Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9. Kapitel.

Mit der Ankunft des Königs in Lemberg wurde diese Stadt zur Metropole der Republik. Zugleich mit dem Könige kamen der größte Teil der Bischöfe und alle jene weltlichen Fürsten, die dem Feinde nicht dienten. Königliche Erlasse riefen die Schlachta der russischen Wojewodschaften unter die Fahnen, und die Herzen der Patrioten freuten sich angesichts dieser Landwehr. Das war eine kriegerische Schlachta, die von Kind auf ans Pferd, an ununterbrochene Überfälle wilder tatarischer Horden, an Blut und Krieg gewöhnt war, und die den Säbel gut zu handhaben verstand. Von allen Seiten strömte die fürchterlich gegen die Schweden erbitterte Schlachta nach Lemberg.

Die Kosaken verhinderten auch ihrerseits nicht die Vereinigung der Landwehr, sondern sandten sogar zum Könige Abgesandte mit Versicherungen ihrer Treue. Kein Tag verging, ohne daß irgend eine Deputation erschien, – von den litauischen Krontruppen, von den vom Feinde besetzten Wojewodschaften, die ihre Opferwilligkeit für den König und die leidende Republik erklärten. Die Macht des Königs wuchs stündlich und mit ihr das Ansehen der noch unlängst ganz daniederliegenden Republik.

Der König verbrachte ganze Tage in Beratungen mit Senatoren, empfing ausländische Abgesandte und Deputationen. Boten flogen nach allen Provinzen der Republik, nach dem fernen Preußen, nach dem heiligen Smudien, nach Tyszowiec, zu den Hetmans und zu Pan Sapieha, der nach der Einnahme Tykocins in Eilmärschen mit seinen Truppen nach Süden zog, dem Großbannerträger Koniecpolski, der es noch immer mit den Schweden hielt, entgegen.

Nachdem Jan-Kasimir die Tyszowieczer Konföderation anerkannt und ihr selbst beigetreten war, nahm er die Zügel der Regierung in seine unermüdlichen Hände. Er arbeitete vom frühen Morgen bis in die tiefe Nacht hinein und vergaß Ruhe und Schlaf. Noch vieles war zu vollbringen, ehe er der Republik eine sichere Zukunft, ein beständiges Gedeihen sichern konnte.

Endlich brach diese Minute an. Von den Senatoren aus waren geheimnisvolle Gerüchte zu der Schlachta und zu dem einfachen Volke gedrungen, daß sich während des Gottesdienstes etwas ganz Besonderes ereignen, daß der König ein feierliches Gelübde ablegen würde.

Es war ein klarer Frosttag; kleine Schneeflocken, die von den Sonnenstrahlen vergoldet wie brennende Funken aussahen, flogen in der Luft umher. Vor der Kathedrale hatte sich die Lemberger Infanterie in langer Reihe in dunkelblauen Halbpelzen mit goldenen Tressen aufgestellt, und Offiziere mit langen Stöcken in den Händen schritten die Reihe ab. Eine schier unendliche Volksmenge wälzte sich zur Kathedrale. Zuerst kam die Ritterschaft und die Schlachta, dann folgte der städtische Senat mit dem Bürgermeister an der Spitze. Kaufleute und Armenier in grünen Mützen und weiten orientalischen Kaftans. Ihnen schlossen sich die Innungen mit ihren Abzeichen an: Fleischer, Bäcker, Schneider, Schmiede, Büchsenmacher und andere mehr.

Nach einiger Zeit begannen Equipagen heranzurollen.

Es kam der König mit dem Nuntius Widon, der Erzbischof von Gnesen mit dem Fürst-Bischof Czartoryski, der Bischof von Krakau, der Erzbischof von Lemberg, der Großkanzler, viele Wojewoden und Kastellane.

Die Messe hielt der apostolische Nuntius Widon ab, gekleidet in ein purpurrotes Chorgewand und ein mit Gold und Perlen besticktes Priesterkleid. Jan-Kasimir neigte sein gekröntes Haupt vor Gottes heiliger Majestät tief zur Erde, und lange verharrte er so, bis der Nuntius sich ihm mit einer goldenen Schale näherte. Dann erhob sich der König mit verklärtem Gesicht und nahm das heilige Abendmahl ein; mit gen Himmel gerichtetem Blick und gen Himmel weisenden Armen stand er da.

In der Kirche wurde es totenstill, alle hielten den Atem zurück; denn sie errieten, daß die feierliche Minute hereingebrochen war.

»Heilige Beschützerin der Menschheit!« begann mit klarer, wenngleich tief bewegter Stimme der König, »ich, Jan-Kasimir, der ich nach dem Willen deines Sohnes, des Königs aller Könige, und nach deinem Willen Herrscher dieses Landes bin, falle zu deinen heiligen Füßen und gelobe dir, dich von nun an als meines Reiches König zu erachten. Mich, mein polnisches Königreich, das Großfürstentum Litauen, Preußen, Masovien, Smudien, das Heer und das gesamte Volk empfehle ich deiner Barmherzigkeit und deinem Schutze und bitte um deine Hilfe für mein Reich, das vom Feinde bedrückt ist.«

Bei diesen Worten fiel der König auf seine Knie und verharrte einige Minuten in Schweigen, dann fuhr er fort:

»Überschüttet mit deinen großen Gnaden, gelobe ich dir in meinem, meiner Minister, Senatoren, der Schlachta und des Volkes Namen, deines Sohnes, unseres Erlösers, Ruhm und Lob in allen Gebieten des polnischen Reiches zu verbreiten. Ich schwöre, daß, wenn ich durch die Gnade deines Sohnes über die Schweden siegen werde, ich alles daran setzen werde, den Jahrestag eines solchen Ereignisses in alle Ewigkeit zu deinem und der heiligen Jungfrau Gedächtnis zu feiern.«

Der König sank wieder in die Knie; ein Flüstern ging durch die Kirche, aber Jan-Kasimir hub mit zitternder, trauriger Stimme von neuem an:

»Mit Bekümmernis und großem Gram höre ich das Jammern und sehe ich das Kreuz, das die armen Bauern tragen, auf denen seit sieben Jahren alle die Strafen lasten, die deine Gerechtigkeit auf uns herniedergeschickt hat. Ich gelobe hier, nach dem Friedensschluß, mit Hilfe aller Stände der Republik die bedrückte Bauernschaft von jeder Ungebühr zu befreien. Du, heilige Jungfrau, du meine Königin und Herrin, hast mir diesen Schwur eingegeben, und nun bitte du deinen Sohn, daß er mir helfe, mein Gelöbnis zu erfüllen!«

Die Geistlichkeit, die Senatoren, die Schlachta und das Volk, alle hörten das königliche Wort. Man vernahm Schluchzen in der Kirche, die Bauern weinten, und alle anderen nach ihnen. Alle hoben ihre Hände nach oben und wiederholten feierlich: »Amen! Amen! Amen!«

Ein Sinnesrausch, ein Entzücken ergriff einen jeden und vereinigte die ganze Menge in dem Gefühl der Liebe zur Republik und zu ihrer Beschützerin. Es gab keinen Menschen in der ganzen Kathedrale, der in diesem Augenblicke an einem Sieg über die Schweden gezweifelt hätte.

Umtost von den Beifallsrufen des Volkes und von ununterbrochenen Salutschüssen kehrte der König in sein Quartier zurück.


 << zurück weiter >>