufel gegangen!«

»Alles ist zum Teufel gegangen!« wiederholte Sakowicz.

»Hätte ich mehr leichte Reiterei gehabt und wäre dieser Babinicz nicht erschienen, so hätte die Sache eine andere Wendung genommen. – Hör', schwatz aber zu niemandem etwas davon. Es ist nicht nötig, seinen Ruhm zu verbreiten.«

»Ich werde es schon keinem erzählen; aber für die Offiziere stehe ich nicht ein. Sie haben ja beliebt, den Orszaer Fahnenträger allen vorzustellen, als er Ihnen zu Füßen lag.« –

»Die Deutschen behalten doch nicht die polnischen Namen »Kmicic« oder »Babinicz«, das ist ihnen egal. – Wenn ich ihn nur zu fassen bekäme. Und er war in meinen Händen, und ich habe ihn herausgelassen, das ärgert mich mehr noch als die verlorene Schlacht.«

»Ja, Sie hatten ihn in Ihren Händen, aber mich hatten Sie für ihn als Pfand gegeben.«

»Mein Lieber, ich muß dir offen gestehen, man kann dir ruhig das Fell über die Ohren ziehen, wenn ich mir dafür mit Kmicic' Fell meine Trommel beziehen lassen kann.«

»Ich danke dir, mein Freund. Auf besseres konnte ich bei dir auch nicht rechnen.«

Der Fürst lachte.

»Und wie du gequietscht hättest auf Sapiehas Bratenspieß! Alle deine Schelmenstücke wären dir aus dem Leibe geschmolzen worden! Ma foi! Das hätte ich gern mit ansehen mögen!«

»Und ich meinerseits möchte dich gern in Kmicic' Händen sehen. Eure Gesichter sind ja verschieden, aber sonst seid ihr euch einander ganz ähnlich. Und ihr macht auch beide ein und derselben den Hof. – Nur hat sie einen feinen Instinkt; sie merkt sehr wohl, daß er kräftiger und im Kriegswesen erfahrener ist als du.«

»Du warst ja immer dumm. Freilich, deiner Dummheit wegen habe ich dich auch liebgewonnen. Aber jetzt ist dein Verstand dir schon ganz in die Hacken gerutscht!«

»Ja, bei uns leider sitzt der Verstand immer in den Fersen. Erinnere dich nur, wie du erst unlängst dem Pan Sapieha, um vor ihm zu glänzen, deine Fersen zeigtest. – Bei Gott! Ich glaube, ich gehe bald von dir zu ihm über.«

»Gewiß, damit man dich an einen Strick knüpft!«

»Ja, an denselben, mit dem man alle Radziwills zusammen fesselt.«

»Genug!«

»Zu Befehl, Euer Durchlaucht!«

»Mehrere Soldaten müssen erschossen werden, – die am meisten krakehlen, – und Ordnung muß hergestellt werden.«

»Ich habe schon befohlen, sechs Mann zu hängen!«

»Da hast du gut getan! Höre mal, willst du in Tauroggen bleiben?«

»Wen sollten Sie sonst hier lassen? Die Soldaten fürchten mich und wissen, daß mit mir nicht gut Kirschen essen ist.«

»Wirst du aber auch mit den Konföderierten fertig werden?«

»Ich werde jede Kiefer Smudiens mit mehreren von ihnen schmücken. Zwei Regimenter werde ich neu aus Bauern formieren und ihnen die nötige Schulung beibringen. Nur gebrauche ich dazu etwas Geld.«

»Was ich entbehren kann, werde ich dir hier zurücklassen.«

»Aus der Mitgift? Das heißt, aus dem Gelde des Miecznik?«

»Wenn ich diesem Miecznik unbemerkt das Genick umdrehen könnte, so wäre ich sehr zufrieden. Wie unvorsichtig war es von mir, ihm den Brief zu schreiben!«

»Vielleicht gelingt es mir, ihm den Brief abzujagen. Wenn er ihn nur nicht einem seiner Freunde zur Aufbewahrung zugeschickt oder die Panna Alexandra ihn an sich genommen hat! – Wollen Sie nicht eine Attacke auf sie machen?«

»Später, jetzt muß ich fort. – Außerdem hat mich das verdammte Fieber zu Tode erschöpft.«

»Beneiden Sie mich nicht, daß ich in Tauroggen bleibe?«

»Wieso? – Wenn du es wagtest! – Aber nein; du kennst mich ja zur Genüge! – Warum willst du eigentlich hier bleiben?«

»Ich möchte heiraten!«

»Wen denn?« Der Fürst interessierte sich so, daß er sich im Bette hochrichtete.

»Die Panna Borzobohata.«

»Ja, das ist nicht übel«, entgegnete Boguslaw nach einiger Überlegung. »Ich habe irgend etwas von einem Testamente gehört.«

»Vom Testamente des Pan Longin Podbipienta. Er war ein sehr reicher Mann und hat gegen zehn Güter hinterlassen. Freilich haben sich einige seiner Verwandten ihrer bemächtigt, andere wieder sind von den moskowitischenTruppen besetzt. – Scherereien und Prozesse wird es genug geben. – Aber ich werde schon mit allen fertig werden. Außerdem gefällt mir das Mädchen, und wenn ich hier bleibe, so werde ich meine Zeit nicht umsonst verlieren.«

»Nur eins: heiraten darfst du sie; aber die Sache muß mit allem Anstand zugehen. Zamoyski und seine Schwester, die verwitwete Fürstin Wisniowiecka, protegieren sie.«

»Natürlich, selbstredend. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß meine Absichten ganz ernste sind.«

»Ich wünschte, daß sie dir einen Korb gäbe.«

»Ich weiß, wer erst unlängst eine Absage hat herunterschlucken müssen, – der, – aber solch fürstliches Gericht ist nicht für meinen Magen.«

»Du tust gut, den nicht aufzuziehen, der eine Absage bekommen hat, er könnte dir sonst noch Hörner aufsetzen. Dann würde man dich den »gehörnten Sakowicz« nennen, und ich werde der Schöpfer dieses Beiwortes sein.«

Sakowicz brauste auf, dann beherrschte er sich und sagte:

»Du, Armer, kannst selbst nicht ohne fremde Hilfe gehen und drohst anderen! Du hättest lieber an Deine Panna Alexandra denken sollen! Hör' auf meine Worte, du wirst noch einmal Babinicz' Kinder warten müssen.«

»Du höhnst über meine Krankheit; ich wünschte, daß man auch dich mal verhexte.«

»Hexerei! Zuweilen, wenn ich darüber nachdenke und sehe, daß doch im Grunde alles mit rechten Dingen zugeht, so sehe ich ein, daß der Glaube an Hexerei eine Dummheit ist.«

»Du bist selbst dumm! Schweig'! Reiz' mich nicht, du wirst mir immer widerwärtiger!«

»Ich bin es gewohnt, solche Worte von Ihnen zu hören, und erwarte keine andere Belohnung für meine Hingebung. Wirklich, es wäre besser für mich, mich irgend wohin zurückzuziehen und das Ende des Krieges abzuwarten.«

»Schwatz' nicht! Du weißt, daß ich dich gern habe.«

»Weiß, weiß, – der Teufel selbst hat uns beide mit einer unzerreißbaren Kette zusammengekoppelt!«

Sakowicz sprach die Wahrheit, – er liebte den Fürsten wirklich. Und Boguslaw dankte ihm, wenngleich nicht durch Liebe, so doch durch Anhänglichkeit. Er willigte deshalb auch leicht ein, Sakowicz' Pläne zu fördern. Gegen Mittag sprach er persönlich bei Panna Anna vor.

»Wie sind Sie mit Ihrem Aufenthalte in Tauroggen zufrieden?« fragte er sie.

»Ein Mensch, der in Gefangenschaft ist, muß mit allem zufrieden sein,« antwortete Anna.

Der Fürst lachte.

»Sie sind keineswegs hier in Gefangenschaft. Es ist wahr. Sie sind mit Sapiehas Gesindel zusammen abgefangen worden, und ich befahl, – Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit nach Tauroggen zu bringen; aber das bedeutet doch nicht, daß Sie gefangen sind. Sie können abreisen, wohin Sie wollen; ich werde Ihnen sogar Begleitung mitgeben, trotzdem ich selbst nicht viele Soldaten habe. Man erzählte, Sie reisen, um eine Erbschaft zu regeln? Sie haben eine schlechte Zeit dazu gewählt; denn auch Sapieha wird Ihnen wenig helfen können. In der Witebsker Wojewodschaft hat er ja eine gewisse Bedeutung, hier jedoch nicht. Sie brauchen die Hilfe eines erfahrenen, Ihnen wohlgesinnten Mannes, der hier die allgemeine Achtung genießt.«

»Wäre es denn möglich, daß der Fürst selbst Anteil an meiner Sache nähme!« rief Anna, indem sie Boguslaw einen Blick zuwarf, für den er zu jeder anderen Zeit nicht unempfänglich gewesen wäre. Jetzt jedoch war ihm nicht zum Hof machen zumute.

»Leider muß ich bald von hier fort,« erwiderte er, »statt meiner bleibt Pan Sakowicz hier, ein Mann, der, wenn er sich einmal Ihrer Sache angenommen hat, sie auch zu Ende führen wird. Er ist mein Freund, ein in jeder Hinsicht ehrenwerter Mann.«

»Wird aber Pan Sakowicz seine Hilfe einem armen Mädchen leihen wollen?«

»Weisen Sie ihn nur nicht ab, so ist er bereit, für Sie alles zu tun. Sie haben einen starken Eindruck auf ihn gemacht.«

»Darf ich Ihnen denn glauben, Fürst? – Ich soll jemandes Herz verwundet haben?«

»Das ist eine schlaue Bestie!«, dachte Boguslaw bei sich, laut aber sprach er: »Möge Sakowicz seine Sache selbst verfechten. Ich wiederhole Ihnen nur, daß er ein Mann aus guter Familie ist; einen solchen darf man nicht verschmähen!«


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