Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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3. Kapitel.

Kmicic aber reiste weder denselben, noch den folgenden, noch den dritten Tag ab, denn von allen Seiten liefen drohende Nachrichten in Kiejdane ein. Boten kamen, die meldeten, daß die Banner Mirskis und Stankiewicz' von selbst auf die Residenz des Hetmans losmarschierten, bereit, mit den Waffen in der Hand die Herausgabe ihrer Obersten zu fordern. Ihre Offiziere hatten zu allen Bannern, die um Kiejdane standen, Abgesandte geschickt mit der Nachricht von dem schmählichen Verrat des Hetmans und mit dem Vorschlag einer allgemeinen Vereinigung gegen den Verräter des Vaterlandes. Es war leicht anzunehmen, daß sich den meuterischen Bannern eine große Zahl der Schlachta anschließen werde, wodurch eine solche Macht entstehen würde, vor der sich das unbefestigte Kiejdane nicht halten konnte. Auch war auf die Radziwill treu gebliebenen Regimenter nicht allzu großer Verlaß.

Trotzalledem verlor der Hetman nicht den Mut. Er beschloß, an der Spitze seiner Schotten, der Reiterei und der Artillerie gegen die Rebellen zu ziehen und die Emeute im Keime zu ersticken. Er wollte kein Blut sparen und durch ein Beispiel das Heer, die Schlachta und ganz Litauen in Schrecken versetzen, damit sich niemand mehr erdreiste, unter der eisernen Hand Radziwills aufrührerisch zu werden.

Täglich wurden Offiziere nach Preußen gesandt, um neue Soldaten anzuwerben. Kiejdane wimmelte von bewaffneten Leuten. Die Truppen bereiteten sich zum Ausmarsch vor. Radziwill beschloß deshalb die gefangenen Obersten ungesäumt nach Birze zu schicken, wo man sie sicherer in Gewahrsam halten konnte als in Kiejdane.

Eines Abends betrat ein Offizier, mit einer Laterne in der Hand, das Gefängnis der Obersten und sagte:

»Bereitet euch vor, mir zu folgen.«

»Wohin denn?« fragte unruhig Zagloba.

»Das werdet ihr schon nachher sehen. – Aber schnell, schneller.«

»Gehen wir!«

Im Flur empfingen sie mit Musketen bewaffnete schottische Soldaten. Zaglobas Unruhe wuchs mit jeder Minute.

»Sollte man uns wirklich ohne Geistlichen, ohne Beichte hinrichten lassen?« flüsterte er Wolodyjowski ins Ohr. Dann wandte er sich an den Offizier.

»Mit wem habe ich eigentlich die Ehre?«

»Was geht Sie das an?«

»Ich habe viele Verwandte in Litauen, und es wäre mir sehr interessant zu wissen, mit wem ich spreche.«

»Jetzt ist keine Zeit, Bekanntschaften zu machen! Doch ein Narr, wer sich seines Namens schämt. Ich bin Roch Kowalski, wenn Sie es gern wissen wollen.«

»Ein tapferes Geschlecht. Die Männer brave Krieger, die Frauen sanfte, gute Mütter. Meine Großmutter war auch eine Kowalska; sie starb leider schon vor meiner Geburt. Stammen Sie von den Wierusz – oder Korab Kowalskis?«

»Haben Sie die Absicht, mich noch lange auszufragen?«

»Wissen Sie, Sie scheinen mit mir verwandt zu sein; Sie haben denselben Körperbau wie wir alle. Sie haben starke Knochen und breite Schultern, gerade so wie ich. Ich schlage nämlich nach meiner Großmutter.«

»Schon gut, wie wir können uns unterwegs unterhalten; Zeit genug haben wir.«

»Unterwegs?« wiederholte Zagloba. Es wurde ihm leichter ums Herz, er faßte sogleich Mut.

»Pan Michail,« flüsterte er, »habe ich Ihnen nicht gleich gesagt, daß man uns nicht hinrichten wird?«

Sie kamen auf den Schloßhof. Hier und da brannten Fackeln und Laternen, die ein unsicheres Licht auf Gruppen von Soldaten verschiedener Regimenter warfen. Der ganze Hof war von Truppen überfüllt; man bereitete sich augenscheinlich zu einem Marsche vor. Kowalski blieb mit den Gefangenen und der Eskorte vor einem großen Leiterwagen, der mit vier Pferden bespannt war, stehen.

»Setzen Sie sich!« sagte er kurz.

»Und wer sitzt schon hier?« fragte Zagloba und strengte sich an, die dunklen Gestalten, die auf dem Stroh im Wagen ausgestreckt lagen, zu erkennen.

»Mirski, Stankiewicz, Oskierka!« vernahm man vom Wagen.

»Wolodyjowski, Jan Skrzetuski, Stanislaus Skrzetuski und Zagloba,« antworteten die Ritter.

»Wir werden also in guter Gesellschaft reisen. Und wohin fährt man uns, wissen Sie das nicht?«

»Sie fahren nach Birze,« sagte Kowalski und gab den Soldaten Befehl zum Aufbruch.

Fünfzig Dragoner umringten den Wagen, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Die Gefangenen begannen sich leise zu unterhalten.

»Man liefert uns den Schweden aus,« sagte Mirski, »das hatte ich mir schon gedacht.«

»Ich ziehe es vor, unter Feinden zu leben als unter Verrätern,« sagte Stankiewicz.

»Und ich zöge eine Kugel in die Stirn dem vor, während eines Krieges die Hände im Schoße dazusitzen,« rief Wolodyjowski.

»Versündigt Euch nicht, Pan Michail,« sagte Zagloba, »aus dem Wagen kann man bei günstiger Gelegenheit entfliehen, aber mit Blei in der Stirn ist es schwer zu entkommen. – Ich wußte es ja im voraus, uns zu erschießen, dazu würde der Verräter nicht den Mut haben.«

»Radziwill sollte dazu keinen Mut haben?« wiederholte erstaunt Mirski. »Man merkt, Sie sind von weit hergekommen und kennen ihn nicht. Ich kenne kein Beispiel, wo der Fürst jemals die geringste Beleidigung ungeahndet gelassen hätte.«

»Und trotzdem wagte er es nicht Hand an mich zu legen,« entgegnete Zagloba. »Wer weiß, ob ihr alle nicht mir eure Rettung verdankt?«

»Wieso denn?«

»Nun, der Chan von der Krim schätzt mich sehr, weil ich, als ich mich auf der Krim in Gefangenschaft befand, eine Verschwörung gegen ihn aufdeckte. Und unser gnädiger König Jan-Casimir hält große Stücke auf mich. Der nichtsnutzige Radziwill hat sich gewiß davor gefürchtet, es mit zwei Monarchen mit einem Male zu verderben.«

»Was Sie da sagen! Er haßt den König wie der Teufel das Weihwasser, und würde auf Sie noch wütender gewesen sein, wenn er gewußt hätte, daß Sie dem Könige nahe ständen,« sagte Stankiewicz.

»Und ich denke,« sagte Oskierka, »daß der Hetman die öffentliche Meinung nicht gegen sich aufbringen wollte, und bin bereit zu wetten, daß der Offizier, der uns begleitet, einen Befehl mit hat, daß man uns in Birze stillschweigend erschießen soll.«

»O weh!« rief Zagloba.

Alle versanken in Gedanken.

»Das ist alles eins!« sagte Zagloba. »Jedenfalls haben wir Zeit gewonnen. Vielleicht kommt uns irgend ein glücklicher Zufall zu Hilfe, vielleicht kommt mir ein guter Gedanke. – Panowie, Sie kennen mich noch wenig, fragen Sie aber hier meine Kameraden, in welch verzweiflungsvoller Lage ich schon gewesen und immer mit heiler Haut herausgekommen bin. – Sagen Sie nur, was ist das für ein Offizier, der uns begleitet. Kann man ihn nicht davon überzeugen, daß es besser sei, dem Vaterlande beizustehen, als dem Verräter zu dienen?«

»Das ist Roch Kowalski, von den Korab-Kowalskis,« antwortete Oskierka, »ich kenne ihn. Ebenso leicht können Sie sein Pferd von etwas überzeugen, wie ihn; bei Gott, ich weiß nicht, wer von den beiden der Dümmere ist.«

»Und wieso hat man ihn zum Offizier befördert?«

»Er gefiel dem Fürsten seiner Stärke wegen; denn er kann ein Hufeisen zerbrechen und mit einem Bären ringen.«

»So einer ist er also?«

»Das ist es ja, – dazu kommt noch, wenn ihm ein Vorgesetzter befiehlt, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen, so wird er es, ohne sich zu besinnen, tun. – Ihm ist befohlen, uns nach Birze zu bringen. Und sollte die Erde sich unter ihm öffnen, er wird es tun.«

»Sieh mal an,« rief Zagloba, der mit der größten Aufmerksamkeit zuhörte. »Also ein charakterfester Mensch ist er?«

»Seine Charakterfestigkeit fällt mit seiner Dummheit zusammen. Übrigens, wenn er in seinen Freistunden nicht gerade ißt, so schläft er. Sie werden es kaum glauben, einmal hat er im Zeughaus achtundvierzig Stunden hintereinander geschlafen, und als man ihn dann von der Matratze herunterzog, schimpfte er noch.«

»Dieser Offizier gefällt mir ungemein,« sagte Zagloba; dann rief er in gebieterischem Tone Kowalski zu: »Komm mal her!«

»Was wollen Sie?« fragte Kowalski und wandte sein Pferd um.

»Hast du Schnaps da?«

»Ja, hab' ich da!«

»So gib ihn her!«

»Was heißt das, gib ihn her?«

»Sieh mal, guter Pan Kowalski, wenn es verboten wäre, so hättest du den Befehl bekommen. Da du solchen Befehl nicht erhalten hast, so kannst du ihn ruhig hergeben.«

»Ach,« staunte Roch, »das ist möglich! – Soll ich wirklich?«

»Soll oder nicht, denk nur einmal selbst nach! Darf man denn einem alten Verwandten eine Bitte abschlagen, der, wenn er deine Mutter geheiratet hätte, dein Vater sein könnte?«

»Was seid Ihr denn für ein Verwandter von mir?«

»Höre, es gibt zwei Geschlechter Kowalski. Die einen führen im Wappen einen Ziegenbock mit hochgehobenem Hinterfuß; die anderen ein Schiff (polnisch: Korab), auf dem ihre Vorfahren aus England das Meer durchkreuzten, als sie nach Polen auswanderten. Diese letzteren sind durch meine Großmutter mit mir verwandt. In meinem Wappen selbst ist ein Korab.«

»Mein Gott, so sind Sie wirklich ein Verwandter.«

»Bist du denn ein Korab?«

»Gewiß, ein Korab.«

»Also mein eigen Blut, wahrhaftig, Blut von meinem Blut!« rief Zagloba aus. »Gut, daß wir uns begegnen; denn ich bin absichtlich nach Litauen gekommen, um die Kowalskis mal zu sehen. Obschon ich jetzt in Gefangenschaft bin und du in Freiheit, so möchte ich dich doch gern umarmen. – Eigen Blut bleibt doch mal eigen Blut.«

»Was kann ich für euch tun? Man hat mir befohlen, euch nach Birze zu bringen, und ich werde euch hinbringen. Blut bleibt Blut, und Dienst bleibt Dienst.«

»Nenn' mich man Onkel,« sagte Zagloba.

»Hier hast du Schnaps, Onkel, das hat man mir nicht verboten.«

Zagloba nahm die Feldflasche und tat einen ordentlichen Zug; es wurde ihm angenehm warm zumute und schön klar im Kopfe.

»Steig vom Pferde herunter,« sagte er zu Pan Roch, »und setze dich ein bißchen zu mir in den Wagen, wir wollen uns unterhalten. Ich möchte dich über deine Familie viel ausfragen. Den Dienst achte ich wohl, aber das ist dir doch nicht verboten.«

Kowalski überlegte einen Augenblick, aber dann stieg er ab und setzte sich zu Zagloba auf den Wagen. Der alte Schlachtschitz umarmte ihn herzlich.

»Nun, wie geht es deinem Alten? – Wie heißt er doch gleich? Ich habe seinen Namen vergessen.«

»Auch Roch, wie ich.«

»Ach, richtig, ja. – Roch zeugte Roch, nach Gottes Gebot. Du mußt deinen Sohn auch Roch nennen. Bist du eigentlich verheiratet oder nicht?«

»Natürlich bin ich verheiratet. Ich bin Kowalski, und das ist Pani Kowalska. – Eine andere will ich auch nicht.« Der Offizier erhob den Griff seines Dragonersäbels bis zu Zaglobas Gesicht und wiederholte: »Eine andere will ich nicht.«

»Ein braver Kerl bist du, du gefällst mir ausnehmend. Roch, Sohn Rochs. Für einen Soldaten ist es auch besser, sich keine andere Frau anzuschaffen als diese. Ich prophezeie dir: eher wirst du Witwer werden, als sie Witwe. Du bist ein tapferer, kluger Mensch; es ist wirklich schade, wenn so ein Geschlecht ausstirbt.«

»Oho,« sagte Kowalski selbstgefällig. »Wir sind sechs Brüder.«

»Bravo! Trinken wir noch eins!«

»Schön!«

Zagloba führte wieder die Flasche an die Lippen, den Rest gab er dem Offizier. »Trink man aus, bis auf den Grund. – Schade, daß ich dich gar nicht sehen kann! Die Nacht ist so dunkel, daß man die eigene Hand nicht vor Augen sieht. – Hör' mal, Pan Roch, wohin gingen die Truppen von Kiejdane, als wir wegfuhren?«

»Sie zogen gegen die Rebellen.«

»Nun, das ist noch nicht ausgemacht, wer ein Rebell ist, du oder sie?«

»Ich, ein Rebell! – Ich tue, was mir der Hetman befiehlt.«

»Der Hetman tut aber nicht, was ihm der König befiehlt; der hat ihm nicht befohlen, mit den Schweden gemeinsame Sache zu machen. – Würdest du es nicht vorziehen, gegen die Schweden zu kämpfen, als mich, deinen alten Onkel, ihnen auszuliefern?«

»Vielleicht würde ich es vorziehen; aber wie mir befohlen ist, so muß ich es tun.«

»Auch Pani Kowalska würde es vorziehen, ich kenne sie. Unter uns gesagt, ist der Hetman gegen den König und das Vaterland rebellisch geworden. Sage es niemandem; aber tatsächlich ist es so. Und ihr, die ihr ihm dient, seid auch Rebellen.«

»So etwas darf ich nicht ruhig mit anhören. Der Hetman hat seine Vorgesetzten, und ich meine. Gott würde mich strafen, wenn ich ihnen den Gehorsam verweigerte!«

»Ganz recht, – aber merke dir eins: Wenn du den Rebellen in die Hände fielest, so würde ich frei werden, und dich träfe doch keine Schuld. Ich weiß nicht, wo die Banner stehen, aber du weißt es. – Und siehst du, wir könnten ja ganz zufällig auf sie stoßen.«

»Wieso denn?«

»Na so – es wäre doch nicht deine Schuld, wenn man uns befreite. – Und dein Gewissen würde mir gegenüber ganz rein sein; es ist keine leichte Sache, einen Verwandten auf dem Gewissen zu haben.«

»Ei, ei, Onkel, was redest du da! – Es wird Zeit, daß ich den Wagen verlasse und aufs Pferd steige. – Sonst werde ich noch den Hetman auf dem Gewissen haben, und daraus soll, solange ich lebe, nichts werden!«

»Nicht, dann nicht,« beruhigte ihn Zagloba. »Ich ziehe es vor, daß du aufrichtig zu mir bist, obgleich ich eher dein Onkel war als Radziwill dein Hetman. Weißt du eigentlich, Roch, was ein Onkel ist?«

»Ein Onkel ist eben ein Onkel.«

»Eine sehr präzise und geistreiche Erklärung. Die Heilige Schrift aber sagt: So du keinen Vater hast, so gehorche dem Onkel. Ein Onkel kann die gleiche Gewalt ausüben wie ein Vater, dem sich zu widersetzen doch eine große Sünde ist. Ich bin ja nicht der Bruder deiner Mutter; aber meine Großmutter war die Tante deiner Großmutter; alle Rechte deiner verstorbenen Verwandtschaft sind demnach auf mich übergegangen. Keine Macht, weder die des Hetmans noch die des Königs, kann meine vernichten, hörst du? – Was wahr ist, ist wahr. – Darf denn ein Großhetman auch nur dem geringsten Bauer befehlen, sich dem Vater, der Mutter oder gar der alten Großmutter zu widersetzen? – Antworte doch, Roch, darf er das?«

»Wa-as?« fragte Kowalski mit schläfriger Stimme.

»Der alten Großmutter frage ich dich? Wer würde dann Lust haben zu heiraten und Kinder zu kriegen, um Enkel zu erhoffen? – Antworte mir doch darauf, Roch!«

»Ich bin Kowalski, – das ist Pani Kowalska,« sagte Roch, schon fest schlafend.

»Wie du willst, kannst recht haben, 's wird auch besser sein, wenn du kinderlos stirbst, so werden sich weniger Dummköpfe auf der Welt 'rumtreiben! Nicht wahr, Roch?«

Zagloba neigte sich dicht an Kowalskis Ohr, aber er hörte keine Antwort mehr.

Pan Roch schlief wie ein Toter.

»Schläft,« brummte Zagloba. – »Warte mal, ich werde dir den eisernen Topf vom Kopfe nehmen; der ist unbequem beim Schlafen. Und dein Mantel würgt dich ja am Halse, behüte Gott, das Blut wird dir noch zu Kopfe steigen. Ein schöner Verwandter wäre ich, wenn ich nicht für dich sorgte!«

Auch im Wagen waren inzwischen alle fest eingeschlafen, die Soldaten nickten auf ihren Sätteln. Die Nacht wurde immer dunkler.

Einige Minuten verstrichen; dann sah der Soldat, der des Offiziers Pferd hinter dem Wagen herführte, Kowalski mit Mantel und Helm, ohne anhalten zu lassen vom Wagen springen. Er brachte das Pferd dem Offizier, der sich stillschweigend in den Sattel schwang.

»Pan Kommandant, wollen wir Rast machen?« fragte der Wachtmeister.

Pan Roch antwortete mit keinem Tone. Er setzte sich in Bewegung, ritt an allen Soldaten vorbei und verschwand in der Dunkelheit. Die Dragoner hörten plötzlich die Hufschläge eines sich schnell entfernenden Pferdes.

»Der Kommandant ist vorausgeritten, wird sich wohl nach einer Schenke in der Nähe umsehen,« sagte der Wachtmeister. »Es wird auch wirklich Zeit, daß die Pferde etwas Ruhe haben.«

Es verging eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei, und Pan Kowalski war noch immer nicht zurückgekehrt. Die Wagenpferde waren schon sehr ermattet und gingen nur langsam vorwärts.

»Reit vor, dem Kommandanten entgegen und sage ihm, daß die Pferde sich kaum noch schleppen,« befahl der Wachtmeister einem Soldaten.

Der Dragoner ritt vor, kehrte aber nach einer Stunde allein zurück.

»Vom Kommandanten ist keine Spur; er muß sehr weit vorausgeritten sein.«

Die Soldaten fingen an unzufrieden zu brummen.

»Hier in der Nähe,« fuhr der zurückgekehrte Soldat fort, »ist eine Schenke, ich glaubte ihn dort zu finden; aber nein! Weiß der Teufel, wo er hingaloppiert ist!«

»So machen wir einfach in der Schenke Rast,« entgegnete der Wachtmeister.

Nach einiger Zeit erreichten sie die Schenke. Die Soldaten stiegen ab und klopften an die Tür. Die Gefangenen erwachten, als der Wagen so plötzlich stehen blieb.

»Wo sind wir?« fragte der alte Pan Stankiewicz.

»Es ist nichts zu erkennen,« antwortete Wolodyjowski. »Ich weiß nur, daß wir nicht in der Richtung nach Upita gefahren sind.«

»Von Kiejdane nach Birze kommt man doch aber an Upita vorbei!« meinte Jan Skrzetuski.

»Ja, das schon. Aber in Upita steht mein Banner. Der Fürst fürchtete wohl, man würde uns mit Gewalt befreien, und gab Befehl, einen Umweg zu machen. Upita und Poniewiez liegen jetzt rechts von uns.«

»Und Pan Zagloba,« sagte Stanislaus Skrzetuski, »schläft und schnarcht, anstatt sich einen Plan für unsere Rettung auszudenken.«

»Soll er schlafen; er hat sich wahrscheinlich an der Unterhaltung mit dem Dummkopf von Kommandanten getröstet. Er hoffte wohl, ihn als seinen Verwandten 'rumkriegen zu können. Wer sich des Vaterlandes wegen nicht von Radziwill losgesagt hat, der wird es eines entfernten Verwandten wegen erst recht nicht tun.«

»Sind sie wirklich Verwandte?« fragte Oskierska.

»Die? Ebensolche wie wir beide,« entgegnete Wolodyjowski. »Das Wappen von Pan Zagloba sieht ganz anders aus, als wie er sagte. – Wo ist denn aber Kowalski?«

»Ist wohl bei den Soldaten oder in der Schenke.«

»Soldat, wo ist der Kommandant?« fragte Wolodyjowski den zunächst stehenden Dragoner.

»Das mag Gott wissen!«

»Was soll das heißen? Ich befehle dir, ihn herzurufen, geh!«

»Pan Oberst, wir wissen ja selbst nicht, wo er ist. Seitdem er aus dem Wagen gestiegen und fortgeritten ist, haben wir ihn nicht mehr gesehen.«

»So sag' ihm, wenn er wiederkommt, daß wir ihn sprechen möchten.«

»Zu Befehl, Pan Oberst.«

Die Gefangenen schwiegen. Man hörte nur das Schnarchen des Herrn Zagloba und das Kauen der Pferde, denen man Heu gegeben hatte. Da die Schenke von niemandem bewohnt war, setzten sich die Soldaten wieder auf die Pferde, und man ritt weiter.

Allmählich begann der Himmel im Osten heller zu werden, die Sterne erloschen einer nach dem anderen, und aus dem Dunkel hoben sich die Bäume, Baumstümpfe und die Gestalten von Menschen und Pferden ab.

Pan Wolodyjowski reckte sich und sah Zagloba ins Gesicht. Plötzlich rief er:

»O, hol dich! – Panowie, seht mal!«

»Was ist geschehen?«

»Seht, seht!« fuhr Wolodyjowski fort zu rufen und zeigte auf die schlafende Gestalt.

Die Gefangenen sahen nach derselben Richtung und erstarrten: Unter dem Filzmantel und der Mütze Zaglobas schlief Pan Kowalski unschuldig und tief; – Zagloba war nicht im Wagen.

»Er ist geflohen, bei Gott! Er ist geflohen!« sagte erstaunt Mirski und sah sich nach allen Seiten um, als ob er nicht seinen Augen traue.

»Das ist ein Hauptkerl!« rief Stankiewicz.

»Nahm dem Dummkopf den Helm und den gelben Mantel und floh auf seinem eigenen Pferde!«

»Und wie vom Erdboden verschwunden!«

»Er sagte es vorher, daß er sich auf irgend eine Weise retten werde!«

»Panowie!« sagte Wolodyjowski begeistert, »Sie kennen diesen Mann noch nicht; ich bin bereit zu schwören, er wird auch uns alle retten. Wie und auf welche Weise, weiß ich selbst noch nicht; aber er wird es tun.«

Bald erfuhren auch die Soldaten von der Sache, und verwundert glotzten sie ihren Kommandanten an, der in dem Kamelmantel und der Luchsmütze noch immer harmlos weiter schlief.

Der Wachtmeister weckte ihn ohne weitere Umstände.

»Ich bin Kowalski und das Pani Kowalska,« brummte Pan Roch.

»Pan Kommandant, ein Gefangener ist entflohen!«

Kowalski richtete sich hoch und rieb sich die Augen.

»Wa-as?«

»Ein Gefangener ist, sage ich, entflohen. Jener dicke Edelmann, der sich mit Ihnen unterhielt.«

Der Offizier kam zu sich.

»Das kann nicht sein,« rief er mit erschrockener Stimme.

»Wie? Was ist vorgefallen? Wieso ist er entflohen?«

»Er hat Ihren Helm und Mantel genommen, die Soldaten haben ihn nicht erkannt, die Nacht war dunkel.«

»Wo ist mein Gaul?« rief Kowalski.

»Ihr Gaul ist auch nicht da. Der Edelmann ist ja auf ihm entflohen!«

»Auf meinem Gaul?«

»Ja, so ist es.«

Kowalski griff an seinen Kopf.

»Jesus, Maria! König von Juda! Wo ist der nichtsnutzige, abscheuliche Kerl, der ihm mein Pferd gegeben hat?«

»Pan Kommandant, der Soldat ist nicht schuldig. Die Nacht war so dunkel, daß man nichts sehen konnte. Er ist auch bei mir in Ihrem Helm und Mantel vorbeigeritten, und ich habe ihn nicht erkannt. – Hätten Sie sich nicht in den Wagen gesetzt, so wäre das nicht passiert. – Was tun wir aber jetzt?«

»Ihn einholen, wieder einfangen!«

»Dazu ist es zu spät! Er hat Ihr Pferd, das ist das schnellste von allen. Er ist schon bei dem ersten Hahnenschrei geflohen. Der ist nicht mehr einzuholen.«

»Fangen Sie den Wind auf dem Felde!« sagte Stankiewicz.

Kowalski brüllte die Gefangenen wütend an.

»Ihr habt ihm zur Flucht verholfen! Wartet, ich werde euch!«

Er wollte mit seinen ungeheuren Fäusten auf sie losgehen.

»Schrei nicht so! und bedenk', mit wem du sprichst!« sagte Mirski laut.

Pan Roch fuhr zusammen und machte unwillkürlich Front.

»Man muß sagen, Pan Roch,« sprach Oskierka, »Sie haben da einen mächtigen Bock geschossen. Was Sie da von unserer Beihilfe sagen, ist natürlich Unsinn. Erstens schliefen wir alle, und, zweitens wäre jeder von uns dann selbst geflohen. Sie waren wirklich ungeheuer nachlässig! Hier ist kein anderer daran schuld als Sie selbst. – Ich wäre der erste, der Sie erschießen lassen würde, dafür, daß Sie wie ein Murmeltier geschlafen und einen Gefangenen in Ihrem Helm und Mantel und auf eigenem Pferde haben fliehen lassen. Das ist ja einfach unerhört!«

»Jesus, Maria! – auch mein Säbel ist fort!«

»Den wird er gut gebrauchen können!« lächelte Stankiewicz. »Pan Oskierka hat recht: Sie haben wirklich sträflich leichtsinnig gehandelt. Haben Sie wenigstens noch Ihre Pistole?«

»Lieber Gott, auch die ist weg!« antwortete ganz niedergeschlagen Kowalski. »Auch der Brief des Pan Hetman an den Kommandanten von Birze ist weg! Was soll ich Unglücklicher nur anfangen? – Ich bin für alle Ewigkeit verloren! Es wäre mir besser, wenn man mich gleich totschösse!«

»Dem werden Sie ja auch nicht entgehen,« erwiderte feierlich Mirski. – »Wie denken Sie uns nun nach Birze zu bringen? – Sie werden sagen, Sie bringen uns als Gefangene, und wir werden Sie als Gefangenen ins Gefängnis abführen lassen. Wem, meinen Sie, wird man mehr Glauben schenken?«

»Ich bin verloren! verloren!« stöhnte Kowalski.

»Reden Sie keine Dummheiten!« sagte Wolodyjowski.

»Was soll geschehen, Pan Kommandant?« fragte der Wachtmeister.

»Scher dich zu allen Teufeln!« wurde Kowalski jetzt hitzig. »Woher soll ich wissen, was tun und wohin fahren? Daß doch ein Donnerwetter dreinschlage!«

»Fahren Sie, fahren Sie ruhig nach Birze,« sagte Mirski. »Sie werden dann schon sehen ...«

»Nach Kiejdane zurück! Umkehren!« schrie Kowalski.

»Einen Schafskopf soll man mich nennen, wenn man Sie dort nicht an die Mauer stellt und erschießt,« sprach Oskierka. »Wie können Sie vor den Hetman treten? Schmach und eine Kugel durch die Stirn, das ist das einzige, was Sie zu erwarten haben.«

»Ich verdiene auch nichts anderes!« seufzte der arme Pan Roch.

»Das sind alles Torheiten, Offizier! Wir allein können Sie retten,« redete Oskierka auf ihn ein. – »Sie wissen selbst, wir waren bereit, dem Hetman bis ans Ende der Welt zu folgen und ihm zu dienen, wie vorher; denn wir dienen ihm schon länger als Sie. Mehr als einmal haben wir unser Blut fürs Vaterland vergossen; aber der Hetman verriet das Vaterland und vereinigte sich mit dem Feinde gegen unseren gnädigen König, dem wir alle Treue geschworen haben. Glauben Sie, daß es einem Soldaten wie mir leicht geworden ist, die Disziplin zu verletzen und sich gegen den Hetman aufzulehnen? Doch wer jetzt zum Hetman hält, der ist wider den König; der ist ein Verräter. Unser Gewissen befahl uns, die Stäbe dem Hetman vor die Füße zu werfen. Und wer hat so gehandelt? Mirski, Stankiewicz, kurz, – die besten Soldaten. – Und wer ist dem Hetman treu geblieben? Der Auswurf, einzig und allein der Auswurf. Und Sie, warum folgen Sie nicht den Wegen der älteren und erfahreneren Offiziere? Wollen Sie Ihren Namen wirklich mit Schmach bedecken? Gehen Sie in sich, und fragen Sie Ihr Gewissen, wie Sie handeln sollen. Verräter sein bei Radziwill oder bei uns dem Vaterlande bis zum letzten Atemzuge dienen?«

Diese Rede schien auf Pan Roch großen Eindruck zu machen.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er etwas später.

»Fahren Sie mit uns zusammen zum Witebsker Wojewoden.«

»Ich habe aber doch den Befehl, Sie nach Birze zu bringen.«

»Geh, red' du mal mit ihm,« sagte Mirski zu Oskierka, eine hoffnungslose Bewegung machend.

»Sehen Sie, wir wollen, daß Sie den Hetman verlassen und mit uns gehen, begreifen Sie das nicht?« sagte Oskierka ungeduldig.

»Ja, aber reden Sie, was Sie wollen, daraus wird nichts. – Ich bin ein einfacher Mann und verstehe mich nicht auf Ihre Feinheiten. Ich weiß nur, daß ich zu gehorchen habe, und damit basta!«

»Nun, so tun Sie, was Sie wollen!« sagte Mirski.

»Es ist schon nicht richtig, daß ich befahl umzukehren,« fuhr Pan Roch fort, »aber jener Schlachtschitz hat mir ganz den Kopf verwirrt. Und das will ein Verwandter sein; nicht mal ein Fremder hätte mir so etwas zugefügt, ein schöner Verwandter! Er hat Gott nicht im Herzen. Nimmt mir mein Pferd weg und bringt mich um die fürstliche Gnade. Und trotzalledem werden Sie nach Birze müssen, und nachher mag kommen, was will. – Marsch, kehrt um, nach Birze, Rindviecher ihr,« rief Kowalski den Dragonern zu.

Sie kehrten wieder um. Pan Roch befahl einem Soldaten, sich in den Wagen zu setzen; er selbst bestieg dessen Pferd und ritt neben dem Wagen her. Von Zeit zu Zeit wiederholte er klagend:

»Ein Verwandter, – und hat mir solch eine Suppe eingebrockt!«

Die Gefangenen konnten sich trotz der Gefahr ihrer Lage nicht des Lachens enthalten. Endlich erbarmte sich Wolodyjowski des unglücklichen Offiziers:

»Beruhigen Sie sich, Pan Kowalski, dieser Mann hat noch ganz andere als Sie an der Nase herumgeführt. Er hat selbst einen Chmielnicki betölpelt!«

Kowalski antwortete nicht; er ritt schweigend aus der Nähe des Wagens, weil er weiteren Spötteleien aus dem Wege gehen wollte. Er war so niedergeschlagen, daß es einem leid tat, ihn anzusehen.

In allen Dörfern, durch die die Gefangenen durchritten, herrschte Unruhe. Augenscheinlich hatte sich die Nachricht vom Übergange des Hetmans schon über ganz Litauen verbreitet. Ein großer Teil der Bevölkerung verließ die Häuser und floh mit Weib und Kindern in die naheliegenden Wälder. Die breite Straße, die nach Mitau führte, war dicht von den Kaleschen der Schlachta besetzt. Die Schlachtschitzen eilten, ihre Frauen und Kinder nach Kurland in sicheren Schutz zu bringen.

»Halt!« erscholl plötzlich die gebieterische Stimme Pan Rochs.

»Was ist los?« fragten die Soldaten.

»Halt!«

Der Wagen hielt an. Bei den Strahlen der aufgehenden Sonne erkannte man in der Ferne dichte Wolken Staubes.

»Das sind Soldaten!« rief Wolodyjowski aus. »Ich sehe die Sonnenstrahlen auf den Spitzen der Lanzen spielen.«

»Wahrscheinlich eine schwedische Abteilung.«

»Das ist Reiterei, das sind die unsrigen!«

»Die unsrigen! Die unsrigen!« wiederholten die Dragoner.

»Formiert euch!« donnerte Rochs Stimme.

Die Dragoner umzingelten den Wagen; Pan Wolodyjowskis Augen fingen an, Funken zu sprühen.

»Das sind meine Laudaer mit Zagloba, – anders kann es gar nicht sein.«

Inzwischen näherten sich die Soldaten im Trab. Endlich zerstreute ein leichter Windstoß die Staubwolken, und vor den Augen Pan Rochs erschien ein ganzes Regiment. In der ersten Reihe unter einer Roßschweiffahne ritt der Feldherr mit dem Kommandostabe in der Hand. Kaum hatte Wolodyjowski ihn gesehen, als er ausrief:

»Zagloba! Bei Gott, das ist Pan Zagloba!«

Das finstere Gesicht Pan Skrzetuskis klärte sich auf.

»Wirklich, der unter der Fahne, das ist er. Er hat sich selbst zu einem Hetman befördert. – Schon an dieser Idee kann man ihn erkennen. Er ist unverwüstlich in seinen Einfällen und wird es auch bis zum Tode bleiben.«

»Gott schenke ihm noch lange Gesundheit!« sagte Oskierka, dann rief er laut: »Pan Kowalski, Ihr Verwandter ist gekommen, Sie zu besuchen!«

Aber Pan Roch hörte nichts; er war ganz mit seinen Dragonern beschäftigt. Und man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, er war durchaus nicht eingeschüchtert, als er sich mit einer Handvoll Leuten einem ganzen feindlichen Regimente gegenübersah. Die Laudaer wollten augenscheinlich die Sache friedlich beilegen; sie begannen mit Tüchern zu schwenken und zu schreien:

»Halt! Halt!«

»Vorwärts!« kommandierte Pan Roch. »Gebt Feuer!«

Kein einziger Dragoner gab einen Schuß ab.

Pan Roch war sprachlos; dann aber stürzte er auf seine Dragoner zu.

»Gebt Feuer! Nichtsnutzige!« brüllte er und warf mit einem Faustschlage den zunächst stehenden Soldaten vom Pferde. Die anderen wichen unwillkürlich zurück; aber keiner leistete dem Befehle Folge. Plötzlich zerstreute sich die ganze Abteilung Pan Rochs auf die Felder wie eine Schar aufgescheuchter Rebhühner.

Als Kowalski sah, daß alle seine Leute ihn verließen, wandte er sein Pferd und ritt den Laudaern entgegen.

»Dort wartet meiner der Tod!« rief er. Aber kaum hatte er den halben Weg zurückgelegt, als in den Reihen Pan Zaglobas ein Schuß erscholl; eine Kartätsche flog pfeifend über den Wagen. Pan Rochs Gaul schwankte, stürzte und begrub den Reiter unter sich.

Wohl an zwanzig Hände griffen nach dem sich erhebenden Pan Kowalski, der sich wie ein von Hunden verfolgter Bär wehrte und sich auf keinen Fall in die Hände des Feindes geben wollte.

Schließlich verließen ihn die Kräfte, und er wurde ohnmächtig.

In diesem Augenblicke befand sich Zagloba schon im Wagen und umarmte der Reihe nach seine früheren Mitgefangenen.

»Ha,« schrie er laut, »so war Zagloba doch zu etwas nütze. Jetzt werden wir es dem Radziwill schon zeigen! Panowie, wir wollen uns aufmachen und die Güter und Keller Radziwills plündern! Ha, ha, so ist mir mein Plan doch gelungen! So oder so, aber befreit habe ich mich doch und euch alle auch. – Wohlauf, Panowie! gegen die Radziwills! Noch wißt ihr nicht alles, was geschehen!«

Die weiteren Ergüsse Pan Zaglobas wurden durch die Laudaer unterbrochen, die hinzueilten, um ihren Obersten zu begrüßen.

»Vivat! Vivat Pan Wolodyjowski!« riefen sie unaufhörlich.

»Panowie,« sagte der kleine Ritter, als es um ihn herum etwas ruhiger geworden war, »liebe Kameraden, – ich danke euch allen für die Hilfe! – Es ist eine schreckliche Sache, daß wir dem Hetman den Gehorsam verweigern und gegen ihn die Hand erheben mußten; aber da sein Verrat augenfällig war, so blieb uns kein anderes Mittel. Nie wollen wir das Vaterland und unseren gnädigen König verlassen! Es lebe Jan-Casimir!«

»Es lebe Jan-Casimir!« wiederholten an dreihundert Stimmen.

»Auf, zu den Gütern Radziwills!« rief Zagloba. »Laßt uns in seine Speicher und Keller hineinsehen!«

»Pferde für uns!« befahl der kleine Ritter.

Die Soldaten liefen, um seinen Befehl auszuführen.

»Pan Michail,« sagte Zagloba, »ich habe bis hierher Ihre Leute befehligt, jetzt aber sind Sie frei, und ich gebe das Kommando wieder in Ihre Hände zurück.«

»Sei es, wie Sie sagen.«

Pan Michail nahm den Stab aus Zaglobas Händen, ließ das Regiment sich formieren und ritt mit den Kameraden an seine Spitze.

»Wohin wollen wir?« fragte Zagloba.

»Die Wahrheit gesagt, weiß ich das selber nicht; ich habe es mir noch nicht überlegt,« entgegnete Pan Michail.

»Aber wir müssen jetzt gleich beschließen, was wir tun sollen,« sagte Mirski. »Zuerst aber gestatten Sie mir, im Namen aller dem Pan Zagloba den besten Dank zu sagen, daß er unser nicht vergessen und uns alle aus der Gefangenschaft befreit hat.«

»Seht ihr,« rief Zagloba und drehte wohlgefällig seinen Schnurrbart, »ohne mich wäret ihr alle in Birze. – Es ist nur gerecht, zuzugestehen, daß, wenn keiner mehr sich etwas Gescheites ausdenken kann, Zagloba doch noch immer was einfällt! – Wir haben uns oft in einem noch schlimmeren Schraubstock befunden. Pan Michail, entsinnen Sie sich noch, wie ich Sie gerettet habe, als ich mit Helene vor den Tataren floh, wie?«

Pan Michail entsann sich sehr wohl der Sache; er hätte zwar erwidern können, daß er damals Zagloba und nicht Zagloba ihn gerettet habe; aber er zog es vor, zu schweigen. Der alte Schlachtschitz fuhr fort:

»Sie brauchen mir nicht weiter zu danken, das ist überflüssig, Panowie. Heute leistete ich Ihnen einen Dienst, morgen Sie mir einen anderen. Ich bin froh, Sie alle befreit zu sehen, als wenn ich den größten Sieg erfochten hätte.«

»Und haben Ihnen meine Leute gleich geglaubt?«

»Ja, ohne weiteres. Ich hatte ja Ihren Ring, und dann hatten sie schon von Ihrer Gefangennahme und dem Verrat des Fürsten Kunde erhalten. Von den Bannern Mirskis und Stankiewicz' traf ich eine Abordnung, die den Laudaern vorschlug, gemeinsam gegen den verräterischen Hetman zu ziehen.«

»Und woher haben Sie die Roßschweiffahne?« fragte Jan Skrzetuski. – »Wir glaubten von weitem, Sie wären der Hetman.«

»Von wem ich die Fahne genommen habe? Pan Szczyt war gerade zu den Laudaern mit dem Befehle des Hetmans gekommen, daß die Laudaer nach Kiejdane marschieren sollten; der hatte der größeren Feierlichkeit wegen die Fahne bei sich. Ich ließ ihn natürlich gleich in Haft nehmen, und die Fahne hatte ich über mir tragen lassen, um bei einer Begegnung die Schweden zu täuschen.«

»Wie Sie das alles so weise überlegt haben!« sagte Oskierka.

»Ein wahrer Salomo,« fügte Stankiewicz hinzu.

Pan Zagloba fühlte sich wie im siebenten Himmel.

»Doch wir müssen jetzt endlich besprechen, was wir beginnen wollen,« sagte er. »Wenn ihr mir geduldig zuhören wollt, so werde ich euch sagen, was ich mir unterwegs zurechtgelegt habe. Gleich Radziwill anzugreifen, davon rate ich ab; denn er ist ein Hecht, und wir sind doch nur Barsche. Sollte er uns durch Zufall in seine Hände kriegen, so wartet unser eine solche Rache, daß alle Elstern Litauens ein rundes Jahr darüber schwatzen werden. – Seht nur, was in dem Briefe stand, den Kowalski für den schwedischen Kommandanten von Birze mit sich führte. – Ihr werdet den Pan Wojewod von Wilna kennen lernen, falls ihr ihn bisher noch nicht recht kanntet!«

Zagloba holte den Brief heraus und gab ihn Mirski.

»Eh! der ist ja deutsch oder schwedisch geschrieben,« sagte der alte Oberst. »Wer von euch kann das lesen?«

Nur Stanislaus Skrzetuski verstand deutsch zu lesen, aber auch nur Gedrucktes.

»Nun, das ist ja auch gleich,« sagte Zagloba, »ich werde euch die Hauptsache erzählen. In Upita ließ ich mir einen Juden an den Peiß herbeischleppen und befahl ihm, mir den Brief vorzulesen. Die Sache ist die: Der Hetman beauftragt den Kommandanten von Birze, den Konvoi wieder zurückzuschicken und uns der Reihe nach, ohne Aufsehen zu machen, zu Nutzen Seiner Majestät des schwedischen Königs zu erschießen.« –

Die Obersten waren alle sprachlos und schlugen vor Erstaunen die Hände zusammen; Mirski allein war ruhig und sagte:

»Ich habe mich schon genug darüber gewundert, daß er uns lebend aus Kiejdane herausgelassen hat. Er hatte sicherlich seine besonderen Gründe, daß er uns dort nicht zum Tode verurteilte.«

»Wahrscheinlich fürchtete er die öffentliche Meinung!«

»Vielleicht, doch wie die Sache auch sein mag; er ist wirklich ein ganzer Mann! Es ist noch nicht solange her, daß ich ihm das Leben rettete!« rief der kleine Ritter.

»Und ich habe unter seinem Vater und ihm fünfunddreißig Jahre gedient,« sagte Stankiewicz.

»Ein schrecklicher Mensch,« fügte Stanislaus Skrzetuski hinzu.

»Diesem schrecklichen Menschen also wollen wir nicht in den Rachen kriechen,« fuhr Zagloba fort. »Wir wollen einem Kampfe mit ihm aus dem Wege gehen und dafür alle seine Güter, die wir unterwegs treffen, verwüsten. Wir gehen gerades Weges zum Witebsker Wojewoden und stellen uns unter seine Führung und seinen Schutz. Überall, wo wir Radziwills Güter plündern können, tun wir es und bringen alles dem Wojewoden Sapieha mit, der wird es gut gebrauchen können.«

»Der Rat ist gut, ich wüßte keinen besseren,« stimmte Oskierka bei.

»Einverstanden,« sprach Stankiewicz.

»Ich auch,« pflichtete Pan Michail bei. »Auf zum Witebsker Wojewoden! Möge er uns der Führer sein, um den wir Gott baten!«

Einige Zeit lang ritten die Ritter schweigend ihres Weges. Plötzlich begann der kleine Ritter, sich ganz unruhig auf seinem Sattel umherzudrehen.

»Und wenn wir auf Schweden stoßen, werden wir mit ihnen kämpfen oder nicht?« fragte er unschlüssig die alten Kameraden.

»Sicherlich,« antwortete Stankiewicz. »Radziwill hat den Schweden wahrscheinlich die Versicherung gegeben, daß er ganz Litauen in seinen Händen habe, und daß alle bereit seien, Jan-Kasimir zu verlassen. Es wäre doch nicht so übel, durch einen Kampf zu beweisen, daß dem nicht so ist.«

»Ganz richtig,« erklärte auch Mirski. »Es wäre jedoch ratsam, uns nicht weit von Kiejdane ein wenig aufzuhalten, damit wir möglichst viele Leute um uns sammeln. Vermutlich werden vereinzelte Soldaten von meinem Banner und von Stankiewicz sich uns anschließen.«

Mirski hatte mit seiner Annahme recht, und ebenso wie Pan Rochs Dragoner gingen viele von Radziwills Soldaten zu unseren Rittern über.

Am Flusse Laweczy machten die Ritter Halt, um der Mannschaft etwas Ruhe zu gönnen.

Als es dunkelte, drang der Schall einer fernen Glocke an die Ohren der Soldaten.

»Was ist das?« fragte Zagloba. »Für die Abendglocke ist es doch schon zu spät.«

Pan Wolodyjowski lauschte aufmerksam.

»Dort läutet man Sturm,« sagte er ruhig.

Pan Michail gab dem Trompeter ein Zeichen, und bald störten leise Trompetentöne die Stille des Waldes. Das Banner setzte sich in Bewegung.

Aller Augen spähten nach der Seite, von der man ein immer stürmerischeres Läuten vernahm. Bald erschien am Horizonte ein heller Feuerschein.

»Eine Feuersbrunst!« flüsterte Pan Michail und wandte sich zu Skrzetuski: »Das sind die Schweden!«

»Eilen wir hinzu!« erwiderte Pan Jan.

»Eigentümlich, warum haben sie Feuer angelegt?«

»Wahrscheinlich haben die Bauern ihnen Widerstand geleistet.«

»Wir werden ja sehen!« lächelte Pan Michail selbstgefällig.

In diesem Augenblicke sprengte Zagloba zu ihm heran.

»Pan Michail!«

»Was gibt's?«

»Ich fühle, es riecht nach schwedischem Blut. Es wird wohl einen Kampf geben, wie?«

»Wie Gott will, wie Gott will!«

»Und wer wird den Gefangenen bewachen?«

»Welchen Gefangenen?«

»Mich nicht – den Kowalski. Sehen Sie, Pan Michail, es ist sehr wichtig für uns, daß er nicht entkommt. Vergessen Sie nicht, daß der Hetman nichts von unserer Befreiung ahnt und nie etwas davon erfahren wird, wenn es Kowalski ihm nicht erzählt. Er muß von einem sicheren Mann bewacht werden, denn während des Kampfes kann er leicht Fersengeld geben.«

»Ja, – Sie haben recht. Man muß jemand bei ihm zurücklassen. Wollen Sie das nicht übernehmen?«

»Hm – 's ist schade um die schöne Schlacht! Aber es ist ja wahr, des Nachts und dann beim Feuerschein kann ich doch nichts Rechtes sehen. – Am Tage würden Sie mich nie dazu überreden können! – Und wenn das allgemeine Wohl es fordert, so will ich's tun.«

»Schön, ich lasse Ihnen fünf Mann zur Hilfe zurück. Sollte er versuchen zu entfliehen, so schießen Sie ihn nieder.«

»Er wird unter meiner Leitung weich wie Wachs werden, seien Sie unbesorgt. – Doch die Feuersbrunst nimmt mehr und mehr zu. – Wo soll ich mit Kowalski zurückbleiben?«

»Wo Sie wollen. – Ich habe jetzt keine Zeit mehr,« sagte Pan Michail und ritt fort.

Das Feuer verbreitete sich immer weiter. Ein frischer Wind führte mit dem Glockengeläute auch den Schall von Schüssen mit sich.

»Trab!« kommandierte Pan Wolodyjowski.


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