Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Kapitel.

Nachdem Kmicic Kiejdane befestigt und vor einem unerwarteten Überfall genügend gesichert hatte, konnte er seine Fahrt nach Billewicze nicht mehr aufschieben. Es war dem Pan Andreas nicht ganz Wohl zumute, als er sich an der Spitze von fünfzig Dragonern auf den Weg machte. Eine nicht zu bekämpfende Unruhe und das Gefühl, einer gewissen Niederlage entgegenzufahren, beschlich ihn. Er wußte, daß man ihn dort nicht freundlich empfangen würde und zitterte vor dem Gedanken, daß der Schlachtschitz ihn durch seinen Widerstand zwingen würde, seine Zuflucht zu Gewaltmaßregeln zu nehmen.

Er war fest entschlossen, dem Miecznik zuerst nur gut zuzureden und ihn zu bitten und nichts unversucht zu lassen, damit er freiwillig nach Kiejdane mitkomme. Um seiner Ankunft das Aussehen eines bewaffneten Überfalles zu nehmen, ließ er seine Dragoner in einer unweit von Billewicze gelegenen Schenke zurück und ritt, nur von einem Wachtmeister und einem Diener begleitet, vor das Herrenhaus. Eine bereit gehaltene Kalesche sollte ihm langsam folgen.

Die Sonne war schon merklich im Sinken, und in dem klaren Blau des Himmels schwammen vereinzelt kleine rosige Wölkchen, als Kmicic klopfenden Herzens durch das Dorf ritt. Gleich am Ende des Dorfes stand das Gutshaus, das alte Nest der Billewicz', hinter dem sich große und mit alten Bäumen bewachsene Gärten ausdehnten.

Kmicic mäßigte seinen Schritt und betrachtete gedankenvoll die sich vor ihm erhebenden Gebäude. Dem Herrenhaus, das aus vom Alter tief schwarz gewordenen Fichtenstämmen erbaut war, schlossen sich zwei sehr lange Seitenflügel an, in denen sich die Zimmer für die Gäste, die Küchen, Wohnräume der Dienerschaft, Speicher und Pferdeställe befanden. Die Front des Hauptgebäudes zierte eine Veranda, die mit dem Wappen der Billewicz' geschmückt war, das auffälligerweise nicht in der Mitte, sondern an einer Seite angebracht war.

Kmicic ritt zögernd durch das weit geöffnete Tor. Mitten auf dem Hofe wuchsen zwei Linden, in denen Störche ihre Nester gebaut hatten. An der einen Linde lag ein Bär angekettet. An der Einfahrt zum Hofe stand ein Kruzifix, und zwei Brunnen an den Seiten des Hofes vervollständigten das Bild der Wohnstätte eines wohlhabenden Schlachtschitzen. Die Hunde, die sich im Hofe umhertrieben, begannen bei der Ankunft des Fremden zu bellen, und mehrere Diener stürzten herbei, um die Pferde in Empfang zu nehmen.

Gleichzeitig erschien in der Tür des Herrenhauses eine weibliche Gestalt. Kmicic erkannte sogleich Panna Alexandra, – sein Herz begann stark zu klopfen. Er warf einem Diener die Zügel zu und ging, in der einen Hand den Säbel, in der anderen seine Mütze haltend, auf das Haus zu.

Panna Alexandra, die mit der Hand ihre Augen vor den blendenden Strahlen der sinkenden Sonne schützte, stand einen Augenblick still, dann, wie entsetzt durch den Anblick des nahenden Gastes, verschwand sie plötzlich.

»Schlimm,« dachte Kmicic, »sie flieht mich!«

Ein Gefühl der Bitterkeit und Enttäuschung stieg in ihm auf; tief im Innern hatte er doch gehofft, daß sie ihn mit vor Freude glänzenden Augen und geröteten Wangen empfangen werde.

Anstatt Panna Alexandra trat ihm der Miecznik mit unruhigem und finsterem Gesicht entgegen.

Kmicic verbeugte sich tief.

»Schon längst wollte ich Ihnen meine Ehrfurcht bezeugen; aber bei den jetzigen unruhigen Zeiten wird es einem beim besten Willen schwer, eine freie Minute zu finden.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie gekommen sind. Bitte, treten Sie hier ein,« antwortete der Miecznik und fuhr mit der Hand durch sein Haar, eine Bewegung, die er nur in Augenblicken der Unzufriedenheit und Verlegenheit machte.

Kmicic wollte zuerst nicht näher treten, aber schließlich mußte er doch nachgeben.

Es entstand ein Augenblick verlegenen Schweigens. Pan Andreas begann stark das Unangenehme seiner Lage zu fühlen. Der Pan Miecznik aber fuhr fort, mit der Hand sein Haar zu glätten.

»Würden Sie nicht ein Glas Met trinken?« fragte er endlich und zeigte auf einen gefüllten Krug und mehrere bereit stehende Gläser. »Ich bitte sehr!«

»Mit Vergnügen, Pan Miecznik,« antwortete Kmicic.

»Wie steht es bei Ihnen in Kiejdane?« erkundigte sich der Miecznik aus Höflichkeit. »Wie geht es dem Pan Hetman?«

»Nicht sehr gut,« antwortete Kmicic. »Wie sollte das auch anders sein, bei diesen unruhigen Zeiten. – Der Fürst hat viel Gram und Kummer. Nachdem er sich der Beihilfe Seiner Majestät des schwedischen Königs versichert hatte, hoffte er gemeinsam gegen den Feind ziehen zu können, um den Brand von Wilna zu rächen. Sie wissen ja, Wilna ist jetzt eine Ruine: siebzehn Tage hat dort die Feuersbrunst gewütet. Doch die Rebellen haben ihn daran gehindert. Anstatt mit dem Fürsten vereint gegen den Feind zu ziehen, haben sie ihn in seinen edlen Bestrebungen gehindert. Kein Wunder, wenn die Gesundheit des Pan Hetman leidet. In seinen besten Freunden sah er sich getäuscht. Diejenigen, auf die er am meisten gerechnet hatte, haben ihn verlassen, – oder sind gar auf die Seite der Feinde übergegangen.«

»Ja – ja,« sagte gewichtig der Miecznik.

»Das ist alles sehr traurig,« fuhr Kmicic fort. »Der Fürst hat auch Sie, Pan Miecznik, für den er eine besondere Ehrfurcht hegt, in Verdacht, daß Sie sich zu seinen Feinden zählen. Hätte der Fürst Zeit, er wäre gerne jetzt selbst zu Ihnen gekommen.«

»Zuviel Ehre!« erwiderte der Miecznik.

»Oh! sagen Sie das nicht! Nachbarn besuchen sich doch gern gegenseitig. Aber der Fürst hat keine freie Minute, daher gab er mir den Auftrag hierher zu fahren: »Sage dem Pan Billewicz, daß ich selbst keine Zeit habe, ihn aufzusuchen und fordere ihn auf, auf jeden Fall mit seiner Nichte zu mir zu kommen, unverzüglich; denn morgen schon weiß ich nicht, wo ich sein werde.« Dies waren seine Worte. Und ich freue mich, daß ich Sie beide in guter Gesundheit angetroffen habe und Ihnen diese Einladung überbringen konnte. Panna Alexandra, die ich vorhin einen Augenblick sah, läßt sich gar nicht mehr blicken.«

»Ich fühle mich sehr geschmeichelt,« sagte der Miecznik, »aber, gleich hinkommen, das kann ich nicht. – Bitte, entschuldigen Sie mich beim Fürsten.«

»Wenn der Fürst auffordert, so darf man nicht ablehnen.«

»Sie wollen mich also zwingen?« fragte der Miecznik.

»Pan Miecznik,« begann Kmicic lebhaft, »ich möchte Ihnen gegenüber nicht Gewalt gebrauchen, ich bitte Sie gehorsamst, führen Sie den Willen des Fürsten aus! – Ich stehe im Dienste und habe den Befehl, Sie nach Kiejdane zu bringen. Aber solange ich noch hoffen kann, Sie durch Bitten dazu zu bewegen, will ich nicht aufhören zu bitten. – Ich schwöre Ihnen, daß Ihnen kein Haar dort gekrümmt wird. Der Fürst will Sie sprechen; er will, daß Sie sich in Kiejdane aufhalten. Sie wissen ja selbst, daß die Bauern in der Umgegend plündernd umherziehen; dort aber werden Sie sicher sein. Man wird Sie mit allen Ehren aufnehmen wie einen Gast und Freund, darauf gebe ich Ihnen mein Ritterwort.«

»Als Edelmann protestiere ich dagegen, das Recht steht auf meiner Seite. – Das ist die größte Vergewaltigung, das heißt, die Freiheiten und Privilegien des Adelstandes verletzen!« rief der Miecznik mit erhöhter Stimme.

»Niemand wird Sie zwingen, wenn Sie freiwillig kommen,« entgegnete Kmicic. »Sehen Sie, meine Dragoner habe ich vor dem Dorfe zurückgelassen und bin allein hierher gekommen, um Sie zu bitten, wie ein Nachbar den anderen. Der Fürst wird sich noch persönlich bei Ihnen entschuldigen.«

»Wie kann ich Ihnen glauben, wenn Sie die würdigsten Staatsbürger Litauens ins Gefängnis geworfen haben?«

Kmicic atmete erleichtert auf, augenscheinlich begann der Miecznik in seinem Entschluß schwankend zu werden.

»Pan Miecznik,« begann er fast heiter, »gute Nachbarn bedienen sich oft sanfter Gewalt, die freundschaftlichen Gefühlen entspringt. Wenn Sie zum Beispiel der Kalesche eines teuren Gastes die Räder abnehmen lassen, ist das keine Vergewaltigung. Und, hören Sie, selbst wenn ich gezwungen gewesen wäre, Sie gebunden nach Kiejdane zu transportieren, so wäre das alles nur in Ihrem eigenen Interesse geschehen. – Der Fürst will nichts als Ihre persönliche Sicherheit. Eine fürstliche Abordnung wird Ihr Hab und Gut hier hüten wie den eigenen Augapfel.«

Der Miecznik begann auf und ab zu gehen.

»Kann ich Ihren Worten glauben?«

Kmicic wollte antworten, als sich die Tür öffnete und Panna Alexandra ins Zimmer trat. Der junge Ritter sprang auf und wollte ihr entgegeneilen, aber ihr kaltes, abweisendes Gesicht fesselte ihn an seinen Platz. Er beschränkte sich darauf, sich schweigend tief zu verneigen.

»Wir sollen nach Kiejdane übersiedeln,« sagte der Miecznik. »Und wenn wir es nicht freiwillig tun, so hat dieser Ritter den Befehl, uns mit seinen Dragonern zu umzingeln und uns mit Gewalt fortzuführen.«

»Habe ich Ihnen nicht vorausgesagt, Onkel, daß man uns hier nicht in Ruhe lassen wird, und daß wir möglichst weit fort fliehen sollten? Aber freiwillig werden wir nicht das Haus des Verräters betreten. – Mögen uns diese Raubmörder mit Gewalt fortführen! – Wir sind nicht die Einzigen, die den Verfolgungen des Abtrünnigen ausgesetzt sind, nicht uns allein wird seine Rache treffen. – Aber mag er wissen, daß wir tausendmal lieber den Tod erleiden wollen als diese Schmach!«

Und zu Kmicic gewandt, sprach sie mit dem Ausdrucke der größten Verachtung:

»Greifen Sie uns doch, Pan Offizier oder Pan Henker; binden Sie uns an Ihre Pferde fest, anders werden Sie uns nicht fortschaffen!«

Das Blut stieg Kmicic zu Kopfe. Einen Augenblick schien es, als wenn er in fürchterlichen Zorn ausbrechen würde, aber es gelang ihm, sich zu bezwingen.

»O, Panna!« sprach er mit dumpfer Stimme, »Sie haben keinen Funken Mitleid mit mir, wenn Sie mich einen Straßenräuber, einen Henker heißen. Gott möge richten, wer von uns beiden im Rechte ist: Ich, der ich dem Hetman diene, oder Sie, die Sie mich so schwer und unverdient beleidigen! – Sie überschreiten jede Grenze! – Ich schwöre, Sie überschreiten jede Grenze!«

»Sie spricht recht so,« rief der ermutigte Miecznik. »Wir rühren uns freiwillig nicht von der Stelle!«

Aber Kmicic beachtete ihn gar nicht: so tief war er erschüttert und aufgeregt.

»Sie haben mich,« fuhr er zu Alexandra gewandt fort, »einen Verräter genannt, Sie haben mich verurteilt, ohne mich anzuhören, ohne mir ein Wort zu meiner Verteidigung zu gestatten. – Schön, mag es so sein! – Aber nach Kiejdane werden Sie doch mitkommen, – mit oder ohne Ihren Willen, das ist gleich! Dort werden Sie meine Beweggründe kennen lernen; dort werden Sie erfahren, ob Sie mich gerecht verurteilt haben. Und Ihr Gewissen wird Ihnen sagen, wer von uns hier der Henker ist: dies sei meine Rache. Eine andere Rache will ich nicht!«

»Wir fahren nicht!« sagte entschlossen der Miecznik.

In diesem Augenblicke hörte man von draußen her das Aufschlagen vielzähliger Pferdehufe.

»Panna! In drei Minuten müssen Sie in der Kalesche sitzen, sonst wird Ihr Onkel erschossen!« sagte Kmicic.

Mehr und mehr nahm ein wilder Zorn von seiner Seele Besitz.

»Auf den Weg!« brüllte er mit donnernder Stimme, so daß die Fensterrahmen erzitterten.

Aber gleichzeitig wurde die Flurtüre leise geöffnet, und eine fremde Stimme fragte:

»Und wohin denn eigentlich, Pan Ritter?«

Die Augen aller wandten sich zur Türe. An der Schwelle stand ein kleiner Mann im Panzer mit gezogenem Säbel in der Rechten.

Kmicic wankte wie vor einer schrecklichen Vision zurück.

»Pan – Wolo-dyjowski!« rief er.

»Zu Diensten,« antwortete der kleine Ritter und trat mehrere Schritte vor.

Ihm folgten: Mirski, Zagloba, beide Skrzetuskis, Oskierka und Roch Kowalski.

»Wer ihr auch sein möget, Pan Ritter,« begann der Miecznik, »rettet einen Staatsbürger, den man ungeachtet seiner Stellung und seines Rechtes arretieren und fortführen will. Panowie, tretet für die Freiheiten der Schlachtschitzen ein!«

»Fürchten Sie nichts!« antwortete Pan Wolodyjowski, die Dragoner dieses Ritters sind gefesselt, und er selbst bedarf mehr als Sie der Hilfe.«

»Und eines Beichtvaters,« setzte Zagloba hinzu.

»Nun,« wandte sich Wolodyjowski an Kmicic, »Pan Ritter, es scheint, Sie haben kein Glück mit mir. Zum zweiten Male schon verlege ich Ihnen den Weg. – Sie haben gewiß nicht erwartet, mich hier zu sehen.«

»Nein,« entgegnete Kmicic, »ich glaubte Sie in den Händen des Fürsten.«

»Ich bin Gott Lob diesen Händen entschlüpft. Das aber ist eine andere Sache und gehört nicht hierher. – Als Sie zum ersten Male diese Panna entführten, habe ich Sie zum Zweikampf herausgefordert, – ist das wahr?«

»Es ist wahr,« sagte Kmicic und faßte unwillkürlich an seinen Kopf.

»Jetzt aber steht die Sache ganz anders. – Jetzt sind Sie nicht mehr wert, daß sich ein anständiger Mann mit Ihnen schlägt.«

»Und warum?« fragte Kmicic und sah mit stolz erhobenem Kopfe Wolodyjowski fest in die Augen.

»Weil Sie ein Verräter und Renegat sind, weil sie Tausende von Soldaten niedermetzelten, die dem Vaterlande treu blieben; weil durch Ihre Schuld dieses unglückliche Land unter der Last eines neuen Joches stöhnt! Kurz, machen wir schnell dem ein Ende! Wählen Sie, auf welche Weise Sie zu sterben wünschen! Ich schwöre zu Gott, Ihre letzte Minute ist gekommen!«

»Mit welchem Rechte wollen Sie über mich zu Gericht sitzen und mich hinrichten?« fragte Kmicic.

»Pan,« sagte Zagloba ruhig, – »beten Sie lieber, anstatt nach unseren Rechten zu forschen. Wenn Sie was zu Ihrer Verteidigung zu sagen haben, so beeilen Sie sich. Wie ich gehört habe, hat diese Panna Sie schon einmal aus den Händen Wolodyjowskis freigebeten. Aber nach allem, was Sie darauf getan haben, wird auch sie sich Ihrer nicht mehr erbarmen.«

Unwillkürlich richteten alle ihre Blicke auf Alexandra, deren Gesicht kalt und bleich, wie aus Marmor gemeißelt war. Sie stand unbeweglich, mit gesenkten Augen und sagte kein einziges Wort.

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille; plötzlich hörte man Kmicic' Stimme:

»Ich bitte diese Panna, nicht für mich einzutreten!«

Panna Alexandra schwieg.

»Hierher!« rief Wolodyjowski.

Im Flur erschollen schwere Schritte und Waffengerassel. Sechs Soldaten, Juzwa Butrym an ihrer Spitze, betraten das Zimmer.

»Nehmt ihn,« kommandierte Wolodyjowski, »führt ihn aufs Feld und erschießt ihn!«

Die schwere Hand Butryms legte sich auf Kmicic' Kragen.

»Ich dulde es nicht, daß man mich wie einen Hund führt,« sagte Pan Andreas zu Wolodyjowski, »ich gehe von selbst.«

Der kleine Ritter machte eine Handbewegung. Butrym gab den Gefangenen frei; die Soldaten umstellten ihn. Pan Andreas ging ruhig, ohne jemand anzublicken, hinaus.

Panna Alexandra schlich durch eine kleine Seitentür in die nebenliegenden Gemächer. Sie durchschritt im Dunkeln mehrere Zimmer. Plötzlich begann sich ihr im Kopfe alles zu drehen, sie rang vergeblich nach Luft und fiel zu Boden. Im ersten Zimmer herrschte mehrere Minuten dumpfes Schweigen, endlich begann zögernd der Miecznik:

»Und gibt es für ihn wirklich keine Gnade?«

»Er selbst hat viele Leute aus meinem Banner erschossen,« sagte Mirski.

»Und aus dem meinigen auch,« fügte Stankiewicz hinzu. »Und Niewiarowskis Leute hat er bis auf den letzten Mann niedergemetzelt.«

»Er tat doch aber alles dies auf Befehl Radziwills,« mischte sich Zagloba ein.

»Panowie, an mir wird Radziwill diese Tat rächen,« sprach der Miecznik.

»Sie müssen sogleich fliehen, Pan Miecznik. Verbergen Sie sich in der Bialowiczer Heide beim Hofjägermeister, einem Verwandten von Skrzetuski,« antwortete Wolodyjowski.

»Pan Michail,« unterbrach ihn plötzlich Zagloba, »ich will schnell hinlaufen und nachsehen, ob der Ärmste keine fürstlichen Befehle bei sich hat. Denken Sie daran, was für ein Schreiben ich bei Roch Kowalski fand.«

»Steigen Sie schnell auf ein Pferd, Jetzt ist es noch nicht zu spät. Nachher werden die Papiere mit Blut besudelt sein. Ich habe ihn absichtlich auf das Feld führen lassen, damit die Panna nicht die Schüsse zu hören braucht.«

Zagloba ging hinaus, und Pan Wolodyjowski wandte sich an den Miecznik:

»Wo aber ist Ihre Verwandte?«

»Sie betet wahrscheinlich für die Seele dieses Armen, der bald vor Gottes Richterstuhl stehen wird.« –

»Er ist unzweifelhaft schuldig und hat seine Hinrichtung wohl verdient,« sagte Stanislaus Skrzetuski.

»Wie groß sein Verbrechen ist, können Sie daran ermessen,« fügte Oskierka hinzu, »daß selbst die Panna, die erst seine Braut war, kein Wort zu seiner Verteidigung fand.«

»Ich habe es ihr wohl angemerkt, wie sie gelitten hat. – Wie sollte sie aber für einen Verräter Partei nehmen?«

»Schon gut, schon gut,« rief der kleine Ritter. »Wir wollen uns nur ein wenig ausruhen, und dann weiter fahren.«

»Ja, es ist wahr,« entgegnete der Miecznik, indem er das Zimmer verließ.

Nach einigen Augenblicken hörten die Ritter einen markerschütternden Ruf. Sie eilten hinzu und fanden den Miecznik neben Alexandra, die besinnungslos am Erdboden lag. Die Dienerschaft stürzte mit Kerzen in den Händen herbei. – Wolodyjowski und der Miecznik hoben die Panna auf und betteten sie auf ein Sofa. Bald gelang es den Bemühungen der beiden, Alexandra ins Leben zurückzurufen; sie schlug die Augen auf.

»Für die Herren ist hier nichts mehr zu tun,« sagte die alte Haushälterin. »Gehen Sie ruhig in ein anderes Zimmer, ich werde schon selbst alles weitere besorgen.«

»O Gott, was gäbe ich darum, wenn dieses alles nicht geschehen wäre!« wiederholte der Hausherr ganz außer sich. »Sie hätten den Unglücklichen mitnehmen und ihr Urteil unterwegs vollziehen sollen. – Wie soll ich jetzt die weite Reise mit dem Mädchen machen? Sie wird mir vielleicht noch krank werden.«

»Was geschehen ist, ist jetzt nicht mehr zu ändern,« sagte Wolodyjowski ernst, »die Panna kann die von Kmicic mitgebrachte, bequeme Kalesche benutzen. Fort von hier müssen Sie auf alle Fälle. Sagen Sie der Panna, sie müsse alle ihre Kräfte zusammenraffen, denn Radziwills Rache wird niemanden schonen.«

»Das ist wahr,« gab der Miecznik zu, »ich gehe!«

Nicht lange darauf kehrte er mit seiner Nichte zurück. Panna Alexandra war schon reisefertig angekleidet. Auf ihrem Gesichte lag eine helle Röte, und ihre Augen glänzten fieberhaft.

»Laßt uns schnell abfahren!« sagte sie beim Hereinkommen.

Nach einer Viertelstunde hörte man Pferdegetrappel und das Gerassel eines ankommenden Wagens.

»Fahren wir! fahren wir!« sagte Alexandra.

In diesem Augenblicke tat sich die Tür auf und Pan Zagloba kam hereingestürzt.

»Ich habe die Hinrichtung aufgehalten!« rief er.

Alexandra wurde wieder bleich, es schien einen Augenblick, als wollten sie die Kräfte von neuem verlassen; keiner aber hatte Zeit, in diesem Augenblicke auf sie zu achten. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf Zagloba, der noch ganz außer Atem war, und nach Luft rang.

»Sie haben die Hinrichtung aufgehalten?« fragte der erstaunte Wolodyjowski. »Und aus welchem Grunde?«

»Aus welchem Grunde? – Laßt mich erst ein wenig zu Atem kommen. Wäre nicht dieser Kmicic, dieser wackere Ritter, so würden wir alle schon an Kiejdaner Bäumen hängen. Uff, unseren Retter wollten wir töten, Panowie. Was sagen Sie dazu? Uff – uff – –«

»Wie geht das zu?« riefen alle auf einmal.

»Wie das zugeht? – Da, lest mal diesen Brief, dann werdet ihr alles wissen.«

Wolodyjowski begann den Brief laut vorzulesen, in dem Radziwill Kmicic bittere Vorwürfe darüber machte, daß er die in Kiejdane gefangengehaltenen Obersten dank seiner Fürsprache nicht zum Tode verurteilt hatte. Der Brief endigte mit dem schon bekannten Auftrag, Alexandra und den Miecznik nach Kiejdane zu bringen. – Allem Anscheine nach hatte Kmicic dieses Schreiben zu sich gesteckt, um es nötigenfalls dem Miecznik vorzuzeigen.

Es war außer Zweifel, daß Kmicic die beiden Skrzetuskis, Pan Wolodyjowski und Zagloba vor dem sicheren Tode gerettet hatte.

»Panowie!« sagte Zagloba, »wenn Sie jetzt noch Ihren Befehl, ihn zu erschießen, aufrecht erhalten, so will ich wahrhaftig nichts mehr von Ihnen wissen und werde Sie auf der Stelle verlassen!«

»Davon kann jetzt natürlich nicht mehr die Rede sein,« sagte Wolodyjowski.

»Ei, ei,« rief Pan Skrzetuski aus, »was für ein Glück, daß Sie den Brief noch zur rechten Zeit gelesen haben!«

»Sie haben eine ungewöhnlich gute Witterung!« fügte Mirski aufrichtig hinzu.

»Gleich, als er mir den Brief gab, und ich ihn bei der Laterne las, war mir, als hätte mir jemand eins über den Kopf gegeben. – »Um Gottes willen, Ritter,« sagte ich, »warum gaben Sie uns den Brief nicht gleich?«

»Weil ich nicht wollte,« erwiderte er. – »Dieser unbändige Stolz, nicht einmal vor dem Tode läßt er ihn fahren! – Ich befahl, ihn sofort frei zu lassen und hierher zurückzubringen.«

Bald nach diesen Worten erschien Kmicic, von den Soldaten umringt, in der Türe.

»Sie sind frei, Pan Kmicic!« sprach Wolodyjowski hastig, »und solange wir am Leben sind, wird keiner von uns sich je an Ihnen vergreifen. – Doch sagen Sie, warum waren Sie so verzweifelt, daß Sie uns den Brief Radziwills nicht von selbst zeigten?« Und dann wandte er sich an die dabeistehenden Soldaten: »Gebt ihn frei und besteigt eure Pferde.«

Die Soldaten gingen hinaus, und Pan Andreas blieb mitten im Zimmer allein stehen. Sein Gesicht war ruhig, aber sehr finster.

»Sie sind frei!« wiederholte Wolodyjowski: »Sie können gehen, wohin Sie wollen, selbst zu Radziwill zurück. – Es ist schmerzlich zu sehen, daß ein Ritter, ein Nachkomme berühmter Ahnen, Helfershelfer eines Verräters ist.«

»Überlegen Sie sich gründlich Ihre Worte,« entgegnete Kmicic. »Ich sage Ihnen im voraus, daß ich zu niemandem anders als zu Radziwill zurückkehren werde.«

»Schließen Sie sich doch uns an,« rief Zagloba. »Hol der Teufel diesen Kiejdaner Tyrannen! Sie werden uns stets ein guter Freund, ein teurer Kamerad sein. Und das Vaterland wird Ihnen alle Ihre Vergehen vergeben.«

»Auf keinen Fall!« antwortete Kmicic energisch, »Gott allein wird darüber richten, wer von uns dem Vaterlande besser dient. Sie, die Sie auf eigene Gefahr und Verantwortung den Bürgerkrieg entfachen, oder ich, der ich einem Fürsten diene, der allein imstande ist, unsere unglückliche Republik zu retten. – Gehen Sie Ihren Weg; ich werde den, meinen verfolgen. – Mir ist es nicht gegeben, Sie auf den rechten Weg zurückzuführen. Eins aber sage ich Ihnen aus meinem innersten Herzen heraus: Sie sind es, die das Vaterland zugrunde richten, die ihm den Weg zu seiner Rettung durch unüberwindliche Hindernisse versperren. – Ich nenne Sie nicht Verräter, – ich weiß, Ihre Absichten sind rein – aber bedenken Sie, das Vaterland wird zugrunde gehen. Radziwill streckt seinen rettenden Arm darüber aus, und Sie verwunden diesen Arm mit Schwertern, Sie nennen in Ihrer Verblendung ihn und alle, die ihm treu geblieben sind, Verräter!«

»Bei Gott!« rief Zagloba aus, »wäre ich nicht Zeuge gewesen, mit welchem Heldenmute Sie in den Tod gingen, ich würde Sie einen Feigling nennen. Wem haben Sie Treue geschworen: Radziwill oder Jan-Kasimir? Den Schweden oder der Republik? Es scheint, Sie haben Ihren Verstand vollkommen verloren.«

»Ich wußte, daß Sie meine Worte nicht überzeugen werden. – Lebt wohl!« sagte Kmicic.

»Wartet einen Augenblick,« fiel Zagloba ihm ins Wort, »eine sehr wichtige Frage noch. Sagen Sie, Ritter, hat Radziwill Ihnen versprochen, uns zu schonen, als Sie in Kiejdane darum baten?«

»Ja,« erwiderte Kmicic, »Sie sollten während des Krieges in Birze bleiben.«

»So, nun erkennen Sie Ihren Radziwill. – Er betrügt nicht nur das Vaterland, sondern auch seine Diener. Da ist ein Brief an den Kommandanten von Birze. Ich fand ihn bei dem Offizier, der unseren Convoi befehligte. Lesen Sie!«

Pan Zagloba überreichte Kmicic den Brief des Hetman. Dieser nahm und las ihn, und das Blut schoß ihm zu Kopfe. Er schämte sich ob der Hinterlist seines Führers.

Dann zerknüllte er den Brief und warf ihn zornig auf den Boden.

»Lebt wohl!« wiederholte er. »Es wäre mir besser, ich wäre hingerichtet worden!«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

»Wie der Türke an seinen Mohamed, so glaubt er an seinen Radziwill. Und wir alle glaubten, daß er dem Fürsten aus Eigennutz oder Ehrgeiz dient! Nein! das ist kein schlechter, sondern ein irregeleiteter Mensch.«

»Nun, den Glauben an seinen Mohamed, den haben wir stark erschüttert,« bemerkte Zagloba. »Haben Sie gesehen, wie er sich beim Lesen des Briefes gewunden hat? Ich glaube, dieser Ritter ist imstande, nicht nur über einen Radziwill herzufallen, sondern selbst über den Teufel. Ich schwöre bei Gott, dieser Tag ist der schönste in meinem Leben, weil ich ihm das Leben gerettet habe.«

»Gott mit ihm!« sagte Wolodyjowski hastig. – »Jetzt aber ist es Zeit, auf die Pferde zu steigen und weiter zu reiten. Fahren Sie mit uns?« wandte er sich an den Miecznik.

»Hier kann ich nicht bleiben, das ist schon wahr, aber so schnell kann ich mich nicht reisefertig machen. Die Vorbereitungen zu solch einer Fahrt sind keine Kleinigkeit. Gott allein weiß, wann ich zurückkommen werde. Höchstens morgen in aller Frühe könnten wir aufbrechen, jetzt gleich, das geht wirklich nicht.«

»Wir aber können nicht warten, über unseren Köpfen schwebt das Schwert,« entgegnete Wolodyjowski. »Wohin gedenken Sie zu gehen?«

»Ich werde Ihren Rat befolgen und nach der Heide gehen. Wenigstens werde ich meine Nichte dort unterbringen. Ich selbst bin noch nicht zu alt, daß ich nicht mit meinem Säbel dem Vaterlande von Nutzen sein könnte!«

»Nun denn, so leben Sie wohl! – Mögen wir uns in glücklicheren Zeiten wieder begegnen!«

Pan Michail umarmte den Miecznik und verabschiedete sich von Alexandra.

»Panna, gedenken Sie zuweilen des Soldaten, der bereit ist, für Ihr Wohlergehen alles zu opfern!« Auch Zagloba und die anderen traten hinzu und verabschiedeten sich von Miecznik.

»Grüßen Sie meine Frau und meine Kinder, wenn Sie sie in der Heide treffen, Panna,« sagte Jan Skrzetuski.

»Nehmen Sie, reizendes Kind, auch die Huldigung eines alten Mannes entgegen,« sprach Zagloba als letzter, »umarmen Sie Pani Skrzetuski und die beiden kleinen Raufbolde!«

Alexandra ergriff statt einer Antwort stillschweigend seine Hand und küßte sie.– – –


 << zurück weiter >>