Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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12. Kapitel.

Nachdem Alexandra und Anna glücklich mit Hilfe des Kommandanten Braun aus Tauroggen herausgekommen waren, gelang es ihnen bald, die Partei des Miecznik zu erreichen, die sich noch in der Nähe von Tauroggen aufhielt. Der alte Schlachtschitz wollte zuerst seinen Augen nicht trauen. Er weinte vor Freude, dann aber geriet er in die denkbar kriegerischste Stimmung. Mochte nicht nur Boguslaw, sondern auch der schwedische König selbst mit seiner ganzen Macht kommen, der Pan Miecznik wollte die Mädchen bis zum letzten Blutstropfen verteidigen.

Pan Billewicz hatte sich in der Tat ganz verändert; er schien jünger geworden zu sein. Seine Energie war wieder aufgelebt. Im Felde und zu Pferde fühlte er sich wie zu Hause. Seine Partei bestand aus fünfhundert Reitern und dreihundert Mann Fußvolk. Und sie alle waren mit den verschiedensten Waffen ausgerüstet, zumeist mit Zaunpfählen, Säbeln und Waffen vergangener Jahrhunderte. Eine solche Partei konnte es wohl mit Räuberbanden und kleinen schwedischen Abteilungen aufnehmen, aber größere Kriegsoperationen vorzunehmen, das war ihr unmöglich.

Inzwischen waren alle Dörfer und Flecken wieder in die Hände der Polen gekommen, da die Schweden sich aus Vorsicht in die größeren Städte zurückzogen, von wo aus sie Streifzüge in die Umgebung unternahmen. Auf der Grenze von Livland fühlten sich übrigens die Konföderierten schon so stark, daß sie es wagten, Birze zu belagern, das nach dem zweiten Sturme auch in ihre Hände fiel. Der Fall Birzes erklärte sich durch die Abwesenheit von de la Gardie, der alle in der Umgegend liegenden Truppen sammelte, um Riga gegen die Angriffe des zarischen Heeres zu verteidigen. Die glänzenden Siege de la Gardies ließen die Annahme zu, daß der Krieg in Livland bald beendet sein werde, und daß die siegestrunkenen Schweden alsdann Smudien überschwemmen würden. Für alle Fälle zogen sich die Konföderierten in die Tiefe der Jahrhunderte alten Wälder zurück, wo sie sicher waren, von den Schweden nicht aufgesucht zu werden. Auch der Miecznik zog es vor, mit seiner Partei in den Wäldern zu bleiben und gab den Gedanken an die Bialowiczer Heide auf.

»Gott hat uns einen trockenen Herbst geschickt,« erklärte er den beiden Mädchen, »also wird es uns nicht schwer werden, »sub Jove« zu leben. Ich lasse für euch ein Zelt aufschlagen, gebe euch eine Frau zur Bedienung, und dann könnt ihr bei uns bleiben. Kommt ein Unwetter, so suchen wir für euch irgend eine Hütte.«

Der Vorschlag gefiel der Panna Borzobohata. Es gab in der Partei mehrere Billewicz', große und gutgewachsene Gestalten. Und dann sprach man auch davon, daß Pan Babinicz bald ankommen mußte. Zuerst wird er alle Schweden niedermetzeln; dann aber, – dann wird kommen, was Gott vorher bestimmt hat! – Alexandra war auch mit dem Plane des Miecznik einverstanden, nur schlug sie vor, um den Verfolgungen Sakowicz' zu entgehen, sich noch etwas weiter zu entfernen, vielleicht bis nach Wodokty.

Der Miecznik, der im Innern seiner Seele vor Sakowicz zitterte, sträubte sich nicht lange. Noch an demselben Tage schickte er sein Fußvolk unter dem Befehle des jungen Jur Billewicz voran, während er selbst zwei Tage später mit seinen Reitern aufbrach.

Nach sieben Tagen erreichte die Partei des Miecznik Lubicz, das dicht an der Grenze von Lauda lag. Die Pferde waren so erschöpft, daß Pan Billewicz trotz aller Bitten Alexandras seine Abteilung dort übernachten lassen mußte. Lubicz verdankte es einem glücklichen Zufalle, daß es während des Krieges nicht zerstört worden war. Alles stand noch, wie es vordem gewesen, und mit dem Gefühle eines starken Schmerzes und mit einer großen Bitterkeit im Herzen überschritt Alexandra die Schwelle des Lubiczer Hauses. Alles hier war ihr bekannt: Der Flur, das mit Porträts und Schädeln von Auerochsen geschmückte Speisezimmer. Die von Kugeln durchbohrten Schädel schwebten noch an ihren Nägeln; die von Säbeln zerstochenen Porträts ihrer Ahnen sahen streng auf das Mädchen herab, als wollten sie sagen: »Sieh, Enkelin, was man mit uns gemacht hat!«

Alexandra fühlte, daß sie in diesem beschimpften Hause nicht einen Augenblick schlafen könne. Es schien ihr, als wenn in den dunklen Ecken der Zimmer sich die Schatten seiner Kameraden bewegten. Und er? Wie schnell sank der von ihr grenzenlos geliebte Mann von Stufe zu Stufe. – Der Überfall auf Upita und Wolmontowicze, – der Dienst bei Radziwills, – der Verrat, – und endlich der Anschlag auf den König, den Vater der Republik.

Die Nacht verstrich, und kein Schlaf wollte die Augen der armen Alexandra schließen. Die Wunden ihrer Seele öffneten sich alle wieder und brannten schrecklich. Ihre Augen waren trocken, ihre Wangen glühten vor Scham, aber das Herz schlug unruhig und heiß unter dem plötzlichen Erwachen des Mitleids.

Und was bemitleidete sie? Alles konnte sein, wenn er bei all seinem wilden Ungestüm wenigstens ein reines Herz in seiner Brust getragen hätte, – ein Herz, das nicht rücksichtslos alle Grenzen überschritten hätte. – O, was hätte sie ihm dann nicht alles verziehen! Welche Schande wäre sie nicht bereit mit ihren Tränen abzuwaschen!

Anna Borzobohata, der der Miecznik das Leid Alexandras verraten hatte, kam auf Alexandra zu und umfaßte ihren Hals mit ihren Armen.

»Liebste,« sagte sie, »ich sehe, daß dir in diesem Hause sehr schwer ums Herz ist.«

Alexandra wollte zuerst nichts erwidern, dann aber brach sie wider Willen in Schluchzen aus, und ihr Kopf sank an die Brust der Freundin.

»Beten wir für ihn!« flüsterte Anna leise.

»Nein, – das kann ich nicht, kann ich nicht! –Was forderst du von mir? – Dein Babinicz hat sich vor Gott und den Menschen mit Ruhm bedeckt, – du bist glücklich. – Und ich wage es nicht einmal, für ihn zu beten. – Hier sind überall Blut und Trümmer um mich, die er verschuldet hat! – Wenn er nur nicht so offenkundig sein Volk verraten hätte! – Ich habe ihm schon einmal alles vergeben, alles, – in Kiejdane, weil ich dachte, – weil ich ihn von ganzem Herzen liebte. – Und jetzt kann ich es nicht mehr! O barmherziger Gott, ich kann es nicht!«

»Für jeden Menschen muß man beten können,« sagte Anna. »Gott ist barmherziger als die Menschen.« – Und sie sank auf die Knie nieder.

Auch Alexandra fiel zu Boden und verharrte so bis zum Morgen.

Als der Morgen anbrach, verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft des Miecznik in Lauda. Wer noch am Leben war, ging, um den Angekommenen zu begrüßen. Aus den Wäldern kamen hundertjährige Greise heraus und Frauen mit kleinen Kindern; die Männer waren alle dem Rufe Wolodyjowskis gefolgt. Die Dörfer waren entweder niedergebrannt oder von ihren Bewohnern verlassen. Zwei Jahre lang hatte niemand sein Feld bestellt.

Der Pan Miecznik wurde überall wie ein Retter begrüßt. Die armen, zu Tode gequälten Leute glaubten, daß, wenn der Pan Miecznik nicht allein, sondern mit der »Panna« auf seinen Stammsitz zurückkehrte, der Krieg und alle Leiden beendet sein müßten.

Freilich waren in der Nähe, in Poniewiez, noch Schweden. Aber der Pan Billewicz fürchtete sie nicht und wollte selbst die Offensive ergreifen, um die ganze Gegend zu säubern. Vorläufig warb er neue Krieger an und bereiste die umliegenden Dörfer.

Und was er da zu sehen bekam, war überaus traurig. In Wodokty waren alle Wirtschaftsgebäude und auch die Hälfte des Dorfes niedergebrannt. Wolmontowicze war wieder aufgebaut und wie durch ein Wunder unversehrt geblieben. Die Bevölkerung ringsum war bis zur Hälfte niedergemetzelt, und den überlebenden Greisen und Knaben war auf Befehl des Obersten Roß der rechte Arm abgeschlagen worden.

Das waren die Früchte des Verrates von Janusz Radziwill.

Noch bevor der Miecznik seine Besichtigung des Distriktes beendet hatte, kamen teils frohe, teils schreckliche Nachrichten, die in der ganzen Gegend lauten Widerhall fanden.

Jur Billewicz, der mit einigen Soldaten nach Poniewiez geschickt worden war, hatte einen Schweden abgefangen, von dem er die letzten Nachrichten ausforschte.

»Pan Gosiewski hat Waldeck, Israel und den Fürsten Boguslaw geschlagen. Ganz Preußen steht in Flammen. Babinicz kommt nach Smudien und vernichtet alles, was sich ihm in den Weg stellt.«

Nach einigen Tagen schon wurden die Nachrichten bestimmter.

»Babinicz hat Tauroggen niedergebrannt; Sakowicz ist geflohen und verbirgt sich in den Wäldern.«

Anna Borzobohata befand sich in großer Aufregung. Sie erzählte allen Bekannten und Unbekannten wiederholt:

»Ich kenne den Pan Babinicz. Er ist der größte Held in der ganzen Welt. Es ist fraglich, ob selbst Czarniecki sich mit ihm messen kann. Er wird schon dem Sakowicz und all den Seinen heimzahlen! Und sicherlich, in einem Monate ist in ganz Smudien kein einziger Schwede mehr.«

Diese Prophezeiungen begannen sich schnell zu bewahrheiten. Es war kein Zweifel mehr, daß der gefürchtete Führer, der Babinicz hieß, sich von Tauroggen aus in das Innere des Laudagebietes bewegte, daß er alle schwedischen Abteilungen, die er unterwegs traf, schlug und gänzlich aufrieb.

Der Name »Babinicz« hallte in ganz Smudien wieder. Man erzählte von schrecklichen Strafen und Hinrichtungen, die er den besiegten Schweden auferlegte. Hunderte von Freiwilligen kamen zu ihm, und er schuf mit eiserner Hand aus diesen ungeordneten Massen eine reguläre Armee. Alle Gemüter waren so mit ihm beschäftigt, daß sogar Gosiewskis Niederlage bei Philippowo nur wenig Eindruck machte. Babinicz war näher, und daher interessierte man sich in erster Reihe für ihn.

Anna flehte jeden Tag den Miecznik an, er möchte doch Babinicz entgegengehen.

»Ich habe Ihnen schon mehrmals auseinandergesetzt, daß wir nicht zu ihm durchkommen können,« verteidigte sich der Miecznik. Rings um uns herum stehen Schweden, und man sagt auch, daß sich Sakowicz mit seiner Abteilung in der Nähe gezeigt habe. Es ist schon viel, wenn wir uns bei einem Angriffe hier halten können.«

»So kann Babinicz selbst hierher kommen. Wenn ich ihm schreibe, so wird er hierher eilen. Er liebt mich und wird uns seine Hilfe nicht versagen.«

»Nun, versuchen Sie das,« sagte nach einiger Überlegung der Miecznik. »Selbst wenn wir uns inzwischen in den Wald flüchten müssen, so wird Babinicz gut tun, die Gegend zu säubern. Aber, wen wollen Sie zu ihm schicken?«

Anna wußte schon, wen sie schicken konnte. Es meldeten sich bei ihr dazu zwei: Braun und Jur Billewicz. Sie erhielten beide Briefe desselben Inhalts, damit im Falle eines Unglückes Babinicz wenigstens einen von ihnen erhalte. Das Schreiben der Briefe kostete der Panna Anna viel Überlegung, schließlich brachte sie folgendes zustande:

»Ich schreibe Ihnen, indem ich mich in verzweifelter Lage befinde. Sollten Sie sich meiner noch erinnern, so eilen Sie mir zu Hilfe! Ich befinde mich bei der »Partei« des Pan Billewicz, der mir Zuflucht dafür gewährt, daß ich seine Nichte aus der Gefangenschaft des Fürsten Boguslaw befreite. Sowohl ihn, wie uns beide umringt der Feind. – Gefahr droht uns von überall, besonders von seiten Sakowicz', des Freundes und Vertrauensmannes des Fürsten. Wäre es nicht möglich, daß Sie sich zweier wehrloser Mädchen erbarmen und sie vor dem bevorstehenden Untergange erretten?«

Als die Boten zur Abreise bereit waren, begriff Anna, welcher Gefahr sie sich ihretwegen aussetzten, und mit Tränen in den Augen redete sie ihnen zu, lieber da zu bleiben. Aber sie blieben fest. Beide wollten dem geliebten Mädchen gern einen Dienst erweisen, obwohl beide im voraus ahnten, was ihrer harrte.

Eine Woche darauf fiel Braun in die Hände Sakowicz', der ihm die Haut vom Leibe ziehen ließ; der arme Jur fiel bei Poniewiez in einem Kampfe mit den Schweden.

So gelangten beide Briefe in die Hände des Feindes.


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