Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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7. Kapitel.

Zwei Stunden nachdem Wolodyjowski mit seinen Kameraden und dem Banner Billewicze verlassen hatte, kam Radziwill dort an. Er war Kmicic zu Hilfe geeilt, da er befürchtet hatte, daß dieser in die Hände Wolodyjowskis fallen könnte. Als der Hetman erfuhr, was in Billewicze vorgefallen war, kehrte er nach Kiejdane zurück, nicht ohne den Miecznik und Alexandra zu bewegen, mit ihm zu kommen.

Der Fürst war mißmutig und aufs äußerste verstimmt. Er hatte, als er Kmicic zu Hilfe eilte, gehofft, Wolodyjowski und sein Banner zu treffen und zu vernichten. Und nun war ihm dieser kleine Ritter schon wieder entgangen. Wolodyjowskis Flucht mußte die ganze Sachlage in Podlachien ändern. Horotkiewicz und Jacob Kmicic besaßen keinen großen Einfluß im Lande, und die Konföderation war daher bis dahin ziemlich bedeutungslos. Sobald jedoch Wolodyjowski mit seinen Kameraden Mirski, Stankiewicz, Oskierka zu den Konföderierten stießen, erwuchsen ihm diese Feinde zu gefährlichen Gegnern.

Auch Fürst Boguslaw, der mit seinen Truppen in Podlachien stand, sah sich dadurch mehr und mehr von Rebellen umringt; es war unbedingt nötig, ihm Beistand zu senden. – Dazu kamen drohende Nachrichten von den Maßnahmen des Witebster Wojewoden. Man erzählte von Sapieha, daß er alles, was in seinem Besitze war, in Geld verwandelt habe: sein Familiensilber, seine Teppiche, seine Güter, um soviel Truppen wie irgend möglich um sich zu versammeln. Anfänglich hatte Radziwill diesen Erzählungen nicht geglaubt, denn seine habgierige und materielle Natur hielt es nicht für möglich, daß jemand all sein Vermögen auf dem Altare des Vaterlandes opfern würde. Aber die Tatsachen überzeugten ihn, daß es wirklich so war, denn Sapiehas Truppen vermehrten sich von Tag zu Tag.

So war Radziwills Lage immer schlechter geworden. Es war ihm zwar ein leichtes, die Schweden gegen Sapieha zu Hilfe zu rufen, das aber verbot ihm sein Stolz; denn das hieße offen die eigene Ohnmacht eingestehen. – –

Kaum war der Hetman in Kiejdane angelangt, als er Kmicic zu sich berufen ließ.

»Es ist mir ebensowenig wie dir geglückt,« sagte der Fürst, als Kmicic vor ihm stand. »Der Rosiener Miecznik erzählte mir schon, daß du in die Hände dieses kleinen Teufels gefallen seist.«

»Das ist wahr,« antwortete Kmicic.

»Mein Brief allein hat dich gerettet.«

»Von welchem Briefe geruhen Euer Durchlaucht zu sprechen? Nachdem die Obersten den gelesen hatten, den ich bei mir hatte, haben Sie mir als Revanche einen anderen zu lesen gegeben. Den – den Euer Durchlaucht an den Kommandanten von Birze gerichtet hatten?«

Das finstere Gesicht Radziwills wurde dunkelrot.

»Du weißt also?«

»Ja, ich weiß,« sagte Kmicic zornig. »Wie aber durften Sie mir gegenüber so handeln. Selbst der geringste Edelmann schämt sich, sein Wort zu brechen und Sie, ein Feldherr, ein Fürst –«

»Schweig!« unterbrach ihn Radziwill.

»Ich werde nicht schweigen. Ihretwegen habe ich vor jenen Männern erröten müssen. Sie redeten mir zu, mich ihnen anzuschließen, ich aber wollte nicht und erwiderte: »Ich diene Radziwill, denn Radziwill vertritt das Recht und die Tugend.« Da zeigten sie mir Ihren Brief: »Lies, was dein Radziwill für einer ist!« – Und ich mußte die Lippen zusammenpressen und schweigend die Schande herunterwürgen!«

Des Hetmans Wangen erzitterten vor Wut. Ein wildes Verlangen erfaßte ihn, diesen verwegenen Menschen niederzutreten, und schon erhob er die Hand, um nach der Dienerschaft zu klingeln; seine Vermessenheit wäre Kmicic teuer zu stehen gekommen, als ein furchtbarer Asthmaanfall den Fürsten befiel.

Sein Gesicht wurde fast schwarz, die Augen quollen aus ihren Höhlen, er sprang vom Sessel, fuchtelte mit den Armen in der Luft umher, und aus seiner Brust entrangen sich heiser die Worte:

»Es würgt mich, – würgt!«

Die Dienerschaft eilte herbei, Ärzte wurden gerufen. Der Fürst verlor die Besinnung, und es währte eine Stunde, bis er wieder zu sich kam.

Zu dieser Zeit verließ Kmicic das Zimmer. Im Flur traf er auf Charlamp, der sich schon von seinen Wunden erholt hatte.

»Was gibt es Neues?« fragte Charlamp.

»Er ist wieder zu sich gekommen.«

»Hm, und was, wenn er morgen vielleicht nicht wieder zu sich kommt?«

»Es steht schlimm um unsere Sache, Pan Oberst. Stirbt der Fürst, so wird man uns für seine Vergehen verantwortlich machen. Die Schlachta wendet sich von ihm ab.

»Seine Durchlaucht rächt sich, indem er viele gefangen nehmen läßt. Heute brachte er den Pan Miecznik aus Rosien mit her.«

»Ah, er hat ihn also hergebracht?«

»Ja, ihn und die Nichte. Die Panna ist schön wie ein Engel Ich beneide Sie, Pan Oberst. – Und wann werden Sie Hochzeit machen?«

»Die Sänger sind noch nicht bestellt. – Auf Wiedersehen!« sagte Kmicic.

Eine schlaflose Nacht, die aufregenden letzten Ereignisse und der Auftritt mit dem Fürsten hatten Kmicic so mitgenommen, daß er sich kaum auf den Füßen halten konnte. Die einfache Frage Charlamps nach seiner Hochzeit hatte ihn aufs tiefste verletzt. Vor seinen Augen erschien das abweisende, kalte Gesicht Alexandras, ihre zusammengepreßten Lippen, ihr Schweigen, durch das sie in sein Todesurteil willigte. Wahrscheinlich hätte sie mit ihrer Bitte auch nicht sein Schicksal geändert. Pan Wolodyjowski wäre unerbittlich geblieben. Aber das tat nichts zur Sache; es schmerzte ihn tief, daß sie nicht dennoch ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte. – Zweimal, nicht lange vordem, hatte sie nicht gezögert, ihn zu retten. War wirklich zwischen ihnen eine so tiefe Kluft entstanden? Sprach in ihrem Herzen nicht die Liebe oder auch nur das Mitleid – das Mitleid mit einem lebenden Wesen? Je mehr Kmicic darüber nachdachte, desto mehr erschien Alexandra ihm hart, desto stärker schnürte seine Entrüstung ihm die Brust zusammen. »Was habe ich denn so Schweres verbrochen,« fragte er sich, daß sie mich wie einen Ausgestoßenen verachten darf? Angenommen, daß es ein Unrecht ist, Radziwill zu dienen, so kann ich doch beschwören, daß ich es nicht aus Ehrgeiz, aus Eigennutz tue. Ich sehe in ihm den einzigen Retter des Vaterlandes. – Wofür hat man mich so verurteilt?« – Seine Seelenpein wuchs von Minute zu Minute. Pan Andreas warf sich auf sein Bett und versuchte einzuschlafen; aber trotz seiner furchtbaren Ermüdung fand er keine Ruhe. Er sprang bald wieder auf und ging im Zimmer ruhelos umher, seine Hände preßte er krampfhaft an die heiße Stirn.

So verging eine Stunde, eine zweite. Todmüde legte er sich schließlich wieder hin, und bald schlief er nun auch ein; aber in diesem Augenblicke rief man ihn schon wieder zum Fürsten.

Radziwill fühlte sich zwar besser, sein aschfahles Gesicht verriet jedoch eine hochgradige Schwäche. Er saß in einem tiefen Lehnstuhle. Als Kmicic erschien, schickte er seinen Arzt, der neben ihm saß, fort.

»Ich stand schon mit einem Fuße im Jenseits,« begann er, »und du trägst die Schuld daran.«

»Euer Durchlaucht, ich weiß von keiner Schuld meinerseits; ich sprach das aus, was ich dachte.«

»So etwas darf nie wieder vorkommen. Wenigstens du solltest die unerträgliche Bürde, die auf mir liegt, nicht noch vergrößern. – Wisse, ich habe dir verziehen, niemandem sonst auf der Welt hätte ich so etwas vergeben!«

Kmicic schwieg.

»Wenn ich jene Leute, die ich in Kiejdane auf deine Bitte hin begnadigte, dennoch hinrichten lassen wollte, so geschah dies, nicht um dich zu hintergehen, sondern um dir den Kummer zu sparen. – Ich habe nur zum Scheine deine Bitte gewährt, weil ich für dich eine große Schwäche hege. – Der Tod dieser Obersten war notwendig, unbedingt notwendig. – Hältst du mich denn für einen Henker? Meinst du, ich vergieße das Blut vieler, nur um das schreckliche Schauspiel zu genießen? – Wenn du älter wärest, so würdest du begreifen, welch große Opfer man bringen muß, wenn man ein großes Ziel erreichen will. Siehst du jetzt, was du durch deine Fürsprache angerichtet? Ein innerer Krieg ist entbrannt; die guten Beziehungen zu den Schweden sind getrübt; die Rebellion breitet sich weiter aus wie die Pest. Und damit ist's noch nicht genug. Du hättest beinahe in ihren Händen dein Leben lassen müssen, und ich habe sie auch vergeblich zu fangen gesucht. Jetzt gehen sie nach Podlachien und stellen sich an die Spitze des Aufruhrs. – Du solltest dir wirklich eine Lehre daraus ziehen. – Wären Sie in Kiejdane mit dem Tode bestraft, so wäre von alledem nichts geschehen. Aber du folgtest deinen persönlichen Gefühlen und batest für sie. Ich aber, als ich sie nach Birze schickte, sah weiter, ich sah in die Zukunft! – Wer könnte es glauben, daß ich derselbe bin, vor dem einst Chmielnicki erzitterte. Und dieselben Truppen, die ich einst von Sieg zu Sieg führte, verlassen mich jetzt und erheben ihre Hände gegen mich wie gegen einen Vatermörder.«

»Nicht alle tun das; es gibt auch solche, die Eurer Durchlaucht auch heute unbedingt glauben,« sagte impulsiv Kmicic.

»Heute glauben sie noch, und dann werden auch sie aufhören!« lächelte Radziwill bitter. – »Bevor man mich mit einer Krone krönen wird, drückt man mir den Dornenkranz tief aufs Haupt. – Des Nachts stört mir etwas den Schlaf, irgend etwas geht in meinem Zimmer um. – Unbekannte Gesichter sehen in meinen Alkoven hinein, und von Zeit zu Zeit umweht mich eine eisige Kälte. – Das bedeutet, der Tod ist um mich. – Unerträglich ist die Qual! – Doch genug davon! Es ist schwer, unsagbar schwer; aber es muß ertragen werden. – Sprich zu niemandem von dem, was du jetzt gehört hast. – Heute will ich ein Fest geben und mit sorglosem, heiterem Gesichte den schwankenden Mut kräftigen. – Sei du auch heiter, doch erzähle niemandem etwas. – Mach' du wenigstens mir keinen Kummer. – Es könnte dir ein andermal den Kopf kosten. – Jetzt habe ich dir vergeben. – Geh und schicke mir den Oberst Mieleszka her, – Leb' wohl! Heute soll es in Kiejdane hoch hergehen!« – – –


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