Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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2. Kapitel.

Zwei polnische Regimenter, die am meisten bei dem Treffen mit Karl-Gustav gelitten hatten, bedurften der Erholung, und Pan Czarniecki hielt es für nötig, sie nach Zamoscie zu schicken. Pan Sobiepan empfing die Offiziere sehr freundlich, und als er ihre Namen Wolodyjowski und Skrzetuski hörte, geriet er in Begeisterung und bat sie, an seiner Tafel teilzunehmen.

Die Schweden näherten sich inzwischen auch Zamoscies, und in der Festung traf man Vorbereitungen zur Verteidigung. Skrzetuski und Wolodyjowski, die beide mit der schwedischen Taktik vertraut waren, postierten sich auf den Mauern.

Besonderen Gefallen fand der Pan Obermundschenk an Zagloba, dessen Rat er des öfteren einholte. Bei der Tafel erzählte Zagloba den andächtigen Zuhörern von den Kriegen mit den Kosaken, von Radziwills Verrat und davon, wie er Sapieha protegiert habe.

Eines Morgens, als Wolodyjowski von einer nächtlichen Visitation der Umgebung zurückkehrte, brachte er mehrere schwedische Gefangene mit sich, die alle bestätigten, daß sich der König persönlich bei der Armee befinde und bald Zamozcie belagern würde.

Pan Zamoyski freute sich ungemein: es reizte ihn schon längst, die Wirkung seiner Kanonen an den Schweden auszuprobieren.

»Wenn es mir zuteil wird, dem Könige und dem Vaterlande einen Dienst zu erweisen,« sagte er auf dem einberufenen Kriegsrat, »so versichere ich euch im voraus, daß ich die Festung eher in die Luft sprengen werde, als sie dem Feinde zu übergeben. – Sie wollen Zamozcie mit Gewalt nehmen, – mögen sie es probieren! Und jetzt, Panowie, gehen wir auf die Wälle!«

Die Mauern der Festung strotzten von Soldaten. Infanterieregimenter, wie sie die ganze Republik nicht aufweisen konnte, standen schußbereit mit den Musketen in den Händen und den Blick ins Feld gerichtet da. Bei den Geschützen, die ihre langen Hälse aus Neugierde weit auszustrecken schienen, gingen Vlämen auf und ab, die man für die erfahrensten im Artilleriewesen hielt. Außerhalb der Festung waren unter dem Schutze der Kanonen mehrere Regimenter leichter Kavallerie postiert.

Pan Zamoyski ritt im Harnisch, mit einem goldenen Stabe in der Hand, die Mauern entlang und fragte jede Minute:

»Sind die Schweden noch nicht zu sehen, wie?« Und wenn er eine verneinende Antwort erhielt, so schimpfte er.

Endlich verkündete jemand: »Sie kommen!« Und Pan Zamoyski, begleitet von Zagloba, eilte auf einen Turm.

Vom Turm aus bot sich den beiden ein bezauberndes Bild. Die Schweden nahten in dichten Massen. In der Mitte jedes Infanterieviereckes marschierten Bogenschützen. Über ihnen flatterten verschiedenfarbige Fahnen, vorzüglich himmelblaue mit weißen Kreuzen oder mit goldenen Löwen. In einer Entfernung von doppelter Schußweite machten die Schweden vor der Festung Halt. Einige der Vierecke zerstreuten sich nach verschiedenen Seiten; andere schienen Zelte aufschlagen und Schanzen aufwerfen zu wollen.

»Das sind sie also!« sagte Pan Zamoyski. »Man kann sie an den Fingern abzählen.«

»Solche erfahrenen Praktiker wie ich brauchen nicht erst zu zählen, ein Blick genügt schon,« antwortete Zagloba. »Es sind ihrer zehntausend Mann Reiter und achttausend Mann Infanterie und Artillerie.«

Nach einiger Zeit meldete man dem Pan Obermundschenk, daß ein Abgesandter des schwedischen Königs, Pan Jan Sapieha, ihn zu sprechen wünschte.

Pan Zamoyski zog die Brauen zusammen und antwortete stolz:

»Sage dem Pan Sapieha, daß Zamoyski nicht mit Verrätern spricht. Wenn der schwedische König mit mir in Unterhandlungen treten will, so mag er mir einen Schweden hersenden. Polen jedoch, die den Schweden dienen, werde ich zu meinen Hunden schicken; denn ich achte sie ihnen gleich.«

»Das ist eine Antwort!« rief Zagloba mit ungekünstelter Begeisterung. – »Gestatten Sie mir, daß ich selbst sie ihm bringe?«

Und ohne die Erlaubnis abzuwarten, stürzte er davon und bestellte dem Pan Sapieha die Antwort, nicht ohne einiges von sich selbst noch hinzuzufügen.

Sapieha kehrte bleich und mit zusammengepreßten Lippen zu Karl-Gustav zurück.

»Nun, was?« fragte der König.

»Nichts! Zamoyski will mit Polen, die Euer Majestät dienen, nicht unterhandeln. Er schickte mir seinen Narren, der mich so mit Beleidigungen überhäufte, daß ich es nicht wage, Euer Majestät auch nur die Hälfte davon wieder zu erzählen.«

»Mir ist es ganz gleich, mit wem er unterhandeln will. Ich werde Forgell zu ihm schicken.«

Der schlaue schwedische General, der den Reichtum und den Luxus bemerkte, die Zamoyski umgaben, begann, Pan Sobiepan wie einen Karl-Gustav ebenbürtigen Monarchen zu behandeln. Pan Zamoyski bemerkte jedoch die Absicht und gab ihm zu verstehen, daß er kein selbständiger Herrscher sei.

»Hoheit,« fuhr Forgell unverdrossen fort, »mein König ist nicht als Feind, sondern als Gast hierher gekommen und hegt die Hoffnung, daß Sie ihm und seinen Truppen die Festungstore öffnen werden.«

»Es ist bei uns die Sitte, selbst einem ungebetenen Gast die Gastfreundschaft nicht zu versagen,« entgegnete Pan Zamoyski. »Für eine so hohe Persönlichkeit wird sich stets ein Platz an meiner Tafel finden, sogar der beste. Ich bitte Sie, melden Sie Seiner Majestät, daß ich ihn höflichst zu mir lade, um so mehr, als er in Schweden ein ebensolcher Herrscher ist, wie ich in Zamoscie. Aber, wie Sie selbst sehen, gebricht es mir durchaus nicht an Dienerschaft, und Seine Majestät braucht nicht seine eigene mitzubringen.«

»Mein Herrscher wird seinerseits unzufrieden sein über das Mißtrauen, das Ihre Hoheit ihm bezeigen, indem Sie seine Garnison nicht in Ihre Festung einlassen wollen. Ich gestatte mir, Ihnen zu versichern, daß der König nicht die Absicht hat, Zamoscie lange besetzt zu halten. Nur, weil Jan-Kasimir, ohne die Folgen seiner Handlungen abzuwägen, sich gegen uns mit den Tataren und Türken verbunden hat, gedenkt Seine Majestät, Zamoscie als Stützpunkt zu benutzen, von wo aus er die Rebellen verfolgen kann. Da Karl-Gustav jedoch weiß, daß sich der Besitzer von Zamozcie nicht allein durch seine edle Abstammung und seinen Reichtum und Scharfblick auszeichnet, sondern vor allem durch seine Vaterlandsliebe, so sagte er zu mir: »Dieser wird meine Bestrebungen, dem schwergeprüften Lande wieder Frieden und Ruhe zurückzugeben, verstehen. Er wird mir seine Hilfe nicht versagen.« – Ja, Hoheit, von Ihnen hängt das Schicksal Ihres Landes ab. Der König erwartet, daß Ihre Weisheit Sie bewegen wird, mit ihm in einer Richtung zu handeln. Daher will er nicht befehlen, sondern nur bitten. Ohne zu Drohungen Zuflucht zu nehmen, bietet er Ihnen seine Freundschaft an: er will sich Ihnen gegenüber nicht wie ein Herrscher zum Untertanen, sondern wie gleich zu gleich stellen.«

Hier machte General Forgell dem Pan Obermundschenk eine so tiefe Verbeugung, als wenn er sich wirklich vor einem regierenden Fürsten verneigte.

Es trat tiefes Schweigen ein.

Pan Zamoyski wandte sich in seinem vergoldeten Sessel um, stemmte beide Handflächen gegen die Kniee und antwortete:

»So ist es! – Ich bin Seiner Majestät für seine schmeichelhafte Meinung über meinen Geist und meine Vaterlandsliebe sehr verbunden. Für mich kann es nichts Angenehmeres geben, als die Wohlgeneigtheit eines solchen mächtigen Herrschers. Aber ich denke, wir könnten uns gegenseitig ebenso hoch achten, wenn Seine Majestät in Stockholm geblieben wäre. Meine Liebe zur Republik bestreite ich nicht; aber ich meine, die Schweden würden der Republik einen großen Dienst erweisen, wenn sie sich aus ihren Grenzen entfernen würden. Ich bezweifle auch durchaus nicht, daß Zamoscie Seiner Majestät wirklich helfen könnte, Jan-Kasimir zu besiegen; aber, hören Sie, ich habe nicht dem schwedischen Könige, sondern gerade Jan-Kasimir Treue geschworen. Und deshalb wünsche ich auch diesem den Sieg. Zamoscie gebe ich nicht her! Das ist alles, was ich Ihnen zu erwidern habe.«

Forgell geriet in Verwirrung und schwieg einen Augenblick. Er sah ein, daß er zu entschiedeneren Mitteln greifen müsse. Und indem er eine Pergamentrolle aufwickelte, sagte er laut und feierlich:

»Für die Öffnung der Festungstore verleiht Ihnen Seine Majestät die Lubelsker Wojewodschaft zu erblichem und ewigem Besitze.«

Alle waren bei diesen Worten sprachlos; einen Augenblick lang war selbst Pan Zamoyski ganz verblüfft. Plötzlich vernahm man Zaglobas Stimme. Er sprach polnisch:

»Versprechen Sie ihm dafür, Pan Obermundschenk, die Niederlande!«

Und ohne lange zu überlegen, schmetterte Pan Zamoyski auf lateinisch laut in den Saal hinein:

»Und ich schenke Seiner Majestät dem Könige von Schweden die Niederlande!«

Im Saale erscholl lautes, unbezähmbares Gelächter; Forgell wurde blaß und zog die Brauen zusammen. Als das Lachen sich gelegt hatte, fragte er mit hocherhobenem Kopfe und funkelnden Augen:

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Nein,« sagte Zamoyski, den Kopf noch höher erhebend, »auf meinen Mauern befinden sich noch Kanonen!«

Zwei Stunden später eröffneten die Schweden das Bombardement. Zamozcie antwortete mit derselben Energie. Aber während die schwedischen Geschosse ohne jedes Resultat in die mächtigen Festungsmauern einschlugen, fügten Zamoscies Geschosse dem Feinde großen Schaden zu. Gegen Abend mußten die Schweden die vorderen Positionen räumen.

Der bis aufs äußerste gereizte Karl-Gustav befahl, die umliegenden Dörfer und Städtchen anzuzünden. Pan Zamoyski nahm gar keine Notiz von alledem und gab seinen Offizieren ein glänzendes Festmahl.

Wolodyjowski und einige Offiziere ersuchten Zamoyski um die Erlaubnis, einen Ausfall machen zu dürfen, aber der Obermundschenk verbot dies. Er wollte unnützes Blutververgießen soviel als möglich vermeiden, denn er meinte, daß es dadurch leicht zu einer offenen Schlacht kommen könnte, weil ein so erfahrener Stratege wie Karl-Gustav sich nicht überrumpeln lassen werde.

Während des ganzen schwedischen Angriffs blieb Zagloba auf den Festungsmauern und unterhielt die Soldaten, indem er ihnen erlebte und erdichtete Geschichten aus seinem Leben erzählte. Das Herz des alten Schlachtschitzen wollte vor Freude zerspringen angesichts der allgemeinen Opferfreudigkeit, die die polnischen Gemüter jetzt beherrschte.

»Ja, Pan Michail,« sprach er zu Wolodyjowski, »andere Zeiten sind für die Republik angebrochen. Erinnern Sie sich, vor einem Jahre noch hörte man nur, der hat die Treue gebrochen, jener hat das schwedische Protektorat angenommen, und jetzt brauchen die Schweden selbst die Hilfe des Teufels. Unsere Leiber sind voll und stramm wie eine Trommel, und sie sterben fast Hungers.«

Pan Zagloba hatte mit seiner letzten Bemerkung recht. Die Schweden hatten nur wenig Vorräte und konnten von nirgend her welche bekommen. Alles, was die umliegenden Dörfer an Lebensmitteln hatten, hatte Pan Zamoyski vorher in die Festung schaffen lassen. In den entfernteren Orten hielten sich aber die Konföderierten und bewaffnete Bauernparteien auf, so daß die Schweden sich nur mit Lebensgefahr von der Hauptarmee entfernen konnten.

Dazu kam noch, daß Czarniecki nicht über die Weichsel zog, sondern fortfuhr, die schwedische Armee zu umschleichen, wie ein Wolf den Schafstall. Wieder begannen nächtliche Überfälle, und ganze Truppenteile verschwanden spurlos für immer. Unbekannte polnische Abteilungen schnitten dem schwedischen Heere jegliche Verbindung mit der Weichsel ab. Endlich kam auch die Nachricht, daß Pan Paul Sapieha mit einer starken litauischen Armee auf Zamoscie zu marschiere, daß er unterwegs Lublin genommen und die schwedische Garnison vernichtet habe.

Der alte Wittemberg sah die ganze Trostlosigkeit der Lage ein und verhehlte dem Könige seine Bedenken nicht. In seinem Innern war Karl-Gustav wohl mit ihm einverstanden; aber er hörte nicht auf, auf irgend einen glücklichen Zufall zu hoffen. Nach mehreren Tagen fürchterlichen Feuerns schickte der Schwedenkönig nochmals Forgell in die Festung.

»Seine Majestät,« begann der General, sich zu Zamoyski wendend, »denkt, daß der von unseren Kanonen Ihnen zugefügte Schaden Sie weicher gestimmt habe, und daß Sie jetzt geneigt seien, in Unterhandlungen einzutreten.«

»Ja, ja,« gab Zamoyski zu, »einen Schaden haben Sie uns wirklich zugefügt. Die Splitter einer Ihrer Granaten töteten ein auf dem Marktplatz spazierendes Schwein. – Schießen Sie ruhig noch eine Woche weiter, so werden Sie vielleicht auch ein zweites töten.«

Forgell brachte diese Antwort dem Könige. Abends hielt Karl-Gustav einen Kriegsrat ab, und am folgenden Morgen wurden die Zelte gepackt und die Geschütze von den Schanzen heruntergenommen. In der Nacht setzte sich die ganze schwedische Armee in Bewegung. Wittemberg riet dem Könige, nach Warschau zu gehen, da darin allein das einzige Rettungsmittel liege, aber der schwedische Alexander war fest entschlossen, den polnischen Darius bis an die äußersten Reichsgrenzen zu verfolgen. – –


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