Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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6. Kapitel.

Der König, der den Versicherungen der Bergbewohner Glauben schenkte, daß der Weg bis zu Czorsztyn frei sei, machte sich mit seiner Begleitung auf und erreichte den Ort ohne jeden Zwischenfall. Die Nachricht von der Ankunft des Königs hatte sich nach allen Richtungen verbreitet, und von überall her strömten Volksmengen herbei, die mit Dreschflegeln, Sensen und Gewehren bewaffnet waren. Und so umgab Jan-Kasimir jetzt schon ein ganzes Tausend halbwilder Reiter, die bereit waren, für ihn durch Feuer und Wasser zu gehen.

Bei Stari Soncz schloß sich dem Könige der alte Oberst Woynillowicz an, der soeben eine größere schwedische Abteilung geschlagen hatte. Bald zogen auch die Truppen des Kronmarschalls Jan-Kasimir entgegen. Voran ritt ein Husarenbanner, das Leibregiment des Marschalls, so glänzend ausgerüstet und bewaffnet, daß selbst ein König ihn um dieses Banner, über das ein Meer grün-schwarzer Fahnen wehte, beneiden konnte. Den Husaren folgte ein an Zahl noch größeres leichtes Kavallerieregiment, das mit gezogenen Degen und Armbrüsten auf den Schultern heranritt. Dann kamen Dragoner, Abteilungen verschiedener Pans, die sich gerade in Lubomla aufgehalten, Heiducken, Ungarn und Janitscharen, die im Dienste verschiedener Magnaten standen.

Alle diese Truppen in ihren verschiedenen Ausrüstungen wechselten miteinander ab wie die Farben des Regenbogens und nahten mit Kesselgedröhn, Paukenschlägen und Rufen, mit so stürmischen Rufen, daß es schien, als müsse von dieser Erschütterung der Schnee von den Bergabhängen herunterstürzen.

Hinter dem Heere fuhren in Kaleschen und Equipagen geistliche und weltliche Würdenträger. Der Kronmarschall, Pan Jerzy Lubomirski, kam auf einem schneeweißen Pferde angeritten; ihm folgten zwei Leibjäger, die vom Scheitel bis zur Sohle von Gold strotzten. Als der Marschall nur noch einige Schritte bis zum Könige hatte, stieg er ab, warf einem Leibjäger die Zügel zu und ging Jan-Kasimir zu Fuß entgegen. Mit entblößtem Haupte, in der Hand den mit Perlen übersäten Marschallstab, schritt er auf Jan-Kasimir zu. Er trug das polnische Nationalkostüm. Die Brust bedeckte ein Silberpanzer, der mit kostbaren Edelsteinen geschmückt war. Über seiner linken Schulter hing ein Mantel aus dunklem, venetianischem Samt, der am Halse durch eine Schnur mit einer Brillantschnalle gehalten wurde. Auch seine Mütze, die er auf den Säbelgriff gehängt hatte, blendete unerträglich durch die in den Sonnenstrahlen glitzernden Diamanten.

Der Marschall stand in der Blüte seiner Jahre; er war von majestätischem Aussehen. Auf seinem Gesichte lagen unendlicher Stolz und unendliche Eitelkeit ausgeprägt. Sein Ehregeiz, seine Sucht nach Macht und sein Neid waren es, die späterhin seinen Namen noch verhaßter als den Janusz Radziwills machten. Denn dieser war ein Mann von großem Geist, der seine Ziele offen und mit der größten Energie verfolgte. Er erstrebte eine Krone, selbst wenn er zu diesem Zwecke über die Ruinen des Vaterlandes schreiten müßte. Lubomirski hätte ein gleiches gern erreicht. Die Krone aus den Händen der Schlachta zu erhalten, war sein höchster Wunsch; aber es fehlte ihm an Wagemut und Energie; er war stets beseelt von der Furcht, an äußerem Ansehen verlieren zu können, was seine Eitelkeit nie verwunden hätte.

In dem Augenblicke, als sich der Marschall dem Könige näherte, waren seine Eitelkeit und sein Hochmut vollständig befriedigt. Er war der erste Magnat, der den König auf seinem Boden empfing; er war der erste, der den König unter seinen Schutz nahm. Er sollte ihn wieder auf seinen wankenden Thron erheben; von ihm erwartete der König und das Vaterland alles; auf ihn hatte sich die allgemeine Aufmerksamkeit gelenkt. Und das alles entsprach seinen Wünschen und Neigungen so vollkommen, daß er zu jedem Opfer bereit war.

Jan-Kasimir wollte vom Pferde steigen, als Lubomirski auf ihn zuschritt. Dieser sprang schnell hinzu, um den königlichen Steigbügel mit seinen Magnatenhänden zu halten. Dann nahm der Marschall seinen Mantel ab und legte ihn unter die Füße des Königs.

Der König, auf tiefste gerührt, umarmte den Marschall. Einen Augenblick konnten beide kein Wort sprechen.

»Pan Marschall,« sagte endlich der König, »Ihnen werde ich die Auferstehung meiner alten Macht zu danken haben.«

»Majestät!« entgegnete Lubomirski, »mein Leben, meinen Ruf, alles, was ich besitze, – alles lege ich zu den Füßen Euer Majestät nieder.«

»Vivat! Vivat König Jan-Kasimir!« donnerte es in den Reihen der Truppen.

Der König nahm mit dem päpstlichen Nuntius in einer Equipage Platz, die Bischöfe und Senatoren bestiegen auch einen Wagen, und der ganze Zug setzte sich nach Lubomla zu in Bewegung. Der Pan Marschall ritt neben dem königlichen Wagen, stolz, selbstzufrieden, als wenn man ihn zum Vater des Vaterlandes erklärt hätte.

Als man in Lubomla anlangte, ertönten von den Türmen Salutschüsse, und alle Glocken läuteten. Der Schloßhof, die Veranda und die Treppe waren mit rotem Tuch ausgelegt. Aus italienischen Vasen stieg der Rauch orientalischer, wohlriechender Kräuter. Der größte Teil der Lubomirskischen Familienschätze war schon bei der Nachricht von dem Nahen der Schweden nach Lubomla geschafft worden. Silber- und Goldgeräte, Teppiche, kunstvoll gewebte vlämische Gobelins, Statuen, mit Bernstein und Perlmutter ausgelegte Möbel, – das alles blendete jetzt die Augen der Ankommenden und verlieh dem Schlosse ein zauberhaftes Aussehen. Der Pan Marschall hatte absichtlich seine Schätze so ausgebreitet. Der königliche Flüchtling, der ohne Truppen, ohne Geld, ohne Macht zurückkehrte, sollte fühlen, daß die Ergebenheit solcher reichen und mächtigen Untertanen ihm Kräfte verleihen werde. Der König verstand das auch, und er umarmte nochmals den Marschall.

Beim Abendmahle, das nach kurzer Rast eingenommen wurde, saß der König auf einer Estrade, und Lubomirski bediente ihn persönlich. Im Nebensaale war der Tisch für den kleineren Landadel gedeckt, und in dem ungeheuer großen Zeughause tafelte das Volk. Am Tage der Rückkehr des Königs sollten alle fröhlich sein.

An der königlichen Tafel unterhielt man sich zumeist über die Schweden und den bevorstehenden Krieg. Lubomirski überraschte den König mit der Botschaft, die einer seiner Abgesandten, der vor zwei Tagen vom Krimmer Chan zurückgekehrt war, überbracht hatte. Der Chan hatte erklärt, daß eine Armee von vierzigtausend Tataren zum Abmarsch bereit sei, und daß er diese Zahl auf hunderttausend erhöhen würde, sobald der König in Lemberg eingetroffen wäre und mit ihm ein Bündnis geschlossen hätte. Derselbe Abgesandte erzählte dann, daß die Kosaken unter dem Druck der tatarischen Drohungen gewillt wären, Frieden zu schließen.

»Sie haben wahrhaftig an alles gedacht,« sagte der König, »wir selbst hätten es nicht besser machen können.«

Jan-Kasimir ergriff seinen Becher und rief:

»Die Gesundheit des Pan Kronmarschalls, unseres Wirtes und Freundes!«

»O nein, Majestät, nein!« schrie Lubomirski, »der erste Toast, der in diesem Hause ausgebracht werde, gelte allein Euer Majestät!«

Er gab ein Zeichen. Diener stürzten heran und füllten die Gläser aufs neue aus goldenen Krügen. Die Gäste erhoben sich alle von ihren Plätzen, und der Marschall rief aus Leibeskräften:

»Vivat Johannes-Kasimirus rex!«

»Vivat! Vivat! Vivat!«

In dem gleichen Augenblicke erdröhnten draußen die Kanonen.

Die Schlachta aus dem Nebenzimmer kam mit ihren Bechern herein und gratulierte dem Könige.

Als das Festmahl schon fast beendet war, leuchtete es rings um das Schloß herum hell auf, und flackernde Lichtstrahlen drangen durch die Fenster in den Saal herein.

»Was ist das?« fragte der König.

Der Marschall führte ein wenig schwankend den König ans Fenster. Auf dem weiten Hofe warfen brennende Pechfässer ihr hellgelbes Licht auf das Pflaster, das dicht mit Tannenzweigen bestreut war.

Draußen hatte man ein Turnier begonnen. Man hetzte einen Bären mit Hunden. Männer aus den Bergen von gigantischem Wuchs warfen Mühlsteine hoch in die Luft und fingen sie wieder auf. Erst um Mitternacht endeten die Ergötzlichkeiten.

So empfing der Pan Kronmarschall den polnischen König, obwohl die polnische Erde noch unter den Fußtritten der schwedischen Eroberer blutete. – –


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