Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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Sechstes Buch.

1. Kapitel.

Trotzdem Haßling-Ketling in der Umgebung des Fürsten Boguslaw gelebt hatte, konnte er Kmicic nicht genügend über die Ereignisse in Tauroggen aufklären; denn der Fürst besaß nur einen Vertrauten, den Pan Sakowicz. Nur der allein wußte, wie weit die Gefühle des Fürsten zu der schönen Gefangenen gingen.

Es war eine wilde, glühende Leidenschaft zur Panna Billewicz, von der Boguslaw ergriffen war. Diese Leidenschaft war so mächtig, daß der sonst in Liebesintrigen so Erfahrene gänzlich den Kopf verlor. Mehr als einmal, wenn Boguslaw mit Sakowicz allein war, griff er verzweifelt in seine Haare und schrie: »Sakowicz, ich verliere den Verstand!«

Und Sakowicz antwortete immer dasselbe:

»Der Medikus Euer Durchlaucht hat doch genug Schlafmittel zur Hand. Ein Wort von Ihnen, und alles wird heute erreicht sein!«

Aber der Fürst wollte aus verschiedenen Gründen nicht zu diesem Mittel greifen. Er hatte vor kurzer Zeit im Traume den alten Oberst Billewicz, Alexandras Großvater, gesehen, der ihn bis zum frühen Morgen unverwandt drohenden Blickes angesehen hatte. Boguslaw, der vor nichts in der Welt Angst hatte, fürchtete alles Übernatürliche wie das Feuer. Und er hatte eine Heidenangst bei dem Gedanken, daß die Erscheinung wiederkommen würde, sobald er Sakowicz' Rat befolgte. Ferner fürchtete Boguslaw den Skandal, der sich unfehlbar in ganz Litauen erheben würde. Die Billewicz' waren einflußreich genug und würden nicht versäumen, einen Prozeß zu beginnen. Und das Gesetz ahndete solche Verbrechen durch Todesstrafe und mit Verlust des Gutes und der Ehre. Freilich waren die Radziwills mächtig genug, um den Gesetzen zu trotzen; aber was, wenn der Krieg sich zu Jan-Kasimirs Gunsten entschied, wenn der Fürst alle seine Freunde und Beschützer verlöre?

Obgleich Boguslaw eine stark leidenschaftliche Natur war, so war er doch gleichzeitig genügend Politiker, um mit den gegebenen Verhältnissen zu rechnen und sich zu beherrschen, wenn dies nötig war. Dazu kam noch die undenkbar hohe Meinung, die er von sich selbst hatte. Er, der große Politiker, große Stratege, große Ritter und unbesiegbare Eroberer weiblicher Herzen, sollte zu solchem Mittel seine Hilfe nehmen! Er, der eine schwere Kiste mit Liebesbriefen von hochstehenden Damen mit sich führte! Genügten wirklich seine Reichtümer, seine fast königliche Macht, seine Titel, sein weithin berühmter Name, seine Schönheit und Ritterlichkeit nicht, um ein einfaches Schlachtschitzenmädchen zu erobern?

Aber mit der Zeit begann des Fürsten Geduld sich zu erschöpfen. Er vergaß die schreckliche Vision und fing an, über Sakowicz' Rat nachzudenken. Seine Leidenschaft entbrannte immer mehr. Da ereignete sich plötzlich etwas, was die Lebensweise in Tauroggen ganz änderte.

Boguslaw erhielt die Nachricht, daß Sapieha Tykocin eingenommen habe, und daß der Fürst-Großhetman unter den Trümmern des Schlosses umgekommen sei. In Tauroggen herrschte größte Erregung. Der Fürst brach an demselben Tage auf, um sich mit den Ministern des schwedischen Königs und dem Elektor zu beraten.

Seine Abwesenheit von Tauroggen währte länger, als Boguslaw selbst gedacht hatte. Inzwischen begannen nicht nur des Kurfürsten, sondern auch des schwedischen Königs Truppen in die Stadt einzuziehen. Die nackte Wahrheit seines Verrates, die Boguslaw bis dahin zu verbergen gesucht, indem er immer und immer wieder versicherte, auf seiten des rechtmäßigen Königs zu stehen, kam jetzt zutage. Seine Angaben, daß er nur mit dem Schwedenkönig und dem Elektor unterhandle, um sie mit Jan-Kasimir zu versöhnen, erwiesen sich jetzt als entschieden erlogen. Alexandra erkannte, daß Boguslaw ebenso wie sein verstorbener Vetter ein Parteigänger der Schweden war.

Zu der gleichen Zeit erhielt auch der Miecznik die Botschaft, daß General Löwenhaupt, der mit seiner Abteilung gegen die aufrührerischen Smudier gezogen war, jetzt alles auf seinem Wege verwüstet und auch Billewicze niedergebrannt habe. Der Miecznik, der sich von der Größe des erlittenen Schadens selbst überzeugen wollte, reiste ab. Und Panna Alexandra blieb mit Panna Kulviec in Tauroggen allein zurück.

Alexandra, die zuerst nicht glauben wollte, daß Boguslaw gegen die polnische Armee rüstete, entbot Haßling-Ketling zu sich.

Der junge Schotte, der Alexandra innig liebte, kam sofort, hocherfreut, in ihrer Nähe einige Zeit weilen zu dürfen.

»Kavalier, sagen Sie mir die Wahrheit,« begann Panna Alexandra. »Wir irren hier umher wie in einem finsteren Walde, ohne einen Lichtschimmer zu sehen. Die einen sagen, der Fürst-Wojewod starb eines natürlichen Todes, die anderen wieder, man hätte ihn mit dem Säbel erschlagen. Was war die Ursache seines Todes?«

Ketling wurde verlegen und errötete, dann raffte er seinen Mut zusammen und sagte:

»Die Ursache des Todes des Fürst-Wojewoden sind Sie, Panna.«

»Ich?« staunte Panna Billewicz.

»Ja, Sie. Weil Fürst Boguslaw, anstatt seinem Vetter zu Hilfe zu eilen, es vorzog, hier zu bleiben. – Er hat alles in Ihrer Nähe vergessen.«

Jetzt war es an Alexandra zu erröten.

»Wenn meine Worte Sie gekränkt haben,« begann Ketling schüchtern und ehrerbietig, »so bin ich bereit, auf den Knien um Vergebung zu flehen.«

»Lassen Sie das!« rief Alexandra. »Ich weiß, Sie haben mir die Wahrheit gesagt. – Ich habe längst bemerkt, daß Sie mir wohlwollen. – Ich bin hier allein,« fuhr sie dumpf fort, »ohne Schutz, ohne Hilfe. – Wollen Sie mein Bruder sein? Wollen Sie meine Feinde beobachten und mich im Augenblicke der Gefahr warnen?«

Ketling ließ sich auf die Kniee nieder und küßte die Fingerspitzen ihrer Hand, die sie ihm gereicht hatte.

»Sagen Sie, was geht hier um mich vor?«

»Ich werde Ihnen die volle Wahrheit sagen, soweit ich sie erfahren konnte. – Der Fürst liebt Sie bis zur Besinnungslosigkeit. Aber es ist nur eine wilde Leidenschaft, – er will Sie entehren; denn heiraten kann er Sie nicht. Er wird die Fürstin Anna heiraten, um ihr Vermögen mit dem seinigen zu vereinigen. Trauen Sie nicht dem Fürsten und seiner Bescheidenheit, – Verrat lauert hier auf jedem Schritt in seiner nächsten Umgebung. Sie sind alle Schufte, und einen solchen, der dem Sakowicz gleicht, gibt es in der ganzen Welt nicht mehr. Hätte ich mich nicht durch einen Schwur verpflichtet, das Leben des Fürsten zu beschützen, so würde dieser Arm und Degen Sie schon längst von der Ihnen drohenden Gefahr befreit haben! – Zu allererst aber würde ich den Sakowicz umbringen, ihn zuerst. Sogar eher als diejenigen Menschen, die meinen Vater getötet, die ihm sein Hab und Gut geraubt und mich zu der kläglichen Rolle eines Söldners verdammt haben.«

Der erregte Ketling preßte seine Hand fest auf den Griff seines Degens und erzählte Alexandra, was Sakowicz dem Fürsten geraten hatte.

Zum großen Erstaunen des Schotten blieb Alexandra ganz ruhig; sie erbleichte nur, und ihr Gesicht nahm einen harten Ausdruck an.

»Ich werde es schon verstehen, mich zu schützen,« entgegnete sie, »und Gott wird mir beistehen.«

»Bisher scheute sich der Fürst, dem Vorschlage Sakowicz' zu folgen,« fiel Ketling ein, »aber sobald er sehen wird, daß der von ihm gewählte Weg zu nichts führt, –«

Alexandra unterbrach ihn:

»Noch eine Frage. Auf wessen Seite steht der Fürst?«

»Für uns ist es kein Geheimnis,« antwortete der junge Offizier, »daß der Fürst um jeden Preis bei der Aufteilung der Republik Litauen einheimsen will. – Der Kurfürst und der schwedische König sind ihrerseits bereit, ihm dabei zu helfen.«

»Noch eins! – Sie kannten den Pan – Andreas Kmicic?«

»Ja, ich kenne ihn schon von Kiejdane her, zum letzten Male habe ich ihn in Pilwiszki gesehen.«

»Ist es wahr, – hat der Fürst die Wahrheit gesagt, – daß Pan Kmicic sich ihm für Geld angeboten hat, den König zu entführen?«

»Ich weiß es nicht. – Ich weiß nur das eine, daß die beiden zusammen in Pilwiszki konferiert haben. Dann ritt der Fürst mit ihm zusammen in den Wald und kehrte solange nicht zurück, daß Paterson begann unruhig zu werden und ihm einige Reiter entgegenschickte. Ich war unter diesen; wir trafen den Fürst unterwegs, und ich habe bemerkt, daß er sehr aufgeregt wie nach einem schweren, innerlichen Kampfe war. Er sprach mit sich allein, was er sonst nie tut. Ich hörte ihn sagen: »Der Teufel allein konnte so etwas wagen« – Erst später fiel mir ein, daß der Fürst mit seinem Ausspruche schon recht haben konnte.

Panna Billewicz preßte die Lippen fest zusammen.

»Ich danke Ihnen,« sagte sie, indem sie dem Kavalier die Hand reichte.

Als Alexandra allein blieb, beschäftigte sie nur der eine Gedanke: zu fliehen. Um jeden Preis aus diesen verräterischen Mauern heraus! Fort von diesen Tieren in Menschengestalt! Aber wohin sollte sie? Die Städte und Dörfer befanden sich noch in den Händen der Schweden. Das ganze Land wimmelte von Soldaten und Räuberbanden, – wer sollte sie begleiten? Panna Kulviec, der Miecznik mit einigen seiner Diener, – waren diese wenigen imstande, sie zu schützen? Was tun also? – Hier und dort erwartete sie das Verderben, – hier und dort wartete ihrer die Schande.

In ihrer Verzweiflung gedachte sie mit einem Male der Heide, in der sie die ungetrübten Jahre ihrer Kindheit verbracht hatte, und der Gedanke, daß allein die Heide ihr einen sicheren Unterschlupf gewähren könnte, durchzuckte wie ein Blitz ihren Kopf.

Alexandra atmete tief auf; sie hatte gefunden, was sie gesucht.

»Ja, ja, – nach Zielonka, nach Rogowska! Dorthin kommt der Feind nicht. Dort werden die Domaszewicz' und Stakjans mich aufnehmen, und sollten sie mit Wolodyjowski in den Krieg gezogen sein, so wandere ich weiter, durch dieselben Wälder weiter, in anderen Wojewodschaften Schutz zu suchen! – Also nach der Bialowiczer Heide! Morgen! Heute schon! – Wenn nur der Onkel bald zurückkehrte!«

In dem dunklen Dickicht des Waldes wollte sie sich verbergen, bis das Gewitter vorübergezogen war, und dann, – ins Kloster. – Nur da gab's für sie Ruhe und Frieden, nur da konnte sie die Menschen und ihren Kummer und Gram vergessen! – –


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