Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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12. Kapitel.

Am ersten Juli wurde vor den versammelten Truppen eine feierliche Messe gelesen. Dann gingen die Führer mit ihren Soldaten zu den ihnen angewiesenen Stellungen. Man zögerte noch mit dem Anfange des Sturmes, da man die letzte Antwort Wittembergs auf das Schreiben des Großkanzlers erwarten wollte. Gegen Mittag kehrte der Abgesandte zurück. Wittemberg hatte die Übergabe abgelehnt, und man begann Warschau zu stürmen.

Die Krontruppen Czarnieckis, die königlichen Regimenter, Zamoyskis Infanterie, die Litauer und die Landwehr stürzten wie eine grimmige Meereswelle zu den Mauern. Bald verhüllte Pulverdampf die Festungsmauern, die Ströme von Feuer und Eisen ausspieen.

Bomben, Granaten und Kugeln richteten in den Reihen der Soldaten fürchterliche Verwüstungen an; aber die Polen stürmten, ohne den Gefahren irgend welche Beachtung zu schenken.

Bald waren die Masuren und Großpolen in die Krakauer Vorstadt eingedrungen, wo die Schweden fast jedes Haus in eine Festung verwandelt hatten. Aber ein Palais nach dem anderen, ein Haus nach dem anderen wurde genommen. Die Truppen drangen auf allen Seiten unaufhaltsam vor und verdrängten die Schweden aus ihren Stellungen.

Plötzlich erscholl von dem Turme einer eben gewonnenen Kirche eine Stimme:

»Czarniecki ist in das Innere der Stadt eingedrungen! Unsere Fahnen sind dort zu sehen!«

Das schwedische Feuer beginnt langsam schwächer zu werden und hört schließlich fast ganz auf. In diesem Augenblicke sieht man auf dem Krakauer Tor eine weiße Fahne wehen.

Wirklich, nachdem Czarniecki eine wichtige Stellung nach der anderen genommen hatte und ins Innere der Festung eingedrungen war, wohin die Litauer ihm gefolgt waren, sah Wittemberg ein, daß jeder weitere Widerstand zwecklos war. Freilich konnten sich die Schweden in den befestigten Häusern der alten und neuen Stadt eine Zeitlang halten; aber es war gar keine Aussicht auf einen Sieg der Schweden vorhanden, ihre völlige Vernichtung war unvermeidlich.

Auf den Mauern erschienen Parlamentäre mit weißen Fahnen. Die polnischen Feldherren stellten den Sturm ein, und schon eine Viertelstunde später ritt General Löwenhaupt in Begleitung mehrerer Obersten zum Könige, um Unterhandlungen mit ihm einzuleiten.

Die Stadt war zwar in Jan-Kasimirs Händen, aber der gutherzige König wollte das unnötige Vergießen christlichen Blutes verhindern. Er willigte daher in die von Wittemberg angegebenen Bedingungen ein: Die Schweden lieferten den Polen die Stadt mit aller darin befindlichen Beute aus; die Garnison erhielt das Recht des freien Abzuges mit den Waffen und den Verwundeten. Den Polen, die auf seiten der Schweden gefochten hatten, wurde Amnestie gewährt, mit Ausnahme von Boguslaw Radziwill, den Wittemberg leichten Herzens fallen ließ.

Diese Kapitulationsbedingungen wurden sofort unterzeichnet. Alle Glocken der Stadt läuteten und verkündeten, daß die Hauptstadt wieder in die Hände des rechtmäßigen Königs übergehe. Jan-Kasimir ritt, umgeben von einer glänzenden Suite hinaus, um dem Abzuge der schwedischen Garnison beizuwohnen.

Zuerst erschien die Reiterei, dann die Feldartillerie mit den leichteren Geschützen, neben denen die Kanoniere mit brennenden Lunten und stolz erhobenem Kopfe marschierten, als wenn sie den polnischen Rittern zurufen wollten: »Bald begegnen wir uns wieder.« Dann folgten Fuhren mit verwundeten Offizieren, In den ersten lag der Kanzler Benedikt Oxenstierna, Jan-Kasimir befahl, ihm die militärische Ehre zu erweisen. Endlich erschien eine Abteilung prachtvoll gekleideter Reiter, die vom Scheitel bis zur Sohle in Stahl gehüllt waren. Über ihnen wehte eine himmelblaue Fahne, auf der ein goldener Löwe gestickt war. Diese Reiter umgaben den Hauptstab.

»Wittemberg! Wittemberg!« durchlief ein Murmeln die Reihen der polnischen Truppen.

In der Tat, es war Wittemberg selbst, der von dem jüngeren Wrangel, Horn, Löwenhaupt und Forgell begleitet wurde. Die Augen aller polnischen Ritter waren auf Wittemberg gerichtet. Sein Äußeres harmonierte bei weitem nicht mit dem Bilde, das man sich von einem so bedeutenden Feldherrn gemacht hatte. Er war ein äußerst hagerer Mann mit einem kränklichen Gesicht, unter dessen langer Habichtsnase ein dünner, nach oben gekämmter Schnurrbart wuchs. Ganz in schwarzen Samt gekleidet und mit einem schwarzen Hute auf dem Kopfe glich er eher einem gelehrten Astrologen oder Medikus als einem Kriegsmanne. Allein eine goldene Kette um den Hals und ein Brillantstern auf der Brust verrieten seine hohe Würde. Mit unruhigen Blicken betrachtete er das Gefolge Jan-Kasimirs und die unzähligen Reihen der Truppen. Ein schwaches, ironisches Lächeln huschte über seine blassen Lippen.

Als die polnischen Regimenter Wittembergs gewahr wurden, verstärkte sich das Murren und wuchs zu einem Brausen des Meeres vor dem Sturme an. Die Hochwürdenträger erschraken und sahen den König unruhig an.

»Was soll das bedeuten?« fragte Jan-Kasimir.

In diesem Augenblicke erscholl aus den Reihen der Polen ein zorniges, betäubendes Geschrei. Mehrere Landwehrregimenter rückten vor, und plötzlich erglänzten viele Tausende von Säbeln in der Sonne.

»Was bedeutet das?« fragte der König wieder.

Pan Wolodyjowski, der in der Nähe Sapiehas stand, erriet es sofort.

»Das ist Pan Zaglobas Werk!«

Er irrte sich nicht. Sobald die Kapitulationsbedingungen dem Pan Zagloba bekannt wurden, geriet der alte Schlachtschitz in einen solchen Zorn, daß er einen Augenblick kaum sprechen konnte. Als er zu sich gekommen war, stürzte er zu der Landwehr und begann sie aufzureizen. Und man hörte ihm dort gern zu. Alle waren überzeugt, daß sie für das unter den Mauern von Warschau vergossene Blut das Recht hatten, ordentliche Rache an dem Feinde zu nehmen. Pan Zagloba umringte bald eine Menge zuchtloser, ungestümer, wütender Schlachtschitzen, und er versäumte nicht, weiter glühende Kohlen auf das angefachte Feuer zu werfen, das ohnehin schon bereit war, hervorzubrechen.

Und Pan Zagloba hatte richtig gerechnet. Bei dem Anblicke des Erbfeindes Polens geriet die erregte Schlachta in Raserei. Aus vierzigtausend Kehlen erschollen die Rufe: »Tod dem Wittemberg! Her mit ihm!«

Der König und seine Leute waren ratlos. Was tun? Man mußte die Schweden retten, schützen! – Eine Schande wäre es, das gegebene Wort nicht zu halten ! –

Inzwischen drängte sich die rasende Menge durch die vorstehenden Regimenter hindurch, sie stürmte auf sie ein, und die ersten Reihen gerieten in Unordnung. Rings um sie herum erhobene Säbel und vor Zorn gerötete Gesichter und funkelnde Augen. Der Lärm und das wilde Geschrei verstärken sich von Minute zu Minute.

Wittemberg begriff, was um ihn vorging. Sein Gesicht wurde noch bleicher, und große Tropfen kalten Schweißes traten auf seine Stirn. Der alte Soldat erschrak bis zur Fassungslosigkeit angesichts dieser tobenden Masse. Und näher und näher kamen die Rasenden – eine Minute noch, und alle die unglücklichen schwedischen Generale wären von ihnen zerfleischt worden.

Auch die Schweden hatten schnell ihre Säbel gezogen, um mit den Waffen in der Hand zu sterben, wie es sich Rittern geziemt. Der alte Feldmarschall war ganz ohne Besinnung, er hatte, ohne ein Wort zu sprechen, seine Augen geschlossen.

In dieser Not kam Wolodyjowski mit seinen Laudaern dem schwedischen Stabe zu Hilfe. Er umringte ihn von allen Seiten und kommandierte:

»Zum Könige!«

Die von allen Seiten herangesprengte Menge versperrte zwar den Weg zum Könige; aber die Laudaer bewegten sich trotz aller Hindernisse vorwärts. Ihnen ritten Woinillowicz, die königliche Leibgarde und Fürst Polubinski entgegen, und mit vereinten Kräften wurde der schwedische Stab glücklich zu Jan-Kasimir gebracht. Die Unordnung verstärkte sich noch mehr. Zeitweilig schien es, als wolle die sinnlose Menge ungeachtet der Majestät des Königs versuchen, die schwedischen Befehlshaber seinen Händen zu entreißen. Wittemberg war wieder zu sich gekommen, und, seine Stellung und Würde vergessend, sprang er aus seinem Wagen und warf sich dem Könige zu Füßen.

»Retten Sie uns, Majestät! retten Sie!« rief er, den Steigbügel Jan-Kasimirs ergreifend. »Sie haben Ihr königliches Wort gegeben, haben den Vertrag unterzeichnet! Erbarmen Sie sich unser! Schonen Sie mein Leben!«

Der König wandte voll Widerwillen seine Augen zur anderen Seite und sagte:

»Beruhigen Sie sich, Feldmarschall, ich bitte!«

Wittemberg seufzte erleichtert auf.

»Majestät!« rief er, »wir glauben Ihnen wie unserem Herrgott!«

»Denken Sie an die vielen Kapitulationen und Verträge, die Sie selbst gebrochen haben,« wandte sich der alte Hetman Potocki zu Wittemberg. »Wer hat das ganze Regiment Wolfs niedergemetzelt?«

»Ich nicht, das tat Müller!« antwortete Wittemberg eilig. Der Hetman warf ihm einen verächtlichen Blick zu und sprach dann zum Könige:

»Majestät, wir bestehen nicht darauf, daß Sie Ihr Wort brechen sollen. Möge der Treubruch auf schwedischer Seite bleiben!«

»Was sollen wir aber tun?«

»Geben Sie ihn unter meinen Schutz,« sagte Pan Zamoyski. »Mag er in Zamoscie abwarten, bis die Gemüter sich beruhigt haben.

»Ein anderes Mittel wüßte ich nicht,« meinte der König. »So nehmen Sie ihn mit sich, Pan Obermundschenk.« Der Kanzler ließ den Truppen erklären, daß Wittemberg in Zamoscie interniert werden würde. Die Erregung legte sich darauf bald.

Die Freude Jan-Kasimirs über die Zurückeroberung Warschaus war durch den Gedanken getrübt, daß er nicht alle Bedingungen des Vertrages eingehalten hatte, und Czarniecki ging finster umher, wie eine Gewitterwolke.

»Mit einem solchen Heer kann man nicht des nächsten Tages sicher sein. Bald kämpfen sie wie die Löwen, bald rennen sie beim ersten Schusse wie die Feiglinge fort, – alles hängt von ihrer Laune ab. Und ereignet sich mal irgend etwas Ungewöhnliches, gleich ist Rebellion da!« grollte der Kastellan. »Wie Majestät belieben; aber der Urheber des heutigen Aufruhres muß auf alle Fälle hingerichtet werden, trotz seiner früheren Verdienste!«

Es wurde ein strenger Befehl erlassen, den Pan Zagloba ausfindig zu machen; aber er war verschwunden, als hätte der Erdboden ihn verschluckt. Man sandte überall nach ihm, immer vergebens. Tyzenhauz erzählte später, daß Jan-Kasimir nichts sehnlicher gewünscht hätte, als daß man Zagloba nicht finden möchte.

Eine Woche später sagte der König inmitten einer heiteren Unterhaltung bei Tische:

»Man soll überall verkünden, daß Pan Zagloba sich nicht mehr versteckt halten solle; denn ich muß sagen, mir fehlen seine spaßigen Einfälle!«

Als Czarniecki dagegen Einwendungen machte, unterbrach ihn Jan-Kasimir mit den Worten:

»Wer hier in der Republik immer streng nach dem Gesetz urteilen will und nicht nach der Barmherzigkeit, der muß ein Beil in seiner Brust an Stelle des Herzens haben. Hier sündigen die Leute schneller; aber sie bereuen auch leichter als anderswo!«

Jan-Kasimir dachte in diesem Augenblicke wohl weniger an Zagloba als an Kmicic. Am Tage vorher hatte sich der junge Ritter dem Könige zu Füßen geworfen und ihn gebeten, daß er ihn nach Litauen senden möge. Er wollte dort weiter gegen die Schweden kämpfen. Und da der König ohnehin einen im Kleinkrieg geübten Offizier nach Litauen senden wollte, so gab er ihm sofort seine Einwilligung.

Pan Andreas brach ohne lange zu zögern auf. Durch ein freigebiges Geschenk erlangte er von Subaghazy-Bey die Erlaubnis, fünfhundert Tataren mitzunehmen. Nun führte er im ganzen fünfzehnhundert guter Soldaten mit sich, mit denen er schon wagen konnte, etwas anzufangen. Seine Phantasie malte ihm schon Bilder neuer Schlachten und großer Siege vor. Er hörte, wie ganz Litauen seinen Namen mit Begeisterung und Bewunderung nannte. – Und schließlich mußte doch auch sie von ihm hören, – – und sein Herz schlug vor Freude höher.

Und außerdem konnte er doch überall, wo er hinkam, verkünden, daß die Schweden geschlagen und Warschau zurückerobert worden. Warschau genommen! Wo nur seine Hufschläge gehört werden, da begrüßt man ihn mit Freudentränen, da werden die Glocken geläutet, da wird das »Te Deum« gesungen. Im Walde wiederholen die Kiefern, im Felde die vom Wind bewegten Ähren immer die gleiche, fröhliche Kunde:

»Der Schwede ist geschlagen! Warschau ist genommen! Warschau genommen!«

Ende des Fünften Buches.


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