Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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8. Kapitel.

Pan Kmicic entschloß sich, die Schutzbriefe Radziwills an die schwedischen Kommandanten nicht zu benutzen. Er rechnete damit, daß Boguslaw sicherlich nach allen Richtungen von Pilwiszki aus Boten gesandt hatte, die ihn ergreifen oder jedenfalls die Schweden warnen sollten. – Er schlug seinen Weg über Pultusk nach Warschau ein.

Das Grenzland war schon zum großen Teile von den Schweden besetzt, die jedoch nur die bedeutenderen Städte einnahmen, da sie nicht in die dichten, undurchdringlichen Wälder vorzudringen wagten. Diese Wälder waren von einem tapferen, bewaffneten Volksstamm bewohnt, der fast nie diese Wildnis verlassen hatte und völlig verwildert und unkultiviert war. Die Königin Maria-Luise hatte deshalb schon in Myszyniec Jesuiten ansässig gemacht, die nach Kräften auf die Sitten der Waldbevölkerung einwirken sollten.

Hinter diesen Wäldern lag eine verhältnismäßig dichtbevölkerte Gegend, in der große Bewegung herrschte. Die Straßen waren mit Wagen dicht besät: die Schlachta eilte in die nahen Städte, dem neuen Könige Treue zu schwören. Man hoffte sich dadurch vor Strafen, Verfolgungen oder Plünderungen zu bewahren. Denn auch hier fingen die Schweden wie in Groß-Polen an nach alter Manier zu verfahren. Sie beschuldigten nämlich wohlhabende Leute fälschlich, um ihnen irgend welche ihren Zwecken nützliche Strafen aufzuerlegen.

Pan Andreas, der aufmerksam den Unterhaltungen der Schlachtschitzen zuhörte, kam zu der Erkenntnis, daß sogar die intimsten Freunde sich fürchteten, aufrichtig miteinander zu reden. Man klagte zwar auch über die maßlosen Requisitionen, aber nicht ohne gleich darauf beruhigend hinzuzufügen: »Sobald der Krieg beendet ist, werden die Requisitionen aufhören, sobald der König das ganze Land erobert haben wird, wird er anfangen, sanft und väterlich zu regieren.«

Die Schlachta, die sich von ihrem Herrscher und Vaterlands lossagte, die noch unlängst den gütigen Jan-Kasimir einen Tyrannen nannte und ihn des Strebens zum Absolutismus beschuldigte, ging jetzt in ihrer Sucht nach Abwechselung sogar so weit, daß sie ohne jeden Widerstand den Feind als ihren Herrscher anerkannte, daß sie sogar nicht einmal murrte; befreite Karl-Gustav sie doch von der Herrschaft eines Tyrannen.

»Traurig, sehr traurig ist's, das ist wahr,« sprachen die Schlachtschitzen untereinander, »aber wir müssen stolz sein auf unseren neuen König. Er ist ein herrlicher Monarch und ein großer Feldherr. Er wird den Kosaken die Zähne weisen, die Türken schlagen, die Russen von den Grenzen vertreiben, und das ganze Land wird unter seinem Schütze aufblühen.«

»Ob wir stolz sein können oder nicht, das bleibt sich ja alles gleich, es ist ja auch nichts dagegen zu machen. – Was könnten wir gegen eine solche Macht anfangen!« pflegte ein anderer zu erwidern. »Mit leeren Händen kann man nicht gegen Kanonen losgehen.«

In Przasnysz wurde Pan Andreas angehalten und vor den schwedischen Kommandanten geführt. Kmicic erzählte ihm, daß er aus dem Preußischen komme und alljährlich mit Pferden auf den Jahrmarkt nach Sobota fahre.

Der Kommandant besichtigte die Pferde und sagte: »Ich kaufe sie dir ab. Jedem anderen hätte ich sie einfach abgenommen, aber da du aus Preußen bist, will ich dir kein Unrecht antun.«

Kmicic wurde verlegen. Ohne Pferde hatte er keinen Vorwand mehr weiter zu reisen und mußte nach Preußen zurückkehren. Deshalb forderte er einen unmäßig hohen Preis. Aber zu seinem größten Erstaunen versuchte der Offizier gar nicht, davon etwas abzuhandeln.

»Gut,« sagte er, »bringe die Pferde in den Stall, ich hole indessen das Geld.«

Die Kiemlicz' waren hoch erfreut; Pan Andreas begann jedoch aus Leibeskräften zu schimpfen. Die Pferde mußte er aber, ob er wollte oder nicht, in den Stall bringen.

Einige Minuten später erschien der Offizier wieder und brachte Kmicic ein beschriebenes Papier.

»Was ist das?« fragte Pan Andreas.

»Geld, oder dasselbe, – eine Quittung.«

»Und wo wird mir das Geld ausbezahlt?«

»Im Hauptquartier, in Warschau.«

»Was denn, wie denn? Wir verkaufen nur gegen bar Heilige Mutter Gottes!« begann der alte Kiemlicz zu stöhnen.

Kmicic sah ihn drohend an und sagte:

»Für mich ist das Wort des Pan Kommandanten ebensogut wie bares Geld. Und nach Warschau müssen wir ja so wie so hin. Wir wollen bei den Armeniern dort vorteilhafte Einkäufe machen, die wir dann in Preußen wieder verkaufen.«

Der Offizier entfernte sich, und Pan Andreas begann Kiemlicz zu trösten.

»Still doch, du Schafskopf! Eine Quittung ist doch der beste Geleitbrief. Mit ihr werden wir sogar bis nach Krakau gelangen, um unsere Klage, daß wir kein Geld erhalten haben, dort vorzubringen. Eher kann man aus einem Steine Wasser herauspressen, als Geld aus den Schweden. Aber das gebrauchen wir ja gerade. Das dumme Vieh denkt, daß er uns angeführt und ahnt gar nicht, welchen Dienst er uns tatsächlich geleistet hat. – Und das Geld für die Pferde erhälst du ja von mir.«

Kmicic beschloß, in Przasnysz zu übernachten, und ohne seinen angenommenen Namen zu ändern, die ärmliche Kleidung für eine Zeit abzulegen. Mit schlecht gekleideten Menschen ließen sich die wohlhabenden Schlachtschitzen ungern in ein Gespräch ein, und Pan Andreas wollte gern über manches von ihnen Auskunft haben.

Er kleidete sich um und ging in ein Gasthaus. Das, was er dort zu hören bekam, war freilich nicht sehr erfreulich. Die Schlachta trank auf die Gesundheit des schwedischen Königs und belachte die Spottreden der schwedischen Offiziere über Jan-Kasimir. Alles wurde mit den Füßen getreten, alles dem Hohne preisgegeben, allein die Religion hielt man heilig. Denn als ein schwedischer Unteroffizier ausrief, daß die Religion der Schweden besser sei als die der Katholiken, schlug ihm der neben ihm sitzende Pan Grabowski eins über den Kopf. Es entstand ein großer Tumult, in dem es Pan Grabowski gelang, aus der Schenke zu entkommen. Man setzte ihm nach, aber da ereignete sich etwas, das die Aufmerksamkeit aller nach einer ganz anderen Richtung ablenkte. Es verbreitete sich nämlich die Nachricht, daß sich Krakau ergeben habe und Pan Czarniecki gefangen genommen sei. – Somit war das letzte Hindernis auf dem Wege des siegreichen Vordringens der Schweden gefallen.

Im ersten Augenblicke war die Schlachta stumm und starr. Aber als die Schweden befahlen, die Glocken sämtlicher Kirchen zu läuten, und als die Soldaten Fässer mit Branntwein und Met für die Garnison und die Einwohner auf den Marktplatz rollten, vergaß sie ganz ihren ersten Schreck. Inmitten der zechenden Soldaten gingen haufenweise Schlachtschitzen umher, die mit den schwedischen Truppen mittranken und Anteil nahmen an dem allgemeinen Jubel zu Ehren des Falls von Krakau und der Niederlage des Pan Czarniecki.

Angeekelt von diesem Treiben, eilte Kmicic sich in sein Quartier zu vergraben. Er legte sich nieder, aber der Schlaf floh ihn. Es durchschauerte ihn wie im Fieber, und arge Zweifel quälten ihn: War er nicht zu spät auf den rechten Weg gegangen, jetzt, wo das ganze Land sich schon in den Händen der Schweden befand? Es schien ihm, daß alles verloren war, daß die Republik nie wieder aus ihren Trümmern auferstehen könnte.

»Dieser unglückselige Krieg wird nicht mit dem Verluste einer Provinz enden,« dachte er, »nein, die ganze Republik wird zu einer schwedischen Provinz werden. Und wir, ich mehr als die anderen, tragen selbst die Schuld daran.«

Solche Gedanken beunruhigten sein Gewissen, er konnte durchaus nicht einschlafen. – Er wußte selbst nicht mehr, was tun? Weiterfahren, oder in der Stadt bleiben, oder umkehren? Selbst wenn er Leute um sich sammelte und die Schweden überfiel, so würden sie ihn wie einen Raubmörder, nicht wie einen Soldaten verfolgen. Dazu kam, er war in einer ganz fremden Gegend, wo ihn niemand kannte. Wer würde sich ihm hier anschließen? In Litauen vereinigte der Zauber seines Namens Scharen von unerschrockenen Tollköpfen um ihn. Wer hier aber von Kmicic etwas gehört hatte, der hielt ihn für einen Verräter und Parteigänger der Schweden; und sein angenommener Name war für jedermann nichtssagend.

»Alles, was ich tue, ist überflüssig,« dachte er, »zu spät. Es hat keinen Zweck nach Podlachien zu fahren, denn die Konföderierten werden mir nicht glauben. Nach Litauen zurückzukehren, ist unnütz, denn dort herrscht Radziwills eiserne Macht. – Es ist zwecklos, hier zu bleiben; hier ist nichts zu tun für mich. – Das beste wäre der Tod! Nichts sehen zu müssen von dieser Welt und frei zu werden von all der Gewissensqual! – Doch wird es im Jenseits besser sein für die, die auf Erden gesündigt und nicht gebüßt haben?«

Kmicic wälzte sich unruhig auf seinem Lager hin und her. Seine Seelenpein war unerträglich und noch größer, als wie er sie in Kiemlicz' Hütte empfunden hatte. Er fühlte sich stark und gesund, ihn verlangte heiß nach Tätigkeit, aber alle Wege waren ihm versperrt, kein Ausweg, keine Rettung, keine Hoffnung! –

Traurigen Herzens brach Kmicic mit seinen Leuten noch Warschau auf. Das Ziel und den Zweck seiner Reise, er kannte sie beide selbst nicht. –

In Pultusk feierte man die Einnahme Krakaus drei Tage lang, übrigens waren die Nachrichten, die nach Przasnysz gedrungen waren, etwas übertrieben: Czarniecki war nicht in Gefangenschaft geraten, sondern hatte mit seinen Truppen und Waffen frei abziehen dürfen. Man vermutete, daß er nach Schlesien gehen würde. Für Kmicic war das, wenn auch nur ein geringer, so doch immerhin ein Trost.

In Pultusk war es, wo Kmicic zum ersten Male feindliche Truppen in einer Kirche kampieren sah. In einem herrlichen, gotischen Gotteshause, das vor zweihundert Jahren erbaut war, lag ein Infanterieregiment deutscher Söldner. Die Kirche war im Innern wie an den großen Festtagen hell erleuchtet. Auf dem Steinboden brannten Scheiterhaufen, über denen Kessel hingen. Und fremde Soldaten drängten sich um Bierfässer herum, lauter Räubergesindel, das einstmals das ganze katholische Deutschland verwüstete und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum ersten Male sein Lager in Kirchen aufgeschlagen hatte. Das heisere Gebrüll einiger Soldaten, die Kriegslieder sangen, mischte sich mit dem Kreischen von Weibern, die der damaligen Sitte gemäß hinter dem Heere herzogen.

Einen Augenblick blieb Kmicic an der Tür stehen, dann wandte er sich entsetzt von diesem Anblicke weg. Der Kopf schwindelte ihm, und sein Atem schien zu stocken, – ein Bild der Hölle hätte ihn nicht schrecklicher berühren können.

Er griff an seinen Kopf und stürzte wie besessen von dannen, indem er mehrmals wiederholte:

»Gott, mildere deinen Zorn! Gott, strafe, Gott, rette uns!« – –


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