Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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5. Kapitel.

Nach diesem Schreiben Boguslaws sahen der Miecznik und Alexandra mehr und mehr ein, daß ihnen nur eins blieb: sich durch Flucht zu retten. Was wartete ihrer hier, wenn Boguslaw als Sieger zurückkehrte?

Alexandra wollte aber auf jeden Fall ihre Flucht bis zur Wiederherstellung Ketlings verschieben; denn auf Braun, einen mürrischen, verschlossenen Soldaten, war nicht zu rechnen.

Alexandra wußte sehr wohl, daß Ketling sich die Wunde nur beigebracht hatte, um in ihrer Nähe zu bleiben. Und sie hoffte, daß er bereit sei, für sie alles zu tun, was sie ihm befehlen würde.

Wiederholt fragte sie sich selbst, ob sie das Recht habe, über ein fremdes Geschick, ein fremdes Leben zu verfügen. Aber sie gelangte stets zu dem Schlusse, daß ihre Gefahr eine viel größer sei, als die, der Ketling ausgesetzt würde. Er konnte, wenn er den Fürsten verlassen hatte, sofort einen besseren Dienst finden und auch starke Beschützer, – den König, Sapieha oder Czarniecki. Der Tod drohte ihm ja nur dann, wenn er unglücklicherweise in Boguslaws Hände fiele; aber noch war Boguslaw ja nicht in der ganzen Republik mächtig.

Als der junge Offizier genesen war, ließ ihn Alexandra bald zu sich rufen.

Ketling erschien vor ihr, blaß, abgemagert, aber wie immer voller Ehrfurcht und schweigender Anbetung. Tränen füllten Panna Billewicz' Augen, als sie ihn nach seiner Gesundheit fragte.

»Leider erholte ich mich, und ich wollte so gern sterben!«

»Sie müssen Ihren jetzigen Dienst verlassen,« sagte die Panna, ihn voller Teilnahme anblickend. »Solchen Menschen wie Sie ist der Glaube nötig, daß sie einer gerechten Sache dienen. – Wann ist Ihr Vertrag abgelaufen?«

»Nicht so bald, erst in einem halben Jahre.«

»Hören Sie mich an, Pan Kavalier, ich werde mit Ihnen wie mit einem Bruder, wie mit einem Freunde sprechen. Wir müssen fort von hier.«

Und sie teilte ihm ihren ganzen Fluchtplan mit. Sie drückte ihm die Hoffnung auf seine Hilfe aus und schloß so:

»Ich werde Ihnen bis zu meinem Tode dankbar sein. Ich will in ein Kloster gehen und mich dem Dienste Gottes weihen: aber wo Sie auch sein mögen, nah oder fern, ich werde nie aufhören, Gott anzuflehen, er möge Ihnen Ruhe und Glück schenken!«

Ketling war bei ihren Worten noch bleicher geworden.

»O, Sie wissen nicht, was für einen Soldaten ein Befehl bedeutet. Im Gehorsam liegt nicht nur seine Pflicht, sondern auch seine Ehre und sein Stolz. Ich habe dem Fürsten geschworen und ihm mein ritterliches Ehrenwort gegeben, daß ich seinen Dienst vor Ablauf der Frist nicht verlassen und blindlings alles ausführen werde, was er mir befiehlt. Ich bin Soldat und Edelmann, soll ich in die Fußstapfen derer treten, die bereit sind, für Geld ihr Gewissen zu verkaufen? – Selbst auf Ihren Befehl, auf Ihre Bitte hin, werde ich mein Wort nicht brechen, obwohl Gott sieht, was es mich kostet! – Wenn ich mit dem Befehl, niemand aus dem Schlosse herauszulassen, auf Wachtposten gestellt werde, so werden selbst Sie das Tor nur über meine Leiche hinweg passieren können. Sie kannten mich nicht, als Sie mir so etwas vorschlugen. – Und jetzt flehe ich Sie an, erbarmen Sie sich meiner. Begreifen Sie, daß ich nichts mehr von Ihrer Flucht hören darf, weil ich den bestimmten und klaren Befehl erhalten habe, Sie nicht aus dem Schlosse herauszulassen!«

»So geschehe Gottes Wille!« sagte Alexandra nach langem Schweigen.

Ketling fühlte, daß er jetzt fortgehen müsse, trotzdem aber rührte er sich nicht von der Stelle. Er wollte ihr zu Füßen fallen, sie um Vergebung bitten, doch sah er ein, daß sie des eigenen Kummers genug hatte.

Schließlich verbeugte er sich und ging schweigend hinaus. Auf dem Flur jedoch riß er seinen Verband von der noch nicht geheilten Wunde und fiel zu Boden.

Nach einer Stunde fand ihn die Wache und trug ihn halbtot in das Zeughaus.

Alexandra erzählte dem Miecznik schmerzlich bewegt von dem fehlgeschlagenen Versuche, Ketling zu einer Flucht zu überreden.

»Alle hier sind Halunken und Schurken!« brach Pan Billewicz los. »Bei Gott, ich würde es vorziehen, es mit dem Wilnaer Wojewoden selbst oder mit Kmicic zu tun zu haben, – nur nicht mit dieser geschminkten Gesellschaft! – Warum weinst du? Nun, höre auf! Dieser Kmicic hätte uns wenigstens aus dieser babylonischen Gefangenschaft befreit. – Mit Tränen ist uns jetzt nicht geholfen: wir müssen irgend einen anderen Plan ausdenken.«

Nach vielem Überlegen beschlossen sie, erst in Tauroggen Nachrichten von Boguslaw abzuwarten. Vielleicht konnte er umkommen, krank oder von Sapieha besiegt werden, und dann würde die Aufsicht über die Gefangenen nicht mehr so streng sein.

Ein langer, trostloser Monat verfloß, ehe ein fürstlicher Bote in Tauroggen erschien. Ketling, der nach seiner Unterredung mit Alexandra sich nicht mehr entschließen konnte, vor sie zu treten, sandte ein Blatt mit folgendem Inhalt an sie:

»Fürst Boguslaw brachte dem Christof Sapieha eine Niederlage bei; mehrere Regimenter Infanterie und Reiterei sind vernichtet. Jetzt marschiert er auf Tykocin zu.«

Diese Botschaft traf Alexandra wie ein Donnerschlag. Ihre Hoffnung auf eine Niederlage Boguslaws schwand vollständig. Vergebens tröstete der Miecznik sie damit, daß der Fürst sich noch nicht mit dem alten Hetman Sapieha gemessen habe. – Alexandra glaubte nicht, – wagte nicht zu glauben.

Die weiteren Nachrichten schienen ihre Befürchtungen zu bestätigen.

Mehrere Tage später meldete Ketling die Einnahme von Tykocin. Er schrieb: »Ganz Podlachien ist in den Händen des Fürsten, der, ohne auf Sapieha zu warten, ihm selbst entgegenzieht.«

»Auch Pan Sapieha wird geschlagen werden,« dachte das betrübte Mädchen.

Um diese Zeit kam, wie die Schwalbe als Vorbote des nahenden Frühlings, von einer anderen Seite eine Nachricht nach Tauroggen. Sie kam spät; aber sie erfüllte die Bevölkerung dieses äußersten Gebietes der Republik mit ungeheurer Freude.

»Czenstochau! Czenstochau!« klang es von Mund zu Mund. Menschen, die einander ganz fremd waren, fielen sich vor Jubel in die Arme.

»Wer wird Boguslaw unterkriegen? so fragtest du,« sagte einmal der Miecznik zu Alexandra. »Weißt du nun, wer?«

Von der Zeit an traf lange keine Kunde von dem Fürsten ein; es war, als wenn er mit allen seinen Truppen ins Wasser gefallen wäre. Die Offiziere, die in Tauroggen zurückgeblieben waren, begannen unruhig zu werden. Sie hätten die schlimmsten Nachrichten diesem beängstigenden Schweigen vorgezogen. Aber von Boguslaw konnten keine Nachrichten kommen; zu dieser selben Zeit verfolgte ihn der schreckliche Babinicz, der alle seine Boten abfing.


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