Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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10. Kapitel.

Kmicic begann mit den Vorbereitungen zur Reise. Da er zu seiner eigenen Sicherheit und auch, um sich ein größeres Ansehen zu geben, nicht allein reisen wollte, wählte er sich sechs Soldaten aus seinem Banner, die ihn begleiten sollten. Es waren alles sehr waghalsige und tollkühne Leute, die bereit waren, ihm bis ans Ende der Welt zu folgen. An ihrer Spitze stand der ihm treu ergebene Soroka.

Nach dem Mittagessen gab der Fürst Pan Andreas die Briefe und Geleitschreiben. Er bekreuzigte ihn und riet ihm mit fast väterlicher Zärtlichkeit, vorsichtig und aufmerksam zu sein.

Als die Turmuhr sieben schlug, standen die Pferde schon auf dem Hofe und stampften unruhig mit ihren Hufen das Pflaster. Ein eigentümlich quälendes Gefühl bemächtigte sich Pan Andreas'. Sollte er wirklich ohne Abschied reisen? War es denn möglich, sich, ohne ein Wort zu wechseln, für immer zu trennen? War es wirklich so weit zwischen ihnen gekommen? Wozu aber sollte er hingehen und ihr das sagen, was auch ohne Worte schon klar war?

»Ich gehe nicht zu ihr! Komme, was da will!« beschloß Kmicic. Er drückte hastig seine Mütze auf den Kopf und ging in den Korridor. Er wollte sogleich sein Pferd besteigen und möglichst schnell zum Tore hinausreiten.

Plötzlich aber zwang ihn das unwiderstehliche Verlangen sie zu sehen und zu sprechen, seinen Vorsatz wieder umzuwerfen. Mit geschlossenen Augen stürzte er vorwärts.

Vor dem Quartiere der Billewicz' stieß er auf den Diener des Rosiener Miecznik.

»Ist der Pan Miecznik zu Hause?«

»Er ist im Zeughause, bei den Offizieren.«

»Und die Panna?«

»Die Panna ist da.«

»So melde ihr, daß Pan Kmicic eine weite Reise antritt und sie vorher zu sprechen wünscht.«

Doch bevor der Diener den Auftrag ausführen konnte, drückte Kmicic die Türklinke auf und ging ohne Anmeldung hinein.

»Ich komme, um Abschied von Ihnen zu nehmen,« sagte er zu Alexandra. »Wer weiß, ob wir uns je im Leben wiedersehen werden. Ich wollte abfahren, ohne Ihnen Lebewohl zu sagen; aber ich brachte es nicht übers Herz. Gott allein weiß, wann ich zurückkomme, und ob ich überhaupt zurückkehre. Es ist nicht schwer, jetzt ums Leben zu kommen. Darum ist es besser, wir gehen ohne Zorn und Groll auseinander. – Mein Herz möchte Ihnen vieles, vieles sagen; aber die Zunge versagt mir. Klagen Sie mich nicht an, und auch ich werde Ihnen keine Schuld zuschreiben. Kümmern Sie sich nicht mehr um die Bestimmungen des Testamentes; denn Gottes Wille ist stärker als der menschliche. – Gebe Gott Ihnen noch viel Glück im Leben! – Die Hauptsache aber ist, daß wir einander vergeben!«

»Möge Gott auch Sie glücklich werden lassen!« antwortete Panna Alexandra.

Sie stand wie betäubt durch die Nachricht seiner Abreise vor ihm. Man sah es ihr an, daß sie all ihre Kräfte zusammennahm, um die Fassung zu wahren. Mit weit geöffneten Augen sah sie den Ritter an.

»Ich hege für Sie keine feindlichen Gefühle mehr,« fuhr Alexandra fort.

»Es wäre besser, wenn Sie das nie getan hätten!« rief Kmicic. »Welch ein böser Geist ist zwischen uns gefahren und trennt uns voneinander wie eine tiefe Kluft, ein großes Meer! Und es gibt keine Möglichkeit, sie zu überbrücken, das Wasser zu durchschwimmen! Wir taten nicht, was wir wollten, eine geheimnisvolle Macht hat uns getrieben. – Aber wenn es auch notwendig ist, daß wir uns aus den Augen verlieren, so wollen wir wenigstens gegenseitig Gottes Schutz auf uns herabflehen. – Das Gefühl des Zornes wohnt nicht in mir; aber ich fühle mich gekränkt, tief gekränkt. Vielleicht sind Sie nicht die Ursache dieses Gefühls, ich weiß es selbst nicht. – Doch ich meine, es wird uns beiden leichter ums Herz sein, wenn wir uns aussprechen. – Sie halten mich für einen Verräter,– das verletzt mich, deshalb, – weil ich bei meiner Seelen Seligkeit schwören kann, das bin ich nie gewesen und werde es niemals sein!«

»Ich glaube das auch jetzt nicht mehr von Ihnen,« sagte Alexandra.

»Wie aber konnten Sie nur einen Augenblick so etwas denken? Sie wußten, daß ich zu allem Möglichen fähig war, zum Niederbrennen, Niederstechen, – aber des Vorteils wegen zum Verräter werden, niemals! Sie sind ein Weib, Sie können nicht verstehen, worin einzig und allein die Rettung des Vaterlandes liegt. Aber Sie haben kein Recht, jemand zu beschuldigen und zu verurteilen. Über mich haben Sie den Stab gebrochen. – Gott vergebe es Ihnen! Sie sollen aber wissen, daß die Rettung des Vaterlandes in den Händen des Fürsten und der Schweden liegt. Wer anders denkt und gegen den Fürsten auftritt, der stürzt das Vaterland ins Verderben. – Ich habe jetzt keine Zeit, Ihnen das weiter zu erklären; ich muß abreisen. – Glauben Sie mir, daß ich kein Verräter, kein käuflicher Mensch bin! Sie haben mich ungerecht von sich gewiesen. Sie haben mich ungerecht zum Tode verurteilt. Das alles schwöre ich Ihnen zu. – Vergeben Sie mir, wenn ich Sie gekränkt habe, wie ich auch Ihnen von ganzem Herzen vergebe!«

Panna Alexandra war inzwischen ganz zu sich gekommen.

»Sie haben recht; ich habe Sie ungerecht verurteilt. Können Sie mir das wirklich verzeihen?«

»Und ob ich dir das verzeihe!« rief Kmicic begeistert. »Ich würde dir selbst meinen Tod verzeihen!«

»Möchte Gott Sie auf den rechten Weg zurückführen!«

»Genug, genug,« sprach Kmicic fieberhaft. »Nichts mehr davon, sonst könnte von neuem zwischen uns Zwietracht entstehen. Ob ich irre oder nicht, sprich nicht mehr darüber! Jeder von uns beiden handelt nach seinem Gewissen, und Gott sieht seine reinen Absichten. Wie gut ist es, daß ich hergekommen, um mich von dir zu verabschieden. Gib mir deine Hand; um mehr kann ich nicht bitten. – Morgen wirst du mich nicht mehr sehen, nicht übermorgen, nicht nach einem Monate, vielleicht niemals wieder. – Ach, Alexandra, mir ist ganz wirr im Kopfe, Alexandra, sollten wir uns wirklich nie wiedersehen!«

Große Tränentropfen perlten über ihre Wangen.

»Pan Andreas, verlassen Sie die Verräter! Und alles kann noch gut werden zwischen uns!«

»Still! Still!« antwortete Kmicic mit erstickter Stimme. »Es kann nicht sein! – Ich kann nicht! – Bitte mich nicht mehr darum. Viel tausendmal lieber möchte ich jetzt sterben, – das wäre weniger Qual! – Mein Gott, warum muß ich so leiden? Leb' wohl, zum letztenmal leb' wohl! Möchte der Tod mich von all dem Jammer erlösen. Weine doch nicht! Ich verliere den Verstand darüber, wenn du weinst!«

Er nahm sie in seine Arme und überhäufte sie mit Küssen; dann fiel er zu ihren Füßen nieder, sprang schnell wie von Sinnen wieder auf und stürzte aus dem Zimmer mit den Worten:

»Selbst der Teufel kann mir nicht mehr helfen!«

Alexandra sah durchs Fenster, wie er eiligst aufs Pferd sprang, wie die Schotten am Tore vor ihm präsentierten. Dann schloß sich das Tor hinter ihm; die Wachen kehrten auf ihre Plätze zurück.

Nacht, dunkle Nacht senkte sich auf die Erde nieder. – –


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