Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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7. Kapitel.

Weder die Festmahle, noch die Ankunft neuer Würdenträger, Ritter und Schlachtschitzen ließen Jan-Kasimir seinen getreuen Diener vergessen, der so opferwillig sein Leben für ihn in der Bergschlucht eingesetzt hatte. An dem der Ankunft in Lubomla folgenden Tage suchte der König Kmicic auf. Er fand ihn, obwohl bleich wie der Tod, fast heiter. Dank einem glücklichen Zufall waren alle Wunden des Ritters nicht lebensgefährlich; er hatte nur einen starken Blutverlust gehabt.

»Nun, man hat Sie gut zugerichtet,« sagte der König. »Wie konnten Sie nur sich allein gegen so viele wagen?«

»Das tue ich nicht zum ersten Male, Majestät. Ich glaube, daß im entscheidenden Augenblicke persönliche Tapferkeit und ein guter Säbel viel leisten können. – Übrigens, Majestät, habe ich auf meinem Körper schon so viele Narben wie kaum auf ein Stierfell hinaufgehen. So ist nun einmal mein Glück.«

»Ihrem Glücke können Sie wirklich keine Vorwürfe machen, – denn Sie stürzen Hals über Kopf dahinein, wo man kaum mit dem Leben davonkommen kann. – Haben Sie auch früher stets so gehandelt? Und wo haben Sie das gelernt?« Kmicic' Wangen überflog eine leichte Röte.

»Majestät, als einst alle die Hände sinken ließen, da kämpfte ich gegen Chowanski. Auf meinen Kopf hat Chowanski einen Preis ausgesetzt.«

»Erlauben Sie,« unterbrach ihn plötzlich der König, »in der Bergschlucht sagten Sie mir etwas Eigentümliches, ich schrieb das dem beginnenden Fieber zu. – Jetzt aber erzählten Sie von einem Kriege mit Chowanski. – Wer sind Sie? Sind Sie wirklich nicht Babinicz? Wir wissen, wer Chowanski soviel Ungelegenheiten bereitete!«

Es entstand einen Augenblick Stillschweigen. Endlich erhob der junge Ritter sein abgemagertes Gesicht und sagte:

»Ja, Majestät, – ich sprach damals nicht im Fieber, ich sprach die Wahrheit. – Ich bin Andreas Kmicic, der Bannerträger von Orsza.«

Kmicic schloß seine Augen und wurde noch bleicher. Der erstaunte König konnte kein Wort hervorbringen.

»Ich, Majestät, bin wirklich jener Verräter, der von Gott selbst und den menschlichen Gerichten für Mord und Gewalttat zum Tode verurteilt ist. Ich stand in Radziwills Diensten und übte mit ihm gemeinsam an Ihnen und an dem Vaterlande Verrat. Und jetzt, von feindlichen Schwertern durchstochen, von Pferdehufen zertreten, unfähig, mich vom Krankenlager zu erheben, schlage ich mich vor die Brust und rufe: Ich habe gesündigt! Ich habe gesündigt! Aber ich flehe um Ihre väterliche Verzeihung! – Vergeben Sie mir, Majestät! Ich habe längst meiner Vergangenheit geflucht, längst jenen Weg der Sünden verlassen!«

Tränen quollen aus den Augen des Ritters. Mit zitternden Händen ergriff er die Hand des Königs und preßte sie an seine Lippen.

Jan-Kasimir entzog ihm die Hand nicht; aber seine Augenbrauen zogen sich zusammen.

»Wer in diesem Lande die Krone trägt,« sprach er, »muß einen unerschöpflichen Vorrat von Barmherzigkeit besitzen. – Sie haben uns treu gedient in Jasno-Gora, Sie opferten für uns Ihr Leben in der Schlucht, und ich bin bereit, Ihnen deshalb zu vergeben.«

»So vergeben Sie, Majestät! Kürzen Sie meine Qualen ab!«

»Eins aber kann ich Ihnen nicht vergessen,« fuhr Jan-Kasimir fort. »Wie konnten Sie den Namen des ganzen Volkes mit Schimpf bedecken, dadurch, daß Sie Ihre Hand gegen mich erheben wollten. Wie konnten Sie sich dem Fürsten Boguslaw anbieten, mich lebend oder tot den Schweden auszuliefern?«

Trotz seiner Schwäche sprang Kmicic vom Bette auf; er ergriff das an seinem Kopfende hängende Kruzifix, und mit brennenden Augen und flammender Röte auf den Wangen begann er fieberhaft:

»Ich schwöre bei der Erlösung der Seele meines Vaters und der meiner Mutter, ich schwöre bei den Wunden des Gekreuzigten, das ist nicht wahr! – Wenn ich nur einen einzigen Augenblick an so etwas gedacht habe, so möge mich Gott mit ewigen Qualen strafen! Majestät, wenn Sie mir nicht glauben, so reiße ich meine Verbände ab. Möge das Blut, das die Schweden mir noch gelassen, bis auf den letzten Tropfen ausrinnen. – Ich habe niemals ein solches Angebot gemacht! – Die Erde trägt keine Schätze, für die ich so etwas tun könnte!«

Pan Andreas zitterte am ganzen Leibe vor Entrüstung.

»So hat der Fürst also gelogen?« fragte der erstaunte König. »Warum? Zu welchem Zwecke tat er das?«

»Ja, gütiger Herr, er hat gelogen. – Und hat sich würdig an mir gerächt!«

»Und wodurch haben Sie ihn beleidigt?«

»Ich habe ihn aus der Mitte seines Hofes, seines ganzen Heeres entführt und wollte ihn gebunden zu Füßen Euer Majestät werfen.«

Der König fuhr sich mit der Hand über seine Stirn.

»Eigentümlich, eigentümlich!« sagte er. »Ich glaube Ihnen, aber ich begreife das alles nicht! Wie ist denn das? Sie standen in Janusz' Diensten und entführten Boguslaw, um ihn mir auszuliefern. – Schließlich ist er doch viel weniger schuldig als sein Vetter.«

»Euer Majestät, Boguslaw ist hundertmal schlimmer als Janusz. In seinem Kopfe ist der Gedanke des Verrats geboren. Er hat als erster den Hetman in Versuchung gebracht, er hat ihm zuerst eine Krone für die Zukunft gezeigt. Boguslaw, der mich für einen Erzhalunken gehalten hat, öffnete mir sogleich seine ganze Seele. Es ist schrecklich, das zu erzählen, was er mir alles sagte. »Eure Republik,« sagte er, »wird sowieso der Teufel holen, und wir werden ihr nicht nur nicht helfen, sondern wir werden sehen, ihren Tod zu beschleunigen, damit wir etwas davon abbekommen. Litauen muß uns Radziwills zufallen, denn nach dem Tode des Fürsten Janusz wird die großfürstliche Krone durch seine Tochter auf mich übergehen.«

Der König bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

»O Gott!« sagte er, »Radziwills! Radzejowski! Opalinski! Wie konnte es anders kommen, als es gekommen ist!«

Kmicic wollte fortfahren, aber der König bemerkte seine Blässe und Abspannung.

»Erholen Sie sich erst ein wenig, und dann erzählen Sie mir alles von Anfang an. Ich glaube Ihnen und reiche Ihnen zum Zeichen meine Hand.«

Kmicic führte sie abermals an die Lippen und schwieg eine geraume Zeit; die Augen des Königs waren mit einem Blick voll unermeßlicher Güte auf ihn gerichtet.

Dann begann Pan Andreas wieder. Er erzählte von seinen Kämpfen gegen Chowanski, seiner Rückkehr aus diesem Kriege, vom Tode und Testamente des Oberst Billewicz, von Panna Alexandra, seinen Taten in Upita und Wolmontowicze. Er verbarg keine seiner Schandtaten, sprach von den Diensten, die er Radziwill geleistet, und von dem Tage, an dem Fürst Boguslaw ihm unvorsichtigerweise die Augen über die Radziwillschen Pläne geöffnet hatte. »Möge Gott diese Verräter strafen!« rief er zornig aus, ergriffen von der Erinnerung an die darauf verbrachten Tage.

»Vielleicht ist das schon geschehen, und wenn nicht, so wird es sicherlich geschehen,« fiel der König ein. »Haben Sie schon gehört, Opalinski ist bereits vor den Richterstuhl Gottes berufen. Und Radziwill wird ein gleiches in kurzem erwarten. Was aber haben Sie nach Ihrer Verwundung durch den Fürsten Boguslaw getan?«

»Ich nahm den Namen Babinicz an und durchreiste als ein Geächteter die ganze Republik. Dann führte mich mein guter Stern nach Czenstochau. Was ich dort getan, das kann Pater Kordecki bezeugen. Tag und Nacht dachte ich nur daran, wie ich das Vaterland entschädigen könne für das Blut, das ich vergossen. Das andere alles kennen Sie, Majestät. Und wenn meine Sünden das Maß Ihrer Barmherzigkeit nicht übersteigen, so schenken Sie mir wieder Ihr Wohlwollen. Mich haben alle, alle verlassen, und niemand ist da, von dem ich Trost erwarten könnte. Sie allein, Majestät, sehen meine Tränen und meine Reue! Ich bin ein Flüchtling, Verräter, Bösewicht; aber ich liebe dennoch mein Vaterland und Sie, Majestät, und will Ihnen beiden bis an mein Lebensende dienen.«

Pan Andreas brach in Schluchzen aus. Der König neigte sich über ihn, küßte ihn auf die Stirn, streichelte seinen Kopf und begann, ihn mit freundlichen Worten zu trösten.

»Teurer, ich liebe dich wie meinen Sohn. – Was klagst du dich an? Du hast nur unwissentlich gesündigt. Wie viele aber sündigen mit Absicht! Ich vergebe dir alles von ganzem Herzen; denn du hast deine Sünden schon alle gesühnt. Beruhige dich, mein Lieber! Mehr als einer würde stolz sein auf deine Verdienste. Bei Gott! Ich vergebe dir, wie auch das Vaterland dir vergibt! Wir beide werden noch deine Schuldner werden. Höre auf zu weinen!«

Kmicic lächelte unter Tränen.

»Majestät, vergelte Ihnen Gott Ihre Worte! – Ich schwöre zu Gott, ich werde nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Sobald ich mich erst erholt habe, ziehe ich wieder gegen die Schweden los.«

»Nun, so machen Sie nur, daß Sie schnell genesen! In Friedenszeiten werde ich selbst als Ihr Verteidiger auftreten.«

»Majestät, nach Ihrer Verzeihung kümmern mich alle anderen nur wenig. Was mich allein noch Tag und Nacht betrübt, das ist der Gedanke an meine Braut. – Viel Zeit ist verronnen, seit ich sie nicht gesehen habe. Ich habe viel um sie gelitten, obwohl ich die Liebe zu ihr oft aus meinem Herzen herausreißen wollte. Aber das ging nicht; das war über meine Kräfte!«

Jan-Kasimir lächelte heiter und gutherzig.

»Und wie kann ich Ihnen in dieser Sache helfen?«

»Sie allein, Majestät, können mir darin helfen. Sie wird mir mein Benehmen in Kiejdane nur dann verzeihen, wenn Sie ein gutes Wort für mich einlegen. Wenn Sie bezeugen, daß ich mich völlig geändert und freiwillig, nicht gezwungen, den rechten Weg betreten habe.«

»Wenn es sich allein darum handelt, so seien Sie beruhigt. Hoffentlich ist sie frei und hat sie in den Händen der Radziwills kein Unheil getroffen!«

»Die Engel des Himmels werden sie beschützen.«

»Sie verdient das auch wahrhaftig! – Wir werden jetzt neue Truppen ausheben, und Sie sollen mir dabei helfen, was Sie ja nicht zum ersten Male tun. Da aber viele Gerichtsurteile auf Ihnen lasten, stelle ich Ihnen den Befehl nicht auf den Namen Kmicic, sondern auf Ihren angenommenen Namen aus. Ihre Besserung und Ihre guten Taten begannen mit dem Augenblicke, als Sie sich Babinicz nannten. Nennen Sie sich also weiter so, und die Gerichte werden Sie in Ruhe lassen. Ziehen Sie unter der Führung des Kastellans von Kiew ins Feld. Sie können sich unter seiner Leitung leicht auszeichnen. Und wenn dann der Ruhm Ihrer Taten sich in der ganzen Republik verbreitet hat, dann sollen die Leute erfahren, wer der wackere Ritter war. Man wird sich schämen, einen solchen Helden vor Gericht zu zitieren, und ich werde Ihre Verdienste auf dem Reichstage hervorheben. Ich werde für Sie um eine Auszeichnung bitten; denn in meinen Augen sind Sie ihrer wert.«

»Majestät, ich bin so vieler Gnaden nicht würdig!«

»Und um die Panna Billewicz grämen Sie sich nicht, mein tapferer Royalist; ich bin sicher, daß Ihnen die Royalistin nicht entgeht. Und dann, so Gott will, werden Sie mir viele, viele kleine Royalisten schenken.«

Kmicic sprang trotz seiner Schwäche vom Bette auf und fiel dem Könige zu Füßen.

»Um Gottes willen! Was machen Sie da?« sagte der König. »Sie verbluten noch, Wahnsinniger!«

Vom Nebenzimmer her ertönten Schritte.

»He, wer da?« rief Jan-Kasimir.

Ins Zimmer stürzte der Marschall selbst, der den König schon lange im ganzen Schlosse gesucht hatte.

»Heiliger Georg! Was ist das?« schrie der Marschall, als er sah, wie der König sich anstrengte, den bewußtlosen Kmicic vom Fußboden aufzuheben.

»Das ist Pan Babinicz, mein Freund und treuer Diener. Helfen Sie mir, Pan Marschall, ihn wieder ins Bett zu legen. – –


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