Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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2. Kapitel.

Nach langer, mühseliger Reise langte Kmicic mit den drei Kiemlicz' in Glogau an. Es war schon dunkle Nacht, als sie in die Stadt hineinritten, die von Truppen, Pans, königlichen Dienern und Magnaten ganz überfüllt war. Die Gasthäuser waren alle so besetzt, daß es dem alten Kiemlicz nur mit großer Mühe gelang, für Kmicic außerhalb der Stadt bei einem Seiler Quartier zu bekommen. Den ganzen folgenden Tag lang lag Kmicic in hohem Fieber, er fürchtete schon, einer schweren Krankheit entgegenzugehen. Seine eiserne Natur jedoch gewann die Oberhand. Am nächsten Morgen bereits fühlte er sich besser; er kleidete sich an und begab sich in die Kathedrale. Noch durchdrang das schwache Tageslicht kaum die Dunkelheit der nebeligen und schneeigen Nacht. Alle in der Stadt lagen in tiefem Schlafe. In der Kirche, in der man die Messe las, waren nur sehr wenige. Dicht am Fuße des Altars sah Pan Andreas eine Gestalt, die mit dem Gesichte nach unten, ausgestreckt auf einem Teppiche lag. Hinter dieser Gestalt knieten zwei hübsche Jünglinge. Der Mann lag unbeweglich, und nur an den konvulsiven Bewegungen der Schultern sah man, daß er betete und weinte.

Kmicic vertiefte sich auch in sein Gebet; doch unwillkürlich richteten sich seine Augen wieder auf den Unbekannten.

Ohne Zweifel war dieser Mann eine hohe Persönlichkeit. Er trug ein schwarzes, mit Zobelpelz gefüttertes Gewand und einen großen, weißen Spitzenkragen, durch den man eine goldene Kette leuchten sah. Neben ihm lag ein schwarzer Hut mit Federn, und ein Page hielt seine Handschuhe und einen blau emaillierten Degen. Das Gesicht des Unbekannten war durch den Teppich und eine lange Lockenperücke verdeckt.

Die Betenden und auch der Geistliche blickten mit tiefem Mitgefühl und größter Achtung auf den Mann.

Kmicic stieß seinen Nachbar leise an und fragte:

»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe. Wer ist das?« Er richtete seine Augen fragend auf den Unbekannten.

»Sie kommen wohl von weit her? – Das ist der König.«

»Nicht möglich!« sprudelte Kmicic heraus.

In diesem Augenblicke begann der Pater das Evangelium zu lesen, und der König erhob sich.

Pan Andreas sah ein gelbes, wie Wachs durchsichtiges, mageres Gesicht. Die Augen des Königs waren feucht, die Lider leicht geschwollen. Das Geschick des ganzen Landes hatte sein Siegel auf diesem edlen Antlitz abgedrückt. Unendlicher Kummer und tiefes Leid, schlaflose, im Gebet verbrachte Nächte, die Bitterkeit eines von allen verlassenen Verbannten, das gekränkte Gefühl der gedemütigte Enkel und Urenkel mächtiger Könige zu sein, der Undank des Landes, für das er bereit war, sein Leben und Blut zu opfern – das alles hatte in seinen Zügen tiefe Spuren hinterlassen. Aber die Augen dieses Mannes blickten so sanft, alles vergebend, daß selbst der schlimmste Verbrecher seiner Gnade gewiß sein konnte.

Der Anblick des Königs tat Kmicic bitter weh, er fühlte, daß seine Augen sich mit Tränen füllten. Die Bereitwilligkeit, dieser leidenden Majestät sein Blut, sein Leben und all seine Kräfte zu weihen, wuchs zu einem heftigen Verlangen. In diesem Augenblicke erstarb in ihm der selbstherrliche, ungestüme Schlachtschitz, und der Royalist, der mit ganzer Seele seinem Könige ergeben ist, erwachte.

Die Messe war zu Ende, aber weder der König noch Kmicic rührten sich von der Stelle.

»Erlauben Sie mir eine Frage, wer sind Sie?« fragte der Nachbar Pan Andreas.

Kmicic fuhr zusammen wie jemand, der aus tiefem Schlafe geweckt wird.

»Ich? – Ich bin Babinicz aus Litauen.«

»Und mein Name ist Lugowski, ein Höfling des Königs. – Sie kommen also aus Litauen?«

»Nein, aus Czenstochau!«

Pan Lugowski war einen Augenblick starr vor Staunen.

»O, wenn es so ist, so kommen Sie mit mir. Seine Majestät grämt sich sehr über das Schicksal Czenstochaus, da er ohne jede bestimmte Nachricht von dort ist. – Ja, ja. – Sie sind gewiß einer aus Zbrozeks oder Kuklinowskis Regiment? Sie kommen also von Czenstochau?«

»Ja, direkt aus der Festung.«

»Sie scherzen! – Wie steht es da? – Leistet Jasno-Gora noch Widerstand?«

»Es verteidigt sich immer noch, und die Schweden sind bald so weit, den Rückzug anzutreten.«

»Gott sei gedankt! Der König wird Sie für diese Nachricht mit Gold überschütten. – Sie sagen also, Sie kommen direkt aus dem Kloster? – Wie aber haben denn die Schweden Sie durchgelassen?«

»Ich habe sie selbstredend nicht erst darum gebeten. – Aber verzeihen Sie, hier in der Kirche kann ich Ihnen das doch nicht alles erzählen.«

»Richtig, richtig!« gab Pan Lugowski zu. »Warten Sie einmal, wir wollen an die Tür treten, dann kann ich Sie gleich dem Könige vorstellen.«

Kaum hatten sie den Platz eingenommen, als Jan-Kasimir sich erhob und zur Tür schritt.

»Majestät!« rief Pan Lugowski. »Hier bringt jemand Nachrichten aus Czenstochau.«

Das gelbliche Gesicht Jan-Kasimirs belebte sich sofort.

»Wie? Wer bringt Nachrichten?« fragte er lebhaft.

»Dieser Schlachtschitz hier; er sagt, er komme direkt aus Czenstochau.«

»Ist das Kloster denn schon genommen?« rief der König erschrocken.

Pan Andreas warf sich zu des Königs Füßen; Jan-Kasimir aber bückte sich nieder und hob ihn auf.

»Später, später! Jetzt stehen Sie auf, um Gottes willen, stehen Sie auf! Sprechen Sie, – – ist das Kloster genommen?« Kmicic stand auf.

»Es ist nicht genommen, gnädiger Herr, und es wird nicht genommen werden. Die Schweden sind geschlagen, ihre größte Kanone ist in die Luft gesprengt worden. Hunger, Unglück und Furcht herrschen im schwedischen Lager. Man beginnt sich mit dem Gedanken eines Rückzuges vertraut zu machen.«

»Gelobt sei die Herrscherin der Welt!« sagte der König. Er nahm den Hut ab, und ohne in die Kirche tiefer hineinzutreten, ließ er sich noch einmal auf die Knie nieder. Während Freudentränen seine Augen füllten, betete er lange und inbrünstig.

Nach dem Gebet erhob er sich gefaßt und begann Kmicic auszufragen.

»Wie heißen Sie, Kavalier? Babinicz? Pan Lugowski mag Sie in unser Quartier führen.«

Eine Viertelstunde später stand Kmicic im Gemache des Königs. Eine Reihe hoher Würdenträger war dort versammelt, und der König wartete nur auf die Königin, um das Frühstück einzunehmen. Sobald Marie-Luise erschienen war, rief Jan-Kasimir:

»Czenstochau hält sich! Die Schweden treten den Rückzug an! Hier ist Pan Babinicz, er kommt von dort und bringt uns diese Nachrichten!«

Die schwarzen, prüfenden Augen der Königin blieben einen Augenblick auf dem Gesichte des jungen Ritters haften, und er sah ihr mutig und aufrichtig in die Augen.

»Sie nehmen eine schwere Last von unseren Herzen,« sagte sie; »gebe Gott, daß diese Botschaft ein Vorzeichen einer besseren Zukunft sein möge! – Sie kommen also von Czenstochau?«

»Ja, direkt aus Czenstochau, direkt aus dem Kloster. Er ist einer seiner Verteidiger! – Teuerer Gast, erzählen Sie, wie Ihr Euch verteidigt habt, und wie Euch Gottes Hand geschützt hat!«

Die Großwürdenträger betrachteten Kmicic mit neugierigen Augen; aber Pan Andreas wurde nicht im geringsten verlegen und begann seinen Bericht.

Er sprach klar und kurz, wie ein Soldat, der alles gesehen und mit erlebt hatte. Er sprach vom Pater Kordecki wie von einem, heiligen Propheten, hob Pan Zamoyski und Pan Czarniecki in den Himmel; aber von sich redete er nicht.

Alle hörten ihm mit Staunen zu. Der Erzbischof weinte; Pater Wydzga übersetzte die Erzählung dem päpstlichen Nuntius.

Als Kmicic von den letzten Stürmen und der schweren Artillerie erzählt hatte, die Müller sich aus Krakau hatte kommen lassen, hielt er plötzlich an. Sein Gesicht überflog eine hohe Röte, seine Brauen zogen sich zusammen, er hob stolz den Kopf und fuhr fort:

»Und jetzt muß ich von mir erzählen, obwohl ich es vorzöge zu schweigen; denn was ich sage, könnte leicht wie Selbstüberhebung klingen, und wie ein Streben nach Belobigung und Auszeichnung. Die höchste Auszeichnung für mich ist die, für den König mein Blut zu vergießen.«

»Sprechen Sie mutig weiter; wir glauben Ihnen,« sagte der König.

»Unter den neu angekommenen Kanonen,« fuhr Kmicic fort, »war eine, der keine Festung auf die Dauer widerstehen konnte, und –«

»Nun, was ist's mit dieser Kanone?« fragte Jan-Kasimir.

»Diese Kanone, – – ich ging nachts aus der Festung und sprengte sie mit Pulver in die Luft!«

»Heiliger Gott!« rief der König. Die anderen konnten kein Wort vorbringen. Sie blickten unverwandt auf den Ritter, der mit funkelnden Augen und flammender Röte im Gesicht vor ihnen stand. In seiner ganzen Erscheinung lag so viel toller Wagemut, daß ihm alle unwillkürlich glaubten.

»Wie aber haben Sie das ausgeführt?« fragte endlich Jan-Kasimir.

Kmicic erzählte, wie sich alles zugetragen hatte.

»Ich traue meinen Ohren nicht,« sagte der Kanzler Pan Korycinski.

»Meine Herren,« unterbrach ihn feierlich der König. »Wir wußten bisher nicht, wen wir vor uns haben. Die Republik ist noch nicht verloren, die solche Ritter und Bürger gebärt!«

»Aber das klingt ja alles völlig unwahrscheinlich,« begann wieder der Kanzler. »Sagen Sie, Pan Kavalier, wie haben Sie Ihr Leben retten und sich durch die schwedischen Reiter hindurchschlagen können?«

Kmicic erzählte, wie man ihn gefunden, vor ein Kriegsgericht gestellt und dann Kuklinowski ausgeliefert hatte. Er erzählte alle Einzelheiten von seiner Errettung und den drei Kiemlicz'.

Als er geendet, stand der Kanzler, der vorher mit dem Erzbischof von Gnesen geflüstert hatte, auf und sagte:

»Hierher kommen viele solcher Leute, die aus Prahlerei oder einer Belohnung wegen das Blaue vom Himmel schwatzen. Zuweilen sind das einfach feindliche Spione.«

Kmicic wurde dunkelrot.

»Pan, ich weiß nicht, welche Stellung Sie hier einnehmen,« rief er erregt, »aber ich denke, Sie bekleiden eine hohe Würde. – Aber wissen Sie, es gibt keine Würde, die gestatten könnte, einen Schlachtschitzen ohne jeden Beweis der Lüge zu zeihen!«

»Mensch! Sie sprechen zum Kronkanzler!« flüsterte Pan Lugowski Kmicic zu. Dieser aber war ganz außer sich.

»Jedem, der es wagt, mich einen Lügner zu heißen, mag er selbst der Kronkanzler sein, werde ich zurufen: Es ist leichter, Beschuldigungen zu erheben, als sein Leben zu opfern; es ist leichter, Tinte zu vergießen, als sein Blut!«

Pan Korycinski war gar nicht beleidigt; er sagte ruhig:

»Pan Kavalier, ich beschuldige Sie gar nicht der Lüge. Aber wenn Sie die Wahrheit sagen, so muß Ihre Seite verbrannt sein.«

»So kommen Sie mit mir in ein anderes Zimmer, und ich werde sie Ihnen zeigen,« entgegnete Kmicic scharf.

»Das ist nicht nötig,« rief der König, »wir glauben Ihnen auch so.«

»Nein, Majestät,« entgegnete Pan Andreas, »ich bitte selbst um die Gnade, damit mich nachher keiner, er sei noch so hoch gestellt, beleidigen darf. Ich fordere keine Auszeichnung, ich verlange nur, daß man mir glaubt. Schicken Sie jemand mit mir hinaus, es ist für mich unerträglich, unter dem Verdachte eines Lügners zu stehen.«

»Ich gehe,« sagte Tyzenhauz, ein junger Edelmann am Hofe des Königs. Er führte Pan Andreas in ein Nebenzimmer.

»Ich glaube Ihnen vollständig und gehe nur mit, weil ich Sie manches fragen möchte,« sagte er unterwegs. »Ich habe Sie sicherlich schon irgendwo in Litauen gesehen. Ich kann mich nur nicht Ihres Namens entsinnen.«

Kmicic wandte sich ab, um seine Verlegenheit zu verbergen.

»Vielleicht trafen wir mal auf einem Provinziallandtag zusammen.«

»Vielleicht, Ihr Gesicht ist mir bekannt. Aber ich meine, daß Sie sich damals anders nannten!«

»O, Sie verwechseln mich einfach mit irgend jemandem!« antwortete Pan Andreas.

Nach einigen Minuten erschien Pan Tyzenhauz wieder vor dem Könige.

»Ich habe es gesehen, Majestät,« sagte er, »die ganze Seite Pan Babinicz' ist in der Tat fürchterlich verbrannt.«

Als Kmicic wieder das Zimmer betrat, stand der König auf und umarmte ihn.

»Wir haben nicht einen Augenblick an der Wahrheit Ihrer Worte gezweifelt, und Ihre Verdienste werden nicht unbelohnt bleiben!«

Die Königin reichte Pan Andreas ihre Hand, die er knieend ehrfurchtsvoll küßte.

»Und dem Kanzler dürfen Sie seine Worte nicht übelnehmen,« begann Jan-Kasimir wieder. »Es kommen in der Tat genug Maulhelden und Verräter hierher, und es war seine Pflicht, die Wahrheit herauszufinden.«

»Was bedeutet der Zorn eines so unbedeutenden Mannes, wie ich es bin, für einen so hohen Würdenträger?« entgegnete Pan Andreas. »Auch ich bekenne mich schuldig, daß ich zu einem ehrwürdigen Senator so gesprochen, der schon durch seine Ergebenheit dem Vaterlande ein Beispiel gibt.«

Der Kanzler lächelte gutherzig und reichte Pan Andreas die Hand.

»Also ist der Friede wieder hergestellt. Und was Sie vorher bezüglich der Tinte gesagt haben, Kavalier, so wissen Sie, daß die Korycinskis schon oft anderes als Tinte für das Vaterland vergossen haben.«

Der König war mit dem ganzen Vorgang sehr zufrieden.

»Pan Kavalier,« wandte er sich an Kmicic, »Sie stehen jetzt unserem Herzen so nahe, wie nur wenige. Ich lasse Sie nicht mehr von mir, und so Gott es will, werden wir zusammen in unsere Heimat zurückkehren!«

»O, erhabener König!« rief Kmicic begeistert aus, »obwohl ich in der Festung eingeschlossen war, so weiß ich von der Schlachta und von den Truppen, sogar von denen, die unter Zbrozek und Kalinski Czenstochau belagern, daß alle die Tage und Stunden zählen, wo Du zurückkehren wirst. Zeige Dich dem Volke, und in dem gleichen Augenblicke werden Litauen und ganz Polen sich wie ein Mann erheben! Die Schlachta wird ins Feld ziehen, die Bauern! Überschreite heute die Grenze, und in einem Monate wird in ganz Polen kein einziger Schwede mehr sein!«

Kmicic' Enthusiasmus begeisterte auch die Königin, die schon längst Versuche gemacht hatte, den König zur Rückkehr zu bewegen.

»Durch den Mund dieses Schlachtschitzen spricht dein ganzes Volk zu dir!« sagte sie zum König.

»Wir waren immer bereit, unser Leben und unsere Kräfte zu opfern,« entgegnete der König, »wir warten nur auf die Besserung unserer Untertanen.«

»Diese Besserung hat schon begonnen,« sprach Marie-Luise.

»Und Koniecpolski?« fragte der König. »Und alle die anderen, die auf seiten des Usurpators stehen und ihn ihrer Treue versicherten?«

Niemand antwortete ein Wort. – Die Augen des Königs erloschen, sein Gesicht verfinsterte sich wieder.

»Gott sieht unser Herz; er allein weiß, daß wir bereit wären, schon heute aufzubrechen. Uns hält nicht die schwedische Macht zurück, sondern die unselige Unbeständigkeit unseres Volkes; das wie Proteus täglich sein Gesicht wechselt. Können wir überzeugt sein, daß die Reue echt und diese Ergebenheit aufrichtig ist? Können wir dem Volke glauben, das uns erst vor kurzem verlassen und sich leichten Herzens mit dem Usurpator gegen seinen König, gegen sein eigenes Land, gegen seine Freiheit verbunden hat? Beschämt und schmerzhaft krampft sich unser Herz zusammen unseres Volkes halber! Weist die Geschichte je ein solches Beispiel auf! Und so traurig es auszusprechen ist, so sind wir inmitten unseres eigenen Heeres nicht unseres Lebens sicher!«

»Majestät!« rief Kmicic aus, »unser Volk hat sich schwer versündigt, und Gottes strafende Hand liegt hart auf ihm. Aber bei Christus schwöre ich Ihnen, unter diesem Volke würde sich keiner finden, der es wagen sollte, die Hand zu legen an die heilige Person des von Gott Gesalbten!«

»Sie glauben das nicht, und doch besitzen wir leider Beweise. Schlimm haben uns die Radziwills alle die Wohltaten belohnt, mit denen wir sie überschütteten. Schließlich aber erwachte in dem Verräter Boguslaw doch das Gewissen, er wollte nicht nur seine Hand nicht zu einem Attentate leihen, sondern er war der erste, der uns gewarnt hat.«

»Von welchem Attentate sprechen Sie?« rief der erstaunte Kmicic.

»Fürst Boguslaw teilte uns mit, daß sich ein Mann bei ihm gemeldet, der versprochen hätte, mich für hundert Dukaten zu ergreifen und den Schweden lebend oder tot auszuliefern.«

»Wer war es denn? Wie hieß der Mann?« konnte sich Kmicic nicht enthalten zu fragen.

»Ein gewisser Kmicic,« entgegnete der König.

Das Blut strömte Pan Andreas zu Kopfe, vor den Augen wurde es ihm finster, er faßte mit beiden Händen an seinen Kopf und schrie mit fürchterlicher, wahnsinniger Stimme:

»Das ist eine Lüge! Fürst Boguslaw lügt wie ein Hund! Majestät, glauben Sie diesem Verräter nicht. Er hat dieses Märchen absichtlich ersonnen, um an einem seiner Feinde Rache zu nehmen. O Majestät, Kmicic würde so etwas nie tun!«

Hier wankte Pan Andreas. Seine durch die lange Belagerung und die Martern Kuklinowskis erschöpften Kräfte verließen ihn, er sank ohnmächtig zu Boden.

Man trug ihn in ein Nebenzimmer. Die Würdenträger konnten durchaus nicht begreifen, warum die Worte des Königs einen so furchtbaren Eindruck auf den jungen Schlachtschitzen gemacht hatten.

»Wenn er nur kein Verwandter von Kmicic ist,« sagte der Kastellan von Krakau.

»Darüber wird man sich Sicherheit verschaffen müssen,« antwortete Korycinski.

»Meine Herren!« begann Tyzenhauz. »Gott bewahre mich, daß ich von diesem Schlachtschitzen etwas Schlechtes sagen werde, aber es ist gut, ihm nicht allzusehr zu trauen. Daß er in Czenstochau war, ist wahr, und doch will mir ein unabweisbarer Gedanke nicht aus dem Kopfe und vergiftet mein Vertrauen zu ihm. Sehen Sie, ich bin diesem Manne schon einmal in Litauen begegnet, aber ich weiß nicht wo.«

»Nun, und was beweist das?« fragte der König.

»Ich dächte, daß er sich damals nicht Babinicz nannte.«

»Seien Sie vorsichtig mit Ihren Vermutungen. Sie sind jung, zerstreut, Sie können leicht zwei Menschen miteinander verwechseln. Ob er Babinicz heißt oder nicht, warum sollten wir ihm mißtrauen? Aus seinem Gesichte strahlen Mut und Offenherzigkeit. Wahrhaftig, ich müßte ja aufhören, mir selbst zu glauben, wenn ich einem Soldaten, der für das Vaterland und für uns sein Blut vergossen hat, nicht trauen sollte.«

»Er verdient sicherlich mehr Vertrauen als der Brief des Fürsten Boguslaw,« fiel plötzlich die Königin ein. »In diesem Briefe, so behaupte ich, steht nicht die Wahrheit. Die Radziwills würden sehr viel gewinnen, wenn wir den Mut verlören. Es ist leicht möglich, daß der Fürst einen Feind verderben und sich gleichzeitig eine Hintertür zu unserem Vertrauen sichern wollte.«

»Wenn wir nicht gewöhnt wären, daß durch den Mund der Königin die Weisheit selbst spricht, so würde ich mich über die Feinheit des ausgesprochenen Gedankens wundern,« sagte der Primas.

Die geschmeichelte Königin erhob sich von ihrem Platze und fuhr fort:

»Ich will nicht von den Radziwills, nicht von dem Briefe des Fürsten Boguslaw sprechen, der wahrscheinlich seine persönlichen Ziele verfolgte, ich will über die Worte des Königs, meines Gemahls, sprechen, die mich bitter geschmerzt haben. Wer soll sich sonst über die polnische Nation erbarmen, wenn der eigene König sich von ihr abwendet? Es ist wahr, die Nation hat sich schwer versündigt, wo aber findet man eine andere, die so schnell und reuig ihre Schuld bekennt? Jetzt ist sie bereit, für ihren Herrscher ihr Gut, Leben und Blut zu opfern. Wollen Sie sie nun zurückstoßen? Wollen Sie Ihren reuigen, gebesserten Kindern Ihr Vertrauen nicht wieder schenken? Majestät, das können Sie nicht; denn Ihr Volk sehnt sich nach Ihnen und Ihrer weisen Regierung. – Kehren Sie in Ihr Land zurück! – Ich bin nur ein Weib; aber ich fürchte keinen Verrat! Ich sehe die Liebe des Volkes vor mir, ich sehe das wiederhergestellte Reich vor mir, das Sie nach dem Tode Ihres Vaters und Bruders auf den Thron berufen hat. Ich kann nicht eine einzige Minute glauben, daß der allergnädigste Gott unsere Republik dem endgültigen Verderben preisgeben wolle. Er hat seinen Kindern Unglück und Leid geschickt, um sie für ihre Sünden zu strafen, aber er wird wieder die Sonne seiner Gnade über sie leuchten lassen. Majestät, öffnen Sie den Reumütigen Ihre Arme, und stoßen Sie sie nicht von sich! So allein kann sich Böses in Gutes, Niederlage in Triumph verwandeln!« – –

Mit leuchtenden Augen und wogender Brust ließ sich die Königin wieder auf ihren Platz nieder. Die Großwürdenträger blickten sie mit Verehrung an; alle waren von ihrer Begeisterung mit fortgerissen worden. Sogar auf des Königs bleichem Gesicht flammte eine Röte auf, und er rief:

»An der Seite einer solchen Königin gebe ich mein Königreich nicht verloren! Ihr Wille geschehe. Je eher ich die Reise antrete und wieder die Zügel der Regierung ergreife, desto besser!« –

»Ich will mich dem Willen Ihrer Majestät nicht widersetzen,« sagte langsam und feierlich der Primas, »noch will ich Ihnen abraten, Ihre Absichten auszuführen: aber es wäre ratsam, wenn wir uns vorher in Oppeln versammeln und alles mit den Senatoren besprechen würden.«

»Gut denn, auf nach Oppeln!« rief Jan Kasimir. »Von dort geht's dann weiter; Gottes Wille geschehe!«

»Gott wird uns Sieg und eine glückliche Rückkehr schenken!« fügte die Königin hinzu.

»Amen«, sagte leise der Primas.


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