Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Kapitel.

Zur Abendtafel erschienen außer dem Rosiener Miecznik und Alexandra mehrere Kiejdaner Offiziere und einige Edelleute aus des Fürsten Boguslaws Gefolge. Er selbst kam so kostbar gekleidet, daß von seiner ganzen Gestalt ein heller Glanz ausging. Er trug eine lange Lockenperücke, sein Gesicht erinnerte an Rosen und Lilien, und seine Augen glänzten wie Sterne. Er hatte einen schwarzen Rock mit aufgeschlitzten Ärmeln an, den ein kostbarer Brabanter Spitzenkragen zierte. Sein Portepee aus holländischem Leder war so reich mit Diamanten geschmückt, daß es wie aus Feuer zu sein schien. Ebenso überschüttet mit Diamanten war der Säbelgriff, und aus den Rosetten seiner Schuhe leuchteten zwei wie Nüsse große Brillanten. Seine ganze Erscheinung atmete Schönheit und Vornehmheit.

In der einen Hand trug er ein Spitzentuch, in der anderen den mit ungeheuer großen Straußenfedern garnierten Hut.

Alle sahen auf ihn mit Staunen und Entzücken.

Bald erschien auch Alexandra mit Pani Korf. Boguslaw warf einen schnellen Blick auf sie. Er verbeugte sich zuerst vor Pani Korf, dann verneigte er sich so tief vor Alexandra, wie er es nicht vor der französischen Königin tiefer gekonnt hätte. Alexandra, die bereits von seiner Ankunft gehört hatte, erriet sogleich, wer vor ihr stand, und sie verbeugte sich gleichfalls sehr tief.

Boguslaw trat rasch auf sie zu und bot ihr seinen Arm an.

»Ich traue meinen Augen nicht,« begann er, indem er sie zur Tafel führte, »sagen Sie, reizende Göttin, welches Wunder hat Sie vom Olymp nach Kiejdane geführt?«

»Ich bin nur ein einfaches Schlachtschitzenmädchen und keine Göttin. – Ich kann die Worte Euer Durchlaucht nur für eine übertriebene Liebenswürdigkeit halten.«

»Wie schade, daß in diesem Saale kein Spiegel ist, sonst könnten Sie sehen, daß ich absolut nicht übertreibe.«

Er neigte seinen Kopf zu ihr herab, und Alexandra sah seine großen, schwarzen, funkelnden Augen. Sie wurde rot und wich etwas zurück: sie fühlte, daß Boguslaw ihren Arm leicht an sein Herz drückte.

Bei Tisch nahm er den Platz neben ihr ein, und man konnte beobachten, daß ihre Schönheit wirklich einen großen Eindruck auf ihn machte. Er hatte geglaubt, ein gesundes, rotbackiges, einfaches Fräulein zu sehen, und fand eine stolze Panna, in deren Augen sich ein reifer Geist und ein unbezwinglicher Wille wiederspiegelten. Eine Gestalt voll von jenem Reize, der unwillkürlich alle Herzen gewinnt. Gleichzeitig aber zeigte sie eine solche Unnahbarkeit und Würde, daß Boguslaw wider Willen dachte: »Ich habe viel zu früh ihren Arm an mich gepreßt; bei solchen darf man sich nicht überstürzen.«

Trotzdem schwor er sich, ihr Herz zu erobern, und mit einer wilden Freude empfand er die Wonne des Augenblickes, wo diese jungfräuliche Reinheit und Majestät sich seinem Willen beugen würde. Auf dem Wege zu diesem Ziele stand die drohende Gestalt Kmicic', und gerade das spornte den selbstsicheren Ritter noch mehr an.

Das Gespräch an der Tafel wurde allgemein und endete in einem Chor von Lobhymnen, die man dem Fürsten Boguslaw sang. Der glänzende Ritter hörte alles dies lächelnd ohne die geringste Spur von Genugtuung an; er nahm jedes Lob wie etwas Alltägliches und Allbekanntes entgegen. Die Namen der Fürsten, Marquis und Grafen, die er im Zweikampfe besiegt hatte, ertönten unausgesetzt bei der Tafel. Die Zuhörer staunten, Boguslaw schien gleichgültig, aber Fürst Janusz strich mit einem zufriedenen Lächeln seinen langen Schnurrbart.

»Soldaten interessieren sich natürlich am meisten für die Zweikämpfe, wir Frauen aber würden gern von anderen Siegen Eurer Durchlaucht hören. Soviele Gerüchte darüber drangen schon zu unseren Ohren!« sagte Pani Korf.

»Das ist alles nicht wahr, alles nicht wahr. Richtig allein ist, daß man für mich eine Braut freien wollte. – Ihre Majestät die Königin von Frankreich war so gnädig –«

»Die Prinzeß de Rohan,« unterbrach ihn Janusz.

»Und die de la Forse. – Aber da auch ein König nicht über fremde Herzen gebieten kann, und da die Radziwills, Gott sei gelobt! es nicht nötig haben, Reichtum in Frankreich zu suchen, so ist daraus nichts geworden. Es ist wahr, die Mädchen waren beide schön; aber bei uns gibt es genug noch schönere.«

Hier warf er einen Blick auf Alexandra. Diese tat, als ob sie nichts gehört habe. Pani Korf aber antwortete lebhaft:

»Nun ja, solche gibt es viele; aber nicht solche, die sich gleichzeitig mit jenen in Reichtum und vornehmer Abkunft messen können.«

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen widerspreche,« sagte Boguslaw eifrig. »Zuerst meine ich, daß kein polnisches Edelfräulein niedriger stehe als die Rohans und de la Forses; das ist meine aufrichtige Überzeugung. Und dann, die Radziwills haben schon öfter ein polnisches Edelfräulein geheiratet, und ich versichere Ihnen, daß, wer einen Radziwill geheiratet, sogar am französischen Hof den Prinzessinnen und Fürstinnen den Rang ablaufen kann.«

»Ein edler Mann!« flüsterte der Miecznik Alexandra zu.

»Das war immer meine Meinung,« fuhr Boguslaw fort, »Obwohl ich mich oft schämen mußte, wenn ich einen Vergleich zwischen polnischen und ausländischen Edelleuten zog. – Kann so etwas im Auslande geschehen, was hier passiert ist? – Sind das Edelleute, die ihren König verlassen können? Verlassen! das ist noch wenig, die ihm nach dem Leben trachten! Ein französischer Edelmann würde nie seinem König die Treue brechen!«

Alle sahen den Fürsten verständnislos an. Der Hetman zog seine Brauen zusammen, und Alexandra hielt ihre dankbaren, begeisterten Augen fest auf Boguslaws Gesicht gerichtet.

»Verzeihen Sie,« sprach Boguslaw weiter, sich an den Fürsten Janusz wendend, »ich weiß, Euer Durchlaucht konnten nicht anders handeln, – es war der einzige Weg, Litauen zu retten. Und trotzdem ich Sie als den älteren achte, und obgleich ich Sie wie einen Bruder liebe, so bin ich mit Ihnen, was Jan-Kasimir anbetrifft, doch anderer Meinung. Wir sind ja unter uns, und ich sage Ihnen offen, was ich denke. Jan-Kasimir ist ein unvergeßlicher Herrscher, gut, gnädig und meinem Herzen doppelt teuer. Ich habe ihn nach hierher begleitet, als man ihn aus der französischen Gefangenschaft entließ. Zwar war ich damals noch ein Kind; aber nie werde ich das vergessen. Ich bin jeder Zeit bereit, für ihn mein Blut zu opfern, um ihn wenigstens vor den Unmenschen zu schützen, die nach seinem Leben trachten.«

Janusz begriff Boguslaws Spiel, doch es schien ihm zu kühn und gewagt für einen so geringen Gewinn.

»Mein Gott, von wessen Anschlägen auf das Leben Seiner Majestät sprechen Sie denn?« fragte er, kaum seine Unzufriedenheit verhehlend. »Könnte sich denn wirklich so ein Ungeheuer inmitten des polnischen Heeres finden? So was ist wahrhaftig seit dem Bestehen der Republik nie vorgekommen.« Boguslaw senkte seinen Kopf tief herab.

»Vor kaum einem Monat,« begann er mit trauriger Stimme, »erschien bei mir ein Schlachtschitz, – aus einem sehr guten Hause. Da er meine warmen Gefühle für unseren guten König nicht kannte, sondern mich für einen Feind des Königs hielt, so erbot er sich, gegen eine große Belohnung, nach Schlesien zu gehen. Er wollte Jan-Kasimir entführen und ihn lebend oder tot den Schweden ausliefern.« Alle Anwesenden waren starr vor Erstaunen.

»Und als ich voll Zorn und Entrüstung sein Angebot ablehnte, sagte er mit frecher Stirn: »Dann gehe ich zu Radziejowski; der wird meinen Vorschlag annehmen und ihn mir mit Gold aufwiegen!«

»Obwohl ich nicht zu Jan-Kasimirs Freunden gehöre,« warf Janusz ein, »so hätte ich den Mann ohne weiteres nach seinem Angebot erschießen lassen.«

»Im ersten Augenblick wollte ich das auch tun; aber dann überlegte ich, daß man schon ohnedies von der Tyrannei und Härte der Radziwills spricht. Ich drohte ihm damit, daß nicht nur Radziejowski, sondern selbst Chmielnicki und der schwedische König ihn für seine Tat mit dem Tode bestrafen würden. Er wird sicherlich seiner Strafe nicht entgehen, und Euer Durchlaucht können ihn als erster richten; denn er ist einer Ihrer Obersten.«

»Was sagen Sie? Einer von meinen Obersten? – Wer ist es, wer? – So sprechen Sie doch!«

»Er heißt Kmicic,« entgegnete Boguslaw.

»Kmicic?« wiederholten laut alle Anwesenden.

»Das ist nicht wahr!« rief plötzlich Panna Billewicz, indem sie vom Stuhl aufsprang, mit funkelnden Augen und wogender Brust.

Dumpfes Schweigen folgte diesem zornigen Ausruf. Die einen waren entsetzt über die Erzählung Boguslaws, die anderen wunderten sich ob der Vermessenheit des Mädchens, das es wagte, einen Radziwill einer Lüge zu zeihen.

Der Miecznik begann zu brummen: »Alexandra! Alexandra!« Boguslaw aber sprach ohne Zorn:

»Wenn das ein Verwandter oder der Bräutigam der Panna ist, so bedauere ich es sehr. – Aber auf alle Fälle reißen Sie die Liebe zu ihm aus Ihrem Herzen. Er ist Ihrer nicht wert.«

Alexandra stand noch einen Moment unbeweglich; dann begann ihr Gesicht allmählich die frühere Farbe wieder zu erhalten. Sie ließ sich auf ihren Platz nieder.

»Verzeihen Sie, Fürst,« sagte sie. »Ich habe unnötigerweise an Ihren Worten gezweifelt: Von diesem Menschen kann man alles erwarten!«

»Gott strafe mich, wenn ich für Sie ein anderes Gefühl als das des tiefsten Mitleides hege.«

»Er war der Bräutigam dieser Panna,« mischte sich Fürst Janusz ein. »Ich selbst habe sie beide zusammengefreit. Dummheiten hatte er schon eine Menge auf dem Kerbholz,– aber er ist ein guter Soldat. – Allerdings kannte ich seinen ungestümen Charakter, doch eine solche Freveltat hätte ich nie von ihm erwartet, nein, das konnte ich nicht von ihm erwarten!«

»Sprechen wir nicht mehr davon!« rief Boguslaw. »Wenn es schon Ihnen schwer sein wird, das anzuhören, wie muß erst der Panna Billewicz dabei zumute sein!«

»Genieren Sie sich meinetwegen nicht,« sprach Alexandra, »ich kann alles anhören.«

Das Essen neigte sich seinem Ende zu; man begann Waschbecken für die Hände herumzureichen.

Fürst Janusz stand als erster von der Tafel auf und reichte Pani Korf den Arm. Boguslaw folgte mit Alexandra.

»Gott hat den Frevler gestraft,« sagte er leise. »Wer Sie verloren hat, hat das Paradies verloren. Erst zwei Stunden sind verflossen, daß ich Sie zum ersten Male sah, und schon möchte ich Sie ewig vor Augen haben. Aber nicht in Schmerz und Trauer, sondern in Freude und Glück.«

»Ich danke Ihnen,« sagte Alexandra gedehnt.

Nachdem die Damen sich entfernt hatten, kehrten die Herren an den Tisch zu ihren Bechern zurück.

Boguslaw sprach dem Weine stark zu, – er war sehr zufrieden mit sich. Nach einiger Zeit verabschiedeten sich auch die anderen Gäste. Die beiden Fürsten blieben allein.

»Ich vermute, daß an dieser Erzählung über Kmicic kein wahres Wort ist,« bemerkte Janusz.

»Du vermutest? – Ich denke, du weißt das genau. – Aber die Sache ist doch fein erfunden? Mit einem Schlage an dem Feinde Rache zu nehmen und in die schöne Festung eine Bresche zu schlagen! Dieser Intrige braucht sich der größte Diplomat der Welt nicht zu schämen. Diese Panna ist wahrhaftig eine edle Perle! Mein Herz hüpfte vor lauter Freude.«

»Denke aber an dein Wort, das du mir gegeben. – Sonst wirst du uns beide ins Verderben stürzen, wenn jener die Briefe veröffentlicht.«

»Was für Brauen! Welch ein königlicher Blick! Unwillkürlich fühlt man Hochachtung, Furcht –«

»Sieh zu, daß dieser Kmicic –«

»O nein!« unterbrach Boguslaw, »zweimal habe ich Kmicic aufs Haupt geschlagen, allein wir sind noch lange nicht miteinander fertig! Hier, ein Page bringt dir einen Brief.«

Der Wojewod nahm den Brief und machte das Zeichen des Kreuzes über ihn. – Er tat das immer, um sich vor bösen Nachrichten zu schützen. Plötzlich veränderte sich sein Gesicht.

»Sapiehas Siegel!« rief er, »das ist vom Witebsker Wojewoden!«

Der Hetman erbrach das Siegel und las den Brief leise, von Zeit zu Zeit unterbrach er sich durch Ausrufe.

»Er geht nach Podlachien! – Macht sich über uns lustig! – Noch schlimmer!« – Bald begann er laut vorzulesen:

»Euer Durchlaucht wollen also einen Bürgerkrieg! Sie wollen noch ein Schwert in die Brust der Mutter-Heimat stoßen. – So kommen Sie nach Podlachien. Ich erwarte Sie dort und hoffe zu Gott, daß er Sie durch meine Hand strafen wird. Doch sollte sich dennoch ein Funke Mitleid für das Vaterland in Ihnen regen, so rufen Sie den Landsturm zusammen, bewaffnen Sie die Bauernschaft, und schlagen Sie auf die Schweden los. Noch ist es nicht zu spät für Sie, auf den rechten Weg zurückzukehren und Ihre Vergehungen gut zu machen! Möge Gott Sie erleuchten!

P. S. Man sagt, Fürst Michail sei im Begriffe, sich uns anzuschließen. Folgen Sie dem Beispiele Ihres ehrwürdigen Verwandten. Bedenken Sie alles; denn der letzte entscheidende Augenblick für Sie ist jetzt gekommen.«

»Was sagst du nun?« fragte Janusz.

»Und was meinst du?«

»Man müßte sich von allem lossagen, mit eigenen Händen die eigene Arbeit vernichten.«

»Mit dem mächtigen Karl-Gustav brechen und sich an Jan-Kasimirs Schwanz halten und ihn anflehen, daß er gnädigst geruhe, uns wieder in seinen Dienst zu nehmen; man müßte Sapieha bitten, ein gutes Wort für uns einzulegen!« Janusz' Gesicht wurde blaurot.

»Schon jetzt schreibt er in dem Tone eines Monarchen an seinen Untertan!«

»Er würde anders schreiben, wenn vor seinen Augen sechstausend Säbel erglänzten!«

»Aber –,« und Fürst Janusz hing seinen Gedanken nach. –

»Was aber?«

»Vielleicht könnte man das Vaterland retten, wenn man Sapiehas Rat befolgte?«

»Und dich? Und mich? Und die Radziwills?«

Janusz verbarg sein Gesicht in den Händen.

»Es sei so!« sagte er nach einigen Minuten. »Morgen breche ich nach Podlachien auf, und in einer Woche schon schlage ich auf Sapieha los.«

»Das ist echt radziwillisch gehandelt!« rief Boguslaw und reichte ihm die Hand, um sich zu verabschieden.

Die Lichter erloschen allmählich im Schlosse; nur in Alexandra Billewicz' Gemache war es noch hell. Sie allein schlief nicht. Knieend lag sie vor ihrem Bette und rang ihre Hände in tiefer Verzweiflung:

»Erbarme dich unser! – Erbarme dich unser!«

Zum ersten Male seit Kmicic' Abreise wollte und konnte sie nicht für ihn beten. – –


 << zurück weiter >>