Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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5. Kapitel.

Als Pan Wolodyjowski Kmicic' Rat erhielt, beschloß er, nach einigem Schwanken, ihn zu befolgen. Er warnte alle seine Kameraden vor der bevorstehenden Gefahr und bestimmte Bialostok zum gemeinsamen Sammelpunkt. Seine Briefe verfehlten auch nicht ihre Wirkung auf die in der ganzen Wojewodschaft Podlachien mit ihren Soldaten stehenden Obersten. Viele von ihnen hatten ihre Truppen bereits zersplittert, um besser überwintern zu können; andere hatten ihren Offizieren und Soldaten zum großen Teil Urlaub gewährt, so daß von manchen Regimentern nur zwei bis drei Offiziere und mehrere Dutzend Soldaten geblieben waren. Die Obersten hatten so gehandelt, teils aus Furcht vor einer ausbrechenden Hungersnot, teils, weil sie nicht imstande waren, die Disziplin in den Regimentern aufrecht zu erhalten. Die Untätigkeit während ihres Aufenthaltes in Podlachien, wo sie nichts taten, als Radziwills Schlösser zu beschießen und seine Güter zu plündern, hatte die Disziplin unter den Regimentern auch in der Tat sehr gelockert. Die Soldaten begannen eigenmächtig zu rauben und die friedliche Bevölkerung Podlachiens aufs ärgste zu bedrücken. Viele waren sogar fahnenflüchtig geworden und hatten auf eigene Faust räuberische Streifzüge unternommen. Auf diese Weise wurde das Heer, auf das der König und die Patrioten ihre ganze Hoffnungen setzten, mit jedem Tage demoralisierter, und die Zersplitterung der Banner zeigte ihre baldige, endgültige Auflösung an. Unleugbar hielt es schwer, die ganzen Truppen mit dem nötigen Proviant zu versehen, aber die Gefahr einer Hungersnot lag in weiter Ferne. Es war Herbst, die Ernte war gut ausgefallen, und Podlachien hatte bisher noch keine feindlichen Einfälle zu erleiden gehabt. Selbst Chowanski war nicht bis nach Podlachien vorgedrungen, weil Litauen unter dem Schutze der in aller Welt gefürchteten Schweden stand.

Aber Wolodyjowskis Mitteilungen über den geplanten drohenden Überfall Radziwills erweckten die Obersten wieder aus ihrer Untätigkeit. Sie begannen von neuem die Banner zu organisieren und ihre Soldaten unter Androhung der Todesstrafe einzuberufen. Zyromski, einer der fähigsten Obersten, marschierte als erster nach Bialostok. Ihm folgte in einer Woche Jacob Kmicic und andere Anführer. Die kleine Schlachta der Umgegend schloß sich einzeln oder in Scharen den Soldaten an. Delegierte gingen von Dorf zu Dorf, Proviant sammelnd, für den sie Quittungen ausstellten. – Kurz, die Maschine kam in Bewegung. Und als Wolodyjowski mit seinem Laudaer Banner in Bialostok ankam, standen dort schon mehrere tausend bewaffnete Soldaten. Es mangelte nur an einem Führer.

Besonders zufrieden mit der neuen Lage war Pan Zagloba. Er wußte sich bald, dank seiner großen Beredsamkeit und Erfahrung, eine bevorzugte Stellung zu verschaffen. In dem Glanze des Ruhmes, der seinen Namen umgab, verblaßte der aller anderen Obersten. Die Laudaer erzählten überall, wie er Wolodyjowski, Skrzetuski, Mirski und Oskierka aus den Händen Radziwills befreit hatte, und Zagloba selbst verhehlte seine Verdienste durchaus nicht.

»Ich liebe es nicht zu prahlen,« begannen seine Erzählungen, »oder von Sachen zu schwatzen, die nicht wahr sind. Die Hauptsache bei mir ist, immer bei der Wahrheit zu bleiben. Fragen Sie nur meinen Neffen.«

Und dann erschien Pan Roch Kowalski hinter Zagloba und verkündete feierlich:

»Onkel sagt nie die Unwahrheit!« Nach diesen Worten warf er drohende Blicke um sich, als wünschte er den zu sehen, der es wagte, mit ihm zu streiten. Da sich aber niemand fand, der sich erdreistete, ihm zu widersprechen, so begann Zagloba von seinen Heldentaten zu erzählen.

Er erzählte, wie er zu Lebzeiten Pan Koniecpolskis zweimal Gustav-Adolf besiegt, wie er Chmielnicki geschlagen habe, und daß der Fürst Jeremias bei Zbaraz nichts ohne seinen Rat unternommen und ihm bei Ausfällen den Befehl übertragen.

»Solchen Mann könnten wir jetzt mehr denn je gebrauchen!« tönte es dann voll Bewunderung aus der Menge.

So wuchs Zaglobas Ruhm ins Ungeheure und verdunkelte alles in seiner Umgebung. Inzwischen hatte man eine Deputation an den Witebsker Wojewoden geschickt, die ihn bitten sollte, hinzukommen und den Oberbefehl zu übernehmen. Aber die Deputation war spurlos verschwunden. Man sprach davon, daß sie in die Hände der Kosaken gefallen wäre, die sich plündernd in der Nähe von Wolkowysk herumtrieben.

Die Obersten beschlossen daher, einen interimistischen Befehlshaber zu wählen, der bis zur Ankunft Sapiehas die Oberleitung übernehmen sollte.

Das Heer verlangte an der Wahl unmittelbaren Anteil zu nehmen, was man ihm auch zugestehen mußte. Die Obersten schlugen vor, einen älteren Feldherrn zu wählen, der durch sein Alter und durch seine Stellung dem Heere Respekt einflößen würde.

»Wer ist hier der Älteste?« erschollen viele Stimmen.

»Onkel ist älter als alle die anderen!« rief Pan Roch so laut, daß er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

Es entstand ein fürchterlicher Lärm. Man schrie: »Abstimmen! abstimmen!« Andere riefen: »Wer kann sich mit Zagloba messen? Wer ist ein größerer, erfahrener Ritter? Wir stimmen für Pan Zagloba! Es lebe Pan Zagloba! Es lebe unser Führer! Erlebe! Er hat Gustav-Adolf besiegt! Seinetwegen hat sich Chmielnicki die Haare ausgerauft! Er hat die Obersten gerettet! Und die Schweden bei Klawany geschlagen! Vivat, vivat Zagloba! Vivat! Vivat!«

Und die Menge begann, die Mützen in die Höhe zu werfen und umherzulaufen und Zagloba zu suchen.

Dieser war im ersten Augenblicke sehr verwundert, denn er hatte selbst für Jan Skrzetuski agitiert; als aber die tausendköpfige Menge seinen Namen immer lauter und lauter ausrief, stieg ihm diese allgemeine Anerkennung seines Ruhmes zu Kopf. Er stemmte die Hände in die Seiten, erhob stolz das Haupt und nahm die ihm zu seiner Wahl gebrachten Gratulationen mit der seiner neuen Stellung gebührenden Würde entgegen.

Die Obersten näherten sich ihm und sprachen ihm, ob sie wollten oder nicht, ihre Glückwünsche aus. Nur Pan Wolodyjowski zuckte unwillig mit seinem Schnurrbarte, und Pan Rzendzian, der es verstanden hatte, seine Begegnung mit dem gefürchteten Kmicic und dessen Mission gehörig auszunützen, stand und starrte mit vor Erstaunen weit aufgerissenem Munde auf Zagloba.

Pan Zyromski beglückwünschte Zagloba im Namen aller Obersten, und ein Offizier aus dem Banner Kotowskis hielt im Namen der Truppen eine Ansprache.

Zagloba hörte, von Zeit zu Zeit mit dem Kopfe nickend, zu. Dann beantwortete er die Rede. Er sagte, daß er nie nach dieser hohen Stellung gestrebt hätte und empfahl, auf die ihn umgebenden Obersten weisend, doch von diesen Rittern einen zu wählen und die Bürde dieses großen Amtes von seinen Schultern zu nehmen.

»Nein! nein!« brüllten Hunderte und Tausende von Stimmen. »Nein!« wiederholten auch die Obersten, die gerne ihre Bescheidenheit zeigen wollten.

»Auch ich sehe ein, daß es nicht anders sein kann,« antwortete Zagloba, »so geschehe denn euer Wille. – Ich danke euch von Herzen, Brüder, und hoffe, ihr werdet eure Wahl nie bereuen. Wie ihr für mich euer Leben lassen werdet, so schwöre ich, werde auch ich das meine für euch einsetzen! Selbst der Tod soll uns nicht trennen; denn gemeinsam werden wir nach unserem Tode den Ruhm ernten. – Wir wollen für unseren König, für die Heimat eintreten, für sie leben und sterben! Brüder, auf euch ruht die Hoffnung des Vaterlandes! Auf euch und auf mich sind die Augen der ganzen Republik gerichtet. Zeigen wir ihr, daß sie nicht vergebens ihre Arme hilfesuchend uns entgegenstreckt. Ihr fordert von mir Entschlossenheit und Standhaftigkeit, und ich von euch – Vertrauen und Gehorsam.«

Und Pan Zagloba zeigte mit seinen Armen gen Norden und brüllte los:

»Komm jetzt, Radziwill! Komm, Pan Hetman. Pan Ketzer, Luzifers Wojewod! Wir erwarten dich nicht zerstreut, sondern in einem gemeinsamen großen Lager; nicht mit Papieren und Verträgen, sondern mit Schwertern in den Händen. Komme her! Schlage dich mit Zagloba im Zweikampfe! Rufe die Hölle zu Hilfe, wir wollen uns miteinander messen!«

In der Luft erglänzten mehrere Tausende von Säbeln. Alle drängten sich dicht um Zagloba herum, viele Stimmen hörte man rufen:

»Führe du uns zur Schlacht! Führe du uns!«

»Morgen,« rief Pan Zagloba, »morgen bereitet euch vor.« –

Diese Wahl hatte an einem Morgen stattgefunden, zum Nachmittag war eine Truppenbesichtigung angesetzt worden.

Auf dem Felde versammelten sich die Banner, eins neben dem anderen in voller Ordnung mit den Obersten und Fahnenträgern in der Mitte. Und an den Regimentern vorüber ritt der Heerführer, unter einer Roßschweiffahne, mit einem vergoldeten Stab in der Hand und einer Reiherfeder an der Mütze. Ein wahrer Hetman! Er besichtigte die Banner einzeln. Jeder Oberst ritt ihm entgegen, jedem sagte er etwas. Vieles fand seinen Beifall, aber für manches hatte er auch Worte des Tadels. Diejenigen der Neuangekommenen, die zuerst mit der Wahl nicht zufrieden waren, mußten bald zugeben, daß der neue Feldherr ein erfahrener, ans Befehlen gewöhnter Krieger war. –

Noch an demselben Tage sandte Pan Zagloba mehrere Abteilungen nach den verschiedenen Richtungen aus. Am folgenden Tage hörte er sich aufmerksam die Berichte über die Exkursionen an. Dann suchte er Wolodyjowski in seinem Logis auf, das dieser mit Skrzetuski zusammen bewohnte.

»In Gegenwart der Truppen muß ich meine Würde wahren,« sagte er freundlich, »aber wenn wir allein sind, so wollen wir auf dem früheren kameradschaftlichen Fuße weiter verkehren. – Hier bin ich der alte Bekannte, nicht der Vorgesetzte! Ihre Ratschläge werde ich nie verschmähen, obwohl ich meinen eigenen Verstand habe. Ich weiß aber, ihr seid erfahrene Männer, in der ganzen Republik gibt es nur wenige solcher Soldaten.«

Bald war die alte Vertraulichkeit wieder hergestellt, und Jan Skrzetuski fragte Zagloba:

»Väterchen, was denken Sie jetzt anzufangen?«

»Am allerersten will ich Ordnung herstellen; die Disziplin besser aufrecht erhalten und für die Soldaten irgend welche Beschäftigung finden, – Ich habe ganz gut gehört, Pan Wolodyjowski, wie Sie gestern brummten, als ich verschiedene Truppenabteilungen nach allen möglichen Himmelsgegenden aussandte. Ich mußte das aber tun; denn die Soldaten müssen sich allmählich wieder an einen regelrechten Dienst gewöhnen. Dies war der eine Grund dafür, aber ich hatte noch einen zweiten. Soldaten und Säbel haben wir genug hier; doch uns fehlt es an Proviant. Ohne genügende Vorräte kann kein Heer einen Krieg aushalten. Meine Idee ist nun die: Alles, was uns unter die Hände kommt, wird fortgenommen, Kühe, Schafe, Schweine, Brot, Heu, kurz, alles Eßbare.«

»Was aber, wenn die Schlachta darüber Lärm schlägt?«

»Das Heer ist mir jetzt wichtiger als die Schlachta. Soll sie Lärm schlagen. Übrigens will ich ja nichts umsonst haben, wir geben für alles Quittungen aus. Geld habe ich nicht. Aber nach Beendigung des Krieges, wenn die Schweden das Land verlassen haben, wird die Republik alles bar bezahlen.«

»Euer Gnaden haben wirklich den Kopf eines Senators,« sagte Rzendzian, der gerade bei Wolodyjowski war, und sich bis dahin sehr bescheiden auf das äußerste Ende der Bank gesetzt hatte.

»Nicht wahr,« sagte Zagloba selbstzufrieden. »Auch du, Schelm, verstehst dich sehr wohl auf den Vorteil. Sieh zu, daß ich dich nicht einmal zum Statthalter mache, wenn eine Vakanz eintritt.«

»Danke gehorsamst, Euer Gnaden.«

»Ja, – das sind also meine Absichten,« fuhr Zagloba fort. »Erst Vorräte ansammeln und ein befestigtes Lager einrichten. Mag Radziwill dann mit den Schweden, ja selbst mit den Teufeln kommen! Ein Nichtsnutziger will ich sein, wenn ich hier nicht ein zweites Zbaraz mache.«

»Bei Gott, ein großartiger Gedanke!« rief Wolodyjowski, »aber woher nehmen wir Kanonen?«

»Pan Kotowski besitzt zwei, Kmicic eine, in Bialostok sind ihrer vier. Pulver ist auch genug da. Wir werden schon fertig werden. Nur helft mir, Panowie, helft mir! – Aber ihr sollt auch nicht vergessen, an euch selbst zu denken. Vielleicht will jemand von euch etwas trinken. Ich will durchaus nicht der Störenfried sein.«

Wolodyjowski befahl Met aufzutragen.

»Ihr glaubtet wohl, ich werde nur dem Namen nach ein Heerführer sein,« sprach Zagloba weiter, nachdem er einen guten Zug aus seinem Becher getan hatte, »o, nein! Ich habe um dieses Amt nicht gebeten. Doch wenn ihr mich mit ihm bekleidet, so müßt ihr mir auch gehorchen. – Mehr Met, Pan Michail!«

Wolodyjowski schenkte ein, Pan Zagloba trank den Becher mit einem Zuge aus, zog die Augenbrauen zusammen und sagte, indem er sich auf etwas zu besinnen bemühte: »Wovon sprachen wir doch? Was wollte ich? – Aha, Met, Pan Michail, mehr Met!«

Wolodyjowski schenkte wieder ein.

»Ich weiß voraus, daß Sapieha und ich gute Freunde sein werden. Wir gleichen nämlich einander wie ein Pferd dem anderen. Wir sind doch beide Heerführer. – Bis zu seiner Ankunft muß übrigens alles in Ordnung gebracht sein. – Es ist wirklich ein Unglück, daß ich gar keine Kanzlei habe.«

»Und wozu gebrauchen Sie eine Kanzlei?« verwunderte sich Skrzetuski.

»Wozu braucht der König einen Kanzler? Ich werde wohl irgendwo für mich ein Siegel bestellen müssen.«

»Was wollen Sie denn siegeln, lieber Pan Zagloba?« fragte Wolodyjowski. »Ja – ja, unter uns können Sie mich ruhig nach alter Manier lieber Pan Zagloba titulieren. – Nicht ich werde siegeln, sondern mein Kanzler.«

Die Anwesenden waren sprachlos.

»Wozu ich einen Kanzler brauche? Nun hört mal. – Ihr wißt doch, daß das unerhörte Unglück, das über unser Vaterland hereingebrochen ist, durch Eigenmächtigkeit und Maßlosigkeit hervorgerufen ist. – Met, Pan Michail! Met her! – Die Hauptursache des Unglücks aber sind die Ketzer! Ein Beispiel – der Großhetman von Litauen! Um auf unsere Sache Gottes Segen zu lenken, um Proviant für unsere Truppen zu erlangen, erlasse ich ein Dekret, daß jeder Ketzer sich innerhalb dreier Tage von seiner Verirrung loszusagen habe, widrigenfalls ihm sein Hab und Gut zum Unterhalte des Heeres konfisziert wird.«

Die Ritter sahen einander verwundert an. Sie wußten zwar, daß Zagloba reich an Einfällen war, aber solche politische Feinheiten hatten sie ihm nicht zugetraut.

»Fragt ihr noch,« sagte Zagloba triumphierend, »woher ich genügend Mittel für das Heer herkriegen werde?«

»Das ist wahr,« sagte Pan Michail.

»Das ist aber alles nicht genug,« rief der sich mehr und mehr begeisternde Zagloba aus. »Ich gebe noch ein Dekret an die Schlachta von Podlachien, daß sie selbst kommen und ihre Diener bewaffnen soll, damit wir genügend Infanterie haben. Ich weiß, daß viele von ihnen gewillt sind, ins Feld zu ziehen, sie warten nur noch auf meine Befehle!«

»Sie haben wirklich den Kopf eines Kronkanzlers!« rief Pan Wolodyjowski.

»Met, Pan Michail, Met her! Dann schreibe ich an unseren guten König und tröste ihn in seinem Unglück. Ich werde ihm sagen, daß nicht alle ihn verlassen haben, daß es noch Herzen gibt, die bereit sind, für ihn in den Tod zu gehen. Unser – unser –«

Plötzlich erzitterten die Fenster von einem rasenden Gebrüll. Zagloba ging hinaus, um nach der Ursache des Geschreies zu sehen.

Man hatte die Kanonen gebracht, von denen Zagloba gesprochen hatte, und die Soldaten waren dadurch in eine große Begeisterung geraten. Zugleich übergab man Zagloba dreihundert Musketen, zweihundert Hellebarden und eine größere Summe baren Geldes.

»Pan Oskierka!« rief Zagloba, »nehmen Sie die Musketen und Hellebarden an sich und formieren Sie ein Infanterie-Banner. Also, Panowie, jetzt haben wir Geld, Kanonen und genügend Infanterie. Proviant werden wir auch bald genug haben. Das sind die ersten Resultate meines Oberbefehles.«

»Vivat!« riefen die Soldaten.

»Und jetzt sollen die Soldaten in die umliegenden Dörfer gehen und sich Schaufeln und Hacken borgen. Wir wollen ein befestigtes Lager, ein zweites Zbaraz, herrichten.«

Mit diesen Worten begab sich Zagloba in sein Quartier, begleitet von den begeisterten Rufen des Heeres.

»Bei Gott, dieser Mensch trägt nicht umsonst einen Kopf auf den Schultern,« sagte Pan Wolodyjowski zu Jan Skrzetuski. »Alles geht jetzt anders, besser wie zuvor!«

»Wenn nur Radziwill fürs erste noch nicht käme,« bemerkte Stanislaus Skrzetuski. »Er ist ein Feldherr, der in der ganzen Republik nicht seinesgleichen hat.«

Aber auch Pan Zagloba dachte nicht ohne Unruhe an Radziwill. Er entsann sich zu gut der früheren Siege Radziwills, und die Gestalt des Hetman nahm in seinen Augen unnatürliche Dimensionen an. Er gelobte, sich niemals auf eine große Schlacht mit Radziwill einzulassen.

»Es wird zu einer Belagerung kommen,« dachte er bei sich. »Dann nimmt man zu Verhandlungen Zuflucht, bis Sapieha mit seinen Truppen angekommen ist.« Für den Fall jedoch, daß Sapieha ausblieb, beschloß er, in allem dem Rate Jan Skrzetuski zu folgen. Er wußte, daß Fürst Jeremias diesen Offizier und seine kriegerischen Fähigkeiten ganz besonders hoch geschätzt hatte.

Eine Zeit verstrich, und die ausgesandten Patrouillen wußten noch immer nichts vom Herannahen Sapiehas oder Radziwills zu melden. Sie brachten nur Gerüchte von den Kosaken, die um Wolkowysk standen und die Stadt einzunehmen versuchten, nachdem die ganze Umgegend schon ein Raub der Flammen geworden war. Einige Flüchtlinge aus Wolkowysk kamen in das Lager und flehten den Heerführer an, ihnen zu helfen. Pan Zagloba ließ Wolodyjowski zu sich rufen.

»Nun, Pan Michail,« sagte er, »jetzt ist Ihre Stunde gekommen, Ihre Kunst zu zeigen. Nehmen Sie Ihr Laudaer Banner und noch die Hälfte eines anderen zuverlässigen Banners mit sich und vernichten Sie die Räuberbande bei Wolkowysk. Sie können diesen Auftrag als ein Zeichen meines besonderen Wohlwollens betrachten.«

Wolodyjowski und sein Banner zogen mit großer Lust aus; denn die Untätigkeit war allen schon lange verhaßt geworden. Es vergingen drei Tage. – Von allen Seiten brachte man Proviant ins Lager, auch Freiwillige kamen an; aber von Pan Michail traf keine Nachricht ein.

Zagloba wurde immer unruhiger, und trotz aller Versicherungen Skrzetuskis, daß Wolodyjowski noch gar nicht zurück sein könne, schickte er hundert Reiter aus, die Erkundigungen einziehen sollten.

Wieder vergingen mehrere Tage ohne jede Nachricht. Endlich, am siebenten Tage, meldete man das Herannahen eines bedeutenden Heeres.

»Ich reite ihm mit zwanzig Mann entgegen,« bot sich Oberst Lipnicki an. – Und er ritt fort.

Einige Stunden später verbreitete sich plötzlich im ganzen Lager das Gerücht:

»Radziwill kommt!«

Diese Kunde elektrisierte alle und brachte das ganze Lager auf die Beine. – Die Soldaten stürzten in größter Unordnung auf die Wälle: allein Oskierkas Infanterie nahm die ihr angewiesene Stellung ein. Der Freiwilligen bemächtigte sich eine Panik. Gerüchte, eins unwahrscheinlicher als das andere, wurden in tausend verschiedenen Formen weitergegeben.

Die Obersten konnten nur mit Mühe die Ordnung wieder herstellen.

Pan Zagloba geriet, als an seine Ohren der Ruf »Radziwill kommt!« drang, in große Bestürzung.

»Das kann nicht sein! kann nicht sein!« wiederholte er mehrmals und trocknete sich die Stirn, die mit großen Schweißtropfen bedeckt war. »Diese Schlange! Dieser Mörder! Dieser Luzifer, ist er wirklich schon aus Kiejdane ausmarschiert? Naht wirklich die letzte Minute?«

Und das Geschrei: »Radziwill kommt! Radziwill kommt!« wurde immer lauter. Pan Zagloba zweifelte nicht mehr daran. Er ergriff seine Mütze und rannte zu Skrzetuski:

»Jan rette! Jetzt ist's Zeit!«

»Was ist geschehen?« staunte Jan Skrzetuski.

»Radziwill naht! Alle meine Hoffnungen ruhen jetzt auf dir. Auch Fürst Jeremias hielt dich für einen geborenen Feldherrn! Ich werde alles persönlich überwachen, aber du mußt handeln!«

»Radziwill kann es nicht sein,« sagte Skrzetuski ruhig. »Von welcher Seite kommt denn das Heer?«

»Von Wolkowysk her. Man sagt, Wolodyjowski und die von mir ausgesandte Unterabteilung seien umzingelt worden.«

»Wolodyjowski hat sich umzingeln lassen? Da kennen Sie ihn schlecht! Er wird es sein, der da zurückkehrt, und kein anderer!«

»Du hörst doch aber, große Streitkräfte nahen.«

»Gott sei gelobt, dann ist es Sapieha!«

»Gott, du Barmherziger! Was redest du da! Man würde uns doch benachrichtigen; Lipnicki ist ihm doch entgegengeritten.«

»Wieder dafür ein Beweis, daß es nicht Radziwill ist, sie kommen eben zusammen zurück. Gehen wir auf die Wälle!«

»Das dachte ich auch gleich! Vorwärts, Jan! Jenen allen ist das Herz in die Hosen gefallen! Ha, ha, ha!«

Auf den Wällen erstrahlte Zaglobas Gesicht vor Standhaftigkeit und Mannesmut. Er blieb jede Minute stehen und schrie aus Leibeskräften:

»Panowie, Gäste nahen! Verliert nur nicht die Geistesgegenwart! Ist es Radziwill, so werde ich ihm den Rückzug nach Kiejdane zeigen! Zündet Scheiterhaufen auf den Wällen an! Verstecken wollen wir uns nicht!«

Plötzlich krachten in der Ferne Musketenschüsse. Pan Zagloba faßte Jan Skrzetuski am Rockschoß.

»Man eröffnet das Feuer!« sagte er bestürzt.

Aber den Schüssen folgten bald Ausrufe der Freude. Es war kein Zweifel mehr, Freunde kamen. Einige Minuten später trafen mehrere Reiter auf total erschöpften Pferden ein.

»Pan Sapieha! Pan Wojewod von Witebsk!«

Bald ritt der Witebsker Wojewod in den Feuerkreis hinein, umgeben von seinen Offizieren. Zu seiner Rechten ritt Pan Wolodyjowski. Sapieha war ein bejahrter, etwas starker Herr. Sein unschönes Gesicht verriet Klugheit und Gutherzigkeit; man konnte bei der ersten Begegnung nicht daran zweifeln, daß man es mit einem ehrlichen Manne zu tun hatte.

Pan Zagloba empfing ihn an der Spitze seiner Obersten. Er begrüßte ihn durch eine längere Ansprache, an deren Schluß er seinen Stab hervorhob und feierlich sagte:

»Das Heer wählte mich zu seinem Führer, aber ich lege das Zeichen meiner Macht in würdigere Hände, der Jugend ein Beispiel zu geben, wie man zu Gunsten des öffentlichen Wohles auf Würden und Ehren verzichten soll.«

Die Soldaten begannen etwas zu rufen; Sapieha aber lächelte nur.

»Wenn Radziwill nur nicht glaubt, daß Sie mir den Stab aus Furcht vor ihm abgeben. Darüber würde er sich schon freuen!«

»Radziwill kennt mich ja,« antwortete Zagloba, »er wird mich nicht der Feigheit zeihen. Ich war der erste, der ihm in Kiejdane das Wort »Verräter!« ins Gesicht schleuderte, ich habe die anderen durch mein Beispiel mit fortgerissen.«

»Und jetzt führen Sie uns ins Lager. Pan Wolodyjowski erzählte mir unterwegs, daß Sie ein musterhafter Wirt wären, und wir sind müde und hungrig.«

Der Einzug der Truppen Sapiehas ins Lager ging unter unbeschreiblichen Freudenausbrüchen vor sich. Pan Zagloba fiel es ein, daß Sapieha kein Feind von gutem Essen und Trinken war, und er beschloß, des Wojewoden Ankunft durch ein Festmahl zu feiern.

Sapieha kargte nicht mit seinen Beifallsäußerungen:

»Ich habe gar nicht erwartet, hier solchen Überfluß zu finden,« sagte er, »ich muß Ihnen für Ihre Umsicht wirklich danken.«

Zagloba wurde ganz rot vor Freude. Ihm schien es vorher, daß der Wojewod ihn zwar freundlich, aber doch nicht mit der dem gewesenen Befehlshaber zukommenden Achtung behandelte. Er begann jetzt zu erzählen, wie er Vorräte angesammelt, Kanonen herbeigeschafft und die Infanterie vermehrt habe.

Das Festmahl verlief bis zum Schluß sehr glänzend und währte bis Mitternacht. Wohl hätte man noch länger fröhlich beisammengesessen, wenn nicht die Nachricht von dem Nahen Radziwills eingetroffen wäre. – –


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