Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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5. Kapitel.

In Litauen wütete der innere Krieg und machte das Unglück des Landes voll, das schon unter dem Überfall zweier Feinde litt.

Das litauische reguläre Heer, schon so wie so nicht groß an Zahl, zerteilte sich in zwei Lager. Ein Teil, und zwar zumeist die ausländischen Truppen, blieben Radziwill treu. Der andere erklärte den Fürsten für einen Verräter und protestierte mit den Waffen in der Hand gegen das Bündnis mit den Schweden. So herrschte in ganz Litauen ein furchtbarer Wirrwarr. Radziwill, der sich in seinen Hoffnungen, in betreffs des Heeres, arg getäuscht sah, entschloß sich, die Regimenter mit Gewalt zum Gehorsam zu zwingen.

Pan Wolodyjowski befand sich nach dem Gefechte beim Dorfe Klawany in Poniewiez, als zu ihm die Nachricht drang, daß die Banner von Mirski und Stankiewicz völlig vernichtet seien. Einen Teil dieser Banner hatte Radziwill mit Gewalt seinem Heere einverleibt, andere hatte er niedermetzeln lassen, und wieder andere liefen in alle Welt zerstreut als Flüchtlinge umher. Sie verbargen sich in Wäldern und Dörfern, vor der Rache und Verfolgung des Hetman Schutz suchend.

Täglich vermehrte sich Pan Michails Banner durch solche Flüchtlinge, die allerlei Nachrichten mit sich brachten. Die wichtigste war die von der Meuterei der regulären Truppen, die in Podlachien um Bialystok und Tykocin standen. Diese Truppen, die nach der Besetzung Wilnas durch die Moskowiter die Grenzen der Kronprovinzen schützen sollten, schlossen, sobald sie vom Verrate des Hetman hörten, eine Konföderation, an deren Spitze die beiden Obersten Horotkiewicz und Jacob Kmicic standen. Dieser letztere war ein Onkel des treuesten Parteigängers Radziwills, Andreas Kmicic, dessen Namen man überall mit Haß und Abscheu aussprach; denn er trug die Hauptschuld an dem Untergange der Banner Mirskis und Stankiewicz', da er alle Gefangenen erbarmungslos hatte erschießen lassen. Der Hetman vertraute ihm blindlings und hatte ihn auch gegen das aufständische Banner Niewiarowskis entsandt.

Angesichts dieser Lage berief Pan Wolodyjowski seine Kameraden zu einer Beratung zusammen.

»Was meint ihr, Panowie, wenn wir jetzt anstatt zum Witebsker Wojewoden zu marschieren, nach Podlachien zu den Konföderierten gehen würden?«

»Sie haben mir das sozusagen aus dem Munde genommen,« meinte Zagloba.

Auch Oskierka und Stankiewicz pflichteten diesem Vorschlage bei.

»Es ist keine leichte Sache,« sagte der kleine Ritter. »Um nach Podlachien zu gelangen, müssen wir direkt an der Nase des Hetman vorbeischlüpfen, aber wir wollen es trotzdem versuchen.«

Pan Wolodyjowski hatte recht geurteilt; es war durchaus nicht so einfach, nach Podlachien zu kommen. Die Straßen und Waldwege, Dörfer und Städte ringsherum waren von den Truppen Radziwills besetzt. Unweit von Kiejdane stand Kmicic mit einem Teile der Infanterie und Artillerie. Der Hetman, der schon von der Flucht der Obersten, dem Abfall des Wolodyjowskischen Banners und von dem Gefecht bei Klawany gehört hatte, erstickte fast vor grimmigem Zorn gegen die aufrührerischen Anführer. Und er hatte Grund genug, verzweifelt zu sein. Dieses unselige Gefecht hatte ihn in eine äußerst unangenehme Situation gebracht. Denn die Bauern und die Schlachta, ermutigt durch Wolodyjowskis Sieg, fingen an, kleine schwedische Abteilungen abzufangen und zu vernichten. Und all dieses Unheil schrieben die Schweden auf Radziwills Rechnung. Der Fürst erhielt vom Kommandanten von Birze einen unwilligen Brief, und einige Tage später schrieb ihm Paulus de la Gardie, der Höchstkommandierende der schwedischen Armee, folgende Zeilen:

»Entweder haben Euer Durchlaucht wirklich keine Macht und Bedeutung, oder Sie wollen verräterischerweise das königliche Heer ins Verderben stürzen. Wenn dem so ist, so werden Sie bald hart bestraft werden, es sei denn, daß Sie schnell durch treue Dienste Ihre Schuld gutmachen und Ihre Ergebenheit beweisen.«

Radziwill schickte sofort einen Boten mit einer Erklärung zum schwedischen Kommandanten; aber die Eigenliebe des stolzen Magnaten war stark verletzt. Er, dessen Wort noch unlängst Gesetz für dieses Land war, der sich dem Monarchen ebenbürtig erachtete, mußte jetzt Drohungen und Belehrungen über sich ergehen lassen. Die ganze Fülle seines Zornes richtete sich gegen die Urheber dieser Demütigung, gegen Wolodyjowski und seine Kameraden. Er schwor sie zu vernichten, und begann sie rastlos zu verfolgen.

Als der Fürst hörte, daß Kmicic das Banner Niewiarowskis vernichtet und einen Teil der Gefangenen in sein Banner einverleibt hatte, forderte er ihn auf, ihm sofort einen Teil seiner Soldaten nachzuschicken.

»Die Obersten,« so schrieb er, »für deren Rettung du so gebeten, sind während ihrer Verschickung nach Birze entflohen. Diesen Treulosen werde ich es verdanken, wenn meine ganze Sache verloren geht. Hättest du sie nicht beschützt, so hätte ich sie, bei Gott, alle köpfen lassen.

Nun müssen wir unsere Barmherzigkeit schwer büßen. Zwar hoffe ich, daß ich sie bald einfangen und der gerechten Strafe ausliefern werde. – Da Gerüchte zu mir gedrungen sind, daß sich die Schlachta in Billewicze beim Rosiener Miecznik versammelt und eine Verschwörung gegen uns anzettelt, so ist es Zeit, daß du dich mit einigen Dragonern nach Billewicze begibst und den Miecznik nebst seiner Verwandten hierher holst. Wenn ich die in Händen habe, so ist mir das ganze Laudagebiet sicher, das nach Wolodyjowskis Beispiel zu rebellieren anfängt. Schicke mir die Kavallerie her, die Infanterie lasse zum Schutze des Schlosses in Kiejdane. – Dir stets wohlgeneigt bleibend, empfehle ich dich der Gnade Gottes.«

Als Kmicic den Brief gelesen hatte, war er sehr froh, daß es den Obersten gelungen war, sich aus den Händen der Schweden zu befreien.

Er führte alle Befehle des Fürsten aus und ließ vor seiner Abreise nach Billewicze Wälle zum Schutze des Schlosses und der Stadt aufwerfen.

Während dessen setzte der Hetman die Verfolgung der entflohenen Obersten fort. Wolodyjowski und seine Soldaten befanden sich in einer höchst bedenklichen Lage: Aus Birze zogen ihnen große Abteilungen schwedischer Truppen entgegen; im Osten standen die Regimenter des Zaren, und auf der Kiejdaner Straße wartete ihrer der Hetman.

Pan Zagloba war sehr unzufrieden und wandte sich stündlich an Wolodyjowski mit der Frage:

»Wie wird es werden? – Werden wir uns durchschlagen oder nicht?«

»Daran kann kein Gedanke sein!« antworte Wolodyjowski. »Sie wissen, ich bin kein Feigling und nehme es selbst mit dem Teufel auf, aber gegen den Hetman können wir nicht aufkommen. Ich werde alles tun, um uns aus dieser Lage herauszubringen, kommt es aber zum Kampfe, so sind wir verloren.«

»Und dann wird er uns aufknüpfen und den Hunden vorwerfen lassen. – Wäre es nicht ratsamer, uns jetzt zu dem Pan Sapieha zu begeben?«

»Dazu ist es schon zu spät; die Schweden versperren uns den Weg.«

Pan Michail aber verlor trotzdem nicht die Hoffnung. Die Schlachta und die Bauern der Umgegend trugen ihm alle Bewegungen des Hetman zu, denn sie waren alle gegen den Fürsten aufgebracht. Der kleine Oberst hoffte, sich und die Soldaten durch eine Kriegslist zu retten. Als Kmicic' Reiterei noch die Truppen des Hetman verstärkte, war für Wolodyjowski kein Entrinnen mehr möglich. Er befand sich inmitten eines Halbkreises, den die feindlichen Truppen um ihn gezogen hatten, und der auf der anderen Seite durch einen Fluß begrenzt wurde. Immer enger zog sich die feindliche Armee um ihn zusammen, deren Zentrum der Hetman selbst anführte. Da verhinderte ein Orkan und ein furchtbarer Gewitterregen bei hereinbrechender Nacht den weiteren Vormarsch des Hetman.

Am anderen Morgen, als der kaum dämmernde Tag die Gegend etwas beleuchtete, setzten sich die fürstlichen Truppen wieder in Bewegung. Sie gelangten an den Fluß und blieben starr vor Staunen stehen.

Pan Wolodyjowski und seine Soldaten waren wie vom Erdboden verschwunden. Auf der ganzen umliegenden Wiese, die spärlich mit Gestrüpp bedeckt war, sah man keine lebende Seele. Der Hetman selbst geriet außer sich; ein Unwetter ergoß sich über die Offiziere, die das Flußufer zu bewachen hatten. Und Fürst Radziwill bekam einen seiner gefürchteten Asthma-Anfälle, die stets seinem Leben ein Ende zu setzen drohten. – Aber was half's, Wolodyjowski und sein Banner waren verschwunden. – Es stellte sich heraus, daß sie die Nacht und den Gewittersturm benutzt hatten und solange stromabwärts geschwommen waren, bis sie den rechten Flügel des Radziwillschen Heeres umgehen konnten.

Aus den hinterlassenen Spuren sah der Fürst, daß der kleine Ritter die Richtung nach Kiejdane eingeschlagen hatte, und er schloß daraus, daß er sich mit Horotkiewicz und Jacob Kmicic vereinigen werde.

»Würde Wolodyjowski an Kiejdane vorbeiziehen, ohne die Stadt anzuzünden und das Schloß zu plündern?«

Eine schreckliche Furcht für das Schicksal Kiejdanes schnürte das Herz des Fürsten zusammen: Der größte Teil seiner Geldmittel und Preziosen befand sich in Kiejdane. Auf jeden Fall mußte er eilen, Kiejdane zu retten. In rasender Hast stürmte der Fürst an der Spitze seiner Truppen nach Kiejdane zu.

Als er dort anlangte, fand er zwar Kmicic nicht mehr vor; aber er sah mit Freuden die aufgeworfenen Schanzen und die aufgestellten Kanonen, die bei einem Überfall dem Schlosse einen großen Schutz gewähren mußten. Er besichtigte alles in Begleitung Ganchoffs und äußerte sich sehr zufrieden über Kmicic:

»Ohne meinen Befehl hat er dieses Schloß verschanzt, daß es gut eine Zeitlang einem Artillerieangriff standhalten kann. Wahrlich, wenn dieser Mensch sich nicht früh das Genick bricht, so wird er es noch weit bringen.«

Und noch einen gab es, dem der Fürst widerwillig und mit verhaltener Wut seine Bewunderung nicht versagen konnte. Dieser Mann war Pan Michail Wolodyjowski.

»Ich würde diese Rebellion schnell im Keime erstickt haben, wenn mir auch dieser Wolodyjowski treu geblieben wäre,« sagte er zu Ganchoff. »Kmicic ist vielleicht geschickter, aber er hat nicht die Erfahrung. Jener war in der Schule Jeremias und hat die Kämpfe mit den Kosaken und Tataren mitgemacht.«


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