Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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5. Kapitel.

Am folgenden Tage setzte der König seine Reise nach Lubomla fort. Jan-Kasimir rechnete darauf, daß ihm der Kronmarschall, der über Kräfte verfügte, um die ihn manch regierender Fürst beneiden konnte, entgegeneilen werde. Der Pan Marschall, der von der Ankunft des Königs nichts wissen konnte, sollte durch die Bergbewohner benachrichtigt werden, die nach allen Richtungen ausgesandt wurden, um dem Könige den Weg zu säubern. Diese Bergvölker, die halb verwildert und bettelarm waren, hingen mit der größten Treue an dem König, Als zu ihnen die Kunde von der Einnahme Krakaus und der Belagerung Czenstochaus gedrungen war, hatten sie ihre Beile ergriffen und sich von ihren Bergen auf die Schweden gestürzt. Es war dem General Douglas jedoch leicht geworden, sie zu schlagen und in den Tälern zu zersprengen. Dafür getrauten sich jedoch die Schweden nur mit größter Vorsicht in die Schluchten des Gebirges, wo ein Sieg ihnen gewaltige Opfer kostete, und ihrer Schritt auf Schritt Mißerfolge warteten.

Auch jetzt, als die Nachricht von dem Durchzug des Königs sich verbreitete, waren die Bergbewohner wie ein Mann aufgestanden. Ein Wort des Königs hätte genügt, und Tausende dieser wilden Reiter hätten ihn schützend umgeben. Jan-Kasimir aber, der die Schweden fürchtete, zog es vor, inkognito zu reisen. Mehr als einmal schlich sich der König, geleitet durch treue Führer der Bergbewohner, die überzeugt waren, daß sie das Gefolge eines vor den Verfolgungen der Schweden flüchtigen Magnaten führten, durch unbekannte Stege des Gebirges; mehr als einmal gähnten zu des Königs Füßen felsentiefe Abgründe, und Schneelawinen drohten, sich auf sein Haupt zu stürzen. Aber es half nichts, man mußte die offene Fahrstraße meiden, denn auf ihr lauerte überall der Feind.

Auf diese Weise drang die kleine Schar bis Nowi-Targ vor. Fast schien es, als ob keine Gefahr mehr zu befürchten sei, obwohl die Bergbewohner behaupteten, daß sich von Zeit zu Zeit feindliche Truppen in der Umgegend zeigten.

Nach einem langen, gefährlichen Ritte durch das Gebirge führte der Weg in eine enge, lange Schlucht hinein. Rechts und links erhoben sich Felsen, die mit von Schnee bedeckten Kiefern bewachsen waren. In der Schlucht herrschte Totenstille, nur das Aufschlagen der Pferdehufe auf den hartgefrorenen Boden war zu vernehmen. Plötzlich blieb der Führer stehen, er legte sein Ohr an den Felsen.

»Was gibt's?« fragte der König.

Der Führer schwieg; aber sein Gesicht wurde zusehends bleich.

»Behüte Gott! Ob das Schweden sind?«

»Vielleicht sind es die Leute des Pan Marschalls«, erwiderte der König.

»Ich werde vorausreiten und nachsehen«, rief Kmicic, indem er seinem Pferde die Sporen gab.

Die Kiemlicz' folgten ihm wie die Hunde dem Jäger. Aber kaum hatten sie eine Strecke zurückgelegt, als am Eingange der Schlucht, etwa hundert Schritt von ihnen entfernt, sich vor ihren Augen eine große Truppe Reiter zeigte. Kmicic' Herz krampfte sich zusammen.

Es waren Schweden.

Sie waren so nahe, daß es eine Unmöglichkeit war, umzukehren und zu fliehen, um so mehr, als die Pferde der königlichen Reiter sehr erschöpft waren. Es blieb nur übrig, sich durchzuschlagen, das Leben zu lassen oder in Gefangenschaft zu geraten. Der unerschrockene König begriff das und legte die Hand auf den Degen.

»Zurück! Und den König decken!« rief Kmicic.

Tyzenhauz drang in dem Augenblicke mit zwanzig Reitern vor, Kmicic aber schloß sich ihnen nicht an, sondern trabte den Schweden entgegen.

Er hatte eine schwedische Reitjacke an, – dieselbe, in der er aus Czenstochau gegangen, und die Schweden hielten augenscheinlich die königliche Abteilung für Landsmänner. Nur der Hauptmann ritt auf Kmicic zu.

»Was seid ihr für Leute?« fragte er schwedisch, unverwandt das drohende und bleiche Gesicht des nahenden Reiters anblickend. Kmicic ritt bis zu einem Schritt Entfernung heran, und ohne ein Wort zu sagen, schoß er dem Hauptmann mit einer Pistole ins Ohr.

Ein furchtbarer Wutschrei entrang sich der Brust der schwedischen Reiter, aber noch drohender donnerte Kmicic' Stimme:

»Schlagt zu!«

Und wie ein vom Felsen sich lösender Stein beim Falle alles zerschmettert, was sich ihm in den Weg stellt, so stürzte sich Kmicic auf die erste Reihe, Tod und Verderben bringend. Die beiden jungen Kiemlicz' folgten ihm wie zwei junge Bären. Den erschreckten Schweden schien es zuerst, als hätten drei Hünen sie in der Bergschlucht überfallen. Die ersten Reihen gerieten in Verwirrung und wichen zurück, die hinteren jedoch drängten vor, und die Reiter ballten sich zusammen wie ein Knäuel. Da die hinteren Reiter weder zu Hilfe eilen noch schießen konnten, so erlagen die ersten den Schlägen der drei sich auf sie stürzenden Riesen. Kmicic hatte nur einen Gedanken: das Leben lassen, aber zuvor den Schweden soviel als nur möglich antun. Dieser Gedanke verdreifachte seine Kräfte und gab seinen Bewegungen eine ungewöhnliche Schnelligkeit. Er wandte sich von rechts nach links wie ein wütender Luchs und fällte, wie ein Blitz junge Bäume zersplittert, durch übermenschliche Säbelhiebe viele schwedische Reiter. Die jungen Kiemlicz' kämpften an seiner Seite.

Unterdessen bemühten sich die Höflinge, den König nach Kräften zurückzuhalten, der durchaus nicht ein untätiger Zuschauer des Kampfes bleiben wollte. »Laßt mich!« schrie Jan-Kasimir, »um Gottes willen laßt mich!«

Aber Tyzenhauz sperrte ihm mit seinem Pferde entschlossen den Weg und rührte sich nicht von der Stelle.

Dank der Enge der Schlucht konnten sich die Schweden nicht in breiter Front entfalten, und Kmicic und die Kiemlicz' konnten sich unter vielen Anstrengungen eine Zeitlang halten. Aber allmählich begannen ihre Kräfte zu schwinden. Kmicic hatte schon mehrere Wunden, sein Blick begann sich zu verschleiern, sein Atem ging kürzer und stoßweise. Er fühlte das Nahen des Todes und wünschte nur das eine, sein Leben möglichst teuer zu verkaufen.

Die Schweden hatten sich inzwischen von ihrem ersten Erstaunen erholt und begannen sich zu schämen, daß sie solange nicht gegen drei Menschen aufkommen konnten. Sie rückten immer mehr vor und griffen ihre Gegner wütend an. Endlich fiel Kmicic' Pferd, und die Flut deckte sich über den gefallenen Reiter. Eine Zeitlang hielten die Kiemlicz' noch stand, dann aber verschlang auch sie der Strom. Die Schweden stürzten nun wie ein Wind gegen die königliche Abteilung vor.

Tyzenhauz warf sich ihnen mit seinen Leuten entgegen, aber was bedeutet diese kleine Schar Tapferer gegen fast dreihundert Reiter? Es gab keinen Zweifel mehr, daß für den König und seine Begleiter die unheilvolle Stunde des Todes oder der Gefangennahme geschlagen hatte.

Jan-Kasimir, der anscheinend den Tod der Gefangenschaft vorzog, entriß die Zügel seines Pferdes den Händen der ihn umringenden Bischöfe und sprengte Tyzenhauz nach.

Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen.

Es geschah etwas Staunenerregendes. Es schien, als wenn die Berge selbst ihrem legitimen Herrscher zu Hilfe eilten. Die Felsen erzitterten, als wenn die Erde in ihren Fundamenten erbebte, als wenn die auf ihren Gipfeln wachsenden Wälder am Kampfe teilnehmen wollten. Baumstümpfe, Eisklumpen, Steine fielen mit fürchterlichem Krachen auf die in der Schlucht eingeengten Schweden, und ein fürchterliches Geheul erscholl von allen Seiten.

Und unten, in den Reihen der Schweden, entstand eine Verwirrung, die jede Vorstellung übertraf. Es schien den Schweden, als wenn die Berge über sie zusammenstürzten. Man vernahm Geschrei, Gestöhn, Hilferufe und das Prasseln der von Felssteinen durchlöcherten Panzer. Schließlich wurden Reiter und Pferde zu einer fürchterlichen, formlosen Masse zermalmt. Und unentwegt stürzte ein erbarmungsloser Hagel von Steinen und Felsstücken auf die Schweden herab.

»Das sind die Bergbewohner, die Bergbewohner!« rief einer aus der Truppe des Königs.

In demselben Augenblicke erschienen auf den Felsen langhaarige Männer mit runden Lederhüten, und mehrere Hundert eigentümlicher Gestalten begannen herunterzuklettern. Ihre weißen und dunkeln Kittel mit weiten Ärmeln gaben ihnen das Aussehen blutgieriger Raubvögel. Wie eine Lawine warfen sie sich grimmig auf die noch lebend gebliebenen Schweden, um mit ihnen aufzuräumen. Vergeblich bemühte sich der König selbst, diesem Schlachten ein Ende zu machen. Die stark verstümmelten Schweden warfen sich in die Knie und flehten um Gnade, – nichts vermochte dieses Bergvolk in seinem blutigen Treiben aufzuhalten. Nach einer Viertelstunde war in der ganzen Schlucht kein lebender Schwede zu sehen.

Der Nuntius sah mit Staunen auf diese wunderlichen, großen, kraftvollen Männer, die ihre rauchenden Beile hochhielten.

Als die treuen Bergbewohner erfuhren, wen sie gerettet hatten, umringten sie Jan-Kasimir; sie küßten weinend seine Füße, seine Steigbügel, ja sogar die Hufe seines Pferdes.

Der König stand in ihrer Mitte wie ein Hirt, umringt von seiner Herde, und große, reine Tränen perlten langsam über seine Wangen.

Nun erfuhren die Begleiter des Königs, daß die Schweden sich schon lange in dieser Gegend aufgehalten hatten, als wenn sie jemandem auflauerten, und daß die Bergbewohner sie absichtlich in diese Schlucht gelockt hätten, um sie hier zu überfallen.

»Und jetzt,« fuhr einer der Männer fort, »sahen wir drei Reiter auf diese Räuber losschlagen, dann sind wir schnell zu Hilfe gekommen.«

Bei diesen Worten griff der König sich an den Kopf.

»Herrgott!« rief er erschrocken, »man muß sogleich Babinicz suchen; er soll wenigstens anständig begraben werden! Er, den man für einen Verräter hielt, war der erste, der für mich sein Blut vergossen.«

»Ich bereue meinen Irrtum bitter,« fügte Tyzenhauz hinzu.

»Sucht ihn nur! Sucht ihn nur!« schrie der König. »Ich gehe keinen Schritt von dieser Stelle, bevor ich ihn nicht gesehen, nicht von ihm Abschied genommen habe.«

Alle stürzten zu der Stelle, wo der Kampf stattgefunden hatte, und bald zog man Pan Andreas unter Leichen von Menschen und Pferden heraus. Sein Gesicht war bleich und mit Blut bespritzt: seine Augen fest geschlossen. Sein Panzer, der zwar durch feindliche Säbelhiebe gespalten und von Pferdehufen zerdrückt war, hatte ihm das Leben gerettet. Die Soldaten, die ihn aufrichteten, hörten den Verwundeten leise stöhnen.

»Bei Gott! Er lebt!« rief ein Soldat und schnitt ihm die Riemen des Panzers durch.

Kmicic atmete freier auf.

»Er atmet, er lebt!« wiederholten mehrere Stimmen.

Kmicic öffnete langsam die Augen. Ein Soldat flößte ihm Branntwein ein.

In diesem Augenblicke ritt der König, der schon gehört hatte, daß Kmicic lebte, heran. Beim Anblicke Jan-Kasimirs kehrte dem Pan Andreas für einen Moment das Bewußtsein wieder. Ein fast kindliches Lächeln erleuchtete sein Gesicht, und die Lippen flüsterten:

»Mein Herr, mein König – lebt! – ist frei!« –

Und seine Augen füllten sich mit Tränen:

»Babinicz! Babinicz! Womit werde ich dir das lohnen!« rief der König.

»Ich bin nicht Babinicz! – Ich bin Kmicic!« flüsterte der Ritter. Dann streckte er sich krampfhaft aus und sank wie tot in die Arme der Soldaten zurück. – –


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