Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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17. Kapitel.

Als Pan Andreas die Festung verließ, ging er zuerst sich nach allen Seiten umsehend und lauschend. Es war ringsum so still, daß der Widerhall seiner Tritte deutlich zu hören war. Nach einer halben Stunde vernahm er gerade vor sich ein Geräusch.

»Aha! Sie haben einen Wachtposten aufgestellt. Unser Ausfall hat sie vorsichtiger gemacht,« dachte er, indem er leise weiterging.

Er freute sich, daß er sich trotz der schwarzen Nacht nicht verirrt hatte.

Vor den Schanzen selbst hoffte er keine schwedischen Soldaten anzutreffen, sowie daß er sich an einzelnen Patrouillen leicht vorbeischleichen könnte. – Es war ihm ganz leicht ums Herz; seine frühere Kühnheit hatte wieder von ihm Besitz ergriffen.

Der Gedanke, die Riesenkanone zu sprengen, den Belagerten einen unschätzbaren Dienst zu erweisen, erfüllte ihn mit großer Freude, und dazu kam noch die Genugtuung, den Schweden einen Streich zu spielen. Wie wird Müller vor Wut mit den Zähnen knirschen! Mit welchem Hasse wird er auf die Festungsmauern blicken! – Er hatte dem Pater Kordecki die Wahrheit gesagt: In seiner Seele war wirklich keine Spur von Furcht oder Unruhe. Es kam ihm gar nicht der Gedanke in den Kopf, daß er sich einer furchtbaren Gefahr aussetzte. Er gedachte der früheren Zeiten, wo er sich mit zweihundert eben solchen Waghälsen in das dreißigtausend köpfige Lager Chowanskis hineingeschlichen hatte. Wie lebend sah er seine Kameraden vor sich. Kokosinski, Kulwiec, den Riesen, den dünnstimmigen Ranicki und die anderen alle. Und er seufzte tief auf. »Wie könntet ihr alle mir jetzt helfen!« flüsterte er unwillkürlich. »Sechs Kanonen würden wir in einer solchen Nacht sprengen!«

Das Gefühl der Einsamkeit krampfte bei diesen Erinnerungen sein Herz zusammen. Dann dachte er an Alexandra, und die Liebe erwachte in ihm mit unbezähmbarer Kraft. Er fühlte seine Augen sich mit Tränen füllen. »Wenn sie mich nur einmal jetzt sehen könnte! Wie würde sie sich freuen, sie, die ihn noch in schwedischen Diensten wähnt! Was wird sie sagen, wenn sie das alles erfährt? Was wird sie sagen? – Wahrlich, ein Unsinniger ist er, wird sie sagen, aber er ist imstande das zu wagen, wozu kein anderer den Mut hätte, – so einer ist Pan Andreas.«

Bei alledem ließ Kmicic nicht seine Aufgabe außer acht. Er schlich dahin wie ein Wolf, der auf Beute ausgeht. Rings um ihn tiefe Finsternis. Als er sich umwandte, sah er weder die Kirche noch die Klostermauern. Alles war in einen dichten, undurchdringlichen Nebel eingehüllt. Der Zeit nach mußte er schon ziemlich weit vorgeschritten sein; er urteilte, daß die Schanzen nur einige Schritte weit von ihm entfernt sein mühten.

»'s wäre interessant zu wissen, ob hier eine Wache steht?« dachte er bei sich. Aber kaum hatte er zwei weitere Schritte getan, als er Hufschläge und Stimmen vernahm:

»Wer da?«

Pan Andreas blieb wie angewurzelt stehen. Es wurde ihm heiß.

»Die Unsrigen,« erscholl eine Antwort.

»Die Losung?«

»Upsala.«

»Antwort?«

»Krone.«

Augenscheinlich löste man die Wache ab.

»Wartet nur, ich werde euch schon Upsala und Krone zeigen,« brummte Kmicic vor sich hin.

Sicherlich, die Verhältnisse begünstigten sein Vorhaben. Er konnte jetzt leicht die gefürchtete Linie während der Ablösung der Wache passieren und den abgelösten Soldaten folgen. Da stand er auch gleich vor der Schanze. Die Soldaten schlugen einen Seitenweg ein; Kmicic aber eilte schnell in den Graben hinunter.

Mittlerweile begann es zu tagen. Auch dies war gut; denn sonst hätte Kmicic wohl kaum die Kanone finden können. Er bewegte sich vorsichtig vorwärts und gelangte bald zu seiner Kanone. Nun blieb er stehen und begann zu lauschen. Von der Schanze her drang ein Geräusch zu ihm. Wahrscheinlich standen dort Fußsoldaten zur Bedeckung des Geschosses. Die hohe Schanze verdeckte Kmicic; man konnte ihn wohl hören, aber nicht sehen. Seine Aufgabe bestand nun darin, an die Mündung der Kanone, die hoch über ihm lag, zu gelangen. Zum Glück waren die Seiten des Grabens nicht zu abschüssig, und die Erde dank dem Tauwetter nicht zu hart.

Kmicic begann nach oben zu klettern. Nach einer Viertelstunde ergriff er endlich mit der Hand die Mündung des Geschützes. Dank seiner Kraft gelang es ihm, mit der anderen Hand den Pulverdarm in den Schlund der Kanone zu schieben.

»Da hast du eine Wurst, Hund,« brummte er leise. »Sieh zu, daß du nicht an ihr erstickst.«

Er ließ sich wieder auf den Erdboden herunter und suchte das Ende der Schwefelschnur. Nun hieß es Feuer zu schlagen. Er begann, es ganz vorsichtig zu tun, als ihn plötzlich von oben her jemand auf deutsch anrief:

»Wer da?«

»Ich bin es, Hans,« sagte ohne Zaudern Kmicic. »Der Teufel ließ mich den Ladestock fallen lassen. Jetzt mach' ich Licht, um ihn zu suchen.«

»Dein Glück, daß man nicht schießt, könnt' dir sonst den Kopf kosten.«

»Aha!« dachte Kmicic, »die Kanone ist also schon ohnehin geladen, desto besser!«

In diesem Augenblicke fing die Schnur Feuer, und eine bläuliche Flamme schlängelte sich nach oben.

Pan Andreas begann aus Leibeskräften den Graben entlang zu rennen. Kaum war er dreißig Schritte entfernt, als die Neugierde in ihm das Bewußtsein der schrecklichen Gefahr überwog.

»Was, wenn die Schnur erlosch? Die Luft ist ja so feucht,« dachte er und drehte sich um. Das Flämmchen war noch zu sehen.

Er begann wieder zu rennen; aber er stolperte über einen Stein und fiel. Fast in demselben Augenblicke erscholl ein fürchterliches Krachen. Die Erde erbebte, Steine, Eisstücke, Erde, Holz und Eisen flogen pfeifend um seine Ohren, und er verlor das Bewußtsein.

Bald folgten neue Explosionen. Die in der Nähe der Kanone stehenden Kisten mit Pulver hatten sich entzündet.

Kmicic aber hörte von alledem nichts mehr; er lag wie tot.

Er hörte nicht, wie bald nach der eingetretenen Totenstille Menschengestöhn, Schreie und Hilferufe erschallten. Er sah nicht, wie die Hälfte der schwedischen und polnischen Truppen zur Explosionsstätte eilte, wie General Müller mit seinem Stabe herangesprengt kam. Es währte lange, ehe der General aus den zusammenhanglosen Erzählungen die Wahrheit erfuhr, ehe er begriff, daß die große Kanone wirklich von jemand mit Vorbedacht gesprengt worden war. Man begann die Gegend abzusuchen, und gegen Morgen fanden Soldaten den im Graben liegenden Kmicic.

Es zeigte sich, daß Pan Andreas nur betäubt war, aber durch die Erschütterung waren ihm zeitweilig Hände und Beine wie gelähmt. In diesem Zustande verbrachte er den ganzen Tag, gegen Abend konnte der Kranke dank der Bemühungen der schwedischen Ärzte vor Müller erscheinen.

Der General empfing ihn in seinem Zelte, am Tische sitzend. Ihm zur Seite saß der Fürst von Hessen und Wrzeszczowicz und andere schwedische und polnische Offiziere, Sadowski, Zbrozek, Kalinski und Kuklinowski.

Dieser letztere wurde beim Anblicke Kmicic' vor Zorn dunkelblau, und seine Augen funkelten wie zwei glühende Kohlen.

»Ich kenne diesen Burschen,« sagte er, ohne eine Frage des Generals abzuwarten. »Er gehört zur Czenstochauer Garnison. Er heißt Babinicz.«

Kmicic schwieg. Sein Gesicht war bleich aber ruhig. Mit stolzem Blicke sah er auf die Anwesenden.

»Haben Sie die Kanone gesprengt?« fragte ihn Müller.

»Ja, ich,« antwortete Kmicic.

»Und wie haben Sie es vollbracht?«

Kmicic erzählte es ruhig, ohne etwas zu verhehlen. Die Offiziere sahen sich einander gespannt an.

»Ein Held!« flüsterte der Fürst von Hessen Sadowski zu.

Sadowski bückte sich zu Wrzeszczowicz:

»Graf Weyhard, werden wir die Festung, die solche Verteidiger hat, erobern? Was meinen Sie, werden die sich ergeben?«

Kmicic hatte inzwischen seine Erzählung beendet.

»Und in der Festung gibt es viele Leute, die zu solchen Taten bereit sind. Sie werden hier keinen ruhigen Tag, keine ruhige Stunde haben!« schloß er seinen Bericht.

»In meinem Lager wird sich noch für jeden von ihnen ein Galgen finden,« entgegnete Müller.

»Das wissen wir. Aber Jasno-Gora werden Sie nicht nehmen, solange sich dort noch eine lebende Seele befindet!«

Es entstand eine Pause. Endlich fragte Müller wieder:

»Sie heißen Babinicz?«

Pan Andreas überlegte, daß er nach all dem Vorgefallenen, angesichts des nahen Todes, es nicht nötig habe, seinen richtigen Namen zu verheimlichen.

»Ich heiße nicht Babinicz,« antwortete er mit stolz erhobenem Kopfe, »ich bin Andreas Kmicic, Oberst der Litauer Landwehr.«

Kuklinowski sprang plötzlich wie ein Wahnsinniger hoch, starrte auf Kmicic und rief:

»General, ich bitte Sie, mit mir ohne Verzug auf einen Moment herauszukommen!«

Die polnischen Offiziere gerieten zur größten Verwunderung der schwedischen Offiziere, denen Kmicic' Name nichts bedeutete, in Aufregung. Sie begriffen sogleich, daß dies kein gewöhnlicher Mensch sein konnte; denn Zbrozek stand auf, näherte sich Kmicic und sagte:

»Oberst, ich kann Ihnen in Ihrer Lage mit nichts helfen, aber ich bitte Sie, geben Sie mir die Hand.«

Kmicic hob den Kopf und maß ihn mit einem verächtlichen Blicke:

»Verrätern gebe ich nicht die Hand!« antwortete er ruhig.

Zbrozeks Gesicht bedeckte sich mit flammender Röte, auch Kalinski wich einen Schritt zurück.

Während dessen bestürmte Kuklinowski den General Müller im Nebenzimmer.

»General, für Sie ist der Name dieses Mannes ohne Bedeutung, aber er ist der beste Soldat in der ganzen Republik. Alle kennen ihn. Früher diente er dem Fürsten Radziwill, aber jetzt ist er anscheinend zu Jan-Kasimir übergetreten. Er allein konnte es wagen, hinzugehen und die Kanone zu sprengen. Er ist der gefährlichste Mensch in diesem Landesteil.«

»Was singen Sie ihm da für ein Loblied?« unterbrach Müller ihn zornig. »Daß er gefährlich ist, das weiß ich selbst aus eigener Erfahrung.«

»Was wollen Sie mit ihm machen, General?«

»Ich würde ihn aufknüpfen lassen, aber ich bin selbst zu sehr Soldat, um solchen Wagemut nicht zu schätzen. Außerdem ist er aus gutem Adelsgeschlecht. – Ich werde ihn erschießen lassen, und nicht später als heute.«

»Exzellenz, ich will den berühmtesten Kriegsmann und Politiker unserer Zeit nicht belehren, aber erlauben Sie mir, zu bemerken, daß Kmicic ein zu bekannter Mann ist, um – Wenn Sie das tun, so werden Zbrozeks und Kalinskis Banner sich noch heute davon machen und zu Jan-Kasimir übergehen.«

»Wenn sie das tun, so werde ich sie in Stücke schlagen lassen!« schrie Müller.

»Exzellenz, die Vernichtung zweier Banner ist schwer zu verbergen: sobald die anderen polnischen Truppen davon erfahren, so werden sie wie ein Mann den schwedischen Dienst verlassen. – Sie kennen ja ihre ohnehin schon schwankende Stimmung. – Den Hetmans kann man kein Vertrauen schenken. Pan Koniecpolski mit seinen sechstausend auserlesenen Reitern gehört zur Leibwache des Königs. Behüte Gott! wenn er uns die Treue bricht. – Zwei Banner niedermetzeln zu lassen, ist schließlich auch keine leichte Sache; sie würden ersuchen, mit der Garnison in Unterhandlungen zu treten.«

»Zu tausend Teufeln! Was wollen Sie denn? Wollen Sie, daß ich diesem Kmicic das Leben schenke? – Daraus kann aber nichts werden!«

»Ich will, daß Sie ihn mir ausliefern!«

»Und was werden Sie mit ihm tun?«

»Ich werde ihm bei lebendigem Leibe das Fell über die Ohren ziehen!«

»Was haben Sie gegen ihn?«

»Ich habe ihn persönlich in Czenstochau kennen gelernt, als Sie mich hinschickten, mit den Mönchen zu unterhandeln.«

»Und wofür wollen Sie nun an ihm Rache nehmen?«

»Exzellenz, ich versuchte damals, ihn in unser Lager herüber zu locken und sprach deshalb mit ihm als Privatmann; dies benutzte er und beleidigte mich, Kuklinowski, so wie mich noch niemand beleidigt hat!«

»Was hat er Ihnen denn angetan?«

Kuklinowski stöhnte auf und knirschte mit den Zähnen.

»Es ist besser, ich rede nicht davon. – Geben Sie ihn mir, Exzellenz. – Er ist ja so wie so dem Tode geweiht, lassen Sie mich zuvor an ihm meine Rache kühlen. O, wie ich ihn hasse, diesen Kmicic, den ich früher so verehrte, und der mir dafür so schlecht dankte. Geben Sie ihn mir, General! – Auch für Sie wird das besser sein, denn der Zorn Zbrozeks, Kalinskis und der ganzen polnischen Ritterschaft wird sich dann gegen mich richten; und ich werde schon meinen Mann stehen. – Kein Aufruhr, keine Rebellion, nichts derartiges wird sich auf diese Weise ereignen. – Und ich werde mir aus seinem Fell eine Trommel beziehen lassen!«

Müller versank in Gedanken; plötzlich tauchte in ihm ein Verdacht auf.

»Kuklinowski,« rief er, »Sie wollen ihn vielleicht retten?«

Kuklinowski lachte leise, aber es war ein so teuflisches Lachen, daß Müller aufhörte zu zweifeln.

»Vielleicht haben Sie recht,« sagte er, »nehmen Sie ihn.«

Dann kehrten beide zu den Versammelten zurück, und Müller verkündete:

»Für die besonderen Verdienste des Pan Kuklinowski stelle ich ihm den Gefangenen zu seiner freien Verfügung.«

Stillschweigen folgte diesen Worten. – Nach einiger Zeit fragte Zbrozek:

»Und was gedenkt Pan Kuklinowski mit dem Gefangenen zu tun?«

Pan Kuklinowski, der sonst sehr gebückt ging, richtete sich gerade auf, seine Lippen zeigten ein Unheil verheißendes Lachen, seine Augen funkelten.

»Wem es nicht gefallen sollte, was ich mit dem Gefangenen tun werde,« sagte er, »der weiß, wo ich jeder Zeit zu finden bin.«

Dann näherte er sich Kmicic:

»Nun, Freundchen, jetzt folge mir! – Komm, du berühmter Ritter, – du bist etwas geschwächt, du bedarfst zarter Pflege. – Ich werde mich deiner annehmen!«

»Schurke!« entgegnete Kmicic.

»Schön, schön, stolze Seele, komm!«

Kuklinowski befahl einem seiner Leute, Kmicic an einen Strick zu binden und ihn fort zu führen.

Pan Andreas wußte, daß ihm der Tod nahe bevorstand, und er begann, inbrünstig zu beten. Er war so in Gedanken vertieft, daß er Kuklinowskis Schmähreden nicht hörte und nicht auf den Weg achtete. Er kam erst zu sich, als er bei einem halbeingestürzten Schuppen, der auf offenem Felde unweit des Quartiers des Kuklinowskischen Regiments stand, Halt machte.

»Marsch, geh ins Lager!« kommandierte der Oberst einem Soldaten. »Hol' mir sofort Stricke und eine Teertonne!«

Bald war das Gewünschte zur Stelle.

»Zieht den schönen Herrn nackt aus!« befahl Kuklinowski. »Schnürt ihm die Arme und Beine zusammen und dann hängt ihn an einen Balken hoch!«

»Schurke!« wiederholte Kmicic.

»Gut! Gut! Wir werden noch genügend Zeit haben, uns zu unterhalten.«

Die Soldaten rissen Kmicic die Kleider vom Leibe herunter, legten ihn auf die Erde, banden ihm Arme und Beine mit dem einen Ende eines Strickes, dessen zweites Ende sie einem Soldaten zuwarfen, der auf einem Balken ritt.

»Jetzt zieht ihn hoch!« kommandierte Kuklinowski.

Bald hing Pan Andreas mehrere Fuß hoch über dem Erdboden.

Kuklinowski tauchte einen Pinsel in den brennenden Teer und trat zu Kmicic heran.

»Nun, Pan Kmicic? Ich sagte schon einmal, daß es in ganz Polen nur zwei Soldaten gibt: ich und Sie! Damals verschmähten Sie Kuklinowskis Freundschaft und gaben ihm obendrein einen Fußtritt. – Schön, mein Bürschchen, du hattest recht! Kuklinowskis Gesellschaft ist nicht für dich, denn es zeigt sich, Kuklinowski ist dir weit über. Der Herr Oberst, Pan Kmicic, ist zwar ein berühmter Mann, aber Kuklinowski hält ihn in seinen Händen und wird ihm jetzt die Seite rösten!«

»Schurke!« rief Kmicic zum dritten Male.

»Ja, ja, die Seite rösten!« wiederholte Kuklinowski, indem er Kmicic mit dem flammenden Pinsel berührte. »Doch nicht zu viel auf einmal, wir haben ja genügend Zeit,« fuhr er fort.

In diesem Augenblicke vernahm man in der Scheune Hufschläge, das Tor knarrte, und die Gestalt eines Soldaten erschien.

»Pan Oberst,« sagte er, »General Müller wünscht Sie sofort zu sprechen!«

»Was willst du, Alter? Was, zum Teufel, braucht mich plötzlich der General? Wer ist denn angekommen?«

»Ein schwedischer Offizier. – Er hat sein Pferd fast zu Tode geritten.«

»Gut!« sagte Kuklinowski, und er wandte sich zu Kmicic: »Lieber, dir ist wohl ein bißchen heiß, – kühl' dich inzwischen etwas ab. – Ich komme bald wieder. Dann können wir weiter miteinander plaudern!«

»Und was sollen wir mit dem Gefangenen tun?« fragte einer der Soldaten.

»Laßt ihn, wie er ist. Ich komme gleich zurück. – Einer von euch kann mich begleiten!«

Der Oberst ging in Begleitung eines Soldaten hinaus. Es blieben noch drei in der Scheune, bald darauf aber kamen drei neue hinzu.

»Ihr könnt schlafen gehen,« sagte derjenige, der Müllers Befehl gebracht hatte.

»Der Oberst hat uns befohlen, hier Wache zu halten! Wir bleiben lieber hier!« sagte der erste der drei Soldaten.

Plötzlich blieben ihm die Worte in der Kehle stecken. Ein fürchterlicher Schrei entfuhr ihm, er machte mit den Armen einige konvulsive Bewegungen und fiel dann wie vom Blitz getroffen zu Boden. In demselben Augenblick warfen sich zwei von den neu Angekommenen auf die anderen Soldaten Kuklinowskis. Es entbrannte ein fürchterlicher Kampf. Nicht lange, so fielen auch die beiden anderen so unerwartet Angegriffenen, und eine Stimme, die Kmicic bekannt vorkam, sagte:

»Euer Gnaden, wir sind es, Kiemlicz mit seinen beiden Söhnen! Vom frühen Morgen an haben wir schon auf Sie aufgepaßt. – Was steht ihr denn so, Rindviecher, nehmt den Oberst herunter, aber schnell!«

Und bevor es noch Kmicic klar wurde, was hier vorging, beugten sich die zwei großen, zottigen Köpfe Kosmas und Damians über ihn. Schwankend stand Kmicic gleich darauf auf der Erde. Seine bleichen, zitternden Lippen konnten kaum sprechen:

»Ihr seid es? – Dank! Dank!«

»Wir sind es!« antwortete der Alte. »Heilige Jungfrau! O! Wollen Sie sich nicht ankleiden, Euer Gnaden? Schnell, helft, Schafsköpfe!«

Und er reichte Kmicic die Kleidungsstücke.

»An dem Tore stehen schon Pferde! Der Weg von hier aus ist frei! Die Wachen lassen zwar keinen herein, aber jeden heraus. Außerdem kennen wir die Parole. Wie fühlen sich Euer Gnaden?«

»Er hat mir die Seite versengt, aber nicht sehr. Doch die Beine wollen mir nicht gehorchen!«

»Nehmen Sie schnell einen Schluck Branntwein.«

Kmicic ergriff gierig die Feldflasche des Alten, trank die Hälfte aus und atmete tief auf.

»Mir war so kalt geworden, – jetzt ist mir besser.«

Er ließ sich auf den Rand eines Futterkastens nieder. Die Kräfte begannen ihm wirklich zurückzukehren, und er konnte schon bei vollem Bewußtsein die grimmigen Gesichter der Kiemlicz' betrachten.

»Euer Gnaden, es ist Zeit! Die Pferde sind bereit!« mahnte der Alte.

Aber in Pan Andreas erwachte der frühere Kmicic.

»O nein!« rief er, »jetzt komme ich an die Reihe.«

Die Kiemlicz' warfen einander Blicke zu, wagten aber keinen Ton zu erwidern. Das Blut siedete in Pan Andreas' Adern, und seine Augen leuchteten im Dunkeln wie zwei Lichter. Das, was er jetzt tun wollte, war Wahnsinn, denn er konnte es mit seinem Leben bezahlen. Aber war sein ganzes Leben überhaupt etwas anderes als eine Kette ebensolcher sinnloser Taten? Die Seite schmerzte ihn stark; aber er dachte nur an Kuklinowski und war bereit, die ganze Nacht auf ihn zu warten.

»Hört mal, hat Müller ihn wirklich zu sich bestellt?«

»Nein, das habe ich mir ausgedacht, um besser mit seinen Leuten fertig zu werden. Mit fünfen, das wäre gefährlicher gewesen, einer von ihnen hatte Lärm schlagen können.«

»Gut. Er wird allein zurückkehren. Hat er aber mehrere Leute bei sich, so schlagt sofort drauf los. Mich laßt hier. Dann schnell auf die Pferde. Habt ihr Pistolen bei euch?« –

»Ja, die haben wir,« antwortete Kosma.

»Geladen? Ja? – Gut. – Kommt er allein zurück, so haltet ihn fest, stopft ihm einen Knebel in den Mund, meinetwegen von seiner eigenen Mütze.«

»Zu Befehl!« sagte der Alte. »Erlauben Euer Gnaden, daß wir jene Soldaten dort durchsuchen? Wir sind doch arme Leute.«

»Nein, haltet euch bereit! Was ihr bei Kuklinowski vorfindet, das gehört euch!«

In diesem Augenblicke erschollen Hufschläge. Kmicic sprang zur Seite und verbarg sich in der Dunkelheit. Kosma und Damian postierten sich an den Eingang wie zwei Kater, die einer Maus auflauern.

»Er kommt allein!« rief der Alte, indem er sich die Hände rieb.

Bald hörte man draußen eine Stimme.

»Heda! Komm mal jemand her, mir das Pferd abzunehmen!«

Dann trat wieder Stille ein.

»Du bist es, Kiemlicz?« hörte Kmicic gleich darauf. »Sag' mal, bist du toll geworden oder dumm? – Es ist tiefe Nacht. Müller schläft. Die Wache will mich überhaupt nicht durchlassen und sagt, daß kein Offizier ins Quartier gekommen sei. Was soll das bedeuten?«

»Der Offizier erwartet Euer Gnaden hier in der Scheune; er kam gleich, nachdem Sie fortgeritten.«

»Was kann das nur sein? Und der Gefangene?«

»Hängt.«

Die Tür knarrte, und Kuklinowski trat in die Scheune. Kaum aber hatte er zwei Schritte vorwärts gemacht, als zwei eiserne Arme ihn ergriffen und ihm die Gurgel zusammen schnürten. Mit der Geschicklichkeit zweier geübter Räuber warfen ihn Kosma und Damian zu Boden und stopften ihm einen Knebel in den Mund.

Dann trat Kmicic mit dem brennenden Pinsel in der Hand in die Mitte der Scheune.

»O, das ist ja Pan Kuklinowski! – Da werden wir manches zu besprechen haben!«

Kuklinowskis Gesicht wurde dunkelblau, die Adern auf der Stirn schwollen ihm an: aber in seinen blutunterlaufenen Augen lag mehr Verwunderung als Angst.

»Ausziehen und an den Balken hängen!« rief Kmicic.

Kosma und Damian begannen mit Feuereifer, den Befehl auszuführen.

Kmicic stemmte die Hände in die Seiten und begann spöttisch:

»Nun, Pan Oberst, wer ist jetzt über, Kmicic oder Kuklinowski?«

Er trat einen Schritt näher zu ihm heran.

»Dein Lager ist nur mehrere Schritte entfernt; Tausende von deinen Räubern würden auf deinen Ruf herbeieilen.« Schade, daß dein schwedischer General weit ist. Und du am Balken hängst, gerade an dem Balken, an dem du mich rösten wolltest. – Nun lerne Kmicic kennen! Du wolltest ihm gleich sein, du Nachtvogel, du Sklave? Ich Würde dir mit dem Küchenmesser den Kopf abschneiden, wie einem zänkischen Hahn, aber ich ziehe es vor, dich zu rösten, wie du es mit mir hast tun wollen.«

Bei diesen Worten stieß er ihm den Pinsel in die Seite.

»Das ist genug; du solltest nur eine Erinnerung an Kmicic haben. Du kannst nun bis morgen so hängen; aber bete zu Gott, daß du nicht erfroren bist, ehe man dich losbindet! – He, die Pferde her!«

Eine halbe Stunde später waren unsere vier Reiter schon weit entfernt, und leere Felder breiteten sich rings um sie aus. Kmicic ritt voran. Plötzlich hielt er an und rief:

»Komm mal her!«

Der Alte gab seinem Pferde die Sporen.

»Wieviel Meilen sind es von hier bis zur schlesischen Grenze? – Nicht weit, sagst du? – Und werden wir unterwegs nicht auf schwedische Abteilungen stoßen?«

»Nein; denn alle sind vor Czenstochau versammelt. Höchstens könnten wir einzelnen begegnen.«

»Habt ihr bei Kuklinowski gedient?« »Nur so ein bißchen. Wir dachten, daß wir in der Nähe den heiligen Brüdern eher helfen könnten, – und auch Euch, Euer Gnaden. – Gegen das Kloster haben wir uns aber nicht im geringsten vergangen, behüte Gott! Wir haben nur die Schweden ausgeplündert.«

»Die Schweden?«

»Wir wollten auch außerhalb der Mauern der heiligen Jungfrau dienen, und deshalb machten wir des Nachts unsere Runde um das Lager, – manchmal auch am Tage, wie es gerade ging. Und wenn wir eines einzelnen Schweden habhaft werden konnten, so haben wir ihn – – Beschützerin der Sünder! so haben wir ihn – –«

»Schön, – und dabei habt ihr Kuklinowski gedient!« lachte Kmicic hell auf. »Wie die Sache auch sein mag, ich werde euch freigebig entschädigen. Das habe ich nicht von euch erwartet!«

Plötzlich erdröhnte in der Ferne eine Kanonensalve. Die Schweden begannen von neuem das Kloster zu bombardieren. Kmicic hielt wieder an. Trotz seiner heftigen Schmerzen in der Seite wandte er sich um und sagte spöttisch lächelnd:

»Schießt nur, schießt! Was aber macht eure größte Kanone?« – –


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