Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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Fünftes Buch.

1. Kapitel.

Während in der Republik die ganze Bevölkerung aufs Pferd stieg, verweilte Karl-Gustav in Preußen, um mit dem Elektor Unterhandlungen zu führen. Nach der ungeheuer leichten Eroberung des fremden Landes begann der erfahrene Feldherr jetzt zu bemerken, daß der schwedische Löwe mehr gefressen habe, als sein Bauch beherbergen konnte. Mit der Rückkehr Jan-Kasimirs verlor Karl-Gustav die Hoffnung, die Republik behalten zu können. Er hätte sich gern nur mit einem Teile, insbesondere mit Polnisch-Preußen begnügt, einer reichen, fruchtbaren und mit großen Städten besäten Provinz. Aber diese Provinz hatte sich zuerst gegen ihn erhoben und war stets auf seiten ihres legitimen Herrschers und der Republik geblieben. Da nun die Rückkehr Jan-Kasimirs und der von der Tyszowiecer Konföderation begonnene Krieg den Geist dieser Provinz noch stärken mußte, so beschloß Karl-Gustav, den Aufstand gegen ihn möglichst schnell zu unterdrücken und den Preußen jede Hoffnung auf Hilfe zu rauben. Dazu kam noch, daß der schwedische König den Kurfürsten gut durchschaut hatte und nicht daran zweifelte, daß dieser nach den ersten schwedischen Mißerfolgen zu Jan-Kasimir übergehen würde.

Deshalb wollte Karl-Gustav gegen die Republik vorrücken, um unter allen Umständen mit Jan-Kasimir zusammenzustoßen. Wie immer führte der Schwedenkönig seinen einmal gefaßten Plan mit Blitzesschnelle aus. Ehe noch die Nachricht von dem bevorstehenden Feldzuge des schwedischen Königs in die Republik dringen konnte, passierte er schon Warschau.

Wie ein Sturm, von Zorn und Rache und Wut erfüllt, durchzog Karl-Gustav die Republik. Zehntausend Reiter zogen mit ihm über die noch mit Schnee bedeckten Felder. Die Infanterie wurde aus den Besatzungen der nächstliegenden Festungen gesammelt und rückte auch gegen die Republik vor.

Das war nicht mehr der frühere Karl-Gustav, der gütige Herrscher, gnädig und heiter, der die polnische Reiterei bewunderte und den polnischen Offizieren schmeichelte. Jetzt vergoß man auf sein Geheiß das Blut der Schlachta und Bauern in Strömen; überall wurden Galgen errichtet. Niemand hatte auf Schonung zu rechnen, kein einziger entging seiner Verfolgung.

Aber wie in einem dichten Walde dem mächtigen Bären eine Schar furchtsamer Wölfe folgt, so schlich hinter Karl-Gustavs Armee die Menge der Verfolgten. Und unsichtbare Hände zerstörten die Brücken, die er zu passieren hatte, und vernichteten die Vorräte, so daß der König sich wie in einer Wüste vorwärts bewegen mußte.

Schließlich erkannte auch Karl-Gustav die Gefahr, der er ausgesetzt war. Rings um ihn herum toste der Krieg wie die See um ein vom Sturm zersplittertes Schiff: In den befestigten Lagern und großen Städten vermochten sich zwar die Schweden noch zu halten; aber die Dörfer, Wälder, Felder und Flüsse waren alle schon in polnischen Händen. Vergebens ließ Karl-Gustav in den kleineren Städten und Dörfern bekannt machen, daß er einem jeden Bauern, der ihm einen bewaffneten Schlachtschitzen tot oder lebendig ausliefere, Freiheit und ewigen Grundbesitz zusichern werde, – die Bauern, gleich der Schlachta und den Städtern, flohen in die Wälder, legten den Schweden Hinterhalt, überfielen kleinere Garnisonen und vernichteten Patrouillen. Dreschflegel, Heugabeln und Sensen bedeckten sich nicht minder mit schwedischem Blut als die Säbel der Schlachtschitzen.

Karl-Gustavs Zorn wuchs mehr und mehr. Fast jeden Tag berief er seine Offiziere zu Beratungen zusammen. Der Umgebung des Königs flößte der Mangel an Lebensmitteln, die übermäßige Anstrengung und Beschwerlichkeit des Feldzuges große Besorgnis ein. Der alte Wittemberg riet nachdrücklich vom Feldzuge ab; aber Karl-Gustav hörte auf keinen Rat und rückte weiter vor, Czarnieckis Armee verfolgend. Dieser, der über wenig und schlecht organisierte Kräfte verfügte, wich zurück, jedoch wie ein Wolf, jede Minute bereit, sich umzuwenden und die Zähne zu zeigen. Er schnitt ganze schwedische Regimenter von der Hauptmacht ab, nahm Proviantzüge fort und überfiel die, die sich vom Heere losgetrennt hatten. Die Schweden wußten nie, wo er sich befand, von welcher Seite er einen Überfall machen würde, und oft begannen sie in der Dämmerung die vor ihnen liegenden Büsche zu beschießen, in der Annahme, der Feind könne sich dort versteckt halten. Karl-Gustavs Truppen waren zu Tode ermüdet; sie litten an Hunger und Kälte, und bange Furcht herrschte unter ihnen.

Endlich stießen die Schweden bei Golemb, unweit der Mündung der Wieprz in die Weichsel, mit dem polnischen Heere zusammen. Mehrere polnische Banner stürzten sich mit Wut auf den Feind. Aber bald eilte Karl-Gustav mit seiner Hauptmacht herbei, und die Schlacht war entschieden. Die wenig geschulten und disziplinlosen Regimenter Czarnieckis konnten nicht lange standhalten und mußten den Rückzug antreten.

Im schwedischen Lager herrschte unbeschreibliche Freude. Augenscheinlich folgte die Siegesgöttin wieder den schwedischen Spuren. Das Erscheinen Karl-Gustavs genügte, um den Sieg über Czarniecki, auf den die Hoffnungen Jan-Kasimirs und der Republik ruhten, voll zu machen. Selbstredend übte diese Niederlage einen entmutigenden Eindruck auf alle die aus, die, dem Aufruf der Tyszowiecer Konföderation folgend, zu den Waffen gegriffen hatten.

»Das ist der größte Sieg, den ich im Laufe dieses Jahres erfochten habe,« bemerkte Karl-Gustav zu seiner Umgebung, »er kann dem ganzen Kriege ein Ende bereiten.«

»Majestät,« erwiderte der halbkranke Wittemberg, »danken wir Gott, daß er uns die Fortsetzung des Feldzuges gesichert hat, obwohl Czarnieckis Truppen sich ebenso schnell wieder sammeln können, wie sie sich zerstreuten.«

»Ich halte Sie nicht für einen schlechteren Feldherrn als Czarniecki, aber ich denke, auch Sie würden nach dieser Niederlage nicht imstande sein, die zerstreuten Truppen in zwei Monaten wieder zu sammeln und zu ordnen.«

Wittemberg verneigte sich schweigend; der König fuhr fort:

»Ja, jetzt können wir beruhigt unseren Feldzug fortsetzen. Allein Czarniecki vermochte uns aufzuhalten. Nun gibt es keinen Czarniecki, also keine Hindernisse mehr!«

Die Generale hörten den königlichen Worten mit Begeisterung zu. Die vom Siege trunkenen Truppen defilierten singend vor Karl-Gustav. Czarniecki hing nicht mehr drohend wie das Schwert des Damokles über ihren Häuptern! Czarniecki war geschlagen, vernichtet!

Der Morgen des folgenden Tages war klar, trocken und schön. Der Frost hatte die Pfützen mit einer starken Eisdecke überzogen und die Äste der Bäume mit weißem, daunenartigem Reif verziert. Die Truppen, die an keine Gefahr dachten, marschierten vereinzelt weiter, so daß sie die Fühlung miteinander verloren. Zwei Regimenter Dragoner wurden unter der Führung des Franzosen Dubois von der Hauptstraße abseits auf Kundschaft ausgeschickt. Gestern noch hätte man das nicht getan; aber Czarniecki war ja geschlagen und mit ihm alle Gefahr auf lange hinaus verschwunden.

Abends langte Karl-Gustav in heiterster Stimmung in Grabowo an. Er wollte sich gerade zur Nachtruhe begeben, als Aszemberg sich durch den diensttuenden Offizier anmelden ließ.

»Was gibt es Neues, Freed?« fragte sogleich der König. »Ist Dubois zurück?«

»Dubois ist tot!« antwortete Freed.

Der König geriet in Verwirrung. Erst jetzt bemerkte er den bleichen, erschöpften Aszemberg, der mit zerzaustem Haar und in zerfetzten Kleidern dastand.

»Und die Dragoner? – Zwei Regimenter Dragoner?«

»Sind alle niedergemetzelt. Nur mich allein hat man freigegeben.«

Das ohnehin dunkle Gesicht des Königs verfärbte sich noch tiefer. Er strich mit der Hand über sein Haupthaar.

»Wer hat das getan?«

»Czarniecki!«

Das Gesicht Karl-Gustavs drückte die größte Verständnislosigkeit aus.

»Das ist unmöglich!« rief er. »Haben Sie ihn gesehen?«

»So wie ich jetzt Euer Majestät sehe. Er hieß mich, Sie zu grüßen und Ihnen zu melden, daß er fürs erste die Weichsel zu überschreiten gedenke, um dann wieder Euer Majestät zu folgen.«

»Gut,« sagte Karl-Gustav. »Czarniecki ist also nicht vernichtet, er hat seine Truppen wieder gesammelt. Um so schneller müssen wir dem polnischen Darius entgegeneilen. Das ist die Hauptsache. – Sie können gehen!«

Karl-Gustav blieb mit seinen wenig trostreichen Gedanken für eine sichere Zukunft allein. Ihm war zumute wie einem Menschen, der vom Ufer aus ins Meer steigt und allmählich den Boden unter seinen Füßen verschwinden fühlt.


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